Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231029/5/SR/Eg/La

Linz, 17.11.2009

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, X, X, vertreten durch Rechtsanwalt X, X, X, X, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 22. Dezember 2008, GZ II/S-21.718/08-2 SE, wegen einer Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes zu Recht erkannt:

I.                  Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.

II.              Der Berufungswerber hat einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 20 % der Geldstrafe, d.s. 16 Euro zu entrichten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 22. Dezember 2008, GZ II/S-21.718/08-2 SE, wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Wie von Polizeibeamten am 22.05.2008 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 18.04.2008 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

 

Dadurch habe der Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31/1 Z. 2-4 u. 6 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 80 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden, verhängt.

Begründend wurde dazu von der belangten Behörde ausgeführt, dass die angelastete Verwaltungsübertretung auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen des einschreitenden Beamten des Stadtpolizeikommandos Linz, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 25. Mai 2008, sowie des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei als erwiesen anzusehen sei.

Der Beschuldigte sei Fremder im Sinne des Fremdengesetzes und verfüge über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz. Weiters sei der Beschuldigte nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungsbewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfüllte er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Darüber hinaus sei vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz mit Bescheid vom 14. Juli 2006 ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschuldigten erlassen worden, das am 17. April 2008 rechtskräftig und somit durchsetzbar geworden sei.

Zu dem vom Beschuldigten angeführten Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/1980 sei anzuführen, dass dieser lediglich die beschäftigungsrechtliche Stellung eines türkischen Staatsbürgers hinsichtlich des Zuganges zum Arbeitsmarkt in Österreich regle und keinerlei aufenthaltsrechtlichen Status herbeizuführen vermöge. Im Übrigen habe er selbst festgestellt, dass er lediglich um Verlängerung seines Aufenthaltstitels angesucht habe und darüber noch keine Entscheidung ergangen sei. Damit habe er selbst eingeräumt, nicht im Besitz einer entsprechenden Aufenthaltsberechtigung zu sein.

Für die erkennende Behörde stehe daher fest, dass sich der Beschuldigte tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des Fremdengesetzes verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516, ua.).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Mildernd sei die bisherige Unbescholtenheit gewertet worden, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien ebenfalls beachtet worden.

2. Gegen dieses dem Rechtsvertreter des Bw am 8. Jänner 2009 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 23. Jänner 2009 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene nachstehende Berufung:

 

Der Bescheid wird im vollen Umfang angefochten.

 

1. Allgemeine Vorbemerkungen

 

Der Beschuldigte ist aufgrund von drei voneinander unabhängigen Titeln in Österreich aufenthaltsberechtigt. Er kann deswegen niemals unerlaubt in Österreich aufhältig sein.

 

Als Ex-Ehegatte einer Österreicherin nach langjähriger Ehe, als assoziationsintegrierter marokkanischer Arbeitnehmer und als langfristig aufhältiger Arbeitnehmer nach der Richtlinie 2003/109 hat er einen Rechtsanspruch auf Aufenthaltsnahme in Österreich und auf Inlandsantragstellung hinsichtlich der Verlängerung des - nur deklaratorisch wirkenden - Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts welcher Rechtsform auch immer.

 

Grundsätzlich kann sich das Aufenthaltsrecht und das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt auf Gemeinschaftsrecht (inklusive der Angehörigen von Unionsbürgern), auf Assoziationsrecht (zB Mittelmeerassoziation) oder auf "normales" österreichisches Recht stützen.

 

In jedem Fall besteht ein Rechtstitel unabhängig vom anderen. Es müssten also alle drei Rechtsgrundlagen zu verneinen sein, um für den Beschuldigten dieses Recht zu verneinen.

 

Nationale Eingriffe in diese Rechte sind wiederum nur im Rahmen gemeinschaftsrechtlich eingeräumter Spielräume unter den Voraussetzungen des österreichischen Rechts zulässig.

Im Beschluss vom 01 Oktober 2001, G 24/01-6, G 223/01-8, hat der Verfassungsgerichtshof folgende über den Einzelfall hinausführende fundamentale Aussagen getroffen (Rechtssatz laut RIS):

 

Es obliegt dem Verfassungsgerichtshof, den Vorrang des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts vor dem damit konfligierenden innerstaatlichen Recht - Offenkundigkeit vorausgesetzt - in jedem Stadium des Verfahrens wahrzunehmen (vgl. VfSlg, 15.368/1998).

 

Unmittelbare Wirkung des Art 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr 1/1980 (= ARB).

 

Ist nach dem nationalen Recht vorgesehen, daß für die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen ein behördliches Dokument zu erwirken ist, so ist diesem für die Anerkennung der aus dem ARB Nr 1/1980 erfließenden subjektiven Rechte lediglich "deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion" beizumessen.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH erfließen aus der Dienstleistungsfreiheit (Art49 ff EG) und aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art39 ff EG) sowohl für den Dienstleistenden (Arbeitnehmer) als auch für den Empfänger der Dienstleistung (Arbeitgeber) subjektive Rechte, die von diesen Personen je und je geltend gemacht werden können.

 

Personen, die als Arbeitgeber türkische Staatsangehörige beschäftigen, werden daher durch Art7 ARB Nr 1/1980 in jenem Umfang, in dem die begünstigten türkischen Staatsangehörigen daraus für sich subjektive Rechte herleiten können, ebenfalls unmittelbar berechtigt.

 

Es ist den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, für die - an sich erlaubte - Beschäftigung türkischer Staatsangehöriger, die von den Art6 und 7 ARB Nr 1/1980 erfaßt sind, Pflichten zu normieren, die Verwaltungserfordernissen entsprechen. Einem derartigen "Verwaltungserfordernis" entspricht zweifellos auch die - im vorliegenden Fall in Rede stehende - Pflicht des Arbeitgebers, für die Beschäftigung eines begünstigten türkischen Staatsangehörigen eine Beschäftigungsbewilligung bzw. einen Befreiungsschein beizubringen.

 

Das Gemeinschaftsrecht verbietet es also den Mitgliedstaaten nicht, für die Ausübung der durch den ARB Nr 3/1980 eingeräumten Freizügigkeitsrechte Ordnungsvorschriften zu erlassen und deren Verstoß mit Verwaltungsstrafsanktion zu belegen. Davon, daß die bekämpfte Verwaltungstrafnorm unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht offenkundig widerspräche und aus diesem Grund nicht als Gegenstand eines Gesetzesprüfungsantrags in Frage käme, kann jedenfalls keine Rede sein. Die Anträge des UVS auf Aufhebung von Teilen des §28 Abs1 Z1 lit a AuslBG erweisen sich somit unter diesem Gesichtspunkt als zulässig.

 

Zurückweisung der Anträge mangels Präjudizialität.

 

§28 Abs1 Z1 AuslBG normiert ausdrücklich, dass lediglich die unberechtigte Beschäftigung von Ausländern verwaltungsstrafsanktioniert sei. Die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen, der alle Erfordernisse des Art6 oder 7 ARB Nr 1/1980 erfüllt, kann keinesfalls als "unberechtigt" oder "illegal" in dem Sinn bezeichnet werden, daß es an einem konstitutiv wirkenden Beschäftigungstitel fehlen würde. Es handelt sich dabei vielmehr um eine gemeinschaftsrechtlich erlaubte Beschäftigung, unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht hiefür - Verwaltungserfordernissen dienende und insofern grundsätzlich unbedenkliche - Ordnungsvorschriften vorsieht.

 

Die in den Anlaßverfahren vor dem UVS inkriminierten Beschäftigungen türkischer Staatsangehöriger waren ganz offenkundig nicht "unberechtigt" iS des §28 Absl Z1 AuslBG. Aus diesem Grund wäre es geradezu denkunmöglich, das den Berufungswerbern zur Last gelegte Verhalten unter diese Strafnorm zu subsumieren. Da §28 Abs1 Z1 AuslBG - dem unzweideutigen Gesetzeswortlaut nach - ausschließlich Fälle einer "unberechtigten" Beschäftigung zu erfassen sucht, ist es auch nicht möglich, diese Bestimmung in Fällen wie den vorliegenden (bloß) als Verwaltungsstrafsanktion für Verstöße gegen eine "Ordnungsvorschrift" - nämlich jene, für die Beschäftigung von gemeinschaftsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen die in §4c AuslBG vorgesehenen Bescheinigungen beizubringen - zu deuten.

 

Um den Kernsatz noch einmal auf diesen Fall umgelegt zu wiederholen:

 

Der Aufenthalt eines [assoziationsintegrierten Arbeitnehmers], der alle Erfordernisse des [Assoziationsrechts] erfüllt, kann keinesfalls als "unberechtigt" oder "illegal" in dem Sinn bezeichnet werden, dass es an einem konstitutiv wirkenden Aufenthaltstitel fehlen würde. Es handelt sich dabei vielmehr um einen gemeinschaftsrechtlich erlaubten Aufenthalt, unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht hiefür - Verwaltungserfordernissen dienende und insofern grundsätzlich unbedenkliche - Ordnungsvorschriften vorsieht.

 

Ein aus Gemeinschaftsrecht ableitbarer Aufenthaltsanspruch besteht demnach autonom, behördliche Entscheidungen darüber haben nur deklaratorischen Charakter.

 

Alle Bestimmungen haben außer Anwendung zu bleiben, die von entgegenstehendem Gemeinschaftsrecht verdrängt werden.

 

Wo eine Entscheidung über ein Aufenthalts- oder Beschäftigungsrecht nur deklaratorisch ist, kann es nicht erst durch die behördliche Bewilligung konstitutiv erteilt werden.

 

Die angewendete Strafnorm ist daher im vorliegenden Fall unanwendbar.

 

2. Zu den aus Gemeinschaftsrecht ableitbaren Ansprüchen

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sind alle Rechtsnormen des Gemeinschaftsrechts so anzuwenden, dass sie den Gemeinschaftsrecht maximale Wirkung geben (zB EuGH Urteil Eroglu vom 5.10.1994, Rs. C-355/93).

 

In Kombination mit dem nur deklaratorischen Charakter von behördlichen Entscheidungen über gemeinschaftsrechtliche Aufenthalts- und Beschäftigungsrechte ergibt dies, dass die Behörden nicht nach dem "Hauptmann von Köpenick" System jonglieren dürfen, wie dies Österreich zur - allerdings nur scheinbar - unerreichten Meisterschaft perfektioniert hat.

