Linz, 06.02.2009
E r k e n n t n i s
(Bescheid)
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Josef Kofler über die Berufung des Herrn C W,
geb. , A, V, vertreten durch R L, E T, S, V gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 16.07.2008, VerR96-7418-2007, wegen Übertretungen des § 4 StVO, nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2009 einschließlich Verkündung des Erkenntnisses, zu Recht erkannt:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und
das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt.
Der Berufungswerber hat zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat 20 % der verhängten Geldstrafe zu zahlen.
Rechtsgrundlagen:
§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 16, 19 und 24 VStG
§ 64 Abs.1 und 2 VStG
Der Berufungswerber hat somit insgesamt zu entrichten:
- Geldstrafe: 250 + 200 = .................................................. 450 Euro
- Verfahrenskostenbeitrag I. Instanz .................................... 45 Euro
- Verfahrenskostenbeitrag II. Instanz .................................. 90 Euro
585 Euro
Die Ersatzfreiheitsstrafe beträgt insgesamt: 108 + 96 = 204 Stunden.
Entscheidungsgründe:
Die belangte Behörde hat über den nunmehrigen Berufungswerber (Bw) das in
der Präambel zitierte Straferkenntnis – auszugsweise – wie folgt erlassen:
"Sie haben folgende Verwaltungsübertretungen begangen:
Tatort: Gemeinde ....., Ortsgebiet, H.Straße auf Höhe der Häuser Nr. ....,
Fahrtrichtung ......
Tatzeit: 17.03.2007, 07:03 Uhr
Fahrzeug: Kennzeichen ....., VW Golf
Sie sind mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt, da Sie es durch Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht haben, Ihre körperliche und geistige Verfassung zum Unfallszeitpunkt festzustellen.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt: § 4 Abs. 1 lit. c StVO
Sie haben es weiters unterlassen, nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, mit dem Ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang stand,
die nächste Polizeiinspektion ohne unnötigen Aufschub zu verständigen,
obwohl ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift der Unfallbeteiligten bzw. der Personen, in deren Vermögen der Sachschaden eingetreten ist, unterblieben ist.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt: § 4 Abs. 5 StVO
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über die folgenden Strafen verhängt:
Geldstrafe von falls diese uneinbringlich ist, Gemäß
Ersatzfreiheitsstrafe
250,00 108 Stunden § 99 Abs. 2 lit. a StVO
200,00 96 Stunden § 99 Abs. 3 lit. a StVO
Ferner haben Sie gemäß § 64 VStG zu zahlen:
45 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 495,00 Euro."
Gegen dieses Straferkenntnis hat der Bw innerhalb offener Frist die weitwendig begründete Berufung vom 01.08.2008 erhoben und im Wesentlichen vorgebracht,
- es liege ein "Unfallschock" vor und
- er sei zur "Tatzeit" nicht schuld– bzw. zurechnungsfähig gewesen.
Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) durch sein nach der Geschäftsverteilung zuständiges Mitglied (§ 51c VStG) erwogen:
Am 04.02.2009 wurde beim UVS eine öffentliche mündliche Verhandlung (mVh) durchgeführt, an welcher der Bw, dessen Rechtsvertreter sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilgenommen haben.
Aus dem Verfahrensakt sowie dieser mVh ergibt sich nachstehend angeführter entscheidungsrelevanter Sachverhalt:
Der Bw lenkte am 17.03.2007 um 07:03 Uhr einen dem Kennzeichen
nach näher bestimmten PKW im Gemeinde- und Ortsgebiet .... , H.straße auf Höhe der Häuser Nr. .....
An dieser Stelle kam der Bw rechts von der Fahrbahn ab und überschlug sich.
Der PKW stieß – auf der Fahrerseite liegend – mit dem Dach gegen das Haus
H.straße Nr. .......
Die "Endlage" des PKW ist aus dem im erstinstanzlichen Verfahrensakt enthaltenen sowie vom Bw bei der mVh übergebenen Farbfotos (Kopien) ersichtlich.
Bei diesem Verkehrsunfall wurde der vom Bw gelenkte PKW sehr schwer beschädigt.
Weiters wurden beim Haus H.straße Nr. ...... der Zaun sowie die Hausfassade beschädigt.
