Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401017/5/BP/Se

Linz, 08.07.2009

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Beschwerde des U O, StA von Nigeria, vertreten durch Mag. A D, Rechtsanwalt in W, wegen Anhaltung in Schubhaft seit 19. Juni 2009 durch den Polizeidirektor von Wels, zu Recht erkannt:

 

I.            Der Beschwerde wird stattgegeben und die Anhaltung des Bf in Schubhaft seit 19. Juni 2009 für rechtswidrig erklärt. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen.

 

II.        Der Bund (Verfahrenspartei: Polizeidirektor von Wels) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 29/2009) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 18. Juni 2009, Zl.: 1-1026782/FP/09, wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) auf der Basis des § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG idgFiVm. § 57 AVG zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) die Schubhaft angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde aus, dass der Bf Fremder gemäß § 2 Abs. 4 Z. 1 FPG sei, weil er die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitze. Nach Darstellung des § 76 Abs. 1 und 3 FPG führt die belangte Behörde zum Sachverhalt aus, dass der Bf am 19. Juni 2009 um 8:30 Uhr in W H betreten worden sei. Er halte sich seit 2. August 2006 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf (Ausweisungstatbestand gemäß § 53 Abs. 1 FPG), weil er über keine Aufenthaltsberechtigung, keine Dokumentation des Aufenthaltsrechts nach dem NAG, keinen Aufenthaltstitel eines Vertragsstaates, keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung im Sinne des § 31 Z. 6 FPG verfüge und ihm weiters auch kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer Verordnung für Vertriebene oder nach asylrechtlichen Bestimmungen zukomme und sich auch aufgrund anderer bundesgesetzlicher Vorschriften kein Aufenthaltsrecht in seinem Fall ergebe.

 

Der Bf habe folgende Aufenthaltsverbots- bzw. Ausweisungstatbestände erfüllt:

Er sei von einem inländischen Gericht rechtskräftig verurteilt worden (und zwar mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 30. September 2008, Zl.: 45 Hv 15 / 2008, wegen § 27 Abs. 1/1 8. Fall Abs. 3 SMG und §§ 229 Abs. 1 und 231 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten).

Der Bf vermöge zudem nicht, den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen (§ 60 Abs. 2 Z. 7 FPG).

 

Die Bundespolizeidirektion Wien habe gegen den Bf zur Zl.: III-1190777/FrB/08 ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen.

Das BAA Außenstelle Eisenstadt habe über den Bf zu Zl.: 04 17.869-BAE am 2. August 2008 eine rechtskräftige Ausweisung erlassen.

 

Die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der fremdenpolizeilichen Verfahren sei notwendig gewesen, da zu befürchten gewesen sei, dass der Bf danach trachten werde, sich den weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren bzw. Maßnahmen zu entziehen, zumal er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei.

 

Die Verhängung der Schubhaft sei auch in Hinblick auf das zu erreichende Ziel angemessen und verhältnismäßig. Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 Abs. 1 FPG sei nicht in Betracht gekommen, da die belangte Behörde keinen Grund zur Annahme gehabt habe, dass der Zweck der Schubhaft auch durch dessen Anwendung erreicht werden hätte können, da der Bf über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet verfüge und es sich bei seiner Aufnahmeadresse in 1020 W, S, um eine reine Postzustelladresse handeln würde. Im ZMR scheine der Bf auch unter der angegebenen Adresse als "obdachlos" auf.

 

Eine Nicht-In-Schubhaftnahme würde die fremdenpolizeilichen Maßnahmen - nämlich die Erlangung eines Einreisezertifikates zur Abschiebung in das Heimatland des Bf - wesentlich erschweren und unmöglich machen.

 

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft erhob der Bf durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter per Telefax nunmehr am 6. Juli 2009, Beschwerde an den Oö. Verwaltungssenat.