 

Wer die Kriterien des Art. 13 RL 2004/0038 erfüllt, hat einen Rechtsanspruch auf Aufenthalt und Beschäftigung.

 

Der Beschuldigte hat jedenfalls rechtzeitig um Verlängerung seines Aufenthaltsrechts angesucht, bei der damals für ihn zuständigen Fremdenpolizeibehörde.

 

Mit anderen Worten, der Beschuldigte hat einen Rechtsanspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung, über den er eine Entscheidung fristgerecht beantragt hat, die Entscheidung selbst ist aber noch nicht gefallen.

 

3. Zur Mittelmeer Assoziation

 

Der grundlegende Unterschied zwischen der Unionsbürgerschaft und einem Assoziationsstatus besteht mutatis mutandis nach allen Assoziationsabkommen in zwei grundsätzlichen Elementen:

 

Ein Assoziationsabkommen garantiert in der Regel keine im weiteren Sinne verstandene Niederlassungsfreiheit. Ein Arbeitnehmer oder Arbeitgeber kann trotz Assoziationsabkommens nicht beliebig einreisen und sich hier niederlassen, wie dies nach Gemeinschaftsrecht einem Unionsbürger garantiert ist.

 

Der zweite Unterschied besteht in der fehlenden Garantie des assoziationsbegünstigten Drittstaatsangehörigen, seine Familie nachkommen zu lassen.

 

Wenn ein Arbeitnehmer aber einmal Assoziationsstatus erreicht hat, genießt er nach allen Abkommen mit Assoziationsstatus Gleichbehandlungsanspruch.

 

Im Urteil vom 11.5.2000, Rs. C-37/98, X, hat der Europäische Gerichtshof - soweit ersichtlich erstmals - ausgesprochen, dass nach Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Ankaraabkommen die Einführung neuer nationaler Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des Aufenthaltsrechts unzulässig seien.

 

Im Urteil X und X vom 21.10.2003, Rs. C-317/01 bzw. C-369/01, hat der Europäische Gerichtshof neuerlich Verschlechterungen des inländischen Rechts, diesfalls im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit, für gemeinschaftsrechtswidrig befunden.

 

Schlussendlich hat der Europäische Gerichtshof im Urteil X und X vom 20.9.2007, Rs. C-16/05, ausdrücklich ausgesprochen, dass neue inländische Beschränkungen der Ausübung der Niederlassungsfreiheit unzulässig seien.

 

Es ist also vollkommen klar: Art. 41 des ZP zum Ankaraabkommen verbietet jede Ver­schlechterung der innerstaatlichen Rechtslage. Da auch der Berufungswerber assoziationsbegünstigter Arbeitnehmer ist, sind die gesamten vom angefochtenen Bescheid zitierten Rechtsgrundlagen wegen Unvereinbarkeit mit der stand-still-Verpflichtung unwirksam.

 

Der Berufungswerber (Arbeitnehmer) ist auch assoziationsintegriert: Seinerzeit hat der Europäische Gerichtshof judiziert, dass das damalige Kooperationsabkommen mit Marokko eine geringere Zielsetzung verfolge als das Assoziationsabkommen mit der Türkei. Diese Ausführungen lassen sich allerdings nicht mehr aufrecht erhalten, seit Marokko mit der Europäischen Gemeinschaft ein ausdrückliches Assoziationsabkommen abgeschlossen hat, das "Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits" (ABl. 18.3.2000, L 70/2).

 

Damit ist klargestellt, dass der Berufungswerber, der mehr als zehn Jahre legal in Österreich aufhältig war, auch durch ein Assoziationsabkommen begünstigt ist.

 

Der angefochtene Bescheid verkennt schließlich, dass der Berufungswerber die Kriterien der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtstellung des langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen erfüllt.

 

Nach Art. 4 der Richtlinie genießen Drittstaatsangehörigen Langaufenthalterstatus, wenn sie fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhältig waren. Der Berufungswerber ist mehr als 10 Jahre legal hier aufhältig, erfüllt die Wartefrist also mehr doppelt und damit aufenthaltsberechtigt.

 

Im Urteil X vom 25. Juli 2008, Rs. C-127/08, hat der Europäische Gerichtshof mit letzter Klarheit ausgesprochen, dass jede Verschlechterung des gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrechts unzulässig ist. Der EG-Vertrag bezwecke eine zunehmende Beseitigung von Mobilitätshindernissen, weshalb jede Art von Rückschritt unzulässig sei.

 

Der Gerichtshof stützt sich in Randnummer 59 dieses Urteils ausdrücklich auch auf Erwä­gungsgrund 3 der RL 2004/38, die Freizügigkeitsrechte zu vereinfachen und zu stärken,

sodass es nicht in Betracht kommt, dass die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten als aus den Sekundärrechtsakten, die sie ändert oder aufhebt.

 

 

Der Beschuldigte hat auch bereits einen entsprechenden Titel für seinen weiteren Aufenthalt in Österreich beantragt. Das Verfahren darüber ist wegen des Verfahrens 2008/21/0015 und 0016 des Verwaltungsgerichtshofs ausgesetzt.

 

Der Beschuldigte ist sohin aufenthaltsberechtigt in Österreich. Er kann daher nicht aus diesem Titel gegen das Fremdenpolizeigesetz verstoßen haben. Das Verfahren wird daher einzustellen sein.

 

4. Antrag

 

Es wird daher beantragt,

1. eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und den Beschuldigten persönlich zu hören,

2. das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

3. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, GZ II/S-21.718/08-2 SE samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 17. November 2009 zurückgezogen worden ist und lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer solchen abgesehen werden.

3.1. Aufgrund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

3.1.1. Der Bw ist marokkanischer Staatsbürger und hält sich seit 1996 in Österreich auf. Ursprünglich war dem Bw eine Aufenthaltserlaubnis als Student, später eine Niederlassungsbewilligung auf Grund einer Ehe mit einer Österreicherin erteilt worden. Die Ehe wurde am 6. Mai 2004 geschieden.

3.1.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. Juli 2006, GZ 1-96702/FRB/07, wurde gegen den Bw ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet erlassen. Die dagegen erhobene Berufung hat der Sicherheitsdirektor von Oberösterreich mit Bescheid vom 1. September 2006 abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs laut Aktenlage am 7. September 2006 in Rechtskraft und war ab 17. April 2008 durchsetzbar.

Während der Anhaltung in Strafhaft beantragte der Bw mit Eingabe vom 8. Jänner 2007 die Aufhebung des Aufenthaltesverbotes. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. Februar 2007 mangels Änderung der maßgeblichen Umstände seit der Bescheiderlassung abgewiesen.

Mit Bescheid vom 17. August 2007, VwSen-720177/4/SR/Ri, erklärte sich der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 6 Abs. 1 iVm § 66 Abs. 4 AVG unter Verweis auf § 9 Abs. 1 FPG für nicht zuständig.

In der Folge wies der Sicherheitsdirektor von Oberösterreich die Berufung mit Bescheid vom 3. September 2007, St 153/06, als unbegründet ab.

Gegen beide Bescheide erhob der Bw zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 1. Dezember 2007,         B 1852, 1853/07-5, ablehnte und die Beschwerde mit gesondertem Beschluss am 8. Jänner 2008, B 1852, B 1853/07-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Mit Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zlen. 2008/21/0015 bis 0016-9, wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde, soweit sie den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich bekämpfte, als unbegründet ab und lehnte im Übrigen, soweit sie den Bescheid des Oö. Verwaltungssenates betraf, die Behandlung ab.

3.1.3. Im Zuge eines Planquadrates wurde der Bw am 22. Mai 2008 in seiner Wohnung von Polizeibeamten angetroffen und von der Anzeigeerstattung wegen seines unrechtmäßigen Aufenthaltes in Kenntnis gesetzt (Anzeige der PI Kaarstraße [SPK Linz] vom 25. Mai 2008, GZ E1/26966/2008).

3.1.4. Auf Grund dieser Anzeige hat die belangte Behörde gegen den Bw die Strafverfügung vom 17. Juli 2008, S-21.718/08-2, am 1. August 2008 erlassen und wegen des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet eine Geldstrafe von 80 Euro verhängt. Innerhalb offener Frist hat der nunmehr vertretene Bw einen Einspruch eingebracht.

 

Über Ersuchen der belangten Behörde brachte der Rechtsvertreter folgende Stellungnahme ein:

Der Meldungsleger konnte nicht wissen, dass der Beschuldigte aus drei voneinander unabhängigen Titeln in Österreich aufenthaltsberechtigt ist.

 

Als Ex-Ehegatte einer Österreicherin nach langjähriger Ehe, als assoziationsintegrierter marokkanischer Arbeitnehmer und als langfristig aufhältiger Arbeitnehmer nach der Richtlinie 2003/109 hat er einen Rechtsanspruch auf Aufenthaltsnahme in Österreich und auf Inlandsantragstellung hinsichtlich der Verlängerung des - nur deklaratorisch wirkenden - Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts welcher Rechtsform auch immer.

 

 

 

1 Allgemeine Vorbemerkungen

 

Grundsätzlich kann sich das Aufenthaltsrecht und das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt auf Gemeinschaftsrecht (inklusive der Angehörigen von Unionsbürgern), auf Assoziationsrecht (zB Mittelmeerassoziation) oder auf "normales" österreichisches Recht stützen.

 

In jedem Fall besteht ein Rechtstitel unabhängig vom anderen. Es müssten also alle drei Rechtsgrundlagen zu verneinen sein, um für den Beschuldigten dieses Recht zu verneinen.

 

Nationale Eingriffe in diese Rechte sind wiederum nur im Rahmen gemeinschaftsrechtlich eingeräumter Spielräume unter den Voraussetzungen des österreichischen Rechts zulässig.

 

Im Beschluss vom 01. Oktober 2001, G 24/01-6, G 223/01-8, hat der Verfassungsgerichtshof folgende über den Einzelfall hinausführende fundamentale Aussagen getroffen (Rechtssatz laut BIS):

Es obliegt dem Verfassungsgerichtshof, den Vorrang des unmittelbar anwendbaren Gemein­schaftsrechts vor dem damit konfligierenden innerstaatlichen Recht - Offenkundigkeit vorausgesetzt - in jedem Stadium des Verfahrens wahrzunehmen (vgl. VfSlg. 15.368/1998).

 

Unmittelbare Wirkung des Art 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr 1/1980 (= ARB).

 

Ist nach dem nationalen Recht vorgesehen, daß für die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen ein behördliches Dokument zu erwirken ist, so ist diesem für die Anerkennung der aus dem ARB Nr 1/1980 erfließenden subjektiven Rechte lediglich "deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion" beizumessen.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH erfließen aus der Dienstleistungsfreiheit (Art49 ff EG) und aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art39 ff EG) sowohl für den Dienstleistenden (Arbeitnehmer) als auch für den Empfänger der Dienstleistung (Arbeitgeber) subjektive Rechte, die von diesen Personen je und je geltend gemacht werden können.

 

Personen, die als Arbeitgeber türkische Staatsangehörige beschäftigen, werden daher durch Art7 ARB Nr 1/1980 in jenem Umfang, in dem die begünstigten türkischen Staatsangehörigen daraus für sich subjektive Rechte herleiten können, ebenfalls unmittelbar berechtigt.

 

Es ist den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, für die - an sich erlaubte - Beschäftigung türkischer Staatsangehöriger, die von den Art6 und 7 ARB Nr 1/1980 erfaßt sind, Pflichten zu normieren, die Verwaltungserfordernissen entsprechen. Einem derartigen "Verwaltungserfordernis" entspricht zweifellos auch die - im vorliegenden Fall in Rede stehende - Pflicht des Arbeitgebers, für die Beschäftigung eines begünstigten türkischen Staatsangehörigen eine Beschäftigungsbewilligung bzw. einen Befreiungsschein beizubringen.

 

Das Gemeinschaftsrecht verbietet es also den Mitgliedstaaten nicht, für die Ausübung der durch den ARB Nr 1/1980 eingeräumten Freizügigkeitsrechte Ordnungsvorschriften zu erlassen und deren Verstoß mit Verwaltungsstrafsanktion zu belegen. Davon, daß die bekämpfte Verwaltungsstrafnorm unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht offenkundig widerspräche und aus diesem Grund nicht als Gegenstand eines Gesetzesprüfungsantrags in Frage käme, kann jedenfalls keine Rede sein. Die Anträge des UVS auf Aufhebung von Teilen des §28 Abs1 Z1 lit. a AuslBG erweisen sich somit unter diesem Gesichtspunkt als zulässig.

Zurückweisung der Anträge mangels Präjudizialität.

 

§28 Abs1 Z1 AuslBG normiert ausdrücklich, daß lediglich die unberechtigte Beschäftigung von Ausländern verwaltungsstrafsanktioniert sei. Die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen, der alle Erfordernisse des Art6 oder 7 ARB Nr 1/1980 erfüllt, kann keinesfalls als "unberechtigt" oder "illegal" in dem Sinn bezeichnet werden, daß es an einem konstitutiv wirkenden Beschäftigungstitel fehlen würde. Es handelt sich dabei vielmehr um eine gemeinschaftsrechtlich erlaubte Beschäftigung, unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht hiefür - Verwaltungserfordernissen dienende und insofern grundsätzlich unbedenkliche - Ordnungsvorschriften vorsieht.

 

Die in den Anlaßverfahren vor dem UVS inkriminierten Beschäftigungen türkischer Staats­angehöriger waren ganz offenkundig nicht "unberechtigt" iS des §28 Abs1 Z1 AuslBG. Aus diesem Grund wäre es geradezu denkunmöglich, das den Berufungswerbern zur Last gelegte Verhalten unter diese Strafnorm zu subsumieren. Da §28 Abs1 Z1 AuslBG - dem unzweideutigen Gesetzeswortlaut nach - ausschließlich Fälle einer "unberechtigten" Beschäftigung zu erfassen sucht, ist es auch nicht möglich, diese Bestimmung in Fällen wie den vorliegenden (bloß) als Verwaltungsstrafsanktion für Verstöße gegen eine "Ordnungsvorschrift" -nämlich jene, für die Beschäftigung von gemeinschaftsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen die in §4c AuslBG vorgesehenen Bescheinigungen beizubringen - zu deuten.

 

Um den Kernsatz noch einmal auf diesen Fall umgelegt zu wiederholen:

 

Der Aufenthalt eines [assoziationsintegrierten Arbeitnehmers], der alle Erfordernisse des [Assoziationsrechts] erfüllt, kann keinesfalls als "unberechtigt" oder "illegal" in dem Sinn bezeichnet werden, daß es an einem konstitutiv wirkenden Aufenthaltstitel fehlen würde. Es handelt sich dabei vielmehr um einen gemeinschaftsrechtlich erlaubten Aufenthalt unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht hiefür - Verwaltungserfordernissen dienende und insofern grundsätzlich unbedenkliche - Ordnungsvorschriften vorsieht.

 

Ein aus Gemeinschaftsrecht ableitbarer Aufenthaltsanspruch besteht demnach autonom, behördliche Entscheidungen darüber haben nur deklaratorischen Charakter.

 

Alle Bestimmungen haben außer Anwendung zu bleiben, die von entgegenstehendem Gemeinschaftsrecht verdrängt werden.

 

Wo eine Entscheidung über ein Aufenthalts- oder Beschäftigungsrecht nur deklaratorisch ist, kann es nicht erst durch die behördliche Bewilligung konstitutiv erteilt werden.

 

Die angewendete Strafnorm ist daher im vorliegenden Fall unanwendbar.

 

 

 

2 Zu den ans Gemeinschaftsrecht ableitbaren Ansprüchen

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sind alle Rechtsnormen des Gemeinschaftsrechts so anzuwenden, dass sie den Gemeinschaftsrecht maximale Wirkung geben (zB EuGH Urteil Eroglu vom 5.10.1994, Rs. C-355/93).

 

In Kombination mit dem nur deklaratorischen Charakter von behördlichen Entscheidungen über gemeinschaftsrechtliche Aufenthalts- und Beschäftigungsrechte ergibt dies, dass die Behörden nicht nach dem "Hauptmann von Köpenick" System jonglieren dürfen, wie dies Österreich zur - allerdings nur scheinbar - unerreichten Meisterschaft perfektioniert hat.

 

Wer die Kriterien des Art. 13 RL 2004/0038 erfüllt, hat einen Rechtsanspruch auf Aufenthalt und Beschäftigung.

 

Der Beschuldigte hat jedenfalls rechtzeitig um Verlängerung seines Aufenthaltsrechts angesucht, bei der damals für ihn zuständigen Fremdenpolizeibehörde.

 

Mit anderen Worten, der Beschuldigte hat einen Rechtsanspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung, über den er eine Entscheidung fristgerecht beantragt hat, die Entscheidung selbst ist aber noch nicht gefallen.

 

3 Zur Mittelmeer Assoziation

 

Der grundlegende Unterschied zwischen der Unionsbürgerschaft und einem Assoziationsstatus besteht mutatis mutandis nach allen Assoziationsabkommen in zwei grundsätzlichen Elementen:

 

Ein Assoziationsabkommen garantiert in der Regel keine im weiteren Sinne verstandene Niederlassungsfreiheit. Ein Arbeitnehmer oder Arbeitgeber kann trotz Assoziationsabkommens nicht beliebig einreisen und sich hier niederlassen, wie dies nach Gemeinschaftsrecht einem Unionsbürger garantiert ist.

 

Der zweite Unterschied besteht in der fehlenden Garantie des assoziationsbegünstigten Drittstaatsangehörigen, seine Familie nachkommen zu lassen.

 

Wenn ein Arbeitnehmer aber einmal Assoziationsstatus erreicht hat, genießt er nach allen Abkommen mit Assoziationsstatus Gleichbehandlungsanspruch.

 

Der Beschuldigte hat auch bereits einen entsprechenden Titel für seinen weiteren Aufenthalt in Österreich beantragt. Das Verfahren darüber ist wegen des Verfahrens 2008/21/0015 und 0016 des Verwaltungsgerichtshofs ausgesetzt.

 

Der Beschuldigte ist sohin aufenthaltsberechtigt in Österreich. Er kann der nicht aus diesem Titel gegen das Fremdenpolizeigesetz verstoßen haben. Das Verfahren wird daher einzustellen sein."

 

Ohne weiteres Ermittlungsverfahren hat die belangte Behörde das nunmehr angefochtene Straferkenntnis erlassen.

 

3.1.5. Im Hinblick auf das Erkenntnis und den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2009 (siehe Punkt 3.1.2) wurde dem Bw die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

 

3.1.6. Mit Schriftsatz vom 7. September 2009 übermittelte der Rechtsvertreter des Bw das folgende "weitere Vorbringen":

Die Berufung "wirft die Kernfrage auf, ob ein Fremder wie der Berufungswerber mit seinem Integrationsstand, dem in Österreich durchlebten Privat- und Familienleben und der marokkanischen Staatsbürgerschaft überhaupt eines konstitutiven Aufenthaltstitels bedarf, um in Österreich weiterhin aufhältig zu sein, oder ob nicht - wie bei Unionsbürgern (inklusive Österreichern) und ihren Ehegatten sowie bei assoziationsintegrierten türkischen Arbeitnehmern- auch für Staatsangehörige eines EU-Mittelmeerpartnerstaates mit langjährigem legalem Aufenthalt in Österreich ein Aufenthaltsrecht eo ipso besteht und Entscheidungen über dieses Aufenthaltsrecht (der Antrag ist rechtzeitig gestellt worden) nur noch deklaratorischer Charakter zukommt (analog der Meldepflicht) und ob nicht ein Verlängerungsantrag zumindest dazu berechtigt, das Ergebnis des Verfahrens in Österreich abzuwarten,

 

Dass bei Erreichung einer bestimmten Integrationsstufe nach Gemeinschaftsrecht das Aufenthaltsrecht eo ipso besteht und behördlichen Emanationen darüber nur noch deklaratorischer Charakter zukommt, hat der Europäische Gerichtshof beispielsweise im Urteil X vom 5.10.1994, Rs. C-355/93, Slg. 1994,1-5113 ausdrücklich ausgesprochen, während für Österreich auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 1.10.2001, G 24/01 u.a. verwiesen werden kann.

 

Gleichermaßen sind Aufenthaltsverbote, die nicht gerichtlich geprüft worden sind, gegen­über derart privilegierten Fremden unanwendbar (EuGH Urteil X und X vom 2.6.2005, Rs. C-136/03).

 

Die Mittelmeerabkommen betreffen 170 Millionen Staatsbürger von Angehörigen von Mittelmeeranrainerstaaten, auf die die Abkommen anwendbar sind, wenn sie sich in Österreich bereits integriert haben. Die Mittelmeerabkommen postulieren kein originäres Einwanderungsrecht, wohl aber eine gleichberechtigte und faire Behandlung von Angehörigen dieser Partnerstaaten, wenn sie in Österreich eine längere Zeit verbracht und einen hohen Integrationsgrad erreicht haben.

 

So spricht der Berufungswerber beispielsweise ausgezeichnet Deutsch und kann sich etwa auch mit Rechtsvertretern unterhalten, die ein ganz anderes Idiom sprechen als den oberösterreichischen Dialekt, wie zB den alemannischen Dialekt des Einschreiters.

 

Der Berufungswerber ist und bleibt der Auffassung, dass bei diesem Integrationsgrad Entscheidungen über sein Aufenthaltsrecht nur noch deklaratorische Bedeutung zukommt, oder anders herum formuliert, dass er bereits jetzt aufenthaltsberechtigt ist.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wären im Spruch eines Straferkenntnisses alle Möglichkeiten auszuschließen, dass sich ein Ausländer rechtmäßig in Österreich aufhalten könnte.

 

Das Straferkenntnis schließt nun aber nicht dezidiert aus, dass der Berufungswerber auf­grund eines europäischen Integrationstitels als marokkanischer Staatsbürger und damit Staatsangehöriger eines EU-Mittelmehrpartnerstaates bereits aufenthaltsberechtigt sein könnte. Diese Möglichkeit erwägt der Spruch des Straferkenntnisses gar nicht einmal und wirft damit die Frage auf, ob schon der Straftatbestand ordnungsgemäß formuliert ist.

 

Aus der Sicht des Berufungswerbers ist dies zu verneinen.

Zur Frage, in welchem Umfang das Mittelmeerabkommen Marokko aufenthaltsrelevante Bestimmungen enthält, hat ein anderer marokkanischer Staatsbürger kürzlich vor dem Verfassungsgerichtshof Folgendes vorgetragen (im Wesentlichen ungekürzt; es ging um ein Aufenthaltsverbot, das nicht vom Unabhängigen Verwaltungssenat, sondern nur von der Sicherheitsdirektion bestätigt worden war, der Integrationsgrad entsprach ungefähr dem des Berufungswerbers):

Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter u.a.

Der Verfassungsgerichtshof hatte sich mit dieser Problemstellung im Zusammenhang mit Normprüfungsanträgen mehrerer Unabhängiger Verwaltungssenate auseinanderzusetzen und hat dabei den Beschluss vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a. erlassen, der Richtschnur für das weitere hier vorgetragene Beschwerdevorbringen sein wird.

 

In diesem Beschluss hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass

die Wortfolge "sofern nichts anderes bestimmt ist" im Eingangssatz des §9 Abs. 1 FPG nur so verstanden werden kann, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Rechtsmittel nach dem FPG nicht nur im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen zuständig sind, sondern auch im Fall von assoziationsintegrierten türkischen Staatsangehörigen.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat im gleichen Beschluss auch klargestellt, dass die gesamte Bestimmung des § 9 FPG Verfassungsrang hat und daher auch als konkrete Verfassungsbestimmung  zu verstehen und in diesem Sinne gegenüber Eingriffen des einfachgesetzlichen Gesetzgebers geschützt ist.

 

Er hat dies mit der gebotenen Klarheit wie folgt ausgedrückt:

Die Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate ist somit ausschließlich im Wege des im Verfassungsrang stehenden § 9 Abs. 1 Z 1 FPG und nicht anhand des im Rang eines einfachen Bundesgesetzes stehenden § 2 Abs. 4 Z 11 FPG idF BGBl. I Nr. 157/2005 zu beurteilen.

Der gesamte § 9 FPG steht also im Verfassungsrang. Einfache Bundesgesetze können hier keine anderen normativen Inhalte begründen.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat dies weiter akzentuiert, indem er ausdrücklich ergänzt hat, dass dem Verfassungsgesetzgeber auch nicht "unterstellt" werden dürfte, das er mit dem Vorbehalt "sofern nicht anderes bestimmt ist" dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit einräumen wollte, die Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Aufenthaltsverbote beliebig abzuändern. Vielmehr sei davon auszugehen, dass dieser Vorbehalt dazu diene, unmittelbaren anwendbarem Gemeinschaftsrecht und anderem österreichischem Verfassungsrecht Vorrang einzuräumen.

Mit andren Worten, die gesamte Bestimmung des § 9 FPG und ihre Auslegung bilden daher im Grunde Verfassungsfragen.

 

In seinem Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zahl 2008/21/0015-0016-9, hat der Verwaltungsgerichtshof die Frage geprüft, ob die Aufenthaltsbeendigung gegen einen in Österreich integrierten marokkanischen Staatsbürger durch eine einfache Polizeibehörde erfolgen könne oder ob doch nicht eine Gerichtsgarantie für eine aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei einem integrierten marokkanischen Arbeitnehmer bestehe.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat dann dazu Folgendes ausgeführt:

 

1. Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit sie sich gegen den zweitangefochtenen Bescheid richtet, erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich ihre Zuständigkeit zur Entscheidung rechtsrichtig aus der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. I Z. 2 FPG abgeleitet hat. Gegenteiliges kann weder aus dem in der Beschwerde angeführten Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits - kurz: Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko (ABl. Nr. L 070 vom 18. März 2000) gefolgert werden, noch ergibt sich aus der bloßen Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit dem Jahr 1996, was dieser auch nicht substantiiert zu begründen versucht, eine Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates.

Das Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko hat das bis dahin geltende Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko vom 27. April 1976 (ABl. EG L 264/1978 S. 1ff) abgelöst. Art. 40 dieses Vorgängerabkommens hatte folgendes Diskriminierungsverbot normiert:

"Jeder Mitgliedstaat gewährt den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt.

Marokko gewährt den in seinem Hoheitsgebiet beschäftigten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, die gleiche Behandlung."

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) führte hiezu in seinem Urteil vom 2. März 1999 (Rechtssache C-416/96 - El-Yassini) aus, Art. 40 Abs. 1 dieses Kooperationsabkommens untersage es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht, es abzulehnen, die Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt habe, für die gesamte Dauer dieser Beschäftigung zu verlängern, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis nicht mehr bestehe.

In seiner Begründung (Rn 54 bis 62) führte der EuGH aus, Ziel dieses Abkommens sei es, eine globale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zu fördern, um zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Marokkos beizutragen und die Vertiefung ihrer Beziehungen zu erleichtern. Für die Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte stelle Art. 40 leg. cit. den Grundsatz auf, dass jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung der im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber den eigenen Staatsangehörigen dieses Staates bei den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen verboten sei. Anders als im Abkommen EWG-Türkei werde also nicht vorgesehen, dass die vertragschließenden Parteien auf längere Sicht die Möglichkeit eines Beitritts des Drittlandes zur Gemeinschaft prüfen werden. Im Übrigen habe das Abkommen EWG-Marokko, anders als das Abkommen EWG-Türkei, nicht die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zum Gegenstand.

Zudem habe der durch das Abkommen EWG-Marokko eingesetzte Kooperationsrat keine Entscheidung erlassen, die eine Bestimmung "wie Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei enthalte, der den türkischen Wanderarbeitnehmern im Hinblick auf die künftige Herstellung der Freizügigkeit von der Dauer der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung abhängige, genau bestimmte Rechte verleihe, die diese schrittweise in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates eingliedern sollten. Ein (vom Kläger des zitierten Verfahrens vor dem EuGH angestrebtes) Aufenthaltsrecht beziehe sich jedoch gerade auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 und nicht auf Art 37 des Zusatzprotokolls, dessen Gleichheitssatz jenem des Art. 40 des Abkommens EWG-Marokko vergleichbar sei. Auf Grund dieser wesentlichen Unterschiede zwischen dem Wortlaut sowie zwischen Gegenstand und Zweck der beiden letztgenannten Abkommen könne die Rechtsprechung des EuGH zum Abkommen EWG-Türkei nicht auf das Abkommen zwischen EWG und Marokko übertragen werden.

 

 

 

Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko normiert folgende "Bestimmungen über die Arbeitskräfte

(1)    Jeder Mitgliedstaat gewährt den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt.

(2)    Absatz 1 gilt hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für alle marokkanischen Arbeitnehmer, die dazu berechtigt sind im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine befristete nichtselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben,

(3)    Marokko gewährt den in seinem Hoheitsgebiet beschäftigten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, die gleiche Behandlung."

Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko ist somit mit dem zitierten Art. 40 seiner Vorgängerbestimmung im Wesentlichen inhaltsgleich. Auch das Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko hat nicht die Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zum Gegenstand, sodass es einem Mitgliedstaat nach wie vor grundsätzlich nicht untersagt ist, Maßnahmen in Bezug auf das Aufenthaltsrecht eines dem Abkommen unterliegenden Staatsangehörigen zu ergreifen, der zunächst die Erlaubnis zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat und zur Aufnahme einer Berufstätigkeit dort erhalten hatte (vgl. das Urteil des EuGH vom 14. Dezember 2006 in der Rechtssache C-97/05 - Gattoussi).

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht kann der Beschwerdeführer aus dem Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko demnach keine dem erwähnten Beschluss des Assoziationsrates Nr. 1/80 entsprechende Rechtsstellung ableiten. Einerseits fehlt es an einer diesem Beschluss entsprechenden Rechtsgrundlage, andererseits wird im zitierten Vertragswerk mit Marokko eine schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer schon grundsätzlich nicht angestrebt (vgl. dazu auch das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. Juli 2003, BVerwGl C 18.02).

 

Der Beschwerdeführer ist der festen Überzeugung, dass nach 12 Jahren Aufenthalt im Inland, nach fünfeinhalb Jahren aufrechter Ehe mit einer Österreicherin und bedingter Entlassung aus der Strafhaft wegen guter Führung und günstiger Zukunftsprognose (LG Steyr 18 BE 59/09t) keine Polizeibehörde endgültig über die Aufenthaltsbeendigung entscheiden darf.

 

Dass die belangte Behörde auch noch besonders unbefriedigend arbeitet, ergibt sich aus dem denkunmöglichen Vorhalt, wonach die Berufung verspätet eingebracht worden sei, für den sich übrigens die Finanzprokuratur im Amtshaftungsverfahren entschuldigt (und Ersatz geleistet) hat, ebenso wie aus der gänzlich unkonkreten und mangelhaft argumentierenden Begründung des angefochtenen Bescheids.

 

Um es auf den Punkt gebracht zu haben: Wenn jemand 12 Jahre in Österreich aufhältig war, wenn er mehr als fünf Jahre mit einer Österreicherin verheiratet war, wenn dann sein Leben in Österreich trotz Familienbanden beendet wird, dann handelt es sich hier um einen so gravierenden Eingriff in ein Menschenleben, das ein Mindestmaß an Entscheidungsqualität für eine Aufenthaltsbeendigung verlangt werden darf, welche Mindestqualität der angefochtene Bescheid in keiner Hinsicht erbringt.

 

Früher bestanden zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Magreb-Staaten "Kooperationsabkommen", und gab es Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass diese Kooperationsabkommen geringere Ambitionen hätten als der Assoziationsvertrag mit der Türkei, womit die Rechtsprechung zu den "Assoziationstürken" nicht übertragbar sei.

Die nunmehrigen Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen haben demgegenüber nicht nur erklärte ambitioniertere Zielsetzungen, sondern auch einen ganz anderen Partnerkreis.

 

Die Europäische Gemeinschaft hat diese Europa-Mittelmeer-Abkommen, die auch ausdrücklich als "Assoziationsabkommen" bezeichnet werden, nicht nur mit Marokko, Algerien und Tunesien abgeschlossen, sondern auch mit Ägypten, Israel, Jordanien und dem Libanon, begleitet mit Europa-Mittelmeer-Interimsabkommen mit der Palästinensischen Behörde.

 

Im Begleitbericht europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/R14104.htm fasst die Europäische Kommission diese Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen wie folgt zusammen:

Im Rahmen der Partnerschaft Europa-Mittelmeer wurden zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und dem Mittelmeerpartnerländern andererseits Assoziationsabkommen - bilaterale Abkommen der neuen Generation - geschlossen und umgesetzt. Sie treten an die Stelle der Abkommen der ersten Generation, das heißt, der in den 70'er Jahren geschlossenen Kooperationsabkommen. (Unterstreichung nicht im Original)

 

Wenn der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis anzudeuten versucht, dass sich im Grunde gar nichts geändert habe, so spricht dagegen schon die Bezeichnung der Abkommen als "Assoziationsabkommen" gegenüber bisher nur "Kooperationsabkommen", aber auch die ausdrückliche Einschätzung der Assoziationsabkommen als Abkommen der zweiten Generation durch die Europäische Kommission.

 

Auch wenn der Verwaltungsgerichtshof im Recht ist mit seiner These, dass das Assoziati­onsabkommen mit der Türkei, dass sich seit je als Beitrittsassoziation verstanden hat, weiter geht als die Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen, steht dennoch außer Frage, dass die Mittelmeer-Assoziationsabkommen viel mehr sind als die Kooperationsabkommen Magreb.

Das Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen Marokko sieht zudem ausdrücklich vor, dass ein Assoziationsrat eingerichtet wird, der die Verdichtung der Beziehungen und Rechte weiterbetreiben soll. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat auch bereits einen ersten Entwurf eines Beschlusses des Rates zur Diskussion gestellt, der allerdings hier nicht unmittelbar einschlägig ist.

 

Alle diese Umstände zeigen aber, dass zwischen den alten Kooperationsabkommen und den nunmehrigen Assoziationsabkommen doch erhebliche qualitative Unterschiede bestehen.

Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Fall X ist zum alten Kooperationsabkommen ergangen, weshalb es für den Verwaltungsgerichtshof und für die nunmehrige Entscheidung des Verfassungsgerichtshof obsolet sein müsste. Die -ausufernde Zitierung des Urteils X durch den Verwaltungsgerichtshof ist also leider kontraproduktiv.

 

Statt dessen hätte der Verwaltungsgerichtshof das Urteil X des Europäischen Ge­richtshofs vom 14.12.2006, Rs. C-97/05 näher zitieren sollen, denn dann hätte er vermieden, wesentliche Aspekte des Urteils X zu übersehen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat dann zwar richtig Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommens Marokko zitiert, nicht aber die gemeinsamen Erklärungen zu Art. 64, deren zweite wie folgt lautet:

 

Was die nichtdiskriminierende Behandlung bei der Kündigung anbetrifft, so kann Art. 64 Abs. 1 nicht in Anspruch genommen werden, um die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Für die Erteilung, die Verlängerung oder die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung sind ausschließlich die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die geltenden bilateralen Übereinkünfte zwischen Marokko und den betreffenden Mitgliedstaaten maßgeblich. (Unterstreichung nicht im Original)

 

Vorliegendenfalls geht es nicht um einen Fall der Erteilung, Verlängerung oder Verweige­rung der Aufenthaltsgenehmigung, sondern um die zwangsweise polizeiliche Beendigung eines nach inländischem Recht gesicherten Aufenthaltsstatus eines ehemaligen Ehegatten einer Österreicherin und integrationsverfestigten Arbeitnehmers.

Eine die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs deckende Begründung kann auch weder auf das Urteil X noch auf die vom Verwaltungsgerichtshof lückenhaft zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juli 2003, BVerwG 1 C 18.02 gestützt werden.

 

Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil X vielmehr ausdrücklich folgende Aussagen getroffen:

38             Allerdings ergibt sich entgegen der Ansicht der deutschen Regierung aus dieser Auslegung nicht, dass ein tunesischer Staatsangehöriger sich in keinem Fall auf das Diskriminierungsverbot des Artikels 64 Absatz 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens berufen kann, um eine Maßnahme anzufechten, die ein Mitgliedstaat ergriffen hat, um sein Aufenthaltsrecht zu beschränken.

39             Denn es kann nicht angenommen werden, dass die Mitgliedstaaten über das Diskriminierungsverbot des Artikels 64 Absatz 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens verfügen, indem sie dessen praktische Wirksamkeit durch Bestimmungen des nationalen Rechts beschränken. Eine solche Möglichkeit würde zum einen die Bestimmungen eines von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Abkommens beeinträchtigen und zum anderen die einheitliche Anwendung dieses Verbots in Frage stellen.

40             Insbesondere kann, wie der Gerichtshof bereits in der Rechtssache X entschieden hat, der Aufnahmemitgliedstaat dann, wenn er dem Wanderarbeitnehmer ursprünglich in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen hatte, die Situation dieses Arbeitnehmers nicht aus Gründen in Frage stellen, die nicht dem Schutz eines berechtigten Interesses des Staates, wie der Öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit dienen (Urteil X, Randnrn. 64,65 und 67).

41             Der Begriff der öffentlichen Ordnung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Urteile vom 28. Oktober 1975 in der Rechtssache 36/75, X, SIg. 1975,1-1279, Randnr. 28, vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C-340/97, X, Slg. 2000,1-957, Randnr. 57, und vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-459/99, X, Slg. 2002,1-6591, Randnr. 79).

42             In Anbetracht der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit gilt das in Randnummer 40 Gesagte erst recht, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Aufnahmemitgliedstaat die Aufenthaltserlaubnis nachträglich befristet.

43             Nach allem ist Artikel 64 Absatz 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens dahin auszulegen, dass er Wirkungen auf das Recht eines tunesischen Staatsangehörigen entfaltet, sich im Gebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten, wenn dieser Staatsangehörige von diesem Mitgliedstaat eine ordnungsgemäße Genehmigung erhalten hat, eine Berufstätigkeit für eine die Dauer seiner Aufenthaltserlaubnis übersteigende Zeit auszuüben.

 

 

Die Kriterien, die der Europäische Gerichthof hier für die Aufenthaltsbeendigung aufstellt, sind im Grund die gleichen wie bei assoziationsintegrierten türkischen Staatsbürgern.

 

Nichts an dieser Entscheidung rechtfertigt die Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach 12 Jahren, nach mehr als fünfjähriger Ehe mit einer Inländerin, nach erfolgter bedingter Entlassung durch eine offenkundig unbefriedigend organisierte Polizeibehörde erfolgen darf.

Man muss sich in diesem Zusammenhang auch vor Augen führen, dass die gleichen Kriterien der Aufenthaltsbeendigung auch für israelische Staatsbürger gelten, weil auch Israel Partner eines gleichartigen Assoziationsabkommen ist. Es ist schwer vorstellbar, dass Österreich Aufenthaltsbeendigungen gegenüber Israelis durch Polizeibehörden zulassen kann. Das sollte es in Österreich nie wieder geben.

 

Auch die vom Verwaltungsgerichtshof zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist mangelhaft zitiert.

 

Zum einen kann es sich bei allen Aussagen zur zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung nur um obiter dicta handeln, weil in der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich und natürlich und seit jeher ein Zugang zu einem Verwaltungsgericht besteht.

 

Alle Aussagen zu diesem Bereich können daher nur obiter dicta sein, weil eine Aufenthaltsbeendigung durch eine Polizeibehörde mit deutschem Recht unvereinbar ist.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich folgendes ausgesagt:

e) Dies bedeutet allerdings nicht, das nicht unter besonderen Voraussetzungen das Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Kündigungsbedingungen gleichwohl aufenthaltsrechtliche Wirkungen haben kann, nämlich dann, wenn die praktische Wirksamkeit (effet utile) des Verbots der Benachteiligung marokkanischer Staatsbürger gegenüber den Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedsstaates erfolgt.

 

Das Diskriminierungsverbot gilt also sehr wohl auch für die Aufenthaltsbeendigung gegenüber marokkanischen Staatsbürgern.

 

Ein drittklassiger Rechtschutz wie im vorliegenden Fall durch die Sicherheitsdirektion Graz verletzt daher Mindestanforderungen des Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommens Marokko zumindest in jenen Fällen, in denen der marokkanische Staatsbürger viele Jahre in Österreich verbracht und ein hohes Maß an Integration erreicht hat (der Beschwerdeführer spricht zum Beispiel perfekt Deutsch, seine Schwester samt Familie lebt in Linz als österreichische Staatsbürgerin» etc.).

Der Rechtsfrage, wie mit der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den Angehörigen fast aller Mittelmeerstaaten verfahren wird, kommt angesichts des Umfangs dieses Personenkreises (ungefähr 175 Millionen) zentrale Bedeutung zu.

 

Es wird daher

angeregt,

dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

Gebietet es das Recht der Europäischen Union, dass marokkanischen Arbeitnehmern bei der Aufenthaltsbeendigung derselbe Rechtsschutz und insbesondere derselbe Gerichtszugang gewährt wird, wie er beispielsweise gegenüber Unionsbürgern oder assoziationsintegrierten türkischen Arbeitnehmern gewährt wird, oder lässt das Gemeinschaftsrecht eine verfahrensrechtliche Schlechterstellung bis hin zu gänzlich fehlendem meritorischem gerichtlichen Rechtschutz ausdrücklich zu?

 

Der Beschwerdeführer ist der festen Überzeugung, dass dies nicht der Fall sein kann, zumal die Rechtsmittelinstanz Unabhängiger Verwaltungssenat, die die erforderlichen Gerichtsqualitäten aufweist, in den letzten Jahren bewiesen hat, dass ihre Spruchpraxis durchaus sachgerecht - aber auf deutlich höherem Niveau des Rechtsschutzes - erfolgt.

 

Der Beschwerdeführer wurde sohin durch die Entscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt.

 

 

Sonstige grundrechtliche Argumente

Die sonstigen grundrechtlichen Argumente des Beschwerdeführers werden subsidiär vorgetragen, weil die Kernfrage jene nach der Gerichtsgarantie bildet.

Das am meisten Unbefriedigende am konkreten Verfahren ist allerdings, dass der Beschwerdeführer allein wegen Handels mit einer Substanz verurteilt wurde, deren Zuordnung zu den schweren Rauschgiften aus der Sicht vieler Fachleute problematisch ist.

 

Gäbe es in Strafsachen einen Rechtsweg zum Verfassungsgerichthof, wäre die Frage der Einordnung von Haschisch unter die strafrechtlich zu verbietenden Rauschgifte längst Gegenstand einer Normprüfung gewesen, würde längst feststehen, das Haschisch keine andre gesetzlich Behandlung bekommen darf als Alkohol und Nikotin.

Der Beschwerdeführer ist also Oper eines Defizits im Rechtschutz, ohne dieses nur in Österreich bestehende Rechtsschutzdefizit gäbe es keinen Anlassfall.

Der Beschwerdeführer befürchtet, dass der Verfassungsgerichtshof das Verbot des Handelns mit Haschisch nicht als präjudizielle Norm prüfen können wird. Sollte er diesbezüglich die Möglichkeiten des Verfassungsgerichtshof unterschätzen, wolle dieser von sich aus die Möglichkeit der Einordnung von Haschisch unter die strafrechtlich zu ahndenden Drogen prüfen und wegen Verfassungswidrigkeit (Unsachlichkeit) aufheben, weil ihre Sozialschädlichkeit und Gefährlichkeit jene mehrerer erlaubter Drogen wie Alkohol und Nikotin nicht übertrifft.

 

Willkür, Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Die belangte Behörde begründet ihren Bescheid ohne jeden wissenschaftlichen Nachweis und vor allem ohne kontradiktorische Erörterung mit dem Beschwerdeführer mit der behaupteten hohen Wiederholungsgefahr.

 

Diese Scheinbegründung berücksichtigt in keiner Weise den tatsächlichen Sachverhalt. Der angefochtene Bescheid setzt sich auch nicht mit den umfangreich vorgebrachten Europäischen Standards sowie der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs auseinander. Der Bescheid ist daher schon aus diesem Grund willkürlich und wird aufzuheben sein.

Die Behörde hat sich mit der konkreten Situation des Beschwerdeführer in keiner Weise auseinandergesetzt. Sie hat es insbesondere unterlassen, eine gesetzmäßige Güterabwägung durchzuführen. Die lapidare Begründung,

"wegen der bei Suchtgiftdelikten bestehenden großen Wiederholungsgefahr ist die Unvorsehbarkeit des Wegfalls der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden im Bundesgebiet gegeben"

 

ist willkürlich.

 

Eine hohe Wiederholungsgefahr ist im Suchtmittelbereich nur bei selbst drogenabhängigen Personen erwiesen. Dies Rückfallsgefahr ergibt sich - aber nur bei Süchtigen! - aufgrund der starken Wirkung von Rauschgiften auf das Gehirn (vgl Kurzbericht der Gesellschaft Schweizer Ärzte gegen Drogen, http://www.aegd.ch/01deutsch/pdf de/Aussteigen.pdf).

Der Verwaltungsgerichtshof erachtete etwa im Fall eines Drogensüchtigen mit Erkenntnis vom 15.11.1999, 99/18/0367, ein befristetes Aufenthaltsverbot für zulässig, da sich

 

„beim Beschwerdeführer... diese besondere Gefährlichkeit und Rückfallsgefahr deutlich manifestiert, weil er nach einer einschlägigen Verurteilung gemäß § 12 Suchtgiftgesetz im November 1996 und der darauf folgenden Ermahnung bereits im April 1999 neuerlich einschlägig verurteilt worden ist. Daraus, dass bei der zweiten Verurteilung eine wesentlich höhere Strafe verhängt wurde, ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sein kriminelles Verhalten deutlich gesteigert hat. Wie sich aus seinem eigenen Vorbringen ergibt, hat er Heroin in großen Mengen eingekauft und weiterverkauft. Dass er dabei die Absicht verfolgte, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Delikte eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (siehe § 70 StGB), ergibt sich daraus, dass er auch wegen § 28 Abs. 3 erster Fall SMG verurteilt worden ist."

 

Die klassischen Gründe für die Wiederholungsgefahr bei Süchtigen sind die eigene Sucht und die dieser entgegen kommende Möglichkeit, beim Handel „Stoff" abzuzweigen, und die Notwendigkeit, die teure Sucht illegal zu finanzieren („Beschaffungskriminalität).

 

Die von der Behörde herangezogene Begründung ist daher auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der Beschwerdeführer muss weder eine eigene Sucht finanzieren noch besteht für ihn die Notwendigkeit, im Zuge von Drogenhandel „Stoff" für sich selbst abzuzweigen. Er lebt suchtfrei und in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen.

 

Es ist jedoch erwiesen, dass

„eine möglichst weitgehende soziale Integration... der beste Schutz vor einem Rückfall (ist)...."

 

(vgl, Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der deutschen Bundesregierung, S 12, http://ww.bmg.bund.de/cln_41/nn_603366/SharedDocs/Publikationen/Berichte/a-601-04-10207,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/a-601-04-10207.pdf)

 

Die soziale Integration des Beschwerdeführer ist in hohem Masse gegeben. Er war beinahe sechs Jahre mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Sein nächsten Verwandten leben hier.

 

Die Behörde hat auch nicht berücksichtigt, dass das Strafgericht nur ein Drittel (!) der Höchststrafe verhängt hat. Offenkundig ist das Landesgericht davon ausgegangen, dass es keiner strengen Strafe, bedarf, um den Beschwerdeführer von neuerlichen Straftaten abzuhalten.

 

Das verhängte unbefristete Aufenthaltsverbot ist somit überschießend und ist daher auch aus diesen Gründen aufzuheben.

 

Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann man sich selbstverständlich (wie sonst wäre Haftverhängung als schwerster Eingriff in die persönliche Freiheit überhaupt sachlich zu rechtfertigen?) auch in der Haft bessern - sh. zB VwGH 21.2.2006, 2003/11/0025:

 

Vielmehr sind die Haftzeiten nach der Rechtsprechung, insbesondere weil die Strafe (neben anderen Strafzwecken) auch spezialpräventiven Zwecken dient, in die Prognose einzubeziehen (vgl. das bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangene hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, ZI. 2001/11/0195, und daran anschließend etwa die Erkenntnisse vom 29. April 2003, ZI. 2002/11/0161, und vom 20. April 2004, Z1.2003/11/0189).

 

Hier bringt der Verwaltungsgerichtshof richtig zum Ausdruck, dass jede staatliche Zwangsmaßnahme selbstverständlich den Hauptzweck verfolgt, den Betroffenen zum besser angepassten Menschen zu machen, also zu resozialisieren.

 

Die belangte Behörde hat zudem die ständige Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofs zu Artikel 8 EMRK. und die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits publizierte Neufassung des § 66 Abs 2 FPG völlig ignoriert.

 

Demnach ist bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt              des Fremden rechtswidrig war;

2.                    das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.                    die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.                    der Grad der Integration;

5.                    die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.                    die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpoli-           zei- und Einwanderungsrechts;

8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in             dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Der angefochtene Bescheid stützt sich lediglich auf die Verurteilung des Antragstellers und lässt sämtliche anderen relevanten Gesichtspunkte außer Acht, er ist somit willkürlich ergangen.

 

Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Der Beschwerdeführer lebt seit über 9 Jahren in Österreich und war mit einer österreichi­schen Staatsbürgerin verheiratet. Seine Geschwister leben ebenfalls in Österreich. Er hat keine Verwandte und keine sozialen Kontakte in seinem Herkunftsstaat.

 

Ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK und § 37 Abs. 1 Fremdengesetz ist nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig. Dies bedeutet, dass zunächst ein gesetzlicher Eingriffstatbestand vorliegen muss und danach eine Abwägung zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen stattzufinden hat. Ein Eingriff ist nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs 2 EMRK aufgezählten Ziele zulässig, und nur dann, wenn er in einer demokratischen Gesellschaft verhältnismäßig und dringend notwendig im Sinne eines „pressing social need" ist (zuletzt EGMR Urteil X vom 06.02.2003, BNr. 36757/97).

Offensichtlich wird durch das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer in sein Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK eingegriffen.

 

Nach Art. 8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die Öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Nach Art. 12 EMRK haben Männer und Frauen mit Erreichung des heiratsfähigen Alters gemäss den einschlägigen nationalen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

 

Art. 8 EMRK spricht in den beiden maßgeblichen englischen und französischen Texterfassungen von "diesem Recht" ("ce droit", "this right"), sieht die Rechtsgewährleistungen des Art. 8 EMRK also als einheitliches Recht(sbündel). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass das System der Menschenrechtskonvention ein Netz von Grundrechtsgewährleistungen spannt, das als Netz auch mehr als nur die Summe seiner einzelnen Maschen umspannt, womit die Art 8 und 12 EMRK, gemeinsam zu sehen und anzuwenden sind. Zu prüfen ist, ob die hier zu besprechenden Ausweisung einem legitimen Schutzziel dient, ob sie verhältnismäßig und "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft" ist, ob sie also einem "pressing social need" entspringt und den für jede demokratische Gesellschaft zu fordernden Werten von Pluralismus, Toleranz und Großzügigkeit gerecht wird.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil X vom 31.10.2002, BNr. 37295/97, ausgesprochen, dass die Aufenthaltsbeendigung des Herrn X die gesamte Familie X in ihren Menschenrechten verletzt hat, weil Verurteilungen wegen Diebstahls und mehrfacher Verkehrsdelikte eine so drastische Maßnahme wie die Ausweisung nicht rechtfertigen*

Im Urteil Sen /NL vom 21.12.2001, Nr 31465/96 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass aus Art. 8 EMRK ein Rechtsanspruch auf Familien­einheit abgeleitet werden kann.

 

In Ziffer 58 des Urteils X Rs. C-63/99, hat der Europäische Gerichtshof dezidiert ausgesprochen, fremdenpolizeiliche Vorgaben der Mitgliedstaaten die Grundrechte der Begünstigten dürften

namentlich das Recht auf Familienleben und auf Eigentum, nicht verletzen...

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wäre daher rechtswidrig und würden den Beru­fungswerber in seinen Rechten gemäß Artikel 8 EMRK (in seiner einfachgesetzliche und gemeinschaftsrechtlichen) verletzen.

 

Jedenfalls stellt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes einen massiven Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers dar, der jedenfalls schwerer wiegt als die (allfälligen) nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots.

 

Verkennung der Assoziationsintegration

 

Der Beschwerdeführer kann sich als marokkanischer Staatsbürger und damit als begünstigter Drittstaatsangehöriger auf die Einhaltung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs berufen ("Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits", ABl. 18.3.2000, L 70/2).

 

Schon in seinem Urteil X vom 27.10.1977, Rs. 30/77, hat der Europäische Ge­richtshof festgehalten: „ Somit darf eine frühere strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt." Wenn sich eine nationale Behörde auf die Öffentliche Ordnung beruft, setzt das auf jeden Fall voraus, dass „ eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt." Diese Frage ist von den nationalen Behörden in jedem Einzelfall auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts zu prüfen.

 

Im Vorabentscheidungsfall X hat der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 10.2.2000, Rs. C-340/97, auch den verbindlichen Maßstab en detail dargestellt. Trotz einer Verurteilung "wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Heroin, Handelsmenge 1.500 g)" hat der EuGH ein Aufenthaltsverbot gegen Herrn X, einen assoziationsintegrierten Türken und damit Drittstaatsausländer ohne Familienbeziehung zu Inländern oder Gemeinschaftsbürgern, für unverhältnismäßig und damit gemeinschaftsrechtswidrig befunden, wenn diese Maßnahme nur aus generalpräventiven Gründen verfügt werde, ohne dass das persönliche Verhalten des Betroffenen konkreten Anlass zu der Annahme gebe, dass er weitere schwere Straftaten begehen werde, die die öffentliche Ordnung im Aufnahmemitgliedstaat stören könnten. Der EuGH macht eindrucksvoll deutlich, dass ein Höchstgericht in die polizeiliche Wertung einzutreten hat.

 

Im Urteil vom 11.7.2002 in der Rechtssache X, Nr. 56811/00, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein auf einem Drogendelikt beruhendes Aufenthaltsverbot gegen einen Beschwerdeführer von vornherein für unverhältnismäßig erachtet. Auch im Urteil X vom 2.8.2001, Nr. 54273/00, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Aufenthaltsverbot für unverhältnismäßig befunden. Auch im Urteil X vom 13.2.2001 hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ein Aufenthaltsverbot trotz mehrfacher Gerichtsstrafen für unverhältnismäßig befunden.

 

Auch im Fall X / Schweiz hat der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 02.08.2001, BNr. 54273/00, ein auf gravierenderen Delikten fußendes Aufenthaltsverbot für unverhältnismäßig befunden.

 

In dem Österreich betreffenden Urteil X, Nr. 42703/98, vom 22.7.2004, hat der EGMR ebenfalls die Unverhältnismäßigkeit eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes bei einer Verurteilung zu einer 30-monatigen Freiheitsstrafe (davon 6 Monate unbedingt) ausgesprochen.

 

In seinem Urteil X vom 7.7.2005, Rs. C-383/03, hat der EuGH zu Recht erkannt, dass allein die Verurteilung zu einer (dreijährigen) Haftstrafe die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht rechtfertigt.

Auch im Urteil X vom 7.7.2005, Rs. C-373/03, zu einem deutschen Fall hat der EuGH zu Recht erkannt, dass eine dreijährige Haftstrafe die Assoziationsintegration nicht beendet und daher ein Aufenthaltsverbot per se nicht rechtfertigt.

In seinem richtungsweisenden Urteil X und X, vom 29.4.2004, verb. Rs. C-482/01 und C-493/01, hat der EuGH zu Recht erkannt:

2.   Artikel 3 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, steht einer nationalen Regelung entgegen, die den innerstaatlichen Behörden vorschreibt, Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten auszuweisen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, sofern die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

3.   Artikel 3 der Richtlinie steht einer innerstaatlichen Praxis entgegen, wonach die innerstaatlichen Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verhinderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde.

4.   Die Artikel 39 EG und 3 der Richtlinie 64/221 stehen innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder einer innerstaatlichen Praxis entgegen, wonach die Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist, trotz der Berücksichtigung familiärer Umstände auf der Grundlage der Vermutung verfügt wird, dass dieser auszuweisen ist, ohne dass sein persönliches Verhalten oder die Gefahr, die er für die öffentliche Ordnung darstellt, gebührend berücksichtigt würden.

(...)

6. Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 64/221 steht einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen, die gegen eine von einer Verwaltungsbehörde getroffene Entscheidung über die Ausweisung eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ein Widerspruchsverfahren und eine Klage, in denen auch eine Prüfung der Zweckmäßigkeit stattfindet, nicht mehr vorsieht, wenn eine von dieser Verwaltungsbehörde unabhängige Stelle nicht besteht.

Worin sollte die fortdauernde konkrete negative spezialpräventive Zukunftsprognose des in Haft befindlichen Beschwerdeführers bestehen?

 

Die Behörde wird daher jedenfalls die persönliche Entwicklung des Beschwerdeführers während der Verbüßung seiner Haft miteinbeziehen müssen.

Die Behörde sich mit diesem Vorbringen in keiner Weise auseinandergesetzt. Das Ignorieren wesentlichen Vorbringens stellt Willkür im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs dar. Der Bescheid wird daher auch aus diesem Grund aufzuheben sein.

Überdies ist die Vorgeschichte der Vorgängernorm des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu beachten.

Es kann vernünftiger Weise nicht einmal der Hauch eines Zweifels bestehen, dass auch für die neue Richtlinie (2004/38) und deren Rechtsschutzgarantien der Grundsatz der Gleichberechtigung assoziationsintegrierte Staatsbürger gelten wird. Mit anderen Worten, es bedarf keines neuerlichen Vorabentscheidungsverfahrens X und X, um zu wissen, dass der Rechtschutz nicht schlechter geworden sein kann als nach der früheren Richtlinie 64/221.

 

Seinerzeit hat der Europäische Gerichtshof judiziert, dass das seinerzeitige Kooperationsabkommen mit Marokko eine geringere Zielsetzung verfolge als das Assoziationsabkommen mit der Türkei. Diese Ausführungen lassen sich allerdings nicht mehr aufrecht erhalten, seit Marokko mit der Europäischen Gemeinschaft ein ausdrückliches Assoziationsabkommen abgeschlossen hat, das "Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits" (ABl. 18.3.2000, L 70/2).

Damit ist klargestellt, dass auch der Beschwerdeführer durch ein Assoziationsabkommen begünstigt ist.

 

Dass der Beschwerdeführer mehr als 10 Jahre großteils legal in Österreich aufhältig war, steht wohl außer Streit.

 

Insbesondere ist auch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 13.10.2006, G 26/06, in der der Verfassungsgerichtshof selbst klar gestellt hat, dass ausschließlich die Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 EPG maßgeblich ist und dass die Zuständigkeitsregelung dieser Bestimmung insbesondere aus den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen ableitbar ist, zu beachten.

Die Frage, ob aus dem Assoziationsabkommen Marokko ein Gleichbehandlungsanspruch von marokkanischen Staatsbürgern mit legalem Aufenthalt in Österreich ableitbar ist, bleibt unbeantwortet.

Die gänzliche Nichtauseinandersetzung mit einer zentralen Frage begründet stets Willkür nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs.

 

Zusammengefasst: Es kann nicht der Hauch eines Zweifels bestehen, dass auch nach der Richtlinie 2004/38/EG ein Gleichbehandlungsanspruch von Assoziationsberechtigten im

Zusammenhang mit der Aufenthaltsbeendigung besteht.

 

Es begründet Willkür, wenn sich die belangte Behörde mit keinem Wort der Frage auseinandersetzt, ob im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht auch marokkanische Staatsbürger mit mehr als 10-jährigem Aufenthalt (und mehr als 5-jähriger aufrechter Ehe mit einer Österreicherin) einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung haben.

Es kommt hier rein auf die Verfassungsbestimmung in Verbindung mit den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen an.

 

Die erstbelangte Behörde hat sohin willkürlich auch ihre Verpflichtung verkannt, die von ihr selbst als verfassungswidrig dargestellte Rechtslage beim Verfassungsgerichtshof anzufechten. Sie hat dadurch den Beschwerdeführer seinem gesetzlichen Richter entzogen.

 

Auch aus diesem Grund wird der angefochtene Bescheid aufzuheben sein.

 

Verkennung; des Status als langfristig Aufenthaltsberechtigter

 

Die belangte Behörde verkennt schließlich, dass der Beschwerdeführer die Kriterien der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtstellung des langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen erfüllt.

 

Nach Art. 4 der Richtlinie genießen Drittstaatsangehörigen Langaufenthalterstatus, wenn sie fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhältig waren. Der Be­schwerdeführer war mehr als 10 Jahre legal hier aufhältig, erfüllt die Wartefrist also mehr doppelt.

Nach Art. 12 und 20 dieser Richtlinie haben langfristig Aufenthaltsberechtigte einen Aufenthaltsschutz, der nicht ungünstiger ist als jener nach der Richtlinie 64/221/EG für die darin Privilegierten.

 

Schon zum Art. 9 der Richtlinie 64/221 haben der Europäische Gerichtshof und in der Folge die innerstaatlichen Gerichte entschieden, dass die Rechtsmittelinstanz ein unabhängiges Tribunal sein muss.

 

Der Beschwerdeführer wurde sohin in seinem Recht auf eine unabhängige Entscheidungsinstanz verletzt.