Der Bw verließ noch vor dem Eintreffen der Polizei die Unfallstelle und
ging bzw. lief nach Hause.
Stellungnahme des Bw bzw. seines Rechtsvertreters bei der mVh:
Ich verweise auf meine schriftlichen Ausführungen in der Berufung vom 01.08.2008.
Weiters lege ich noch weitere Fotos vom beschädigten Fahrzeug vor.
Aus diesen lässt sich ebenfalls entnehmen,
dass ich bei dem Unfall Kopfverletzungen erlitten habe.
Stellungnahme des Verhandlungsleiters:
Der amtshandelnde Polizeibeamte, Herr Insp. M. D., PI ..... hat am 20.01.2009 – über Ersuchen des Verhandlungsleiters – die Entfernung vom Unfallort bis zum Wohnort des Bw mittels Kilometerzähler des PKW gemessen.
Die Entfernung beträgt 2,5 km.
Die Straße weist stellenweise eine beträchtliche Steigung auf.
Dies wird vom Bw sowie seinem Rechtsvertreters als richtig bestätigt.
Die Entfernung vom Unfallort bis zum Wohnort des Bw beträgt – unstrittig –
ca. 2,5 km; die Straße weist – in Gehrichtung bzw. "Laufrichtung" des Bw gesehen – abschnittsweise eine beträchtliche Steigung auf.
Der Bw wurde von dessen Vater am selben Tag um ca. 22:15 Uhr –
somit 15 Stunden nach dem Verkehrunfall – in das Krankenhaus ....... gebracht.
Im erstinstanzlichen Verfahrensakt ist die "Verletzungsanzeige" des
Krankenhauses ........ vom 22.03.2007 enthalten;
in dieser ist ua. angeführt: "Verletzungsgrad: leicht Prellungen"
Um 23:11 Uhr bzw. 23:12 Uhr – somit
- nur ca. 1 Stunde nach der Behandlung im Krankenhaus bzw.
- 16 Stunden nach dem Verkehrsunfall
hat der Bw in der PI ...... einen Alkotest durchgeführt, welcher einen Atemluftalkoholgehalt von (beide Messwerte) 0,00 mg/l ergeben hat.
Der Bw bringt – wie bereits dargelegt – vor,
- er habe durch diesen Verkehrsunfall einen "Unfallschock" erlitten und
- er sei zur "Tatzeit" nicht schuld- bzw. zurechnungsfähig gewesen.
Begründet wird dies mit dem Schreiben des Herrn praktischen Arztes,
Dr. W. W. vom 23.10.2007, welcher ausführt:
"Die erstmalige Untersuchung fand am 22.03.2007 statt.
Im Zuge einer familiären Belastungssituation (Krankengeschichte der Schwester) kam es nach dem Verkehrunfall zu einer akuten Verdrängungssituation mit Realitätsverweigerung –
es besteht seitens des Bw keinerlei Erinnerung an das Geschehen."
Der Bw hat weiters die Diagnose des Herrn Dr. W. H., Facharzt für Neurologie vom 13.02.2008 vorgelegt:
"Der Bw ist am 17.03.2007 mit seinem PKW unterwegs gewesen und aus ungeklärter Ursache gegen ein Hauseck geprallt. Er hat offensichtlich das Auto verlassen, ist nach Hause gegangen und wurde dort dann aufgefunden.
Er konnte sich nicht an den Unfallhergang selbst erinnern, auch retrograd bestand eine Amnesie von etwa 2 Minuten, anterograd ist unklar, weil er zu Hause noch geschlafen hat. Er wurde dann von der Schwester geweckt.
Es gab Erbrochenes, hatte anschließend Schwindel und Kopfschmerzen und eine Durchuntersuchung im Krankenhaus .....
Ergebnis:
Ein retrograde Amnesie würde die Diagnose einer Commotio erhärten, posttraumatisch kam es offensichtlich zu einem Dämmerzustand, der rein klinisch nicht zuzuordnen ist.
Auf Grund auch der starken vegetativen Reaktion (Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, etc.) kann retrograd klinisch auf eine Commotio rückgeschlossen werden."
Anmerkung: Der Name des Bw wurde durch die Wendung "Bw" ersetzt.
