Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-400987/4/Gf/Mu

Linz, 11.02.2009

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Beschwerde der N S (Staatsangehörigkeit: Afghanistan), derzeit Polizeianhaltezentrum S, vertreten durch die D F GmbH, W, gegen ihre Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck seit dem 5. Jänner 2009 zu Recht erkannt:

I. Die Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft seit dem 5. Jänner 2009 wird als rechtswidrig festgestellt.

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) ist verpflichtet, der Beschwerdeführerin Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Rechtsmittelwerberin, eine Staatsangehörige von Afghanistan, reiste am 28. Dezember 2008 ohne gültige Reisedokumente in das Bundesgebiet ein und hat in der Folge bei der Polizeiinspektion L (S) einen Asylantrag gestellt.

1.2. Mit Schreiben des Bundesasylamtes (Erstaufnahmestelle West) vom 29. Dezember 2008, Zl. 813191, wurde der Rechtsmittelwerberin gemäß § 29 Abs. 3 des Asylgesetzes mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, ihren Asylantrag zurückzuweisen und dass zuständigkeitshalber Konsultationen mit Griechenland zwecks ihrer Ausweisung in diesen Staat geführt werden; diese Mitteilung hat die Beschwerdeführerin am 5. Jänner 2009 persönlich übernommen.

1.3. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 5. Jänner 2009, Zl. Sich40-3689-2008, wurde über die Rechtsmittelwerberin die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum S am selben Tag vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass mittels eines Abgleiches von Fingerabdrucken festgestellt habe werden können, dass die Beschwerdeführerin bereits am 10. Oktober 2008 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden sei; ihre Angabe dahin, erst wenige Stunden vor der Stellung ihres Asylantrages in das Gebiet der EU eingereist zu sein, habe sich daher als offenbar unzutreffend erwiesen. Auf Grund ihres langen Aufenthaltes liege daher der Verdacht nahe, dass sie primär gar nicht an einer Anerkennung als Flüchtling, sondern vielmehr daran interessiert sei, von ihren Gastländern finanziell unterstützt zu werden. Zudem verfüge sie – von ihrer bundesbetreuten Unterkunft abgesehen – weder über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz noch – da sie völlig mittellos sei und keiner geregelten Arbeit nachgehe(n könne) – über die zur Bestreitung ihres Aufenthaltes nötigen finanziellen Mindesterfordernisse oder über irgendwelche fämiliären oder sozialen Bindungen in Österreich, sodass sie in Bezug auf ihre Lebensgestaltung völlig flexibel sei. Da sie schon bisher dokumentiert habe, dass sie kaum gewillt ist, sich mit den Ordnungsvorschriften ihrer Gastländer zu identifizieren und nunmehr zudem Kenntnis über ihre beabsichtigte Ausweisung nach Griechenland habe, sei aktuell zu befürchten, dass sie sich – wenn sie in Freiheit belassen würde – dem künftigen fremdenpolizeilichen Verfahren durch ein Untertauchen in die Anonymität zu entziehen oder zumindest versuchen werde, dieses zu erschweren. Daher sei auch die Anwendung gelinderer Mittel nicht in Betracht gekommen, sondern vielmehr die Schubhaft zu verhängen gewesen.

1.4. Gegen diese, seit dem 5. Jänner 2009 andauernde Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am 10. Februar 2009 beim Oö. Verwaltungssenat eingelangte Beschwerde.

Darin bringt die Rechtsmittelwerberin vor, dass sie bis zu ihrer Inschubhaft­nahme in der Bundesbetreuung untergebracht und daher nicht als unstet zu betrachten gewesen sei. Außerdem habe sie sich bis dahin stets wohlverhalten, indem sie insbesondere den an sie ergangenen behördlichen Ladungen anstandslos Folge geleistet habe, sodass keine Rede davon sein könne, dass sie beabsichtige, sich dem fremdenpolizeilichen Verfahren zu entziehen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb keine gelinderen Mittel zur Anwendung hätten kommen können, zumal die Zulässigkeit der Schubhaftverhängung nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts lediglich als eine ultima-ratio-Maßnahme angesehen werden dürfe. In diesem Zusammenhang sei auch insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber keinesfalls davon ausgegangen sei, dass „alle potentiellen Dublin-Fälle“ anstatt in die Grundversorgung stets in die Schubhaft zu nehmen seien.

Aus diesen Gründen wird daher die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung in Schubhaft beantragt.