 

Darin führt er u.a. aus, dass die Anhaltung des Bf rechtswidrig erfolge. Bereits mit Bescheid der BUNDESPOLIZEIDIREKTION Wien vom 8. Oktober 2008, Zl: III-1.190.777/FrB/08, sei über den Bf Schubhaft verhängt worden. Dagegen sei am 22. Oktober 2008 Beschwerde an den UVS Wien erhoben und mit dortiger Entscheidung vom 24. November 2008, Zl.: UVS-01/25/8252/2008-8, die Schubhaft für rechtmäßig erklärt worden. Begründend sei ausgeführt worden, dass zum damaligen Zeitpunkt die Schubhaft gerechtfertigt gewesen sei, da damals noch kein Botschafter in Österreich und die Schubhaft eben zur Erlangung eines Heimreisedokumentes erforderlich gewesen sei.

 

Nunmehr seien seit dieser Entscheidung 7 Monate vergangen, und es sei bis dato noch kein Reisedokument des Heimatstaates seitens der nigerianischen Botschaft ausgestellt worden. Die Schubhaft sei sohin weder gerechtfertigt noch angemessen und könne in keinem Fall mehr verhältnismäßig sein, da die Behörde mehr als 7 Monate Zeit gehabt habe, die entsprechenden Unterlagen beizuschaffen. Offensichtlich sei dies nicht möglich. Deshalb sei davon auszugehen, dass ein Ausreisedokument seitens des Heimatstaates des Bf nicht ausgestellt werde.

 

Die Schubhaft sei daher unzulässig, weshalb der Antrag gestellt werde:

Es möge festgestellt werden, dass die Schubhaft rechtswidrig und sohin unzulässig sei, und der Bf möge enthaftet werden.

An Kosten werden 737, 60 Euro für die Schubhaftbeschwerde verzeichnet.

 

 

2. Nachdem festgestellt wurde, dass der Bf im Auftrag des Polizeidirektors von Wels seit 19. Juni 2009 in Schubhaft angehalten wird, wurde diese Behörde am 6. Juli 2009 zur Aktenvorlage aufgefordert.

 

2.1. Die belangte Behörde übermittelte dem Oö. Verwaltungssenat den bezughabenden Verwaltungsakt am 7. Juli 2009 und beantragte, die gegenständliche Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

 

Dabei teilt die belangte Behörde mit, dass um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bereits im Jahr 2008 von der BUNDESPOLIZEIDIREKTION Wien angesucht worden sei. Dies werde nun urgiert werden.

 

Die am Ende des Aktes in Folie befindlichen Schriftstücke bezögen sich auf eine völlig andere Person. Es werde jedoch von der belangten Behörde vermutet, dass sich die vorliegende Schubhaftbeschwerde auf die Daten dieses Fremden gründe.

 

2.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 83 Abs. 2 FPG abgesehen werden konnte.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von folgendem entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus:

 

Ursprünglich reiste der Bf, ein nigerianischer Staatsangehöriger, am 4. September 2004 von unbekannt kommend illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich ein. Er stellte einen Asylantrag, der jedoch am 2. August 2006 vom Unabhängigen Bundesasylsenat rechtskräftig abgewiesen wurde. Gleichzeitig erfolgte die Erlassung einer Ausweisung nach dem Asylgesetz. Der Bf ist ledig und hat keine Sorgepflichten. In Österreich leben keine Familienangehörigen und es bestehen daher keine familiären Bindungen zum Bundesgebiet. Der Bf verfügte zuletzt lediglich über eine "Obdachlosenmeldung" in W. Derzeit besitzt er keinerlei Barmittel.

 

Der Bf wurde mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 30. September 2008, Zl.: 45 Hv 15 / 2008, wegen § 27 Abs. 1/1 8. Fall Abs. 3 SMG und §§ 229 Abs. 1 und 231 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten rechtskräftig verurteilt.

 

Von 18. September 2008 bis 14. November 2008 befand sich der Bf in Strafhaft in der JA Wien-Simmering und wurde am 14. November 2008 in die JA Wels verlegt.

 

Die Bundespolizeidirektion Wien erließ gegen den Bf zur Zl.: III-1190777/FrB/08 ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot.

Das Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, erließ über den Bf zur Zl.: 04 17.869-BAE am 2. August 2006 eine rechtskräftige Ausweisung.