In rechtlicher Hinsicht ist vorerst auszuführen:
Ein sog. "Unfallschock" kann nur in besonders gelagerten Fällen und bei einer gravierenden psychischen Ausnahmesituation das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens entschuldigen.
Einem dispositionsfähig gebliebenen Unfallbeteiligten ist trotz eines
sog. Unfallschocks iVm einer begreiflichen affektiven Erschütterung pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, zumal von einem Kraftfahrer, welcher die Risiken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß
an Charakter– und Willensstärke zu verlangen ist, dass er den Schock über
den Unfall und die etwa drohenden Folgen zu überwinden vermag;
VWGH vom 25.06.2003, 2002/03/0112; vom 29.11.1989, 88/03/0154;
vom 05.04.1989, 88/03/0260; vom 20.6.2006, 2005/02/0146.
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist es bereits auf Grund eines "situationsbezogenen" Verhaltens eines KFZ-Lenkers entbehrlich, ein (amts-) ärztliches und/oder fachärztliches Sachverständigengutachten über dessen Zurechnungsfähigkeit einzuholen;
VwGH- Erkenntnisse betreffend § 4 StVO und § 31 Abs.1 StVO:
vom 26.01.2007, 2007/02/0013; vom 22.04.1994, 94/02/0108;
vom 25.09.1991, 91/02/0055; vom 25.09.1991, 90/02/0217;
vom 03.10.1990, 90/02/0120.
VwGH-Erkenntnisse betreffend andere Übertretungen nach der StVO:
Vom 30.11.2007, 2007/02/0268; vom 23.05.2006, 2006/02/0091;
vom 30.10.2006, 2005/02/0332; vom 23.07.2004, 2004/02/0215;
vom 09.09.2005, 2004/02/0097; vom 30.01.2004, 2003/02/0223;
vom 30.10.2003, 2003/02/0031; vom 28.01.2000, 99/02/0042;
vom 28.02.1997, 96/02/0562; vom 27.05.1999, 96/02/0388;
vom 13.03.1991, 90/03/0267.
VwGH-Erkenntnisse betreffend "Gehirnerschütterung":
vom 23.05.2006, 2006/02/0091; vom 30.10.2006, 2005/02/0332;
vom 20.06.2006, 2005/02/0146; vom 09.09.2005, 2004/02/0097;
vom 16.10.2003, 2001/03/0070; vom 25.01.2002, 2001/02/0024 uva.
Der Bw ist unmittelbar nach dem Verkehrsunfall entweder bei der Beifahrertür oder bei der rechten hinteren Tür aus dem PKW "hinausgeklettert" –
Von einem "Aussteigen" kann angesichts der Endlage des PKW keine Rede sein!
Dieses "Hinausklettern aus dem PKW" muss unmittelbar nach dem Verkehrsunfall erfolgt sein – beim Eintreffen der Polizei war der Bw nicht mehr am Unfallort.
Der Bw ist von der Unfallstelle nach Hause gegangen/gelaufen.
Die Entfernung zwischen der Unfallstelle einerseits und dem Wohnort des Bw andererseits beträgt ca. 2,5 km; die Straße weist in Gehrichtung/Laufrichtung des Bw gesehen abschnittsweise beträchtliche Steigungen auf.
Der Bw wurde ca. 15 Stunden nach dem Verkehrsunfall von dessen Vater ins Krankenhaus gebracht und wurde dort nur ambulant behandelt.
Bereits 1 Stunde später hat – wie dargelegt – der Bw in der PI .... einen Alkotest durchgeführt.
Das Verhalten des Bw unmittelbar nach dem Verkehrsunfall
- "Hinausklettern aus dem verunfallten PKW" sowie
- ca. 2,5 km nach Hause gehen bzw. laufen
war offenbar zielgerichtet und in diesem Sinne auch erfolgreich;
VwGH vom 25.09.1991, 90/02/0217.
Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung und entbehrt jedweder Logik,
dass der Bw – auf Grund seines situationsbedingten Verhaltens – zwar in
der Lage war, unmittelbar nach dem Verkehrsunfall
- aus diesem verunfallten PKW zu "klettern" und
- ca. 2,5 km nach Hause zu gehen bzw. zu laufen.
jedoch – auf Grund der von ihm behaupteten mangelnden Schuld- und Zurechnungsfähigkeit – nicht in der Lage gewesen sein soll, seinen Verpflichtungen nach § 4 StVO nachzukommen!
Herr Dr. W. W. hat den Bw am 22.03.2007 erstmals untersucht –
diese Untersuchung fand daher erst 5 Tage nach dem Verkehrsunfall statt!
Die Stellungnahme des Herrn Dr. W. H. Facharzt für Neurologie, wurde am 13.02.2008 – somit 11 Monate nach dem Verkehrsunfall - erstattet.
Weder Herr Dr. W. W. noch Herr Dr. W. H. sind auf die Tatsache,
dass der Bw unmittelbar nach dem Verkehrsunfall in der Lage war
- aus diesem PKW "hinauszuklettern" sowie
- "zielgerichtet und erfolgreich" ca. 2,5 km nach Hause zu gehen bzw. zu laufen
eingegangen!
Für folgende Feststellung bedarf es keines Sachverständigengutachtens,
sondern genügt die allgemeine Lebenserfahrung:
Jemand, der in der Lage ist, unmittelbar nach dem Verkehrsunfall
- aus diesem PKW – beachte dessen "Endlage" – zu "klettern" und
- "zielgerichtet und erfolgreich" ca. 2,5 km nach Hause zu gehen bzw. zu laufen
ist auch in der Lage bzw. wäre auch in der Lage gewesen, seinen Verpflichtungen nach § 4 StVO nachzukommen, in concreto
- die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs.1 lit. c StVO sowie
- die Meldepflicht nach § 4 Abs.5 StVO
zu erfüllen!
Für den UVS steht daher fest, dass der Bw zur Tatzeit schuld- und zurechnungs-fähig gewesen ist und somit die im erstinstanzlichen Straferkenntnis enthaltenen Verwaltungsübertretungen nach §§ 4 Abs.1 lit. c und 4 Abs.5 StVO begangen hat.
Dass er
- an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitgewirkt hat sowie
- die nächste Polizeiinspektion oder den/die Geschädigten ohne unnötigen Aufschub verständigt hat
behauptet der Bw selbst nicht.
Die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs.1 leg. cit. StVO einerseits und die Verständigungspflicht nach § 4 Abs.5 leg. cit. andererseits sind zwei von einander verschiedene und unabhängige Verpflichtungen.
Deren Verletzung ist je gesondert zu bestrafen.
VwGH vom 20.10.1999, 99/03/0252 und vom 30.06.1993, 93/02/0066.
Die Berufung war daher betreffend den Schuldspruch als unbegründet abzuweisen.
Betreffend die – vom Bw nicht gesondert angefochtene – Strafbemessung wird
auf die zutreffende Begründung in erstinstanzlichen Straferkenntnis verwiesen;
ein derartiger Verweis ist nach ständiger Rechtssprechung des VwGH zulässig – siehe die in Walter-Thienel, Band I, 2. Auflage, E 48 zu § 60 AVG (Seite 1049) zitierten zahlreichen VwGH-Entscheidungen.
Bei Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs.1 lit. c sowie § 4 Abs.5 StVO ist – selbst wenn der Betreffende bislang unbescholten war – eine Geldstrafe
von 250 Euro bzw. 200 Euro gerechtfertigt;
vgl. VwGH vom 29.06.1994, 92/03/0269; vom 26.03.2004, 2003/02/0279;
vom 26.01.2007, 2007/02/0013 –
in diesem Erkenntnis wurde wegen einer Übertretung nach § 4 Abs.1 lit. c StVO sogar eine Geldstrafe von 1.100 Euro als rechtmäßig bestätigt bzw. die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Die von der Behörde I. Instanz festgesetzten Geldstrafen sind daher rechtmäßig.
Gemäß § 64 Abs.2 VStG betragen die Kosten für das Verfahren I. Instanz
10 % und für das Berufungsverfahren weitere 20 % der verhängten Geldstrafen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.
Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Mag. Josef Kofler
Beschlagwortung:
Unfallschock; Schuld- und Zurechnungsfähigkeit;