Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420574/5/WEI/Se

Linz, 06.04.2009

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des D N C, geb.    , wohnhaft H, vertreten durch S und Rechtsanwalt E W. D, W, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers in der Nacht vom 22. auf 23. Jänner 2009 durch der Bundespolizeidirektion Wels zurechenbare Polizeiorgane zu Recht erkannt:

 

 

I.            Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Festnahme des Beschwerdeführers im Reisezug IC 466 zwischen Linz und Wels am 22. Jänner 2009 gegen 23:17 Uhr und seine weitere Anhaltung in Verwahrungshaft bis 23. Jänner 2009 um 09:00 Uhr wird für rechtswidrig erklärt.

 

II.        Der Bund (Verfahrenspartei Bundespolizeidirektion Wels) hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 750,80 Euro (darin enthalten 13,20 Euro Stempelgebühren) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) iVm § 67 Abs 1 Z 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG); §§ 67c und 79a AVG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit der am 3. Februar 2009 beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich per Telefax eingelangten Eingabe vom gleichen Tag hat der Beschwerdeführer (im Folgenden Bf) gemäß § 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm §§ 67a ff AVG rechtzeitig Maßnahmenbeschwerde gegen seinen nächtliche Verhaftung in einem Reisezug zwischen Linz nach Wels erhoben:

"1. Sachverhalt und Beschwerdegründe

 

a)  Ich bin nigerianischer Staatsbürger, in Ungarn wohnhaft, und aufgrund Verehelichung mit einer Ungarin auch aufenthaltsberechtigt. Ich war auf dem Weg in die Schweiz – trotzdem ich meine ungarische Aufenthaltsberechtigungskarte sowie meinen Reisepass vorgewiesen habe, wurde ich am 22.1.2009 gegen 21 Uhr im Reisezug zwischen Linz und Wels fest- und späterhin von der BPD Wels im PAZ Wels in Verwahrungshaft genommen, aus der ich am 23.1.2009 um 9 Uhr entlassen worden bin.

 

b)  Gemäß Art 21 Abs 1 SDÜ kann ich mich bis zu drei Monaten in Österreich aufhalten, gemäß Art 5 Abs 3 SDÜ ist mir die Durchreise zu gestatten. Ohnehin habe ich mich gemäß § 31 Abs 1 Z 3 FPG rechtmäßig in Österreich aufgehalten.

 

Meine der BPD Wels zuzurechnende Festnahme im Reisezug sowie meine Anhaltung in Verwahrungshaft erfolgten demnach ohne rechtlichen Grund.

 

2. Anträge

 

Ich stelle daher den Antrag, der Unabhängige Verwaltungssenat möge die Rechtswidrigkeit der Festnahme am 22.1.2009 gg. 21 Uhr und der nachfolgenden Anhaltung in Verwahrungshaft bis 23.1.2009, 9 Uhr feststellen.

 

Unter Hinweis auf § 79a AVG beantrage ich die Erstattung der Stempelgebühren und den Pauschalierten Schriftsatzaufwand, gegebenenfalls auch die Erstattung des pauschalierten Verhandlungsaufwandes."

 

2. Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 hat der Oö. Verwaltungssenat der belangte Behörde die Beschwerde zur Kenntnis gebracht und zur Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift längstens binnen sechs Wochen aufgefordert. Am 12. März 2009 legte die belangte Behörde ihren Bezug habenden Verwaltungsakt (ohne Aktenzahl) zur Entscheidung vor und erstattete gleichzeitig die Gegenschrift vom 9. März 2009, in der sie zur Sache wie folgt ausführte:

 

"Der Beschwerdeführer wurde am 22.01.2009 um 23.17 Uhr im Zug IC 466 (Wien-Zürich) von Beamten der Schengenfahndung Wiener Neustadt aufgegriffen, wobei bei der Kontrolle kein gültiger Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet von Österreich festgestellt werden konnte, weshalb er gem. § 39 Abs. 1 FPG festgenommen wurde. Aus der Aktenlage feststellbar, ist auch kein dementsprechender Sichtvermerk im Reisepass eingetragen gewesen, weshalb in der Folge Beamte des Stadtpolizeikommandos Wels verständigt wurden, welche ebenfalls keinen gültigen Aufenthaltstitel eruieren konnten.