 

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. Oktober 2008, Zl.: III-1.190.777/FrB/08, wurde über den Bf, der zu diesem Zeitpunkt seine Strafhaft in Wien verbüßte, Schubhaft nach Entlassung aus der Strafhaft, verhängt. Dagegen erhob der Bf am 22. Oktober 2008 Beschwerde an den UVS Wien. Mit dortiger Entscheidung vom 24. November 2008, Zl.: UVS-01/25/8252/2008-8, wurde die Anordnung der Schubhaft für rechtmäßig erklärt.

Begründend sei ausgeführt worden, dass zum damaligen Zeitpunkt die Schubhaft gerechtfertigt gewesen sei. Hinsichtlich der Erreichbarkeit des Ziels der Schubhaft führte der UVS Wien aus, dass vielmehr die Erlangung eines Heimreisezertifikates und somit eine Abschiebung aufgrund des Schubhaftbescheides vom 14. März 2008 laut Aktenvermerk vom 31. März 2008 lediglich daran gescheitert seien, "dass derzeit kein Botschafter in Österreich sei". Dies könne sich aber bis zur Entlassung des Bf aus der Gerichtshaft ändern.

 

Wie der Oö. Verwaltungssenat feststellte, trat der derzeitige Botschafter Nigerias Dr. J S U sein Amt in Österreich mit April 2008 an.

 

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2008 wandte sich die Bundespolizeidirektion Wien an das Bundesministerium für Inneres und ersuchte das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats bei der nigerianischen Botschaft zu führen. Seit diesem Zeitpunkt erfolgten bis zur In-Schubhaftnahme des Bf im Juni 2009 keine weiteren diesbezüglichen Schritte seitens der Bundespolizeidirektion Wien.

 

Am 14. November 2008 wurde der Bf in aufrechter Strafhaft von Wien in die JA Wels verlegt.

 

Die Bundespolizeidirektion Wels wurde von der JA Wels davon in Kenntnis gesetzt, dass der Bf am 19. Juni 2009 aus der Strafhaft entlassen werde. Offensichtlich in Unkenntnis des von der Bundespolizeidirektion Wien am 8. Oktober 2008 erlassenen Schubhaftbescheides, verhängte der Polizeidirektor von Wels mit Bescheid vom 18. Juni 2009, Zl.: 1-1026782/FP/09, über den Bf auf der Basis des § 76 Abs. 1 FPG iVm. § 57 AVG zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) die Schubhaft. Dieser Bescheid wurde dem Bf unmittelbar im Anschluss an die Entlassung aus der Strafhaft noch in der JA Wels zugestellt; er wurde auf dessen Basis in Schubhaft genommen und wird seither im PAZ Wels angehalten. Mit Schreiben vom 1. Juli 2009 entsprach die Bundespolizeidirektion Wien dem Ersuchen der Bundespolizeidirektion Wels vom 22. Juni 2009 um Übermittlung des fremdenpolizeilichen Aktes.

 

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 29/2009, hat der Fremde das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1.     wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.     wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde, oder

3.     wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG hat der Unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

3.2. Es ist unbestritten, dass der Bf am 19. Juni 2009 in Wels nach Entlassung aus der Strafhaft neuerlich – nunmehr in Oberösterreich - festgenommen wurde und bis dato in Schubhaft angehalten wird, weshalb der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung berufen ist.

 

Nachdem sich der Bf zur Zeit der Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates noch in Schubhaft befindet, war gemäß § 83 Abs. 4 FPG eine umfassende Prüfung der Anhaltung und des ihr zugrunde liegenden Bescheides vorzunehmen.

 

3.3. Es ist eine Besonderheit des vorliegenden Falles, dass gegen den Bf gleich zweifach die Schubhaft bescheidmäßig angeordnet wurde; zum einen mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. Oktober 2008, zum anderen mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 18. Juni 2009. Es ist also zunächst zu klären, welche Rechtsgrundlage der gegenwärtigen Anhaltung tatsächlich zugrunde liegt.

 

Klargestellt ist, dass die festnehmenden Beamten am 19. Juni 2009 ihrem Handeln den Bescheid vom 18. Juni 2009 zugrunde legten, zumal sie offensichtlich keine Kenntnis von dem Bescheid vom 8. Oktober 2008 hatten. Unter den gegebenen Umständen ist nunmehr die Vollstreckbarkeit des ursprünglichen Bescheides nicht mehr möglich, zumal dieser ja die In-Schubhaftnahme nach Entlassung aus der Strafhaft angeordnet hatte. Dies ließe darauf schließen, dass der letztere Bescheid, auf dessen Basis das Einschreiten erfolgte, tatsächlich maßgeblich ist. Damit allein wäre aber noch nicht ein allfälliger Widerspruch zum Rechtsgrundsatz "ne bis in idem" ausgeräumt.

 

Aber auch nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich eindeutig, dass dem früheren Bescheid durch die Erlassung des zweiten späteren individuellen normativen Rechtsakts einer anderen Verwaltungsbehörde derogiert wurde, zumal beide Bescheide nicht nebeneinander dem Rechtsbestand angehören können (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 20. November 2008, 2006/21/0048).

 

Somit ist grundsätzlich für die Überprüfung der in Rede stehenden Schubhaft als deren Basis der Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 18. Juni 2009 heranzuziehen.

 

3.4. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Die Schubhaft ist nach § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

Nachdem der Bf wegen seiner Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz 10 Monate in Strafhaft angehalten wurde, wäre dem Schubhaftbescheid grundsätzlich ein umfassendes Ermittlungsverfahren zugrunde zu legen gewesen. Wenn auch aus der Aktenlage nicht klar ersichtlich ist, zu welchem Zeitpunkt die belangte Behörde von der beabsichtigten Entlassung des Bf aus der Strafhaft informiert wurde, so ist jedoch anzunehmen, dass dies erst wenige Tage (vielleicht auch erst am Tag davor) erfolgte. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Anwendung des § 57 AVG und die Verhängung der Schubhaft mittels Mandatsbescheid zulässig sein.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.

 

3.5. Im vorliegenden Fall ist völlig unbestritten, dass der Bf, ein nigerianischer Staatsangehöriger, illegal in Österreich aufhältig und, dass gegen ihn die Abschiebung geplant ist.

 

Aus der "Kann-Bestimmung" des § 76 Abs. 1 FPG wird deutlich, dass es sich bei der Verhängung der Schubhaft um eine Ermessensentscheidung handelt. Es müssen daher im konkreten Fall Umstände in der Person des Bf gelegen sein, die erwarten ließen, dass sich der Bf dem fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen würde. Dabei sind diese Umstände nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nicht isoliert voneinander sondern in Zusammenschau und unter Erstellung einer Einzelfallprüfung zu betrachten.

 

Im vorliegenden Fall steht zunächst außer Zweifel, dass der Bf völlig mittellos und in Österreich nicht sozial oder sonstig integriert ist. Er verfügt weder über familiäre Bindungen noch über einen stabilen Wohnsitz im Bundesgebiet. Er leistete den gegen ihn erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen keine Folge und ist dokumentierter Maßen ausreiseunwillig.

 

Der Bf wurde mehrmals straffällig und diesbezüglich auch verurteilt, was zeigt, dass ihm ein rechtskonformes Verhalten seinerseits kein besonderes Anliegen ist. Der Bf hat aufgrund seiner Kontakte zum Suchtgiftmilieu wohl auch die entsprechenden Möglichkeiten, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen.

 

Aufgrund einer Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Bf kann somit von einem durchaus hohen Sicherungsbedarf ausgegangen werden, da wohl angenommen werden kann, dass er auf freiem Fuß belassen, sich dem fremdenpolizeilichen Verfahren in Österreich, ohne viel Zeit zu verlieren, entzogen haben würde.

 

Damit scheidet auch grundsätzlich die Anwendung gelinderer Mittel über den Bf gemäß § 77 FPG konsequenter Weise aus.

 

3.6. Der Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK kann im vorliegenden Fall ebenfalls nicht schlagend in Anwendung gebracht werden.

