Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-164130/12/Bi/Th

Linz, 25.11.2009

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn X, vertreten durch Herrn RA Mag. X, vom 15. April 2009 gegen das Straf­erkenntnis des Bezirkshaupt­mannes von Wels-Land vom 26. März 2009, VerkR96-3109-2007, wegen Übertretungen der StVO 1960, aufgrund des Ergebnisses der am 22. Oktober 2009 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

 

I.             Der Berufung wird im Punkt 6) Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich behoben und das Verwaltungsstraf­verfahren eingestellt.

        In den Punkten 1) bis 5) wird die Berufung abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis hinsichtlich Schuld- und Strafaus­spruch bestätigt.

 

II.   Im Punkt 6) fallen keine Verfahrenskosten an.

       Der Rechtsmittelwerber hat in den Punkten 1) bis 5) zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz Beträge von 1) und 5) je 20  Euro, 2), 3) und 4) je 6 Euro, zusammen 58 Euro, ds jeweils 20 % der verhängten Strafe, als Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren zu leisten.

 

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 45 Abs.1 Z1 1. Alt. und 19 VStG

zu II.: §§ 64ff VStG

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurden über den Beschuldigten wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 18 Abs.1 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960, 2) §§ 22 Abs.2 iVm 99 Abs.3 lit.i StVO 1960, 3) §§ 9 Abs.1 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960, 4) §§ 11 Abs.3 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 , 5) §§ 21 Abs.1 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 und 6) §§ 9 Abs.1 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 Geldstrafen von 1) und 5) je 100 Euro (je 40 Stunden EFS), 2) , 3) und 4) je 30 Euro (je 12 Stunden EFS) und 6) 50 Euro (12 Stunden EFS) verhängt, weil er am 16. März 2007 gegen 5.35 Uhr den Kombi Chrysler Voyager X im Gemeindegebiet von Marchtrenk auf der B1 (Welser Straße) in Fahrtrichtung Linz gelenkt habe, wobei er

1) im Bereich des Objektes Welser Straße 53 als Lenker keinen solchen Abstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug eingehalten habe, dass ihm jederzeit das recht­zeitige Anhalten möglich gewesen wäre, und zwar auch dann, wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, da er bei einer Ge­schwin­dig­keit von ca 70 km/h lediglich einen Sicherheitsabstand von ca 5 m zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug eingehalten habe,

2) Schallzeichen abgegeben habe, obwohl dies die Sicherheit des Verkehrs nicht erfordert habe,

3) auf der B1 im Bereich ab Höhe AVANTI-Tankstelle bis Höhe BP-Tankstelle in östlicher Fahrtrichtung in verbotener Weise eine dort doppelt aufgebrachte Sperr­­linie überfahren habe,

4) als Lenker den Wechsel des Fahrtstreifens nicht mit den hiefür bestimmten, am Fahrzeug angebrachten Vorrichtungen (Fahrtrichtungsanzeiger/Blinker) ange­zeigt habe,

5) sein Fahrzeug jäh und überraschend für den Lenker des nachfolgenden Fahr­zeuges abgebremst habe, obwohl es die Verkehrssicherheit nicht erfordert habe und wodurch andere Straßenbenützer gefährdet worden seien, und

6) auf der B1 in Höhe von Strkm 203 verbotener Weise eine deutlich sichtbar angebrachte Sperrfläche überfahren habe.

Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 34 Euro auferlegt.

 

2. Dagegen hat der Berufungswerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Ver­wal­tungs­senat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro über­steigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsver­teilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 22. Oktober 2009 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Bw, seines Rechtsvertreters RA Mag. X, des Zeugen Meldungs­leger Insp. X (Ml) und des kfztechnischen Amtssachverständigen Dipl.HTL-Ing. X durchgeführt. Der Vertreter der Erstinstanz war entschuldigt. Auf die mündliche Verkündung der Berufungsent­scheidung wurde verzichtet.