 

Zum Zwecke der Sicherung der fremdenpolizeilichen Maßnahmen wurde der Beschwerdeführer, der sich offensichtlich illegal im Bundesgebiet von Österreich aufhielt, keine Unterkunft nachzuweisen vermochte, um 00.05 Uhr des 23.1.2009 gem. § 76 Abs. 1 FPG über Anordnung des diensthabenden Journalbeamten der BPD Wels zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft genommen.

 

Bei der Bundespolizeidirektion Wels, Fremdenpolizei, wurde am 23.01.2009 im Zuge der Einleitung fremdenpolizeilicher Maßnahmen festgestellt, dass der Beschwerdeführer eine ungarische Meldebestätigung und eine Reiseerlaubnis für EU-Länder, mit sich führte. Im Zuge der Übersetzung wurde daher festgestellt, dass daher ein illegaler Aufenthalt im Bundesgebiet von Österreich durch den Beschwerdeführer nicht vorliegt, weshalb die Schubhaft unverzüglich (23.01.2009 um 09.00 Uhr) aufgehoben wurde und der Beschwerdeführer auf freiem Fuß gesetzt wurde."

 

3. Aus der Aktenlage ergibt sich in Verbindung mit dem Vorbringen der Parteien der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t:

 

3.1. Der Anzeige des Stadtpolizeikommandos Wels (PI Neustadt) vom 23. Jänner 2009, Zl. A2/1077/2009, ist zu entnehmen, dass die Polizeibeamten GI K und RI E am 22. Jänner 2009 um 23:22 Uhr von der Stadtleitstelle zum Hauptbahnhof Wels beordert wurden, um eine im IC 466 von Wien nach Zürich befindliche Person, die sich illegal aufhalten soll, zu übernehmen. Um 23:30 Uhr nahmen Beamte der Schengenfahndung Wiener Neustadt am Bahnsteig 2 mit den Welser Polizeibeamten Kontakt auf. RI M teilte mit, den Bf im angeführten Zug kontrolliert zu haben. Da der Bf keinen gültigen Aufenthaltstitel für Österreich besitze, habe er diesen um 23:17 Uhr festgenommen. Einen solchen Aufenthaltstitel hatten auch die Welser Polizisten nicht feststellen können, woraus sie auf illegalen Aufenthalt schlossen.

 

Im Formblatt "Übergabebericht - Amtshandlung im Reiseverkehr" vom 22. Jänner 2009 des RI M wurden als Einschreitungsgrund die §§ 39 und 120 FPG angekreuzt und unter "Tatbestandsbeschreibung, Art der Übertretung ..." angegeben, dass der Bf im angeführten Reisezug kurz nach der Ausfahrt Hauptbahnhof Linz eine fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen worden ist. Bei der Kontrolle seiner Dokumente habe der Bf kein gültiges Schengen Visum vorweisen können, weshalb er sich illegal im Bundesgebiet befinde. Die Übernahme des Bf um 23:30 Uhr wurde von GI K bestätigt.

 

Nach der weiteren Anzeigeschilderung des GI K gab der Bf an, dass er nur auf der Durchreise von Wien nach Zürich sei, wobei er auch die entsprechenden Fahrkarten bei sich hatte. Auf einem der Fahrscheine konnte auch festgestellt werden, dass der Bf am 21. Jänner 2009n von Budapest kommend eingereist war. An Barmitteln führte der Bf den Betrag von 740 Euro mit sich. Informationsblatt für Festgenommene sei ausgefolgt worden. Reisepass, Fahrkarten und Dokumente sei abgenommen worden und dem Haftbericht beigelegt worden.