2.2. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat dem Oö. Verwaltungssenat den Bezug habenden Verwaltungsakt zu Zl. Sich-40-3689-2008 vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

In dieser wird ergänzend darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin im Zuge des Asylverfahrens vor ihrer Inschubhaftnahme nie behördlich vorgeladen worden sei und sie sich etwa zwei Monate unrechtmäßig im Schengen-Raum aufgehalten habe.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 4/2008 (im Folgenden: FPG), hat u.a. derjenige, der unter Berufung auf das FPG angehalten wird, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit dieser Anhaltung anzurufen.

Nach § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG kann auch ein Asylwerber zum Zweck der Sicherung seiner Ausweisung oder Abschiebung in Schubhaft genommen werden, wenn gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde.

Gemäß § 77 Abs. 1 und 3 FPG ist jedoch von der Schubhaftverhängung dann Abstand zu nehmen, wenn deren Zweck in gleicher Weise durch die Anwendung gelinderer Mittel – insbesondere durch die Vorschreibung zur Unterkunftnahme in bestimmten Räumen oder durch die Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer bestimmten Polizeidienststelle – erreicht werden kann.

3.2.1. Im gegenständlichen Fall steht allseits unbestritten fest, dass gegen die Beschwerdeführerin – eine Asylwerberin – vor der Schubhaftverhängung bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet war, sodass die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich in zulässiger Weise auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt werden konnte.

3.2.2. Strittig ist hier vielmehr allein die Frage, ob der mit der Schubhaftverhängung verfolgte Zweck nicht in gleicher Weise auch dadurch hätte erreicht werden können, dass seitens der belangten Behörde anstelle der Schubhaft i.S.d. § 77 Abs. 1 und 3 FPG gelindere Mittel angeordnet werden.

Dies ist im Ergebnis aus folgenden Gründen zu bejahen:

3.2.2.1. Nach der ständigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts stellt die Anordnung der Schubhaft, die stets einen massiven Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit bedeutet, eine Maßnahme dar, die lediglich dann zum Einsatz gebracht werden darf, wenn die Durchsetzung der fremdenpolizeilichen Anordnung nicht auch in einer anderen, in gleicher Weise wirksamen Form möglich ist.

Dieser bereits in Art. 3 Abs. 1 PersFrSchG verfassungsgesetzlich grundgelegte ultima-ratio-Vorbehalt mündet sohin in eine Prognoseentscheidung, wie dies § 77 Abs. 1 FPG auch explizit zum Ausdruck bringt: Von der Anordnung der Schubhaft ist bereits dann Abstand zu nehmen, wenn die Behörde einen Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang ist in gleicher Weise offensichtlich, dass es nicht auf die subjektive Einschätzung des Organwalters, sondern vielmehr auf den objektiven Gesamteindruck ankommt wie andererseits, dass nicht bereits das Vorliegen eines einzigen Grundes für die Anwendung gelinderer Mittel hinreicht, sondern dass insoweit vielmehr eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist.

3.2.2.2. Davon ausgehend sprachen im gegenständlichen Fall zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides die Unredlichkeit der Beschwerdeführerin (wie das Verschweigen ihres vorangehenden zweimonatigen Aufenthalts im Schengen-Raum und die Nichtangabe, aus welchem Staat sie ins Bundesgebiet eingereist ist), das Nichtmitführen eines Identitätsnachweises, die völlige Mittellosigkeit und das Fehlen jeglicher sozialer Bindungen objektiv gegen die Anwendung bloß gelinderer Mittel, während ihre Unterbringung in der Bundesbetreuung, in der sie sich auch tatsächlich und durchgängig aufgehalten hat, objektiv gegen die Anordnung der Schubhaft ins Treffen zu führen war. Demgegenüber war das Argument der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin weder über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz noch über die zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erforderlichen finanziellen Mittel verfüge, im Hinblick auf ihre Unterbringung in der Bundesbetreuung ebenso unbeachtlich wie das Vorbringen der Beschwerdeführerin, den behördlichen Ladungen Folge geleistet zu haben, da solche bis dahin noch gar nicht an sie ergangen waren. Auch dem Argument, dass zu befürchten sei, dass die Beschwerdeführerin – nach der an sie erfolgten Mitteilung durch das Bundesasylamt vom 29. Dezember 2008, Zl. 813189, dass beabsichtigt ist, ihren Asylantrag zurückzuweisen und sie nach Griechenland abzuschieben – im nunmehrigen Wissen um diese zukünftigen fremdenpolizeilichen Maßnahmen diese durch ein Untertauchen in der Anonymität zu vereiteln versuchen werde, käme nur dann Gewicht zu, wenn die Behörde (was von ihr entsprechend zu belegen ist) mit gutem Grund davon ausgehen konnte, dass die Rechtsmittelwerberin die Tragweite dieser Mitteilung auch tatsächlich realisiert hat. Für eine derartige Annahme findet sich im vorgelegten Akt jedoch schon deshalb kein Anhaltspunkt, weil die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift – wenngleich auch in englischer Sprache – nur bestätigt hat, diese Mitteilung „am 05.01.2009 erhalten“ zu haben; ob die Rechtsmittelwerberin überhaupt des Deutschen und/oder Englischen mächtig ist und/oder ein Dolmetscher beigezogen war oder nicht, lässt sich hingegen nicht nachvollziehen.