 

3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, er habe bereits in der Stellungnahme vom 31.10.2007 darauf hingewiesen, dass er ein Fahrzeug, offenbar das des Ml, überholt habe. Dass er dabei eine Sperrlinie überfahren habe, könne er nicht ausschließen; allerdings gehe er davon aus, dass er das nicht getan habe, weil die Straße breit und ein Überholmanöver auch ohne Überfahren der Sperrlinie möglich sei. Das vor ihm befindliche Fahrzeug sei von der Zufahrt zur Fa Armstark knapp herausgefahren, sodass er abbremsen habe müssen. Dass er sich dann knapp hinter dem Pkw befunden habe, könne sein, das habe aber nicht an ihm gelegen. Dass sein Fahrzeug bei der Annäherung aus weiter Entfernung erkennbar gewesen sei, sei unmöglich, zumal sich der Vorfall auch im März um 5.35 Uhr ereignet habe. Er habe keine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Der Lenker des herausfahrenden Fahrzeuges habe langsam beschleunigt und sei sicher nicht mehr als 60 km/h gefahren, daher habe er überholt – gefahrlos, da die Straße leer gewesen sei. Der Vorwurf, er habe auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst, sei absurd. Er habe auch kein weiteres Überholmanöver in der Folge gestartet und sohin auch keine Sperrfläche befahren. Ein Abbremsen sei auch verkehrstechnisch nicht erforderlich gewesen. Er sei auch Rowdy. Als Monteur fahre er 30.000 km im Jahr, er sei Familien­vater und völlig unauffällig im Straßenverkehr. Die Unterstellung einer aggressi­ven oder gefährlichen Fahrweise durch den Ml sei mit tatsächlichen Gegeben­heiten nicht in Übereinstimmung zu bringen. Er habe auch die Hupe nicht betätigt, das habe sich der Ml aus den Fingern gesaugt.

In der Berufung führte der Bw weiter aus, er sei ca 70 km/h gefahren und habe sicher nicht "aus Jux und Tollerei" abgebremst. Den knappen Abstand habe nicht er zu verantworten, er habe auch keine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Der Ml habe seinen Vorrang verletzt. Die Erstinstanz habe den beantragten Ortsaugenschein nicht durchgeführt. Das knappe Herausfahren habe Hupzeichen gerechtfertigt, zumal der Ml seine Entfernung offenbar falsch eingeschätzt habe. Diesbezüglich wird die Einholung eines SV-Gutachtens beantragt. Es sei beim Überholen nicht erforderlich, die Sperrlinie zu überfahren. Dem Ml habe hier die Einsichtsmöglichkeit gefehlt, ebenso beim Vorwurf des Nichtblinkens. Er habe auch nicht ohne Notwendigkeit gebremst. Der Ml habe sich beleidigt gefühlt, weil er ihn angehupt habe, und versuche nun, ihm alle möglichen Verwaltungsüber­tretungen anzulasten. Beantragt wird Verfahrenseinstellung, in eventu Strafher­ab­setzung, weil die Straße menschenleer gewesen sei und die Strafen überzogen seien.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der der Bw und sein rechtsfreundlicher Vertreter gehört, die Ausführungen der Erstinstanz in der Begründung des ange­fochtenen Straferkenntnisses berücksichtigt und der Ml zeugenschaftlich unter Hinweis auf die Wahrheitspflicht des § 289 StGB einvernommen wurde. Auf dieser Grundlage hat der Amts-SV anhand der DORIS-Fotos vom genannten Abschnitt der B1 ein kfztechnisches Gutachten erstellt.

 

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der Ml fuhr am Freitag, dem 16. März 2007, gegen 5.35 Uhr mit seinem Pkw, einem VW Golf, in Marchtrenk von der benachrangten Fichtenstraße kommend nach rechts in Richtung Linz auf die B1 Welser Straße, nachdem er ein einzelnes beleuchtetes Fahrzeug bei der An­näherung von der "Spar­kreuzung" an seinen Standort erkannt und den Abstand als ausreichend zum Einbiegen und Beschleu­nigen auf die erlaubten 70 km/h eingeschätzt hatte. Er beschleunigte nach eigenen Angaben auch auf ca 60 bis 70 km/h und erkannte im Rückspiegel, dass das nachkommende Fahrzeug rasch auf seines aufschloss. Der vom Bw gelenkte Pkw schloss laut Ml etwa 150m nach dem Einbiegen des Ml im Bereich der Zufahrt zur Tankstelle, Welser Straße 53, auf den Pkw auf und hielt einen solchen Abstand ein, dass der Ml, wie er in der Berufungs­verhandlung darlegte, für kurze Zeit hinter sich kein Licht mehr sehen konnte. Dann scherte er aus, überholte den Pkw des Ml, der nach eigenen Aussagen eine Fahrlinie in der Mitte seines Fahr­streifens einhielt, so, dass er die dort vorhandene doppelte Sperrlinie überfuhr, hupte ein- oder zweimal und ordnete sich dann, allerdings nicht wegen Gegenverkehr, relativ knapp und ohne zu blinken vor dem Pkw des Ml rechts ein und bremste sein Fahrzeug sofort stark ab, was den Ml zu einer Bremsung fast bis zum Stillstand seines Pkw veranlasste. Dann fuhr der Bw weiter in Richtung Linz, wobei er laut Ml im Bereich der Sperrfläche bei km 203.000 einen in Richtung Linz fahrenden Pkw überholte.

