Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401020/14/Fi/FS

Linz, 11.08.2009

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Vizepräsident Mag. Dr. Johannes Fischer über die Be­schwerde des H O, vertreten durch S E W. D, W, betreffend die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme des Beschwerdeführers und seiner bisherigen Anhaltung in Schubhaft, mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und der Schubhaftbescheid, die Festnahme des Beschwerdeführers am 30. Juni 2009 und seine Anhaltung in Schubhaft vom 30. Juni 2009 bis zum 17. Juli 2009 für rechtswidrig erklärt.

II.     Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann des Bezirkes Schärding) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in der Höhe von 768,80 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlagen:

§ 82 Abs. 1 und § 83 Abs. 1, 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr.  29/2009) iVm den §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

 

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Schärding vom 25. Juni 2009, Sich40-9968, wurde gemäß „§§ 76 Abs. 2 und 3, § 77 und 6 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 i.d.g.F. (FPG) in Verbindung mit § 58 [richtig wohl: 57] Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr, 51/1991 (AVG)“ die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung über den Beschwerdeführer verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum Wels vollzogen.

Begründend führt die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtsgrundlagen im Wesentlichen aus:  

Der Beschwerdeführer ist nach seinen bisherigen Angaben sowie dem inzwischen von seiner Vertretungsbehörde ausgestellten Heimreisezertifikat Staatsangehöriger von Nigeria und daher Fremder gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Zuletzt habe sich der Beschwerdeführer von 15. Jänner 2007 bis 9. Februar 2007 wegen Verdachtes nach § 27 SMG in gerichtlicher Untersuchungshaft befunden und er sei in der Folge wegen dieses und anderer gleichgelagerter „(= § 28 SMG)“ Delikte für schuldig befunden und gerichtlich verurteilt worden. Am 18. März 2008 sei der Beschwerdeführer von der Justizanstalt Linz zur weiteren Strafhaftverbüßung in die Justizanstalt Suben überstellt worden. Das gerichtliche Strafhaftende durch bedingte Entlassung sei am 30. Juni 2009, wobei der normale Entlassungszeitpunkt bei Gesamtvollzug seiner gerichtlichen Freiheitsstrafen am 30. September 2010 gewesen wäre. Laut zentralem Melderegister scheine bezüglich der Person des Beschwerdeführers als Hauptwohnsitz seit 18. März 2008 sein derzeitiger Anhalteort 4, K auf; weitere Wohnsitze bestünden laut ZMR nicht. Der Beschwerdeführer weise drei bekannte einschlägige rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen in Österreich auf: Am 9. Februar 2007 habe das Landesgericht für Strafsachen Wien den Beschwerdeführer zu 142 Hv 12/07t nach „§ 27 Abs. 1 und 2/2 (1.Fall)“ Suchtmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Am 21. November 2007 sei der Beschwerdeführer ebenfalls durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zu 153 Hv 97/07t nach „§ 28 Abs. 2 und 3 (1.4.Fall)“ Suchtmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine auf gleicher schädlicher Neigung beruhende bedingte Freiheitsstrafe von fünf Monaten widerrufen worden. Nach seiner Überstellung aus der Justizanstalt Linz am 18. März 2008 verbüße der Beschwerdeführer derzeit einen Teil dieser Strafhaften in der Justizanstalt Suben, wo er nunmehr angehalten werde; er befinde sich daher nicht bloß kurzfristig in Haft. Aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilungen sei am 2. April 2007 gegen den Beschwerdeführer, zu diesem Zeitpunkt noch Asylwerber, „ein unbefristetes Rückkehrsverbot (= das 1. Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet)“ durch die Bundespolizeidirektion Wien, rechtskräftig seit 15. Mai 2007, ausgesprochen worden. Nach fremdenpolizeilicher Aktenlage sei der Beschwerdeführer am 5. Oktober 2004, nach seiner illegalen Reise via Schiff nach Italien, mittels LKW illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe als undokumentierter Fremder (Staatsangehöriger von Nigeria) einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Dem Asylwerberinformationssystem könne entnommen werden, dass der erste am 6. Oktober 2004 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers seit 15. Juni 2007 nach Berufung beim Unabhängigen Bundesasylsenat in zweiter Instanz zu den §§ 7 und 8 AsylG 1997 rechtskräftig negativ beschieden worden sei. Die in diesem Asylverfahren gegen die Person des Beschwerdeführers ausgesprochene asylrechtliche Ausweisung sei mit gleichem Datum in Rechtskraft erwachsen. Seine Abschiebung in sein Heimatland Nigeria sei somit für zulässig erklärt worden. Mit „Rechtskraft des negativen Asylverfahrens“ habe auch die dem Beschwerdeführer zugesprochene vorläufige Aufenthaltsberechtigung geendet. Der Beschwerdeführer befinde sich daher „seit diesem Zeitpunkt unrechtmäßig (= kein gültiges Reisedokument in Verbindung mit einem für StAng.. Nigerias erforderlichen gültigen Aufenthaltstitel, rechtkräftiges durchsetzbares unbefristetes Rückkehrverbot, rechtskräftige asylrechtliche Ausweisung) im Gebiet der Republik Österreich“. Nunmehr habe der Beschwerdeführer – offensichtlich um seine geplante Abschiebung in sein Heimatland zu vereiteln bzw. zumindest zu erschweren – laut Asylwerberinformationssystem am 8. Juni 2009 bei der Polizeiinspektion Suben einen neuerlichen Asylantrag eingebracht. Am 9. Juni 2009 sei seine Erstbefragung zu diesem Asylantrag erfolgt. Mit Schreiben vom 12. Juni 2009 sei dem Beschwerdeführer jedoch durch das Bundesasylamt mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz „zurückzuweisen (§§ 4, 5 und 68 Abs. 1 AVG) (§ 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG), da entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliegt“. Aus den verfahrensrechtlichen Daten im Asylwerberinformationssystem sei weiters ersichtlich, dass am 18. Juni 2009 beim Bundesasylamt eine Vollmacht des Vereines „P“ aus Wien einlangt sei, und dass am 22. Juni 2009 der rechtsfreundliche  Vertreter des Beschwerdeführers, S D, einen Antrag auf Verfahrenszulassung einbracht habe. Bisher sei im Bundesgebiet noch keine Schubhaften gegen die Person des Beschwerdeführers angeordnet, verhängt und vollstreckt worden. Gemäß § 6 Abs. 4 FPG richte sich die örtliche Zuständigkeit für die Verhängung der Schubhaft gegen die Person des Beschwerdeführers nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus der gerichtlichen Strafhaft und komme daher der belangten Behörde zu. Ein Reisedokument bzw. sonstige Dokumente in Bezug auf die Identität und Nationalität des Beschwerdeführers seien nicht vorgelegen; in seinem Asylverfahren sei er als „dokumentenloser Fremder“ geführt worden. Es sei daher bei der Konsularabteilung der nigerianischen Botschaft in Wien im Wege des Bundesministeriums für Inneres um ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer zum Zweck seiner Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach seiner Entlassung aus der Strafhaft angesucht worden. Dieses Zertifikat liege zwischenzeitlich nunmehr hieramts auf. Die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme nach § 45 AVG sei dem Beschwerdeführer in der Justizanstalt Suben persönlich durch Strafvollzugsbeamte am 9. Juni 2009 nachweislich ausgehändigt worden. Eine Stellungnahme zur beabsichtigen Maßnahme, der Verhängung der Schubhaft nach Strafhaftverbüßung zur Sicherung der Abschiebung, erfolgte am 22. Juni 2009 durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers. Weiters habe der Verein „P“ der belangten Behörde mit Schreiben vom 22. Juni 2009 angeboten, den Beschwerdeführer unter Anwendung eines gelinderen Mittels bis zu seiner Abschiebung in die Obhut des besagten Vereines auf freien Fuß zu entlassen. Der Beschwerdeführer könne an der Adresse H / / in 1... W Unterkunft nehmen. Aufgrund des von der belangten Behörde bereits im Ergebnis der Beweisaufnahme dargestellten Sachverhaltes – „Missbrauch des Asylrechtes im Gastland, wiederkehrendes gleich gelagertes gerichtlich strafbares Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz, vor nunmehr neuerlicher Asylantragstellung bereits verhängtes, rechtskräftiges und durchsetzbares Rückkehrverbot, kein Krankenversicherungsschutz, kein Inlandsbezug, Ihrer Weigerung (= niederschriftlich geäußert am 11.05.2009) der freiwilligen Ausreise aus dem österr. Bundesgebiet“ – werde gegen den Beschwerdeführer die Schubhaft angeordnet und auch verhängt, um ihn nach seiner Entlassung aus der Strafhaft abschieben zu können. Der Beschwerdeführer habe nach Zustellung der Beweisaufnahme zur Verhängung der Schubhaft am 11. November 2008 (richtig wohl: am 8. Juni 2009) beim Bundesasylamt einen neuerlichen, zweiten Asylantrag gestellt und es sei ihm bereits mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, diesen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Durch Einbringung dieses neuerlichen Asylantrages habe der Beschwerdeführer nur versucht, seine Abschiebung hinauszuzögern bzw. zu verhindern. Sein „1. Asylverfahren“ sei bereits mit einer asylrechtlichen Ausweisung verbunden gewesen. Zum Vorbringen seines rechtsfreundlichen Vertreters sei zu bemerken, dass es sich bei den Ausführungen um bloß spekulative Schutzbehauptungen handle, um die geplante Abschiebung abzubrechen bzw. allenfalls um fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu erschweren: Bisher sei noch kein Fall dokumentiert worden, dass bei einem der bisher abgeschobenen nigerianischen Drogenkriminellen aufgrund des „Dekretes Nr. 33“ der „§ 12 A nigerianisches Suchtmittelgesetz“ zur Anwendung gekommen sei. Weiters sei nicht bekannt geworden, dass die angesprochenen Haftbedingungen in Nigeria die Schwelle des Art. 3 EMRK überschreiten würden. Zu den angeblichen Verlautbarungen in Wiener afrikanischen Kirchen seien keine näheren Angaben über Ort und Zeitpunkt dieser Informationen an die Gläubigen gemacht worden. Bei Beantragung des Heimreisezertifikates sei nur von einer gerichtlichen Haftstrafe, nicht jedoch von dem betreffenden Delikt gesprochen und auf dem ausgestellten Heimreisezertifikat der nigerianischen Botschaft sei lediglich der illegale Status des Fremden angemerkt worden. Demnach sei in diesem Fall auch kein Amtswissen an die nigerianischen Behörden weitergegeben worden. Zu den vorgebrachten Schutzbehauptungen werde abschließend angemerkt, dass sich jeder illegal eingereiste nigerianische Staatsbürger durch (absichtlichen) Verstoß gegen das österreichische Suchtmittelgesetz Aufenthalt im Bundesgebiet erzwingen könnte. Dem Angebot des gelinderten Mittels laut Telefax des Vereins „P“ stehe das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber. Im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dieses Landes erscheine aufgrund der Einstellung des Beschwerdeführers zur österreichischen Rechtsordnung sowie aufgrund daraus resultierender gerichtlicher Verurteilungen nach dem Suchtmittelgesetz, die „Schubhaftanordnung/ -verhängung/ -vollstreckung“ zur Sicherung der Abschiebung gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten in Österreich alle anderen ausländischen Mitbürger, Besucher und Schutzsuchende, die sich an die Gesetzes ihres Gastlandes hielten und sich den Gepflogenheiten dieses Landes anpassten, um hier ihr berufliches und privates Fortkommen zu sichern, in Misskredit gebracht. Der Zweck der Schubhaft – in vorliegenden Fall zur Sicherung der Abschiebung eines gewerbsmäßigen Suchtgiftdealers – könne unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit durch Anwendung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 Abs. 1 FPG nicht erreicht werden. Es sei zu befürchten, dass der Beschwerdeführer bei negativer „Asylverfahrensentscheidung“ untertauchen und so die geplanten aufenthaltsbeendenden fremdenpolizeilichen Maßnahmen verhindern bzw. zumindest erschweren werde. Auch die Setzung weiterer Drogendelikte könne nicht ausgeschlossen werden. Im Hinblick auf die derzeit bestehende Strafhaft würden die Rechtsfolgen dieses Bescheides erst ab der Entlassung aus der Strafhaft eintreten.

2. In der u.a. gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 13. Juli 2009, eingelangt beim Unabhängigen Verwaltungssenat am selben Tag, stellt der Beschwerdeführer die Anträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, seiner Festnahme sowie seiner Anhaltung in Schubhaft „ab Beginn“. Weiters begehrt er die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen, und beantragt zugleich Aufwandsersatz.

Begründend führt der Beschwerdeführer aus, dass ihn die belangte Behörde mit Schreiben vom 9. Juni 2009 über die erfolgte Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt  und erklärt habe, dass seine Inschubhaftnahme ab seiner Entlassung aus der Strafhaft beabsichtigt sei. Dazu habe der Beschwerdeführer am 22. Juni 2009 Stellung genommen und Folgendes vorgebracht:

„Wie die Behörde richtig festgestellt wurde ich bisher dreimal nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt, meine bedingte Entlassung aus der Strafhaft ist f.d. 30.6.2009 geplant und hat die Botschaft Nigerias für mich auch schon ein Heimreisezertifikat ausgestellt, sodass meine Abschiebung durchführbar wäre.

Gegen die Durchführung einer Abschiebung nach Nigeria spricht allerdings, dass ich bei Rückkehr in mein Heimatland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Gefahr laufe, dort nach dem sog. ‚Dekret 33’ einer Strafverfolgung ausgesetzt zu werden, weil nach § 12 A des nigerianischen Gesetzes betreffend die nationale Suchtmittelgesetzvollstreckungsbehörde, Personen, die im Ausland Suchtmitteldelikte begangen haben, wegen In-Verruf-Bringens Nigerias im Ausland mit Freiheitsstrafe von 5 Jahren und Vermögensverfall bestraft werden. Einerseits wäre diese Bestrafung als MRK-widrige ‚Doppelbestrafung’ zu verstehen und andererseits sind die Haftbedingungen in allen nigerianischen Gefängnissen derartig trist, dass Art 3 MRK schon deshalb meine Abschiebung unzulässig macht.

Zu den Haftbedingungen in Nigeria verweise ich u.a. auf den Bericht des Sonderberichterstatters des UN-Menschenrechtsrats Manfred Nowak, http://www.univie.ac.at/bim/php/bim/get.php?id=1035

Dem Risiko Haft in Nigeria zu erleiden bin ich vor allem deshalb ausgesetzt, weil das Bundesministerium für Inneres anlässlich der Beantragung des Heimreisezertifikates der nigerianischen Botschaft gegenüber eröffnet hat, dass ich in Österreich straffällig geworden bin.

Dies schließe ich daraus, dass beginnend mit Mitte Mai 2009 die nigerianische Botschaft in Wiener afrikanische Kirchen verlautbaren ließ, dass die Botschaft b.a.w. wieder Heimreisezertifikate, und zwar ausschließlich für in Österreich straffällig gewordene Nigerianer, ausstellen wird.

Darüber hinaus kam meinem Vertreter mittlerweile in anderer Angelegenheit das beiliegende Anschreiben des BMI. Abt. II/3, Zl. BMI-1012328/0001—II/3/2008, vom 14.10.2008 zur Kenntnis, auf dessen Seite 2 erwähnt wird: „The above named person had been sentenced by Austrian criminal courts and his/her further residence constitutes a threat to public order and security“ und wird davon ausgegangen, dass dieser Formulartext auch in meinem Fall zur Beantragung eines Heimreisezertifikates Verwendung fand.

Beweis: Beischaffung des über mich beim BM f. Inneres, Abt II/3, geführten Verfahrensaktes

und Einvernahme der zuständigen Sachbearbeiter im BMI, P Z und R G, beide p.A. BMI. 1010 Wien, Herrengasse 7

Der Asylgerichtshof hat erst mit Erk. vom 6.5.2009, E9 260076-0/2008, festgestellt: ‚Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden bei Kenntniserlangung nach Rückkehr an die National Drug Law Enforcement Agency überstellt.’, aber: ‚Es ist nicht wahrscheinlich, dass nigerianische Behörden von der Drogendeliquenz eines nigerianischen Asylwerbers in Österreich Kenntnis erlangen, weil diesbezüglich dem Amtswissen nach grds. keine Verständigung erfolgt.’. Welches Amtswissen offensichtlich unvollständig ist, denn wenn vom BMI mitgeteilt wird ‚had been sentenced’ und auch berücksichtigt wird, dass die überwiegende Mehrzahl von Verurteilung betreffend Nigerianern wegen Drogenkleinhandels erfolgt, ist dies als ‚Verständigung’ iSd o.e. AsylGH-E zu verstehen.

Darf ich nun aus Gründen des Art 3 MRK nicht nach Nigeria abgeschoben werden, ist auch meine Inschubhaftnahme zur Vornahme der Abschiebung unzulässig.

Da einem Abschiebehindernis nach Art 3 MRK gemäß Art 15 MRK ‚Notstandsfestigkeit’ zukommt, kann die Behörde auch nicht argumentieren, dass aufgrund meiner Delinquenz eine Abschiebung aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unbedingt notwendig wäre.“.

Außerdem habe der Beschwerdeführer seine Befürchtung, in Nigeria Doppelbestrafung zu erleiden, auch in seinem zu 09 06 769-EWEST protokollierten „Folge-Asylverfahren“ vorgebracht. Trotzdem habe die belangte Behörde mit Bescheid vom 25. Juni 2009 Schubhaft verhängt und diese Haft auch mit meiner Weigerung, aus Österreich ausreisen zu wollen, begründet. Am 30. Juni 2009 sei dieser Bescheid vollzogen worden. Zwar habe das Bundesasylamt am 26. Juni 2009 einen seinen Folgeasylantrag zurückweisenden Bescheid erlassen; gegen diesen habe er aber am 10. Juli 2009 Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben und dort auch unter Zitierung eines Länderberichtes vorgebracht, dass in Nigeria nicht nur Drogenstraftäter, sondern Straftäter überhaupt konfiniert würden, sodass er jedenfalls Gefahr laufe, in Nigeria einer MRK-widrigen Behandlung unterworfen zu werden. In einem anderen Asylfall habe sich der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. Juli 2009, A1 404.371, seiner Ansicht angeschlossen, einen Zurückweisungsbescheid des Bundesasylamtes behoben und das Verfahren zugelassen. Von daher sei davon auszugehen, dass es auch in seinem Falle zu einer Verfahrenszulassung kommen werde. Die Abschiebung des Beschwerdeführers könne aber nur dann zulässig sein, wenn ihm in Nigeria keine „Art 3-MRK-widrige“ Behandlung konkret drohe. Dass ihm eine solche konkret drohe, gehe aus den wohl auch in seinem Falle verwendeten Formtext des Anschreibens des Bundesministeriums für Inneres an die nigerianische Botschaft hervor, in dem darauf hingewiesen werde, dass der Beschwerdeführer in Österreich gerichtlich verurteilt worden sei und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle. Wie der Asylgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom 6. Mai 2009 feststellt habe, würden Straftäter bei Rückkehr in Nigeria festgenommen. De facto alle Länderberichte zu Nigeria beklagten die absolut menschenrechtswidrigen Zustände in dortiger Haft und auch, dass Betroffene jahrelang bis lebenslang angehalten würden, ohne jemals einem Richter vorgeführt worden zu sein. Damit sei aber die Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers zur Sicherung der Abschiebung unzulässig. Im Übrigen sei seine Anhaltung auch deshalb nicht notwendig, weil er über Vermittlung des Vereines „P“ in Wien Unterbringung finden könne und damit auch einem gelinderen Mittel, etwa der täglichen Meldung vor der Polizei, zur Verfügung stehe. Damit hätte mich die Behörde aber im Falle der Zulässigkeit meiner Abschiebung nicht in Schubhaft nehmen müssen bzw. im Sinne einer nach Art. 5 Abs. 2 PersFrG gebotenen Haftvermeidung auch nicht dürfen.

 

3. Mit Schreiben vom 14. Juli 2009 übermittelte die belangte Behörde den dort geführten Verwaltungsakt, der (erst) am 17. Juli 2009 beim Unabhängigen Verwaltungssenat einlangte, und beantragte weiters die kostenpflichtige Abweisung der Schubhaftbeschwerde.