 

Abgesehen davon, dass zwischen der Richtlinie 64/221 und der Richtlinie 2004/38 ein Verschlimmerungsverbot besteht, weil die Europäische Gemeinschaft es ja unternommen hat, die Freizügigkeit zunehmend herzustellen (und nicht: wieder einzuschränken), beweisen auch die diversen Sprachfassungen, dass eine Einschränkung nicht erfolgt ist.

Im deutschen Text ist ausdrücklich im Art. 12 vom "Rechtsweg" die Rede, was jedenfalls einem Pseudoinstanzenzug von der Bezirkshauptmannschaft zur weisungsberechtigten Sicherheitsdirektion ausschließt.

 

Im spanischen Text ist von „recursos jurisdiccionales o administrativos" die Rede, was bedeutet, dass der Rechtsweg gerichtlich oder verwaltungsgerichtlich sein muss, im italienischen Text ist ausdrücklich von "impugnazione giurisdizionale", also von gerichtlichem Rechtszug die Rede, im englischen Text von "judicial redress" und im französischen Text wie schon nach der Richtlinie 64/221 „un recours juridictionnel".

 

Es gibt sohin keinen Hinweises, dass der Rechtsschutz gegen Ausweisungsverfügungen betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigter nicht schlechter sein darf als der Rechtschutz nach der Richtlinie 64/221.

Die belangte Behörde hat es trotz festgestellten Sachverhalts (mehr als 10-jähriger legaler Aufenthalt im Inland) in willkürlichster Weise verabsäumt, auf die Richtlinie abzustellen.

 

Dadurch hat sie ihren Bescheid mit Willkür belastet und damit dem Beschwerdeführer den gesetzlichen Richter entzogen.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat über diese Beschwerde das Vorverfahren eingeleitet.

 

Mutatis mutandis gelten diese Überlegungen auch für die Frage der Aufenthaltsberechtigung von integrierten marokkanischen Staatsbürgern und damit des Berufungswerbers.

 

Wie türkische assoziationsintegrierte Arbeitnehmer verfügen sie über einen Anspruch, nicht willkürlich ihren Aufenthalt beendet zu bekommen, und vor allem garantiert das Gemeinschaftsrecht in allen derartigen Fällen die Anrufungsmöglichkeit eines unabhängigen Gerichts mit voller meritorischer Kognition.

 

Das Gemeinschaftsrecht bildet nämlich eine Rechtsgemeinschaft, deren Schlüssel- und Angelpunkt die Vorlagebefugnis eines unabhängigen Gerichts ist.

 

Wenn nun im Fall des Berufungswerbers gar kein unabhängiges Gericht anrufbar wäre, das sich mit seinem Aufenthaltstitel zu befassen hätte, dann wäre das Europarecht faktisch ausgeschaltet (der Verwaltungsgerichtshof ist nicht meritorisch entscheidungsbefugt und an den Sachverhalt der Behörde gebunden).

 

Was in den Fällen X und X vom 2.6.2005, Rs. C-136/03 und X vom 19.12.2008, Rs. C-551/07 entschieden worden ist, gilt daher mutatis mutandis auch für den Berufungswerber.

Er ist aufgrund seiner Integration in Österreich aufenthaltsberechtigt, aufenthaltsbeendigende Maßnahmen müssten von einem unabhängigen Gericht wie dem Unabhängigen Verwaltungssenat verkündet werden, und auch über seinen aufenthaltsrechtlichen Status müsste ein unabhängiges Tribunal wie der Unabhängige Verwaltungssenat entscheiden.

 

Der elementarste Vorwurf, der dem angefochtenen Straferkenntnis zu machen ist, ist allerdings der, dass es die Möglichkeit einer Aufenthaltsberechtigung qua Mittelmeerabkommen nicht einmal ausschließt und daher schon im vorgeworfenen Tatbestand mangelhaft ist.

Es wird daher beantragt, das angefochtene Straferkenntnis wegen Mängeln im Sachverhalt und in der Fassung des Spruchs aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

3.2. Unstrittig ist, dass das vorliegende, gegen den Bw erlassene, befristete Aufenthaltsverbot rechtskräftig und vollstreckbar ist und die Beschwerden gegen den Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes von den Höchstgerichten abgelehnt bzw. als unbegründet abgewiesen worden sind.

Im Verwaltungsstrafverfahren hat der Bw der Ansicht der belangten Behörde nicht widersprochen und die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes nicht auf die einschlägige Bestimmung des § 31 Abs. 1 FPG (Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet) bezogen, somit nicht behauptet, dass diese Norm die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes begründe, sondern "drei voneinander unabhängige Titel" vorgestellt, auf Grund derer er rechtmäßig in Österreich aufhältig sei.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 2.180 Euro zu bestrafen, der sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs. 1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

§ 10 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG trägt die Überschrift "Ungültigkeit und Gegenstandlosigkeit von Aufenthaltstiteln und Dokumentationen des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts.

 

§ 10 Abs. 1 NAG lautet:

Aufenthaltstitel und Dokumentationen des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts werden ungültig, wenn gegen Fremde ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar oder rechtskräftig wird. Solche Fremde verlieren ihr Recht auf Aufenthalt. Ein Aufenthaltstitel oder eine Dokumentation des Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts lebt von Gesetzes wegen wieder auf, sofern innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer das Aufenthaltsverbot anders als nach § 65 FPG oder die Ausweisung behoben wird.

 

4.2.1. Unbestritten steht fest, dass der Bw keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG erfüllt.

 

Die Frage, ob der Bw "aufgrund von drei voneinander unabhängigen Titeln in Österreich aufenthaltsberechtigt" ist, bedarf im vorliegenden Fall deshalb keiner Antwort und das "aufgezeigte Rechtsproblem" keiner Lösung, da gegen den Bw ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, das seit dem 7. September 2006 rechtskräftig und nach der Entlassung aus der Strafhaft seit 17. April 2008 durchsetzbar ist (siehe Anzeige der PI Kaarstraße vom 25.Mai 2008). Allfällig bestehende Aufenthaltstitel und Dokumentationen des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts sind jedenfalls mit Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes ungültig geworden. Da der Bw darüber hinaus eine Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes auch nicht aus § 31 Abs. 1 FPG ableiten kann, ist entsprechend der Tatanlastung von einem rechtswidrigen Aufenthalt im Bundesgebiet auszugehen.

 

Am Rande ist anzumerken, dass selbst gegen freizügigkeitsberechtigte "Unionsbürger" befristete und unbefristete Aufenthaltsverbote erlassen werden können. Da das vorliegende Aufenthaltsverbot dem Rechtsbestand angehört, rechtskräftig und durchsetzbar ist, hatte es der Oö. Verwaltungssenat seiner Beurteilung zu Grund zu legen. Abschließend darf nochmals darauf hingewiesen werden, dass im Verfahren zur Aufhebung des Aufenthaltsverbotes die Beschwerden von den Höchstgerichten abgelehnt bzw. abgewiesen worden sind und zumindest der Verwaltungsgerichthof die Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich ausdrücklich für rechtsrichtig angesehen hat (siehe VwGH vom 18. Februar 2009, Seite 3 letzter Absatz).  

 

4.2.2. Auf Grund des festgestellten relevanten Sachverhaltes ist davon auszugehen, dass der Bw tatbestandsmäßig gehandelt hat. Rechtfertigungsgründe sind nicht hervorgekommen.

 

4.2.3. Das Fremdenpolizeigesetz enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

 

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Berufungswerber initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder die Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die Glaubhaftmachung nicht.

 

Die Behörde erster Instanz hatte daher nicht den Beweis des Verschuldens des Bw zu führen. Vielmehr wäre es an ihm gelegen gewesen, die gemäß § 5 Abs. 2 VStG bestehende Rechtsvermutung seines Verschuldens zu entkräften.

 

Dem Bw ist es jedoch weder vor der Behörde erster Instanz noch vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

 

Der Bw hat jedenfalls fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt. Seine Strafbarkeit ist somit gegeben.

 

4.2.4. Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

 

Nach § 19 Abs. 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Strafzumessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens um eine Ermessensentscheidung, die nach den Kriterien des § 19 VStG vorzunehmen ist. Die maßgebenden Umstände und Erwägungen für diese Ermessensabwägung sind in der Begründung des Bescheides soweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes erforderlich ist.

 

Hinsichtlich der verhängten Strafe ist der Bw darauf hinzuweisen, dass deren höhenmäßige Festsetzung eine Ermessensentscheidung der Strafbehörde darstellt, die sie unter Bedachtnahme auf die objektiven und subjektiven Straf­bemessungskriterien des § 19 VStG vorzunehmen hat. Die Begründung der belangten Behörde in Bezug auf das von ihr festgesetzte Strafausmaß erweist sich als nachvollziehbar und mit den Strafzumessungskriterien des § 19 VStG im Einklang stehend.

 

Sowohl aus Gründen der Generalprävention als auch der Spezialprävention bedürfte es einer Bestrafung, um Übertretungen in vergleichbaren Fällen hintan zuhalten.

 

Trotz Kenntnis des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes und der mangelnden Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet hat der Bw bewusst den rechtswidrigen Zustand aufrecht erhalten. Das Gesamtverhalten des Bw lässt daher nicht den Schluss zu, dass ihn an der Verwaltungsübertretung ein geringfügiges Verschulden trifft. Das Verschulden wäre nur dann als geringfügig anzusehen, wenn – unabhängig von der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) – das tatbildmäßige Verhalten des Bw hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Im Hinblick auf den langen Tatzeitraum und in Kenntnis der Verbotsnorm kann ein geringfügiges Verschulden nicht erkannt werden.

 

Die Anwendung des § 21 VStG setzt voraus, dass das Verschulden des Bw geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

 

Abgesehen davon, dass die Folgen der dem Bw angelasteten Verwaltungsübertretung nicht unbedeutend sind, konnte das Verschulden nicht als geringfügig eingestuft werden.

 

Die von der belangten Behörde verhängte Geld- bzw Ersatzfreiheitsstrafe ist als angemessen zu betrachten, um den Bw in Hinkunft von einer gleichgelagerten Verwaltungsübertretung abzuhalten. Zu Recht hat die belangte Behörde von der Anwendung des § 21 VStG Abstand genommen.

 

Das Straferkenntnis war daher im angefochtenen Umfang zu bestätigen und die Berufung diesbezüglich abzuweisen.

 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis hat der Bw gemäß § 64 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat in Höhe von 20 % der verhängten Strafe, das sind 16 Euro, zu leisten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

 

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