 

In der Verhandlung gab der Bw an, die Anzeigeerstattung habe ihn damals schon überrascht, weil er sich an nichts besonderes habe erinnern können. Er sei damals für ca  1,5 Jahre von Pichl bei Wels nach Linz in die Arbeit gefahren, immer um ca 5.30 Uhr, ohne es besonders eilig zu haben. Seine Lenkerauskunft vom 22.4.2007 sei richtig. Er könne sich zwar erinnern, dass da jemand knapp herausgefahren sei, möglicherweise habe er den Lenker angehupt und danach überholt. Um diese Zeit sei vom Verkehrsaufkommen her dort nichts los gewesen, der Verkehr habe erst ab der Traunerkreuzung begonnen. Er habe keine Erinnerung an irgend­welche Besonderheiten, insbesondere ein derartiges Bremsmanöver. Dort sei auf der zweispurigen Straße mit doppelter Sperrlinie in der Mitte eine 70 km/h-Beschränkung und man könne dort auf der breiten Fahrspur auch überholen, ohne die Sperrlinie zu über­fahren.   

 

Der Ml  legte in der Verhandlung näher dar, dass das Fahrzeug des Bw, wie er an dessen Lichtkegel etwa im Bereich bei km 203.400 erkannt habe, von der Spar­kreuzung alleine dahergekommen sei; ob der Pkw bei der dortigen Ampel aus dem Stillstand weggefahren sei oder die Kreuzung ohne anzuhalten durchfahren habe, konnte er nicht sagen. Das Aufschließen habe bei der Tankstelleneinfahrt, das Abbremsen schätzungsweise bei der Tankstellen­ausfahrt stattgefunden, dieses Überholmanöver sei sehr schnell gegangen. Für einen kurzen Zeitraum habe der Lenker so knapp aufgeschlossen, dass hinter ihm kein Licht mehr zu sehen gewesen sei. Er habe nicht den Eindruck gehabt, den Lenker durch sein Ein­biegen auf die B1 zum Abbremsen genötigt zu haben. Nach dem Einordnen sei das Fahrzeug vor ihm tatsächlich abgebremst worden, es hätten nicht nur die Bremslichter geleuchtet. Er habe noch gedacht, dass das, wenn man da nicht rechtzeitig reagiere oder der Sicherheitsabstand gering sei, gefährlich sei. So etwas sei ihm noch nie passiert. Ihm sei aufgefallen, dass der Lenker sich, ohne den beabsichtigten Vorgang anzuzeigen, knapp vor ihm wieder eingeordnet habe. Er sei abrupt zur Bremsung bis auf Schrittgeschwindigkeit gezwungen gewesen; das sei beim Beschleuni­gungs­streifen von der Tankstellenausfahrt gewesen, als er auf ca 60 bis 70 km/h beschleunigt gehabt habe. Nach dem Abbremsen sei er vom 1. Gang aus weiter-, aber diesem Pkw nicht mehr nachgefahren, und habe das Kennzeichen abgelesen und sich zur Anzeige entschlossen. Später habe der Lenker dort, wo die doppelte Sperrlinie in eine Sperrfläche übergehe, einen langsameren in Richtung Linz fahrenden Pkw überholt.

 

Anhand der DORIS-Fotos vom genannten Abschnitt der B1 wurde der Vorfall sowohl aus der Sicht des Bw als auch des Ml vom AmtsSV nachvollzogen und örtlich zugeordnet, weshalb der Bw auch auf den ursprünglich beantragten Ortsaugenschein verzichtete.