 

Der Sachverhalt sei dem Journalbeamten am 23. Jänner 2009 um 00:05 Uhr mitgeteilt worden. Dieser habe die Verwahrungshaft des Bf angeordnet, der dann in der Folge ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wels überstellt wurde.

 

3.2. Der Aufenthaltsinformation des PAZ Wels vom 23. Jänner 2009 ist zu entnehmen, dass der Bf, der verheiratet ist und Englisch spricht, am 23. Jänner 2009 um 01:50 Uhr eingeliefert und um 09:00 Uhr entlassen wurde. Als Haftstatus wird "Verwaltungsverwahrungshaft" angegeben. Aus der Auflistung der Effekten geht u.A. hervor, dass der Bf einen nigerianischen Reisepass, eine ungarische Versicherungskarte, eine VISA Karte und Bargeld in Höhe von 740 Euro mitführte.

 

Von der Fremdenpolizei der belangten Behörde wurde in der gegenständlichen Angelegenheit offenbar nachträglich (mit 9. März 2009 datiert) ein Aktenvermerk verfasst, dessen Inhalt wie folgt lautet:

 

"Betreff: C D N, geb.   , niger. Sta.

 

 

A K T E N V E R M E R K

 

 

Am 23.1.2009 wurde der fremdenpolizeilichen Abteilung nach Dienstbeginn um 07:30 Uhr mitgeteilt, dass sich ein nigerianischer Staatsbürger im polizeilichen Anhaltezentrum in Schubhaft befinde.

 

Nachdem alle Dokumente (Reisepass, ungar. Meldebestätigung, Reiseerlaubnis für EU-Länder), welcher der Fremde mitführte, der Fremdenpolizei von Beamten des PAZ vorgelegt wurden ersuchte Gefertigte unverzüglich Frau F, i.H., um Übersetzung der in ungarischen Sprache verfassten Schriftstücke.

 

Die Übersetzung ergab, dass es sich dabei um eine ungarische Meldebestätigung und eine Erlaubnis zur reise in EU-Länder handelte. Diese wurde erst einige Tage zuvor neu ausgestellt.

Somit konnte ein illegaler Aufenthalt im Bundesgebiet nicht festgestellt werden.

 

Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse wurde die Schubhaft aufgehoben und der Fremde aus der haft entlassen.

 

Die Dokumente wurden nicht kopiert, da es zu einem weiteren fremdenpolizeilichen Einschreiten nicht mehr kam und dem Fremden die Papiere sofort wieder übergeben wurden, um die Entlassung nicht zu verzögern.

 

                                                                  E B (eh. Unterschrift)"

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im allgemeinen ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl mwN Walter/Mayer/Kuscko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz 610).

 

4.2. Im vorliegenden Fall geht die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt aus der Aktenlage eindeutig hervor. Der Bf wurde im Reisezug IC 466 von Wien nach Zürich von Beamten der Schengenfahndung am 22. Jänner 2009 nach der Ausfahrt vom Hauptbahnhof Linz kontrolliert und dann um 23:17 Uhr wegen Verdachts des unbefugten Aufenthalts (§ 120 FPG) gemäß § 39 FPG festgenommen und am Hauptbahnhof Wels um 23:30 Uhr Exekutivbeamten des Stadtpolizeikommandos Wels übergeben, die ihn der belangten Behörde vorführten und in weiterer Folge ins PAZ Wels einlieferten.

 

Gemäß § 6 Abs 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 29/2009) richtet sich die Zuständigkeit bei fehlendem Wohnsitz des Fremden nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens. Nach der Sonderbestimmung des § 6 Abs 7 FPG richtet sich bei Fremden, die in einem öffentlichen Beförderungsmittel während einer Reisebewegung gemäß § 39 festgenommen werden, die örtliche Zuständigkeit für alle Maßnahmen, die aufgrund der Festnahme zu setzen sind, nach der nächstgelegenen Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des Beförderungsmittels gemäß dem fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.

 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Verhalten der Organe der Schengenfahndung Wiener Neustadt der belangten Behörde zuzurechnen ist, zumal die fremdenpolizeiliche Kontrolle zwischen den Hauptbahnhöfen Linz und Wels stattfand und der Zug fahrplanmäßig die nächstgelegene Ausstiegsstelle am Hauptbahnhof Wels hatte.

 

4.3. Nach Art 5 Abs 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Absatz 1 lit a) bis f) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), BGBl Nr. 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art 1 Abs 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art 1 Abs 3 PersFrSchG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Die Freiheitsentziehung im Sinne des PersFrSchG und der EMRK umfasst sowohl die Verhaftung (Festnahme) als auch die Anhaltung. Die Verhaftung (Festnahme) ist ein einmaliges Ereignis, sozusagen der Eintritt einer Freiheitsbeschränkung, der vom Willensakt eines Organs (Menschen) getragen wird. Dagegen stellt die Anhaltung die Fortdauer, die Aufrechterhaltung des einmal eingetretenen Zustands der Festgenommenheit dar (vgl Ermacora, Grundriss der Menschenrechte in Österreich [1988] Rz 364 ff). Auch dieses Verhalten eines Organs muss von dessen Willen getragen sein. Damit müssen jeweils zwei Elemente vorliegen, nämlich ein tatsächliches Verhalten und der Wille zur Freiheitsbeschränkung. Dieser Wille, durch den das bloße Verhalten erst zum normativen Akt - hier: zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt - wird, kann etwa dadurch ausdrücklich erklärt werden, dass jemand durch ein Organ "für verhaftet erklärt" wird. Andererseits kann ein Organverhalten auch dann eine Freiheitsentziehung bedeuten, wenn das Organ den Willen nicht ausdrücklich erklärt hat, dieser aber aus seinem Verhalten erschlossen werden muss.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann von einem Eingriff in die persönliche Freiheit nur gesprochen werden, wenn der behördliche Wille primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet war, diese sich also nicht bloß als sekundäre Folge anderer Maßnahmen, mit denen Bewegungsbehinderungen verbunden sind, darstellt (vgl etwa VfSlg 5280/1966, 5570/1967, 8327/1978, 7298/1974, 12.017/1989, 12.792/1991). Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1998, B 1341/97, wurde in diesem Zusammenhang aber auch zum Ausdruck gebracht, dass eine nach Art und Umfang überschießende Amtshandlung eine einer Festnahme gleichkommende Beschränkung der persönlichen Freiheit darstellen kann.

 

4.4. Gemäß § 39 Abs 1 FPG sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerlässlichen Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn

 

1   sie ihn bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 auf frischer Tat betreten oder

2.  er seiner Verpflichtung nach § 32 Abs 1 nicht nachkommt.

 

Nach § 120 Abs 1 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 2.180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer als Fremder

 

1.     nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder

2.     sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Gemäß § 120 Abs 1 Satz 2 gilt als Tatort der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Verkehrsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.

 

4.5. Die in der Gegenschrift der belangten Behörde und im Aktenvermerk der fremdenpolizeilichen Abteilung vom 9. März 2009 behauptete Schubhaft des Bf findet in den vorgelegten Verwaltungsakten keinerlei Deckung. Wie aus dem unter Punkt 3 dargestellten Sachverhalt hervorgeht, wurde der Bf offensichtlich von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 39 Abs 1 Z 1 FPG festgenommen und der belangten Behörde zur Sicherung des Verfahrens vorgeführt. Von dieser wurde er in Verwahrungshaft genommen und ins PAZ überstellt, ohne dass der Journaldienst gegen den Bf die Schubhaft verhängt hätte. Die in der Gegenschrift behauptete Schubhaft gemäß § 76 Abs 1 FPG tritt nicht ex lege ein, sondern hätte eines Bescheides bedurft, zumal gemäß dem § 76 Abs 3 FPG die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen ist. Dabei genügt allerdings grundsätzlich die Erlassung eines Mandatsbescheides gemäß § 57 AVG. Auch ein solcher ist in den Akten weder zu finden, noch war vor dem Aktenvermerk vom 9. März 2009 jemals von Schubhaft die Rede.

 

Die Prüfung der Rechtmäßigkeit hat sich daher an der Bestimmung des § 39 Abs 1 FPG zu orientieren. Es stellt sich die Frage, ob der Bw tatsächlich bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 FPG auf frischer Tat betreten wurde. Diese Frage wäre auch im Rahmen des § 76 Abs 1 FPG relevant, weil nach dessem 2. Satz bei rechtmäßigem Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet die Schubhaft nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich ist.

 

4.6. Gemäß dem Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (Schengener Durchführungsübereinkommen 1990, Beilage B zum Beitritt Österreichs, BGBl III Nr. 90/1997; im Folgenden kurz SDÜ) ergeben sich für Drittausländer im Schengenraum unabhängig von einer nationalen Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis gewisse Rechtspositionen.

 

Art 5 Abs 1 SDÜ sieht für die Gestattung eines Aufenthalts von bis zu drei Monaten folgende Einreisevoraussetzungen für Drittausländer vor:

 

a)    Er muss im Besitz eines oder mehrerer gültiger Grenzübertrittspapiere sein, die von dem Exekutivausschuss bestimmt werden.

b)    Er muss, soweit erforderlich, im Besitz eines gültigen Sichtvermerks sein.

c)     Er muss gegebenenfalls die Dokumente vorzeigen, die seinen Aufenthaltszweck und die Umstände seines Aufenthalts belegen, und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel auf legale Weise zu erwerben.

d)    Er darf nicht zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.

e)    Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien darstellen.

 

Gemäß Art 5 Abs 3 SDÜ ist einem Drittausländer, der über eine von einer der Vertragsparteien ausgestellte Aufenthaltserlaubnis, einen von einer der Vertragsparteien ausgestellten Rückreisesichtvermerk oder erforderlichenfalls beide Dokumente verfügt, die Durchreise zu gestatten, es sei denn, dass er auf der nationalen Ausschreibungsliste der Vertragspartei steht, an deren Außengrenzen er die Einreise begehrt.

 

Kapitel 4 (Art 19 ff SDÜ) regelt die Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern. Die gegenständlich einschlägigen Artikel des SDÜ lauten:

 

Artikel 21

 

         (1) Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, können sich auf Grund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Art 5 Absatz 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen.

 

         (2) Das Gleiche gilt für Drittausländer, die Inhaber eines von einer Vertragspartei ausgestellten vorläufigen Aufenthaltstitels und eines von dieser Vertragspartei ausgestellten Reisedokuments sind.

 

         (3) Die Vertragsparteien übermitteln dem Exekutivausschuss die Liste der Dokumente, die sie als Aufenthaltserlaubnis oder vorläufigen Aufenthaltstitel und als Reisedokument im Sinne dieses Artikels ausstellen.

 

         (4) Die Bestimmungen dieses Artikels gelten unbeschadet des Artikels 22.

 

 

Artikel 22

 

         (1) Drittausländer, die rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien eingereist sind, sind verpflichtet, unter den Voraussetzungen, die von jeder Vertragspartei festgelegt werden, sich bei den zuständigen Behörden der Vertragspartei zu melden, in deren Hoheitsgebiet sie einreisen. Die Anzeige kann nach Wahl jeder Vertragspartei entweder bei der Einreise oder, innerhalb einer Frist von drei Arbeitstagen von dem Einreisedatum an, im Landesinnern erfolgen.

 

         (2) Drittausländer, die im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei ansässig sind und sich in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei begeben, unterliegen der Meldepflicht nach Absatz 1.

 

         (3) Die Ausnahmen von Absatz 1 und 2 werden von jeder Vertragspartei festgelegt und dem Exekutivausschuss mitgeteilt.