 

4. Mit Schreiben vom 17. Juli 2009 legte die belangte Behörde eine „fremdenpolizeiliche Information“ des Bundesasylamtes vor, wonach die Durchführbarkeit fremdenpolizeilicher Maßnahmen zulässig sei.

 

5. Mit Schreiben vom 5. Mai 2009 (richtig wohl: 20. Juli 2009) teilte die belangte Behörde dem Unabhängigen Verwaltungssenat mit, dass der Beschwerdeführer am 17. Juli 2009 wegen Haftunfähigkeit infolge eines Hungerstreiks aus der Schubhaft entlassen worden sei.

 

6. Mit Schreiben vom 28. Juli 2009 übermittelte die belangte Behörde wiederum eine „fremdenpolizeiliche Information“ des Bundesasylamtes, wonach der „Bescheid“ des Asylgerichtshofes gemäß § 68 AVG „negativ“ und die gleichzeitig ausgesprochene Ausweisung nach Nigeria, jeweils mit 21. Juli 2009, in Rechtskraft erwachsen sei.

 

In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

 

1. Rechtslage:

 

Die hier maßgebenden Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005 (§ 80 idF BGBl. I Nr. 4/2008) lauten wie folgt:

"Anwendungsbereich

 

         § 1. (1) ...

         (2) Auf Asylwerber (§ 2 Z 14 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100) sind die §§ 41 bis 43, 53, 58, 68, 69, 72 und 76 Abs. 1 nicht anzuwenden. Ein vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eingeleitetes Aufenthaltsverbotsverfahren ist nach Stellung eines solchen Antrages als Verfahren zur Erlassung eines Rückkehrverbotes weiterzuführen. Es ist nur über das Rückkehrverbot abzusprechen. Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, sind darüber hinaus die §§ 39, 60 und 76 nicht anzuwenden. Die Durchsetzung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Asylwerber ist erst zulässig, wenn die Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 durchgesetzt werden kann. Ein Rückkehrverbot kann gegen einen Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, erlassen werden.

        

 

Schubhaft

 

         § 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen. 

         (2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

         1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

         2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

         3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

         ...

         (3) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

         ...

         (7) Die Anordnung der Schubhaft kann mit Beschwerde gemäß § 82 angefochten werden.                  

Gelinderes Mittel

 

         § 77. (1) Die Behörde kann von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.

         ...

         (3) Als gelinderes Mittel kommt insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei dem dem Fremden bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

         ...

Dauer der Schubhaft

 

         § 80. (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert.

         (2) Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf außer in den Fällen des Abs. 3 und 4 insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.

         ...

         (5) In Fällen, in denen die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, kann diese bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftig negativer Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz aufrecht erhalten werden, es sei denn, es läge auch ein Fall des Abs. 4 Z 1 bis 3 vor. Wird der Beschwerde gegen eine Ausweisung, die mit einer zurückweisenden Entscheidung verbunden ist, die aufschiebende Wirkung gemäß § 37 AsylG 2005 zuerkannt, darf die Schubhaft bis zur Entscheidung des Asylgerichtshofes aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus darf die Schubhaft nur aufrechterhalten werden, wenn der Asylgerichtshof eine zurück- oder abweisende Entscheidung erlässt.

         ...

Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat

 

         § 82. (1) Der Fremde hat das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

         1. wenn er  nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

         2. wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz

             2005 angehalten wird oder wurde oder

         3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

         ...

Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat

 

         § 83. (1) Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde.

         (2) Über die Beschwerde entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§ 67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

         1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus

             der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und

         2. die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortset-

             zung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die   

             Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

         ...

         (4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

2. Zuständigkeit 

2.1. Zuständigkeit der belangten Behörde

Der Beschwerdeführer hielt sich im Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft unstrittig im Bezirk Schärding auf; damit ist die örtliche Zuständigkeit der belangten Behörde nach § 6 Abs. 4 FPG zu bejahen.

2.2. Eigene Zuständigkeit

Der Beschwerdeführer ist Fremder iSd FPG, wurde in Oberösterreich festgenommen und hier von 30. Juni 2009 bis 17. Juli 2009 in Schubhaft angehalten.

Daher ist die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates nach    § 83 Abs. 1 FPG gegeben. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist darüber hinaus gemäß § 83 Abs. 2 erster Satz FPG zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde durch eines seiner Mitglieder berufen.

3. Rechtzeitigkeit der Beschwerde

 

Nach § 83 Abs. 2 FPG gelten grundsätzlich die für Maßnahmenbeschwerden iSd     § 67a Abs. 1 Z 2 AVG vorgesehenen Verfahrensbestimmungen der §§ 67c bis 67g sowie des § 79 AVG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren.

 

Gemäß dem § 67c Abs. 1 AVG sind Beschwerden innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat, sofern er aber durch sie behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, ab dem Wegfall dieser Behinderung, bei dem Unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde.

 

Die am 13. Juli 2009 erhobene Beschwerde erweist sich daher jedenfalls im vollen Umfang als rechtzeitig, zumal der Schubhaftbescheid am 25. Juni 2009 erlassen wurde und die Festnahme des Beschwerdeführers am 30. Juni 2009 erfolgte.

 

4. Stattgabe der Beschwerde

4.1. Vorliegen eines Sicherungsbedarfes – Verhältnismäßigkeit der Schubhaft

Die Ausreiseunwilligkeit des Beschwerdeführers ist evident und bedarf aufgrund der Aktenlage keiner näheren Erläuterung. Der Beschwerdeführer wendet gegen das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes zunächst ein, dass er aus Gründen des Art. 3 EMRK und des Art. 4 7. ZPEMRK (drohende Doppelbestrafung, menschenrechtswidrige Haftbedingungen in Nigeria) nicht abgeschoben werden könne und daher sei seine Inschubhaftnahme zur Sicherung der Abschiebung unzulässig gewesen. Überdies verweist der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 9. Juli 2009, A1 404.372-2/2009/2E, mit dem in einer angeblich vergleichbaren Konstellation, der Beschwerde eines Nigerianers gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben worden war.

 

Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers, mit dem er die hinreichenden Erfolgsaussichten seiner Beschwerde an den Asylgerichtshof darzulegen versucht, vermag jedoch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Inschubhaftnahme zu wecken. Es ist nämlich nach den maßgebenden Bestimmungen des FPG nicht Aufgabe des Unabhängigen Verwaltungssenates im Schubhaftbeschwerdeverfahren eine Prognose über den möglichen Erfolg seines Beschwerdeverfahrens vor dem Asylgerichtshof zu treffen. Vielmehr hat er prüfen, ob ein Schubhafttatbestand sowie ein entsprechender Sicherungsbedarf gegeben und die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme gewahrt ist. Auch ist nicht zu erkennen, dass die gegen den Beschwerdeführer – seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides des Bundesasylamtes am 26. Juni 2009 – bestehende durchsetzbare Ausweisung jemals – selbst wenn die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem Asylgerichtshof als hoch einzuschätzen gewesen wären – per se unzulässig im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewesen wäre (zB VwGH 26.04.2005, 2004/21/0274).

 

Auch wenn nicht verkannt wird, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542, mwN) die Schubhaft keinesfalls dazu dienen könne, den Fremden von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich bis zur Außerlandesbringung abzuhalten und dass die Annahme, die Schubhaft sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten, nach dem Gesetz keinen tauglichen Schubhaftzweck darstelle, sind die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und die daraus zu entnehmenden Feststellungen des Strafgerichtes in diesem Zusammenhang von Bedeutung (zur „Bindungswirkung“ eines rechtskräftigen Strafurteiles und zur Rolle strafgerichtlicher Sachverhaltsfeststellungen als „maßgebender Sachverhalt“ iSd § 37 AVG vgl. Eisner/Schiffkorn in Gruber/Paliege-Barfuß [Hrsg.], Die Relevanz der bedingten Strafnachsicht nach § 43 Abs. 1 StGB im Verfahren zur Entziehung der Gewerbeberechtigung, Jahrbuch Gewerberecht 2009, 205ff):

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. März 2005, 151 Hv 33/05p, wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift gewerbsmäßig Dritten überlassen zu haben, indem er im Zeitraum Mitte bis Ende Februar 2005 insgesamt neun Kugeln Kokain und neun Kugeln Heroin nicht mehr feststellbaren Gewichtes verkaufte und am 28. Februar 2005 acht Kugeln Kokain (4,6 g brutto) und elf Kugeln Heroin (6,8 g brutto) zum Zwecke des unmittelbaren Weiterverkaufes bereithielt, jedoch zuvor betreten wurde. Damit beging der Beschwerdeführer das teils vollendete, teils versuchte Vergehen nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 erster Fall SMG und wurde zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt, die ihm unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. Februar 2007, 142 Hv 12/07 m, wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, im Zeitraum von Februar 2005 bis Jänner 2007 den bestehenden Vorschriften zuwider gewerbsmäßig Suchtgift anderen durch Verkauf überlassen zu haben, und zwar insgesamt zumindest 110 g Heroin sowie 110 g Kokain und 38 Kugeln Heroin sowie drei Kugeln Kokain. Er wurde folglich wegen des Vergehens nach dem § 27 Abs. 1 und 2 Z 1 zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt. Zugleich wurde die bedingte Nachsicht der mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. März 2005, 151 Hv 33/05p, verhängten Freiheitsstrafe von fünf Monaten gemäß § 494a Z 4 StPO widerrufen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. November 2007, 153 Hv 97/07t, wurde der Beschwerdeführer sodann für schuldig erkannt, in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) gewerbsmäßig anderen überlassen zu haben, indem er im Zeitraum von Oktober 2004 bis 11. Mai 2006 insgesamt ca. 501 g Heroin verkaufte. Der Beschwerdeführer beging damit die Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG und wurde hiefür unter Anwendung des § 36 StGB nach § 28 Abs. 3 SMG unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu 142 Hv 12/07m zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Aus den genannten Strafurteilen und den darin enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen lassen sich Rückschlüsse auf das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes ziehen:

Zunächst ist zu bemerken, dass der Beschwerdeführer bereits unmittelbar nach seiner illegalen Einreise nach Österreich und seiner darauffolgenden Asylantragstellung im Oktober 2004 erstmals straffällig wurde. Von Anfang an verdealte der Beschwerdeführer sogenannte „harte Drogen“, nämlich Heroin und später dann auch Kokain, wodurch er die Gesundheit und das Leben von Menschen in hohem Maße gefährdete. Dies alles tat der selbst nicht drogenabhängige Beschwerdeführer ausschließlich, um sich durch den wiederholten gewerbsmäßigen Handel mit großen Mengen an Suchtmitteln eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Dieses Verhalten lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Beschwerdeführer die Gesundheitsgefährdung, schlimmstenfalls den Tod von Menschen zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes bewusst in Kauf nahm. Bemerkenswert ist überdies, dass sich nach den Feststellungen des Strafgerichtes das Fehlverhalten des Beschwerdeführers auf den gesamten Zeitraum seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit Oktober 2004 erstreckt; unterbrochen wurde sein Handel mit Drogen lediglich durch seine jeweilige Anhaltung in Strafhaft. Aus den Sachverhaltsfeststellungen des Strafgerichtes, an die der Unabhängige Verwaltungssenat gebunden ist (vgl. Eisner/Schiffkorn, aaO, 222 f), ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer zu keiner Zeit, in der er sich in Freiheit befand, von sich aus wohlverhalten hat.

Dies offenbart die völlige Gleichgültigkeit des Beschwerdeführers gegenüber der österreichischen Rechtsordnung sowie seine mangelnde charakterliche Zuverlässigkeit. Diese Einschätzung wird weiters dadurch unterstrichen, dass er jeweils unmittelbar nach seinen Verurteilungen sein Fehlverhalten wieder aufnahm und – sogar in der ihm gewährten Probezeit (die mit Urteil vom 15. März 2005 verhängte Freiheitsstrafe war bedingt nachgesehen worden) – erneut einschlägig straffällig wurde. Auch seine Anhaltung in Strafhaft und das damit in der Regel verbundene Haftübel scheint keinen bleibenden Eindruck auf den Beschwerdeführer entfaltet zu haben.

Zudem zeigen die bislang vom Beschwerdeführer begangenen Suchtmitteldelikte, dass er eine evidente Nahebeziehung zur „Suchtgiftszene“ pflegt, in der er unter dem Spitz- bzw. Decknamen „J“ bekannt ist, was zweifellos seine Flucht bzw. sein Untertauchen wesentlich erleichtern würde. Die Annahme eines aktuellen Sicherungsbedarfes wird weiters dadurch unterstrichen, dass der Beschwerdeführer über kein gültiges Reisedokument verfügt und auch keinerlei familiäre oder sonstige soziale Bindungen in Österreich aufweist.

Vor dem Hintergrund seines bisherigen Fehlverhaltens im Bundesgebiet und der daraus zu erschließenden Persönlichkeitsstruktur war für die belangte Behörde daher nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer freiwillig das Land verlassen und sich den entsprechenden fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen ohne Weiteres fügen werde. Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird auch durch den Umstand bestätigt, dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach seiner Inschubhaftnahme in einen Hungerstreik trat, um sich aus der Schubhaft freizupressen (vgl. die „Hunger-/Durststreik – Meldung“ vom 1. Juli 2009); deshalb musste der Beschwerdeführer am 17. Juli 2009 wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen werden. Abgesehen davon, dass sich der Beschwerdeführer mit diesem Verhalten einer fremdenpolizeilichen Maßnahme widersetzte, lässt sich daraus ebenfalls der Schluss ziehen, dass sich der Beschwerdeführer, wäre er – etwa durch Anwendung eines gelinderen Mittels – in Freiheit belassen worden, dem Zugriff durch die Fremdenpolizeibehörde entzogen hätte. Schließlich wird die Entscheidung unterzutauchen, aus der subjektiven Sicht des Beschwerdeführers vergleichsweise wesentlich leichter zu treffen sein, als den (schon aus gesundheitlichen Gründen) schwerwiegenden Entschluss zu fassen, die Nahrungsaufnahme zu verweigern.

Die Anhaltung des Beschwerdeführers war somit nicht als bloß rein präventive Vorbereitungshandlung für die Abschiebung anzusehen, sondern diese war aufgrund des möglichen Untertauchens des Beschwerdeführers zu deren Sicherung dringend erforderlich und vor allem verhältnismäßig. Schließlich liegt im vorliegenden Fall eine erhebliche Delinquenz des Beschwerdeführers vor, die das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner (baldigen) Abschiebung maßgeblich vergrößert (vgl. dazu VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542).

 

Ein Sicherungsbedarf ist im vorliegenden Fall auch deshalb anzunehmen, weil einer raschen Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers in rechtlicher Hinsicht nichts mehr im Wege stand:  Der Beschwerdeführer stellte nach rechtskräftiger Abweisung seines ersten Asylantrages vom 6. Oktober 2004 unmittelbar vor seiner Entlassung aus der Strafhaft am 8. Juni 2009 einen weiteren Asylantrag. Dieser Folgeantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Juni 2009 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 AsylG 2005 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Mit Erlassung dieses Bescheides am 26. Juni 2009 lag eine – durchsetzbare – Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) gegen den Beschwerdeführer vor. Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seinen bisherigen Aufenthalt in Österreich – nach seiner schlepperunterstützten Einreise – bislang lediglich mit letztlich unberechtigten Asylanträgen begründen bzw. aufrechterhalten konnte und er sich spätestens nach der erfolgten Zurückweisung seines zweiten Asylantrages in erster Instanz seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste, hat der Beschwerdeführer jederzeit mit seiner faktischen und allenfalls auch mit seiner zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen. Insbesondere ist ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer nicht erst zu beschaffen, sondern ein solches liegt bereits vor. Der Beschwerdeführer hätte somit – aus objektiver als auch aus subjektiver Sicht – jede Veranlassung, sich seiner Abschiebung durch Untertauchen bzw. durch Flucht zu entziehen.

 

Abschließend ist zu bemerken, dass die belangte Behörde Monate vor der Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers am 30. Mai 2009 die notwendigen Schritte setzte, um seine Außerlandesschaffung sicherzustellen. So wurde bereits mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 19. Mai 2009 ein Heimreisezertifikat an die belangte Behörde übermittelt, das von ihr mit Schreiben vom 29. April 2009 begehrt worden war. Das Vorgehen der belangten Behörde kann daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht beanstandet werden.

4.2. Anwendung gelinderer Mittel

Angesichts der Aktenlage hatte die belangte Behörde auch keinen Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung gelinderer Mittel – etwa durch Auferlegung der Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle (vgl. § 77 Abs. 3 FPG) – erreicht werden kann, zumal nicht zu erwarten ist, dass er seinen Verpflichtungen nachkommen würde.

4.3. Nichtvorliegen des Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG

 

Obwohl – wie oben dargelegt wurde – im vorliegenden Fall an sich ein dringender Sicherungsbedarf bestand und die Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers auch nicht unverhältnismäßig war, erweist sich der Schubhaftbescheid, die Festnahme und die bisherige Anhaltung des Beschwerdeführers aus folgendem Grund als rechtswidrig:

 

Bei der Verhängung der Schubhaft zog die belangte Behörde (im Zusammenhalt mit der Begründung des angefochtenen Bescheides erkennbar) die Gesetzesbestimmung des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG heran, wonach die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen kann, wenn gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist.

 

Im vorliegenden Fall wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 10. Mai 2007 im Instanzenzug jedoch kein durchsetzbares Aufenthaltsverbot, sondern ein Rückkehrverbot verhängt. Damit war allerdings – schon seinem klaren Wortlaut nach – der Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG im Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft am 25. Juni 2009 über den Beschwerdeführer (Zustellung des Schubhaftbescheides an seinen Rechtsvertreter) nicht verwirklicht. Auch kommt eine Umdeutung des bestehenden, rechtskräftigen Rückkehrverbotes – wie dies offenkundig der belangten Behörde vorschwebte [vgl. Seite 4 des angefochtenen Bescheides:  „ein unbefristetes Rückkehrverbot (= das 1. Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet)“] – in ein Aufenthaltsverbot nicht in Betracht (vgl. dazu VwGH 22.01.2009, 2008/21/0647).

 

Dazu kommt, dass eine durchsetzbare – fremdenpolizeiliche – Ausweisung (arg.: „eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54)“) nach Ausweis des vorliegenden Verwaltungsaktes nicht ausgesprochen wurde, sodass auch in dieser Hinsicht – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – der Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG nicht verwirklicht sein konnte.

 

Aus dem Gesagten war der vorliegenden Schubhaftbeschwerde stattzugeben und der Schubhaftbescheid, die Festnahme des Beschwerdeführers am 30. Juni 2009 und seine Anhaltung in Schubhaft vom 30. Juni 2009 bis zum 17. Juli 2009 für rechtswidrig zu erklären.

 

5. Abspruch über das Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft

 

Über die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers war nach Maßgabe des § 83 Abs. 4 FPG nicht mehr abzusprechen, weil er infolge seiner durch einen Hungerstreik verursachten Haftunfähigkeit am 17. Juli 2009 aus der Schubhaft entlassen werden musste.

 

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft gegeben gewesen wären.

 

6. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Beschwerdeführer als obsiegende Partei (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann des Bezirkes Schärding) nach § 79a Abs. 1, 2 und 4 Z 1 und Z 3 AVG iVm § 1 Z 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008, antragsgemäß Stempelgebühren in der Höhe von 31,20 Euro sowie ein Schriftsatzaufwand in der Höhe von 737,60 Euro zuzusprechen (Spruchpunkt II).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Johannes Fischer

Rechtssatz:

VwSen-401020/14/Fi/FS vom 11. August 2009

FPG § 76 Abs.2 Z1, AsylG 2005 § 36 Abs. 4

Auf die Erfolgsaussichten der Beschwerde des Beschwerdeführers an den Asylgerichtshof kommt es nicht an. Entscheidend ist ausschließlich das Vorliegen eines Schubhaftgrundes und das Bestehen eines entsprechenden Sicherungsbedarfes. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Unabhängigen Verwaltungssenates, eine Prognose über den möglichen Erfolg eines Beschwerdeverfahrens vor dem Asylgerichtshof zu treffen. Auch berührt die Bestimmung des § 36 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 – wonach mit der Durchführung der diese Ausweisung umsetzenden Abschiebung oder Zurückschiebung bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Beschwerdevorlage, zuzuwarten ist – die Durchsetzbarkeit der erstinstanzlichen Ausweisungsentscheidung in rechtlicher Hinsicht im Sinn des § 76 Abs.2 Z1 FPG in keiner Weise (§ 36 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005).

 

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