Der SV ermittelte die Entfernung zwischen der Spar- und der Kreuzung Fichten­straße/B1 mit 230 m. Zur Geschwindigkeit des herannahen­den Fahrzeuges konnte er nichts sagen und erachtete für den Pkw des Bw sowohl eine dort erlaubte Geschwindigkeit von 70 km/h als auch eine hohe Geschwindig­keit für möglich. Die Aussage des Ml, dass er, wenn er in Schrittgeschwindigkeit nach rechts eingebogen sei, innerhalb von 150 m auf 60 bis 70 km/h beschleu­nigt habe, sei technisch nachvollziehbar, das seien etwa 8 oder 9 Sekunden.

Den Tiefenabstand beim Hintereinanderfahren, wenn der vordere Lenker nur mehr die Scheinwerfer des hinteren Fahrzeuges sieht, hat der SV nach eigenen Fahrversuchen mit 4 - 6 m eingegrenzt und ausgeführt, dass bei 70 km/h der Sekunden­abstand bei 6 m 0,3 Sekunden beträgt, dh bei einer zugrundezulegenden Reaktionszeit von 0,45 Sekunden wäre hier ein Auffahrunfall bei einer Notbremsung mit hoher Wahrscheinlichkeit unvermeidlich.

Die für den Überholvorgang zur Verfügung stehende Fahrbahnbreite einer Rich­tungs­fahrbahn wurde mit 5,60 m ausgemessen, wobei der SV ausführte, dass, wenn tatsächlich der überholte Lenker bei einer Fahrzeugbreite von 1,70 m und einem Seitenabstand zum Überholer von 1 m auch einen Abstand von 1 m zum rechten Fahrbahnrand einhält, ein Überholen innerhalb der doppelten Sperrlinie möglich ist.

Zum vom Ml beschriebenen Bremsmanöver führte der SV aus, dass der Lenker des hinten fahrenden Fahrzeuges nur ein Aufleuchten der Bremslichter erkennen kann, allerdings ohne zu wissen, wie stark und wie lange das vordere Fahrzeug abgebremst wird, dh bei einer Geschwindigkeit von ca 70 km/h bei 5 bis 6m Abstand nach dem Einordnen ist die Einleitung einer Notbremsung bis zum Stillstand nachvollziehbar und nicht auszuschließen, da dem hinteren Lenker das Ausmaß der abzubauenden Geschwindigkeitsdifferenz unbekannt ist. Auch wenn es im ggst Fall nicht zu einem Auffahrunfall tatsächlich gekommen sei, hat der SV eine Notbremsung für nach­voll­ziehbar erachtet, weil ein Langsamerwerden allein nicht für die Verhinderung eines Auffahrunfalls ausreiche; das hintere Fahrzeug muss ohne Zweifel weit stärker abgebremst werden, auch wenn das vordere Fahrzeug nur gering oder mäßig abgebremst wird.           

Zur Nachvollziehbarkeit einer Zeit-Weg-Berechnung nach einem Abbremsen des Ml bis zum Stillstand und dann Beschleunigung bis zur Sperrfläche und Überholen eines dort fahrenden Pkw war dem SV keine Aussage möglich, weil von einem bei km 203 überholten Fahrzeug keinerlei Daten vorliegen. Der Weg vom Abbremsort bis zur Sperrfläche wurde mit 308 m ausgemessen

 

Aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates waren die Aussagen des Ml zum einen technisch nachvollziehbar hinsichtlich des Aufschließens des Bw während der Beschleunigung des Ml, des Nachfahrabstandes, der Überholfahrlinie und des Abbremsens unmittelbar nach dem Wiedereinordnen. Für die Annahme einer Vorrangverletzung durch den Ml lag hingegen kein Anhaltspunkt vor, zumal es einem zum einen von der Sparkreuzung kommenden Lenker auf 230 m in 8 bzw 9 Sekunden bei Dunkelheit (16.3., 5.35 Uhr) schon anhand des Lichtkegels beim einbiegenden Fahrzeug möglich ist, sich auf ein einbiegendes Fahrzeug einzustellen und umgekehrt ein benachrangter Lenker auf 203 m in der Lage ist, die Entfernung eines beleuchteten Fahrzeuges auf der bevorrangten Straße annähernd ein­schätzen zu können. Von einer Nötigung zu unvermitteltem Abbremsen war daher nicht auszugehen.

Die Aussagen des Ml sind glaubwürdig, zumal dieser auch in der Verhandlung seine Überlegungen, die für die Anzeigeerstattung maßgebend waren, schlüssig und verständlich darlegte. Dass ein Lenker sich bemüßigt fühlt, einem seiner Ansicht nach "knapp" einbiegenden Lenker seine Meinung mit den ihm zur Ver­fügung stehenden Möglichkeiten klarzumachen, ist nicht zu vergleichen mit dem Fahrverhalten des Bw, der nicht nur nach Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von unter 0,3 Sekunden einen derart knappen Überholvorgang durchführte, sondern sich auch noch dazu hinreißen ließ, den Ml durch völlig unnötiges und wohl im Sinne einer "erzieherischen Maßnahme" gedachtes Bremsmanöver zu einer Notbremsung fast bis zum Stillstand zu veranlassen. Da es sich aber beim Über­holten im ggst Fall um einen Polizeibeamten auf dem Weg zum Dienst handelte, bei dem die Hemmschwelle für die Erstattung einer Anzeige, wohl auch aufgrund von Berufserfahrung bei solchen Dingen, niedriger liegen dürfte als bei einem Lenker, der sich angesichts zu erwartender zeitraubender Behördengänge im Fall einer Anzeige vermutlich eher entschließt, seinen Ärger hinunterzu­schlucken als tatsächlich einen ihm unbekannten Überholer anzuzeigen, hat der Bw, der in der Verhandlung betonte, der Vorfall sei für ihn nicht so außer­gewöhnlich gewesen, wohl nicht damit gerechnet, dass der Ml sich die Einzel­heiten schon berufsbedingt weit dezidierter gemerkt hat. Die mangels Erinnerung nur pauschal bestreitenden Aussagen des Bw waren insgesamt nicht geeignet, die Glaub­würdigkeit des ihm persönlich völlig unbekannten Ml in Zweifel zu ziehen.

 

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Zu Punkt 1) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 18 Abs.1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand zum nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

 

Nach den glaubwürdigen Aussagen des Ml hielt der Bw beim Aufschließen auf das Fahrzeug des Ml einen solchen Abstand ein, dass dieser kein Licht mehr hinter sich sah, was unter Zugrundelegung der Berechnungen des SV einen gerin­geren Abstand als 6 m bedeutet, sodass angesichts des bei 60 km/h 16,6 m, bei 70 km/h 19,4 m betragenden Sekundenabstandes kein Zweifel besteht, dass der Bw den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Ver­waltungs­übertretung zu verantworten hat. Es war auch keine Spruchänderung erforderlich und durch den wesentlich günstigeren Strafrahmen des § 99 Abs.3 lit.a StVO ist der Bw nicht beschwert.

 

Zu Punkt 2) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 22 Abs.2 StVO 1960 ist die Abgabe von Schallzeichen unbeschadet der – hier nicht geltenden – Bestimmungen über das Hupverbot verboten, wenn es die Sicherheit des Verkehrs nicht erfordert.

 

Das vom Ml beim Überholvorgang etwa auf gleicher Höhe mit dem Pkw des Bw wahrgenommene und  in der Verhandlung glaubhaft geschilderte Anhupen war bei der gegebenen Verkehrssituation nicht im Lichte der Verkehrssicherheit zu sehen, sondern als Hinweis auf den Unmut des Bw, der sohin zweifelsfrei auch diesen Tatbestand erfüllt und, da ihm die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs.1 VStG diesbezüglich nicht gelungen ist, als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat.

 

 

Zu den Punkten 3) und 6) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 9 Abs.1 StVO 1960 dürfen Sperrlinien nicht überfahren, Sperrflächen nicht befahren werden.

 

Die in Rede stehende doppelte Sperrlinie von km 203.158 bis 203.465 der B1 wurde ebenso wie die von km 202.947 bis 203.026 reichende Sperrfläche mit der in der Verhandlung erörterten Verordnung des Bezirkshauptmannes von Wels-Land vom 29.9.1994, VerkR-10-5-70-1994, verordnet, wobei die Kundmachung auch auf den im Akt befindlichen Lichtbildern als einwandfrei erkannt wurde.