 

4.7. Es ist amtsbekannt, dass nicht nur Ungarn, sondern mittlerweile auch die Schweiz zu den Staaten gehört, in denen das Schengen System und damit auch das SDÜ anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde selbst den illegalen Aufenthalt des Bf in ihrem Aktenvermerk vom 9. März 2009 verneint und dazu festgehalten, dass der Bf an Dokumenten einen (nigerianischen) Reisepass, eine ungarische Meldebestätigung und eine ungarische Reiseerlaubnis für EU-Länder, die erst einige Tage zuvor neu ausgestellt worden war, mit sich führte. Die Dokumente wurden - angeblich um die Entlassung des Bf nicht zu verzögern – von der belangten Behörde nicht abgelichtet und sind daher nicht aktenkundig. Im Hinblick auf diese Darstellung der belangten Behörde ist aber dem schlüssigen und im Übrigen auch unwidersprochen gebliebenen Beschwerdevorbringen zu folgen, wonach der Bf in Ungarn wohnhaft, mit einer Ungarin verheiratet und daher dort aufenthaltsberechtigt ist.

 

Unter Berücksichtigung der Anzeigeschilderung, wonach der Bf angab, nur auf der Durchreise zu sein, und dazu die entsprechenden Bahnfahrscheine von Budapest nach Wien und von Wien nach Zürich vorweisen konnte, sowie im Hinblick auf die Aufenthaltsinformation des PAZ Wels vom 23. Jänner 2009, aus der hervorgeht, dass der Bf neben seinem nigerianischen Reisepass, auch eine ungarische Krankenversicherungskarte und überdies Barmittel von 740 Euro sowie eine Kreditkarte (VISA) dabei hatte, geht der erkennende Verwaltungssenat davon aus, dass die Polizeibeamten der Schengenfahndung den Englisch sprechenden Bf (vgl abermals Aufenthaltsinformation des PAZ Wels) offenbar voreilig festgenommen haben und leichtfertig von einem unbefugten Aufenthalt in Österreich ausgegangen sind.

 

Gerade von Beamten der Schengenfahndung, die im Zusammenhang mit dem Schengener System ausreichend geschult sein müssten, hätte erwartet werden können, dass sie auch mit den Bestimmungen des SDÜ und den Dokumenten betreffend den Reiseverkehr von Drittausländern vertraut sein müssten. Dies war beim vorliegenden Sachverhalt offenbar nicht in ausreichendem Maße der Fall. Selbst wenn nach der sinngemäßen Darstellung im zitierten Aktenvermerk der belangten Behörde erst eine Übersetzung der Dokumente endgültige Klarheit über den rechtmäßigen Aufenthalt des Bf verschafft haben sollte, hat der erkennende Verwaltungssenat im Hinblick auf Art 5 Abs 1 lit a) und Art 21 Abs 3 SDÜ davon auszugehen, das die von Ungarn ausgestellte EU-Reiseerlaubnis ein allgemein verständliches Dokument sein dürfte, das auch dem Exekutivausschuss nach dem SDÜ zur Kenntnis gebracht und von diesem womöglich als Grenzübertrittspapier bestimmt wurde. Es erscheint demnach nicht ganz schlüssig, dass man erst nach Übersetzung das Dokument habe einordnen können. Außerdem fällt auf, dass sogar im polizeilichen Anhaltezentrum Wels eine ungarische Krankenversicherungskarte identifiziert werden konnte. Diese Aufmerksamkeit sollte nach Ansicht des erkennenden Mitglieds des Oö. Veraltungssenats auch von spezialisierten Beamten erwartet werden können. Denn schon dann, wenn jemand in Ungarn wohnhaft und krankenversichert ist und in englischer Sprache vorbringt, dass er mit einer Ungarin verheiratet sei, und zudem mit Bahnfahrkarten dokumentiert, nur auf der Durchreise nach Zürich zu sein, ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er die Wahrheit sagt und auch in Ungarn aufenthaltsberechtigt ist. Mit gutem Willen und gehöriger Sorgfalt hätten die Beamten der Schengenfahndung ihren irrtümlichen Aufgriff wohl vermeiden können. Nach der Aktenlage könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Bf "im Zweifel" einmal festgenommen und aus dem Reisezug genommen wurde. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass bei Eingriffen in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), bei dem auch der einfache Gesetzgeber dem Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet ist (vgl Art 1 Abs 3 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit),viel mehr Vorsicht angezeigt ist.