 

3.7. Die Verhängung der Schubhaft muss jedoch auch verhältnismäßig sein. Dem Recht des Bf auf Schutz der persönlichen Freiheit ist das Interesse des Staates an einem geordneten Fremdenwesen und damit am Schutz und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegenüber zu stellen.

 

Vom Bf wurde ins Treffen geführt, dass seit Anordnung der Schubhaft im Oktober 2008 offenbar keinerlei weitere Versuche unternommen worden seien, ein Heimreisezertifikat für den Bf nach Nigeria zu erlangen.

 

Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, unternahm die Bundespolizeidirektion Wien seit dem ursprünglichen Antrag auf Erlangung eines Heimreisezertifikates beim Bundesministerium für Inneres im Oktober 2008 bis dato keine weiteren Versuche oder Urgenzen, diese Angelegenheit zu verfolgen. Die im Verfahren vor dem UVS Wien geltend gemachte Vakanz eines nigerianischen Botschafters in Österreich endete jedoch bereits im April 2008, weshalb derartige Bemühungen durchaus angezeigt gewesen wären.

 

Dabei ist diese über 7 Monate andauernde Untätigkeit zweifellos nicht der nunmehr belangten Behörde anzulasten, wobei aber auch diese erst am Tag der Übermittlung des fremdenpolizeilichen Aktes an den Oö. Verwaltungssenat eine diesbezügliche Urgenz in Aussicht stellte.

 

Aus Sicht des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenates kann es bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines massiven Eingriffs in das Recht auf persönliche Freiheit, wie es die Schubhaft darstellt, aber nicht darauf ankommen, ob gerade die Bundesbehörde säumig war, Maßnahmen zur Hintanhaltung unnötiger Verzögerungen zu ergreifen, die auch die Schubhaft letztendlich rechtswirksam verhängte. Aus Rechtsschutzinteresse muss die – bislang noch nicht unbedingt als säumig zu bezeichnende – belangte Behörde sich die Säumnis der ursprünglich aktenführenden Behörde im Sinne einer fehlenden Voraussetzung zur Zulässigkeit der Schubhaft anrechnen lassen.

 

Für den Bf spielt es sohin keine Rolle, welche Behörde dafür verantwortlich zeichnet, dass keine Anstrengungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates unternommen wurden, zumal klar auf der Hand liegt, dass eine Anhaltung in Schubhaft durch das gebotene Tätigwerden verkürzt oder gar unnötig gemacht hätte werden können. In diesem Sinne kann der belangten Behörde nicht gefolgt werden, die in der Begründung des Schubhaftbescheides angab, die Anhaltung wäre notwendig, um das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zu führen.

 

3.8. Es war also aus Gründen der mangelnden Verhältnismäßigkeit die gegen den Bf gesetzte Maßnahme der Anhaltung in Schubhaft seit 19. Juni 2009 - aber auch hinsichtlich der Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung - für rechtswidrig zu erklären und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde eingeschritten ist, nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z 3 AVG iVm § 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung (BGBl. II Nr. 456/2008) zu einem Aufwandersatz in Höhe von insgesamt 737,60 Euro zu verpflichten.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Hinweis: Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Bernhard Pree

 

Rechtssatz

VwSen-401017/5/BP/Se vom 8. Juli 2009

Zu § 76 Abs. 1 FPG

 

Aus Sicht des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenates kann es bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines massiven Eingriffs in das Recht auf persönliche Freiheit, wie es die Schubhaft darstellt, aber nicht darauf ankommen, ob gerade die Bundesbehörde säumig war, Maßnahmen zur Hintanhaltung unnötiger Verzögerungen zu ergreifen, die auch die Schubhaft letztendlich rechtswirksam verhängte. Aus Rechtsschutzinteresse muss die – bislang noch nicht unbedingt als säumig zu bezeichnende – belangte Behörde sich die Säumnis der ursprünglich aktenführenden Behörde im Sinne einer fehlenden Voraussetzung zur Zulässigkeit der Schubhaft anrechnen lassen.

 

Beachte:


Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.


VwGH vom 08.09.2009, Zl.: 2009/21/0242-3

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