Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400831/14/Gf/Mu

Linz, 18.03.2009

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof aus Anlass der Beschwerde des Y O, vertreten durch die RAe Dr. K K und Mag. W B, G, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck vom 13. Juli 2006 bis zum 24. Juli 2006 zu Recht erkannt:

 

I.    Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als rechtswidrig festgestellt.

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von insgesamt 673,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 83 FPG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist am 16. Juni 2006 (zum wiederholten Male) unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist und hat am 7. Juli 2006 einen Asylantrag gestellt.

1.2. Im Zuge seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle West) am 13. Juli 2006, Zl. 0607054, wurde ihm gemäß § 29 Abs. 3 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG), mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, seinen Antrag abzuweisen und dass diese Mitteilung als Einleitung eines Ausweisungsverfahrens gilt.

1.3. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 13. Juli 2006, Zl. Sich40-2354-2006, wurde über den Rechtsmittelwerber gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. I 99/2006 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das PAZ Linz sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass er einerseits weder über einen Identitätsnachweis noch über gültige Reisedokumente sowie andererseits nicht über die für einen Aufenthalt erforderlichen finanziellen Mittel verfüge und er sich im Hinblick auf die nunmehr beabsichtigte Abschiebung nicht freiwillig der Fremdenpolizeibehörde zur Verfügung halten werde.

Zudem habe er im Zuge seiner Einvernahme geäußert, für seine Schleppung nach Österreich 6.000 Euro bezahlt zu haben und sicher nicht mehr in seinen Heimatstaat zurückkehren zu wollen.

1.4. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft wendete der Beschwerdeführer ein, dass die Verhängung der Schubhaft generell bloß eine ultima-ratio-Maßnahme darstelle, die erst zur Anwendung kommen könne, wenn gelindere Mittel zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zweckes nicht hinreichen. Im gegenständlichen Fall habe die belangte Behörde aber derartige Alternativen von vornherein gar nicht erwogen, obwohl der Rechtsmittelwerber sich weder seiner Ausweisung widersetzt noch seinen Aufenthalt oder seine Identität verschleiert habe. Außerdem könne er bei seinem in Österreich gut integrierten Bruder leben, dem mittlerweile auch schon die Staatsbürgerschaft verliehen worden sei.

Daher wurde die kostenpflichtige Aufhebung der Schubhaft beantragt.

2. Mit Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 24. Juli 2006, Zl. VwSen-400831/4/Gf/Ga, wurde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen; gleichzeitig wurde festgestellt, dass zum damaligen Zeitpunkt die für die Fortsetzung des Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorlagen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sowohl die Beurteilung des aktuellen Sicherungsbedarfes wie auch des Hinreichens gelinderer Mittel jeweils eine Prognoseentscheidung erfordern würden. Derartige Prognoseent­scheidungen würden nun von den sonstigen ex-post-Beurteilungen, die Verwaltungsbehörden üblicherweise zu treffen haben, wesensmäßig dadurch divergieren, dass nicht anhand feststehender Fakten zu entscheiden ist, was Rechtens ist, sondern dass eine Annahme über die künftige Entwicklung von Sachverhalten getroffen werden und diese Einschätzung dem behördlichen Abspruch zu Grunde gelegt werden muss. Damit liege aber auf der Hand, dass in diesem Zusammenhang − was der Gesetzgeber immer dann, wenn er die Verwaltung zu einer Prognoseentscheidung ermächtigt, auch in Kauf nehme − auch außerrechtlichen Parametern ein vergleichsweise wesentlich größeres, sogar primäres Gewicht beikomme. Insbesondere spielten hiebei eine langjährige Behördenerfahrung in vergleichbaren Fällen (standardisierte Verhaltensmuster) und psychologische Elemente (objektivierbares Durchschnittsverhalten von Personen in vergleichbaren Situationen) eine bedeutende Rolle.

Bezogen auf Fallkonstellationen wie die vorliegende, in denen bloße "Wirtschaftsflüchtlinge", die zum wiederholten Mal unter Inanspruchnahme von finanzaufwändiger Schlepperhilfe illegal in das Bundesgebiet einreisen, um denselben Lebensstandard wie vereinzelte bereits hier integrierte Familienangehörige zu erreichen, und zwecks Verfahrensverzögerung pseudomäßige Asylanträge stellen, lehre die behördliche Erfahrung jedenfalls des letzten Jahrzehnts, dass sich diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zum Zweck der behördlichen Abschiebung in ihren Heimatstaat zur Verfügung halten würden, im Gegenteil: Würden solche Fremde in Freiheit belassen, seien in aller Regel unverhältnismäßig hohe, dem Staat zur Last fallende Kosten für die Stornierung des vorgebuchten Fluges in den Heimatstaat und für dessen neuerliche Ausforschung die übliche Folge.

Von diesem Wahrscheinlichkeitsszenario ausgehend könne daher die Nichtanwendung gelinderer Mittel in derartigen Fällen grundsätzlich nicht als rechtswidrig erkannt werden, es sei denn, es würden sich auf Grund der Umstände des konkreten Falles triftige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die allgemeine Behördenerfahrung hier ausnahmsweise nicht zuträfe. In diesem Zusammenhang komme der dem Fremden verfahrensmäßig auferlegten Mitwirkungsverpflichtung eine besondere Bedeutung zu: Hinsichtlich solcher Umstände und Tatsachen, die in seiner eigenen Person begründet und nicht offenkundig seien, obliege es ihm, diese rechtzeitig und umfassend vorzubringen und zudem nachvollziehbar und überzeugend zu begründen.

In diesem Zusammenhang sei in der gegenständlichen, weitwendigen Beschwerde jedoch tatsächlich nur darauf hingewiesen worden, dass der Rechtsmittelwerber bei seinem in Österreich sozial integrierten Bruder in Kärnten leben könnte, ohne diesen gleichzeitig wenigstens namentlich zu benennen oder dessen Adresse bekannt zu geben, geschweige denn, eine konkrete, rechtlich verbindliche und damit auch einklagbare Verpflichtungserklärung vorzulegen − ganz abgesehen davon, dass damit nur seine Versorgung, nicht aber auch sichergestellt wäre, dass er sich zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Abschiebung auch tatsächlich der Behörde zur Verfügung halten würde.

In gleicher Weise schienen daher auch andere Arten gelinderer Mittel wie z.B. die in § 77 Abs. 3 FPG genannte Möglichkeit der Verpflichtung zur Unterkunftsnahme in von der Behörde bestimmten Räumen und zur periodischen Meldung bei einem Polizeikommando angesichts des zuvor dargestellten Wahrscheinlichkeitsszenarios schon von vornherein nicht geeignet, den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck der Verfahrenssicherung in gleicher Weise zu gewährleisten, weshalb sich die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft im Ergebnis als rechtmäßig erweise.

3. Mit Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zl. 2006/21/0261, hat der Verwaltungsgerichtshof der dagegen erhobenen Beschwerde des Rechtsmittelwerbers stattgegeben und die vorzitierte h. Entscheidung vom 24. Juli 2006 wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

Begründend wurde dazu – bezeichnender Weise unter Hinweis auf mehrere, jeweils erst nach Erlassung der angefochtenen h. Entscheidung ergangene dg. Erkenntnisse – ausgeführt, dass die Behörden auch in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet seien, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen, weshalb die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe.

Ein bloßes Abstellen auf langjährige Behördenerfahrungen in vergleichbaren Fällen, das darüber hinaus unbelegt geblieben ist, sowie allgemeine Annahmen und Erfahrungswerte würden hingegen nicht genügen, um die Notwendigkeit einer konkreten Freiheitsentziehung zu begründen.

4. Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Behörden – unabhängig davon, ob sie die geäußerte Rechtsmeinung bzw. das sich daran knüpfende Ergebnis teilen – verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden recht­lichen Mitteln den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Wie sich auch aus S. 5 des vorzitierten Erkenntnisses zu ergeben scheint, dürfte eine nachträgliche Sachverhaltsermittlung samt Ergänzung der Begründung in einem Maßnahmbeschwerdeverfahren gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG nachgebildeten Verfahren – wie dies das Schubhaftbeschwerdeverfahren darstellt (vgl. § 83 Abs. 2 FPG) – nicht zulässig sein, weil es in diesem primär darum geht, binnen Wochenfrist die Rechtmäßigkeit der Anhaltung des Fremden unter Zugrundelegung der zum Entscheidungszeitpunkt bekannten Fakten zu beurteilen.

Davon ausgehend war daher der Beschwerde gemäß § 83 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben und die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 13. Juli bis zum 24. Juli 2006 festzustellen.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der (hier noch maßgeblichen) UVS-Aufwandsersatzverordnung 2003, BGBl.Nr. 334/2003, ein Kostenersatz in Höhe von insgesamt 673,80 Euro (Gebühr: 13,00 Euro; Schriftsatzaufwand: 660,80 Euro) zuzusprechen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1.      Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.      Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13 Euro entstanden.

Dr.  G r o f

 

Rechtssatz:

 

VwSen-400831/14/Gf/Mu vom 18. März 2009:

Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG; § 83 Abs. 2 FPG:

 

In dem dem Maßnahmbeschwerdeverfahren gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG nachgebildeten Schubhaftbeschwerdeverfahren (vgl. § 83 Abs. 2 FPG) ist eine nachträgliche Sachverhaltsermittlung samt Ergänzung der Begründung im Zuge der Erlassung eines Ersatzbescheides aus Anlass eines aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes nicht zulässig, weil es hier primär darum geht, binnen Wochenfrist die Rechtmäßigkeit der Anhaltung des Fremden unter Zugrundelegung der zum Entscheidungszeitpunkt bekannten Fakten zu beurteilen.

Beachte:

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

VwGH vom 26.01.2012, Zl. 2009/21/0108-7

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