 

Die einschreitenden Exekutivbeamten sind offenbar rechtsirrtümlich entgegen den oben (vgl Punkt 4.6.) dargestellten Bestimmungen des SDÜ davon ausgegangen, dass der Bf einen österreichischen Aufenthaltstitel benötigt hätte. Weder die Polizeibeamten der Schengenfahndung, noch jene der belangten Behörde haben sich an den einschlägigen Bestimmungen des SDÜ orientiert und die Umstände des Falles in dieser Richtung geprüft. Nach der Altenlage hat auch der Journalbeamte der belangten Behörde keine eigenständige inhaltliche Überprüfung des Anhaltegrundes vorgenommen, sondern offenbar auf die Anzeigedarstellung des RI E vertraut, weshalb der Bf auch noch in das PAZ Wels eingeliefert wurde.

 

Bei Betrachtung der gesamten Umstände des Falles steht für den unabhängigen Verwaltungssenat fest, dass dem Bf jedenfalls gemäß Art 5 Abs 3 SDÜ die uneingeschränkte Durchreise hätte gestattet werden müssen. Zudem war er auch im Hinblick auf die von ihm vorgewiesenen Dokumente unmittelbar auf Grund des Art 21 Abs 1 SDÜ zum Aufenthalt in Österreich bis zu drei Monaten berechtigt gewesen. Er hätte dann nur noch der Meldepflicht gemäß Art 22 Abs 1 SDÜ innerhalb einer Frist von drei Arbeitstagen nachkommen müssen. Die Beschwerde hat daher mit Recht darauf hingewiesen, dass sich der Bf im Zeitpunkt seiner fremdenpolizeilichen Kontrolle gemäß § 31 Abs 1 Z 3 FPG rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte.

 

Im Ergebnis kann daher keine Rede davon sein, dass der Bf bei Begehung einer Verwaltungsübertretung gemäß § 120 Abs 1 FPG auf frischer Tat betreten worden ist. Eine solche Situation konnten die Exekutivbeamten bei richtiger rechtlicher Beurteilung und sorgfältiger Würdigung der Umstände des Falles auch nicht vertretbar annehmen. Deshalb war sowohl die Festnahme des Bf im Reisezug IC 466 als auch seine weitere Anhaltung in Verwahrungshaft bis am 23. Jänner 2009 um 9:00 Uhr für rechtswidrig zu erklären.

 

5. Gemäß § 79a Abs 1 AVG hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß § 79a Abs 2 AVG der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist gemäß dem § 79a Abs 3 AVG die belangte Behörde die obsiegende Partei und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

 

Nach § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat, vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solchen allgemeinen Antrag hat der Bf gestellt.

 

Nach der am 1. Jänner 2009 in Kraft getretenen UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr.456/2008) beträgt der Ersatz für Schriftsatzaufwand des Bf als obsiegende Partei (§ 1 Z 1) 737,60 Euro. Der obsiegende Bf hatte demnach Anspruch auf Ersatz des Schriftsatzaufwandes zuzüglich der Eingabengebühr von 13,20 Euro für die Beschwerde. Dementsprechend war der Bund als der Rechtsträger, für den die belangten Behörde tätig geworden ist, zum Ersatz des Betrages von insgesamt 750,80 Euro zu verpflichten.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 Blg NR 19. GP, 14 f).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundesstempelgebühren von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Dr. W e i ß

 

 

 

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