Es ist definitiv theoretisch möglich, ohne Überfahren der doppelten Sperrlinie im Bereich zwischen Einfahrt und Ausfahrt der dortigen Tankstelle zu überholen. Die Glaubwürdigkeit des Ml, der überzeugend dargelegt hat, zur Vorfallszeit in der Mitte seines Fahrstreifens gefahren zu sein, zumal um diese Zeit schwaches Verkehrsaufkommen und kein Gegenverkehr herrschte, war aber nicht anzu­zweifeln. Damit ergibt sich zwingend das Überfahren der doppelten Sperrlinie beim Überholen, zumal bei einem Fahrstreifen mit 5,60 m Breite bei 1,70 m Fahrzeugbreite für das Fahrzeug des überholenden Pkw bei ca 1 m Überhol­seiten­abstand nur mehr ca 1 m Fahrstreifenbreite diesseits der doppelten Sperrlinie verblieben wäre. Der Bw hat somit mangels Glaub­haft­machung mangelnden Verschuldens auch diesen Tatbestand als Verwaltungs­übertretung zu verantworten.

 

Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens hat der Bw nach dem Bremsvorgang die Fahrt nicht aus dem Stillstand fortgesetzt, sondern unter Mitnahme einer unbekannten Restgeschwindigkeit erneut beschleunigt, während der Ml nach dem Fast-Stillstand seines Fahrzeuges zwar das Kennzeichen des überholenden Pkw ablas, danach aber weniger stark beschleunigte und beim Nachfahren in offenbar größer werdendem Abstand in der Entfernung wahrnahm, dass der Bw erneut ein etwa im Bereich von km 203 in Richtung Linz fahrendes Fahrzeug überholte. Wo er sich zum Zeitpunkt seiner Wahrnehmung mit welcher Geschwindigkeit und welcher Sicht auf den Pkw des Bw befand, konnte in der Verhandlung nicht eruiert werden. Da somit eine uneingeschränkte Sicht des Ml auf die Örtlichkeit dieses (dem Grunde nach nicht bezweifelten) Überholmanövers nicht mit der für ein Verwaltungsstrafver­fahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte, war im Zweifel zugunsten des Bw spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu Punkt 4) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 11 Abs.3 StVO 1960 ist die Änderung der Fahrtrichtung oder der Wechsel des Fahrstreifens mit den hiefür bestimmten, am Fahrzeug ange­brachten Vorrichtungen anzuzeigen.

Der Ml hat glaubhaft angegeben, der Bw habe sich nach dem Überholen seines Pkw ohne zu blinken knapp vor seinem Pkw eingeordnet. Der Bw vermochte dem außer einer pauschalen Bestreitung nichts entgegenzusetzen. Dabei ist gerade in einem solchen Fall die Unterlassung des Betätigens des rechten Blinkers für den in seiner Sitzposition unmittelbar neben dem überholenden Fahrzeug befindlichen überholten Lenker besonders auffällig, weil dieser zwar, insbesondere auf einer Freilandstraße, je nach Gegenverkehr mit dem mehr oder weniger raschen Wieder­einordnen rechnet; jedoch stellt ein knappes Wiederein­ordnen ohne jeg­licher Anzeige dieses Vorhabens ein besonders überraschendes Fahrmanöver dar, das vom Bw vermutlich "aus erzieherischen Gründen" so beabsichtigt war. Aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates besteht auch in diesem Punkt kein Zweifel, dass der Bw den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat, zumal auch hier von einer Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens keine Rede sein kann.

 

Zu Punkt 5) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 21 Abs.1 StVO 1960 darf der Lenker das Fahrzeug nicht jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend abbremsen, wenn andere Straßenbenützer dadurch gefährdet oder behindert werden, es sei denn, dass es die Verkehrsicherheit erfordert.

 

Der Ml hat überzeugend und glaubwürdig dargelegt, der Bw habe nach dem knappen Wiedereinordnen sofort abgebremst, dh nicht nur kurz die Bremslichter aufleuchten lassen, sondern tat­sächlich die Fahrgeschwindigkeit erheblich ver­lang­samt, wobei dieses Fahrver­halten in seiner Stärke und Intensität weder irgend­wie voraussehbar noch vom Verkehrsgeschehen her erforderlich gewesen sei. Hätte er sich nicht sofort zu einer Notbremsung bis zum Fast-Still­stand seines Fahrzeuges entschlossen und einen entsprechenden Sicherheits­abstand hergestellt, hätte unweigerlich die Gefahr eines Auffahrunfalls bestanden.