Weiters finden sich keine Belege dafür, dass die Rechtsmittelwerberin während ihres Aufenthaltes im Schengen-Raum gravierende – geschweige denn gerichtlich strafbare – Handlungen begangen hätte, wobei in diesem Zusammenhang insbesondere darauf hinzuweisen ist, dass der – wenn auch mit besonderer Nachhaltigkeit unternommene – Versuch eines Fremden, sich seine persönliche und/oder wirtschaftliche Stellung gegenüber seinem Heimatstaat im EU-Raum zu verbessern, nicht schon als solches, sondern nur insoweit ein deliktisches Verhalten darstellt, als verwaltungspolizeiliche Ordnungsvorschriften (v.a. Einreisebestimmungen) verletzt werden. Solange daher das Verhalten eines sog. „Wirtschaftsflüchtlings“ nur politisch, nicht aber auch in adäquater Weise rechtlich mißbilligt wird, darf dieses daher auch bei der im Lichte des § 77 Abs. 1 FPG gebotenen Gesamtabwägung auch nicht über Gebühr zu Lasten des Fremden in Rechnung gestellt werden.

3.2.2.3. Objektiv besehen stellte sich daher die Situation im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft so dar, dass sich die Beschwerdeführerin in der Bundesbetreuung befand und ihr mitgeteilt worden war, dass die Behörde beabsichtigt, ihren Asylantrag zurückzuweisen und sie nach Griechenland abzuschieben. Unterstellt man, dass sie – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht vertreten – zumindest grundsätzlich über ihre rechtliche Situation orientiert war, so muss man auch davon ausgehen, dass ihr primäres Interesse darin bestanden haben muss, die voraussichtliche negative Entscheidung über ihren Asylantrag umgehend zu bekämpfen. Dies bedingt jedoch auch, mit der Behörde faktisch in Kontakt treten, d.h. behördliche Schriftstücke entgegen nehmen und darauf hin weitere Eingaben verfassen zu können, etc. Schon von diesem vitalen Interesse aus besehen konnte daher nicht angenommen werden, dass die Rechtsmittelwerberin sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren zu entziehen versuchen wird, weil insoweit das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung und jenes zur Entscheidung über den Asylantrag nicht getrennt betrachtet werden dürfen, sondern vielmehr als eine Einheit gesehen werden müssen.

Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin in der Bundesbetreuung untergebracht und dort für die Behörde auch jederzeit faktisch greifbar war sowie, dass sie bis zum Zeitpunkt ihrer Inschubhaftnahme keine gravierenden Straftaten verübt hat.

Angesichts dieser Umstände hatten daher die von der belangten Behörde für die unmittelbare Anordnung der Schubhaft ins Treffen geführten Argumente der Unredlichkeit der Beschwerdeführerin (wie das Verschweigen ihres vorangehenden zweimonatigen Aufenthalts im Schengen-Raum und die Nichtangabe, aus welchem Staat sie ins Bundesgebiet eingereist ist), des Nichtmitführens eines Identitätsnachweises, der persönlichen Mittellosigkeit und des Fehlens jeglicher sozialer Bindungen in Österreich bei einer Gesamtabwägung in den Hintergrund zu treten.

Im Ergebnis erweist sich daher die unmittelbare Anordnung der Schubhaft ohne eine vorangehende Verfügung gelinderer Mittel – wie z.B. die weitere Unterbringung der Rechtsmittelwerberin in der Bundesbetreuung, allenfalls auch in Verbindung mit einer Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle – als rechtswidrig.

3.3. Der gegenständlichen Beschwerde war daher gemäß § 83 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben und die Rechtswidrigkeit der Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft seit dem 5. Jänner 2009 als rechtswidrig festzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis waren der Rechtsmittelwerberin gemäß § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandsersatzverordnung BGBl.Nr. II 456/2008 antragsgemäß Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro (Eingabegebühr: 13,20 Euro; Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro) zuzusprechen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1.             Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.             Für das gegenständliche Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 16,80 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Dr.  G r o f

 

Rechtssatz:

 

wie VwSen-400986/Gf/Mu v. 11.2.2009

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum