Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401014/4/Gf/Mu

Linz, 22.06.2009

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des H B, dzt. P S, vertreten durch RA Dr. B R, P. , 5... S, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck seit dem 15. Juni 2009 zu Recht erkannt:

I. Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als rechtswidrig festgestellt.

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von insgesamt 684 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG; § 1 UVS-AufwandersatzVO.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 15.  Juni 2009, GZ Sich40-1964-2009, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: FPG), zwecks Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder
eines Aufenthaltsverbotes bzw. zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das P (P) S sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit einem türkischen Reisepass und einem bis zum 21. März 2009 gültigen Visum am 12. März 2009 in Rumänien eingereist sei. In der Folge habe er sich – nachdem die Gültigkeit dieses Visums bereits abgelaufen war und sohin illegal – über verschiedene Balkanstaaten nach Österreich begeben, wo er am 21. April 2009 eingereist sei. Am 23. April 2009 sei er in eine fremdenpolizeiliche Kontrolle geraten, in deren Zuge er sowohl das Vorhandensein eines Reisepasses als auch eines ursprünglich gültigen Visums verschwiegen, jedoch einen Asylantrag gestellt habe. Da sich seine Geschwister überdies in der BRD bzw. in Frankreich aufhalten würden, könne angenommen werden, dass er Österreich nur zur Durchreise aufgesucht habe. Da er keinesfalls in seinen Heimatstaat oder nach Rumänien zurückgeschoben werden wolle, er den Behörden gegenüber unzutreffende Angaben
gemacht bzw. Wesentliches verschwiegen habe, und er – von seiner bundesbetreuten Unterkunft abgesehen – weder über eine Aufenthaltsmöglichkeit noch über soziale Bindungen oder die für einen Aufenthalt in Österreich erforderlichen Barmittel verfüge, sei aus diesem Grund sowie aus seinem bisherigen Verhalten heraus insgesamt zu befürchten, dass er sich – in Freiheit belassen – dem im Zuge der Abschiebung erforderlichen zwangsweisen behördlichen Zugriff zu entziehen versuchen werde, sei die Anordnung von gelinderen Mitteln anstelle der Schubhaft nicht in Betracht zu ziehen gewesen.

1.2. Zuvor war dem Beschwerdeführer bereits mit Schreiben des Bundesasyl­amtes vom 8. Juni 2009, GZ 904819, gemäß § 29 Abs. 3 des Asylgesetzes mitgeteilt worden, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag wegen Unzuständigkeit des österreichischen Staates zur Entscheidung hierüber zurückzuweisen und diesbezüglich Konsultationen mit Rumänien zu führen.

1.3. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
19. Juni 2009 – und damit rechtzeitig – beim Oö. Verwaltungssenat einge­gangene Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass er sich bis zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme in der Grundversorgung befunden und keine Handlungen gesetzt habe, die die Annahme einer akuten Fluchtgefahr gerechtfertigt hätten. Insbesondere sei allein deshalb, weil er keine Auskunft über den Besitz eines türkischen Reisepasses und eines rumänischen Aufenthaltstitels gegeben habe, eine Schubhaftverhängung nicht zulässig. Jedenfalls wären im gegenständlichen Fall auch gelindere Mittel    zur Zweckerreichung in gleicher Weise geeignet gewesen; damit habe sich die belangte Behörde in Wahrheit jedoch gar nicht konkret auseinandergesetzt, sondern bloß die unbegründete Pauschalbehauptung, dass die Gefahr des Untertauchens bestehe, aufgestellt.

Daher wird die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

1.4. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2009, GZ Sich40-1964-2009, hat die belangte Behörde dem Oö. Verwaltungssenat den Bezug habenden Akt des fremdenpolizeilichen Verfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass sich der Beschwerdeführer offenbar nur auf der Durchreise in  die BRD befunden habe, wobei er ursprünglich in Rumänien legal in das Gebiet der EU eingereist sei. Diesen Umstand habe er
offenkundig nur deshalb verschwiegen und den Asylantrag auch nur deshalb gestellt, um seiner Abschiebung in die Türkei bzw. seiner Zurückschiebung nach Rumänien zu entgehen. Die offensichtliche Ausreiseunwilligkeit und das Gesamtverhalten des Rechtsmittelwerbers habe daher gegen die Anwendung gelinderer Mittel gesprochen, weil anderfalls die Überstellung nach Rumänien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erreichen sei.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu GZ Sich40-1964-2009; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: FPG), hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG kann auch ein Asylwerber u.a. zu dem Zweck festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, wenn gegen ihn nach den Bestimmungen des AsylG bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde,
wobei nach § 29 Abs. 3 Z. 4 und 5 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: AsylG), bereits ex lege ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet gilt, wenn dem Asylwerber (formlos) mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag entweder zurück- oder abzuweisen.

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in
diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

3.2. Im gegenständlichen Fall wurde dem Beschwerdeführer bereits vor der Schubhaftverhängung gemäß § 29 Abs. 2 AsylG mitgeteilt (s.o., 1.2.), dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen. Da somit ein Ausweisungsverfahren bereits eingeleitet war, waren die formalen Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z. 2 3 FPG gegeben.

3.3. Hinsichtlich der Frage, ob die Inschubhaftnahme auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war, insbesondere, ob diese dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprach, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber der Sache nach in Wahrheit bloß um einen sog. "Wirtschaftsflüchtling" handelt, zumindest nicht völlig abwegig ist.

3.3.1. Da jedoch eine gesetzliche Regelung, die konkret jene Konstellation regelt, wie die Behörden mit bloßen Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang nach wie vor) fehlt, muss insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden wird, kann daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese materiell betrachtet in erster Linie als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

Andererseits unterliegt aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie generell für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeutet zum
einen, dass zunächst sämtliche formellen Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme (hier: der Schubhaftgrund des §  76 Abs. 2 Z. 2 FPG – siehe dazu oben, 3.2.) vorliegen müssen (vgl. zur "finalen Determinierung" der Schubhaft, d.h. dass diese nur aus den in § 76 Abs. 1 und 2 FPG taxativ genannten Gründen verhängt werden darf, z.B. VwGH vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067). Darüber hinaus darf sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden (vgl. VfGH v. 15. Juni 2007, B 1330/06), d.h. dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Diesbezüglich hat der Verwaltungs­gerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vgl. VfSlg 13715/1994 und VwGH v. 22. November 2007, 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreise­willigkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

3.3.2. Insgesamt besehen bewirkt so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen in der Praxis gerade in jenen aus rechtlicher Sicht in aller Regel unproblematischen Fällen, wo die Fremden bereits in einem anderen Staat einen Asylantrag gestellt haben, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht hat nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen o.ä. Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts u.a. in Kauf nehmen.

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften ist jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit „anlastbar“, als dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So kann z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. werden – es vermögen also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die
jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie
(isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen; insbesondere darf die Schubhaftverhängung nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239) oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) zum Einsatz gebracht werden.

3.3.3. Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedingt zunächst, dass, wie sich aus den zuvor angesprochenen Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ergibt, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig ist. So darf z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht ausschließlich „unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze“ (vgl. nochmals VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

Vielmehr muss die Fremdenpolizeibehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte. Dabei sind beispielsweise die Fragen nach einer allfälligen beruflichen Tätigkeit und/oder einer – allenfalls auch wechselnden – Wohnmöglichkeit im Inland (bei Verwandten oder Bekannten) als Aspekte der sozialen Integration des Fremden jeweils von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150).

3.3.4. Davon ausgehend ist zunächst der zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung konkret erforderliche Sicherungsbedarf zu prüfen.

Ein solcher ist offenkundig generell umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren bereits ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf wird daher regelmäßig – d.h. aber, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen (wie z.B. eine amtsbekannt langdauernde Übermittlung von Heimreisezertifikaten durch bestimmte Staaten) – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wurde, weil ihm dann jedenfalls klar sein muss, dass er regelmäßig in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft werden wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich dann i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass er sich dem behördlichen Zugriff faktisch zu entziehen versucht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

Umgekehrt ist aber – gleichsam am gegenüberliegenden Extrem – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich etwa bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 MRK und des PersFrSchG gebotenen verfassungskonformen Interpretation kann daher ein Bedürfnis zur „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren zumindest bereits formell eingeleitet worden ist, angenommen werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht stets umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

3.3.5. Im gegenständlichen Fall wurden gegen den Rechtsmittelwerber erst unmittelbar vor der Schubhaftverhängung aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt, nämlich ein Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsverfahren eingeleitet; es kann daher offensichtlich keine Rede davon sein, dass diese gegenwärtig schon kurz vor ihrer tatsächlichen Umsetzung stehen.

Damit stellte sich für den Rechtsmittelwerber die Situation auch nicht so dar, dass er zu diesem Zeitpunkt schon unmittelbar mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen hatte.

3.3.6. In objektiver Hinsicht wurden von der Fremdenpolizeibehörde der Sache nach weiters die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts, die Mittellosigkeit und die fehlende Unterkunftsmöglichkeit als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt.

In diesem Zusammenhang trifft zwar unbestritten zu, dass der Rechtsmittelwerber illegal nach Österreich eingereist ist und über keine gültigen Aufenthaltsdokumente sowie bloß über geringe Barmittel verfügt.

Aus ordnungsrechtlicher Sicht handelt es sich dabei allerdings bloß um Bagatellvergehen. Da er zudem bis zu seiner Inschubhaftnahme in einer bundesbetreuten Unterkunft untergebracht war und sich aus dem vorgelegten Akt auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass er dort tatsächlich nicht angetroffen werden konnte, konnte die belangte Behörde somit ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte auch nicht in vertretbarer Weise von einer völligen Mittellosigkeit und dem Fehlen jeglicher Unterkunftsmöglichkeit ausgehen.

3.3.7. Andererseits hat der Beschwerdeführer selbst weder ein entsprechendes Vorbringen dahin erstattet noch haben sich sonst entsprechende Hinweise dafür ergeben, dass er in Österreich in intensiver Weise sozial integriert wäre (sodass sich weitergehende amtswegige Ermittlungen in diese Richtung erübrigten; vgl. z.B. VwGH v. 17. März 2009, 2007/21/0542), im Gegenteil: Er hat sogar aus
eigem vorgebracht, dass seine Geschwister in der BRD bzw. in Frankreich leben. Weiters hat er selbst auch nicht darauf hingewiesen, dass bzw. ob Angehörige oder Verwandte hier in Österreich leben.

Vor diesem Hintergrund kann es damit grundsätzlich auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Zuge der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung im konkret vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den dadurch beeinträchtigten
privaten Interessen des Beschwerdeführers als höher stehend bewertet hat.

3.3.8. Dem steht allerdings gegenüber, dass der Beschwerdeführer bislang
keinerlei Verhalten gesetzt hat, aus dem konkret und zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schließen gewesen wäre, dass er sich umgehend dem behörd­lichen Zugriff zu entziehen versuchen würde, wenn er aus der Schubhaft entlassen werden würde. Daher bleibt auch noch zu prüfen, ob anstelle der Schubhaftverhängung nicht auch gelindere Mittel dazu hingereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Als ein in diesem Sinne gelinderes Mittel sieht § 77 Abs. 3 FPG insbesondere vor, dem Fremden aufzutragen, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte spricht insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf – sodass die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG auch nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung aufzufassen ist – gerade der Umstand, dass der Rechtsmittelwerber ohnehin in der Bundesbetreuung untergebracht und dort auch tatsächlich anzutreffen war, dafür, dass im vorliegenden Fall jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme gelindere Mittel in gleicher Weise dazu hingereicht hätten, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn man in diesem Zusammenhang auch die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf (vgl. oben, 3.3.2.; s.a. 3.3.1. und 3.3.3.), in die Überlegungen mit einbezieht.

Erst wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass
gelindere Mittel wie z.B. der Auftrag, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden, tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen.

Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde jedoch von Anfang an nicht einmal den Versuch unternommen, gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung anzuwenden.

3.4. Daher hatte der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) dazu zu verpflichten, dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008,
antragsgemäß Kosten in Höhe von insgesamt 684 Euro (Gebühren: 13,20 Euro; beantragter Schriftsatzaufwand: 660,80 Euro) zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1.             Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.             Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Dr.  G r o f


 

Rechtssatz:

 

VwSen-401014/4/Gf/Mu vom 22. Juni 2009

 

wie VwSen-401009/4/Gf/Mu vom 15. Mai 2009

 

 

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