Das vom Bw eingewandte Argument einer gar nicht erforderlichen bzw über­schießenden Notbremsung hat der SV in der Verhandlung schlüssig und nach­vollziehbar widerlegt. Aus dem Verkehrsgeschehen ist diese Bremsung des Bw in keiner Weise erklärbar, zumal zu diesem Zeitpunkt weder ein Fahrzeug vor dem des Bw fuhr noch Gegenverkehr überhaupt vorhanden war. Die Verkehrs­sicher­heit war daher mit Sicherheit nicht der Anlass für das zweifellos den Ml gefährdende, mit Argumenten der Vernunft nicht erklärbare Fahrverhalten des Bw, der damit ein über eine Unmutsäußerung hinausgehendes, auch emotionell nicht mehr argu­mentier­bares und unter erwachsenen Menschen inakzeptables Verhalten offenbar mit dem Willen, es "dem (ihm völlig unbekannten Lenker) zu zeigen", dh vorsätzlich in Form der Absichtlichkeit, gesetzt hat.

Er hat daher zweifellos auch diesen Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten.

 

 

Zur Strafbemessung in den Punkten 1) bis 5):

Der Strafrahmen des § 99 Abs.3 StVO 1960 reicht bis 726 Euro Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit bis 2 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe.

Die Erstinstanz ging laut Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses mangels Angaben des Bw von einem Einkommen von 1.500 Euro beim Fehlen von Vermögen und Sorge­pflichten (trotz der Aussage des Bw, er sei  "Familien­vater") aus, nahm die gefährdende Fahrweise als straferschwerenden Umstand an und verwies im Sinne einer Wertung als Fehlen der Unbescholtenheit als Milderungsgrund auf ein ähnlich gelagertes Verfahren, bei dem der Bw ebenfalls von einer Privatperson wegen seines Fahrverhaltens angezeigt und bestraft worden war.

Aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates war die Strafe neu zu bemessen auf der Grundlage der vom Bw nunmehr in der Berufungsverhandlung dar­gelegten finanziellen Verhältnisse (Einkommen 2000 Euro, Sorgepflichten für Gattin und zwei Kinder), sowie der inzwischen vergangenen Zeit und der als überlang anzusehenden Verfahrens­dauer ebenso wie der inzwischen bestehenden Unbescholtenheit (Vormerkungen wegen §§ 22 Abs.1 und 11 Abs.2 StVO auf­grund von Privatanzeigen stammen aus dem Jahr 2008 ebenso wie die nach­folgenden Vormerkungen wegen Alkohol und Fahrerflucht) als Milderungs­grund sowie der Häufung der offensichtlich vorsätzlich begangenen Übertretungen als straferschwerend. Die Gefährdung im Punkt 5) ist Teil des Tatbestandes; hingegen ist der, wenn auch nur kurze, Nach­fahrabstand von 5 m im Punkt 1) trotz Heranziehung des ohnehin für den Bw äußerst günstigen Strafrahmens des § 99 Abs.3 StVO erschwerend zu werten.     

 

In der Zusammenschau vermag der Unabhängige Verwaltungssenat auf der Grund­lage der Bestimmung des § 19 VStG keine sach­lich vertretbaren Argu­mente für eine auch nur geringfügige Herabsetzung der ohnehin im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens liegenden Strafen (Punkte 1) und 5) je 100 Euro/40 Stunden EFS, ansonsten je 30 Euro/12 Stunden EFS) zu finden. Die Strafen sind dem Unrechts- und Schuldgehalt der jeweiligen Übertretung angemessen, halten general- und vor allem spezialpräventiven Überlegungen stand und sind nicht geeignet, den Unterhalt des Bw oder von Personen, denen er Unterhalt schuldet, zu gefähr­den.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­ge­richtshof erhoben werden; diese ist - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Mag. Bissenberger

 

 

Beschlagwortung:

Beweisverfahren ergab Glaubwürdigkeit des Anzeigers -> bestätigt, Punkt 6 nicht nachvollziehbar -> Einstellung

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VwGH vom 19.03.2010, Zl.: 2010/02/0017-6

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