Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720259/3/Fi/MZ

Linz, 19.11.2009

 

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Vizepräsident Mag. Dr. Johannes Fischer über die Berufung des X, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns des Bezirks Braunau am Inn vom 6. Oktober 2009, Sich-0702/10182, wegen der Verhängung eines Aufenthaltsverbots nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005, mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm §§ 6 Abs 1, 9 Abs 1 Z 1, 61 Z 3 und 86 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2009/29).


Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bezirkshauptmanns des Bezirks Braunau am Inn vom 6. Oktober 2009, Sich-0702/10182, wurde über den Berufungswerber ein Aufenthaltsverbot auf die Dauer von zehn Jahren für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt. Ein Durchsetzungsaufschub wurde ausgeschlossen.

Begründend führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Berufungswerber, der eine Vielzahl (von der Behörde erster Instanz eingehend dargestellter) krimineller Handlungen verwirklicht hat, die öffentliche Ordnung der Republik Österreich durch seinen Verbleib nachhaltig und maßgeblich gefährden würde. Im Hinblick auf die Schwere der begangenen Taten und der negativen Zukunftsprognose ergebe sich die konkrete Aufenthaltsverbotsdauer. Die Aberkennung des Durchsetzungsaufschubs sei aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten.

1.2. Gegen den Bescheid, im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung zugestellt am 12. Oktober 2009, erhob der Berufungswerber mit Schreiben vom 22. Oktober 2009 das Rechtsmittel der Berufung, welches noch am selben Tag – und damit rechtzeitig – bei der belangten Behörde einlangte.

1.3. Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bescheid einerseits an einem Verfahrensmangel leide und andererseits auch inhaltlich rechtswidrig sei.

Aus verfahrensrechtlicher Sicht sei zu bemängeln, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, dem Berufungswerber die Niederschrift über die Einvernahme seiner Ehefrau zur Stellungnahme zu übermitteln. Es liege daher eine Verletzung des Parteiengehörs vor, die zur Aufhebung des angefochtenen Rechtsakts führen müsse.

Aus materieller Sicht sei auf die für EWR-Bürger besonders strengen Aufenthaltsverbotsbestimmungen des § 86 Abs 1 FPG abzustellen. Das bisherige Vorleben wie auch die konkrete Lebenssituation des Berufungswerbers stelle jedenfalls keine nachhaltige und ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar. Ein Aufenthaltsverbot sei darüber hinaus aufgrund des Fehlens jeglicher persönlicher Anknüpfungspunkte in seinem Heimatland X nicht tragbar.

Der Berufungswerber stellt die Anträge,

a) den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben; in eventu

b) den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde aufzuheben und dieser die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

2.1. Der Bezirkshauptmann des Bezirks Braunau am Inn hat die Berufung samt dem von ihm geführten Verwaltungsakt erster Instanz mit Schreiben vom 22. Oktober 2009, beim Unabhängigen Verwaltungssenat eingelangt am 2. November 2009, zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Von der Möglichkeit, eine Berufungsvorentscheidung zu erlassen, wurde nicht Gebrauch gemacht.

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Sachentscheidung gemäß § 9 Abs 1 Z 1 FPG durch eines seiner Mitglieder (vgl § 67a Abs 1 Z 1 AVG) zuständig.

2.3. Das Rechtsmittel ist – wie bereits in Punkt 1.2. dargestellt – rechtzeitig.

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt erster Instanz, in den angefochtenen Bescheid sowie in die Berufung.

2.5. Von der Durchführung einer – von keiner Partei beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat konnte schon deshalb abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs 2 Z 1 AVG).

2.6. Aus den dargelegten Beweismitteln ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat folgender Sachverhalt, der seiner Entscheidung zugrunde liegt:

Der Berufungswerber ist rumänischer Staatsangehöriger. Er ist am 16. Jänner 1990 im Alter von acht Jahren nach Österreich eingereist. Folgende rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen scheinen über den Berufungswerber auf:

1.     Urteil des Landesgerichtes Ried/Innkreis vom 23.8.2002, 8 Hv 31/02g, wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach den §§ 15,105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, bedingt auf 3 Jahre;

2.     Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 12.7.2004, 33 Hv 74/04m, wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 1. Fall (2-fach) und des versuchten Verbrechens nach §§ 15 Abs 1 StGB, 28 Abs 2 1. Fall SMG und des Vergehens nach § 27 Abs 1 1. und 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, bedingt auf 3 Jahre;

3.     Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 9.8.2004, 30 Hv 21/04, wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2, 2.Fall und 4.Fall und Abs 3 1. Fall SMG und des versuchten Verbrechens nach den §§ 15 Abs 1 StGB und 28 Abs 2, 2. Fall und 4. Fall und Abs 3, 1. Fall SMG unter Bedachtnahme auf das Urteil 33 Hv 74/04m zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe in der Dauer von 19 Monaten, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe, 15 Monate, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren vorerst bedingt nachgesehen wird und der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe 4 Monate beträgt;

4.     Urteil des Bezirksgerichtes Oberndorf bei Salzburg vom 19.12.2006, 2 U 38/2006g, wegen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit sowie fahrlässiger Körperverletzung nach §§ 89 (81 Abs 1 Z 1) und 88 Abs 3 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 8 Wochen, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren, - wobei die Probezeit insgesamt auf 5 Jahre durch das Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 12.11.2007, 61 HV 126/2007v, verlängert wurde;

5.     Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 14.2.2007, 29 U 36/2007s, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15 iVm 127 StGB, zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 2,-- €;

6.     Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 12.11.2007, 61 HV 126/2007v, wegen des vorschriftswidrigen Erwerbs von Suchtgiften, der unerlaubten Weitergabe von Suchtgiften in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge sowie des unerlaubten Umganges mit psychogenen Stoffen nach § 27 Abs 1 1.und 2. Fall SMG, § 28 Abs 2 4. Fall SMG, 27 Abs 1 6. Fall und § 30 Abs 1 6. Fall SMG, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten;

7.     Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 16.7.2008, 27 U 155/2008b, wegen des versuchten Diebstahls nach §§ 15 Abs 1 iVm 127 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat, bedingt auf 3 Jahre;

8.     Urteil des Landegerichtes Salzburg vom 15.1.2009, 36 HV 255/2007f, wegen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, der Verleumdung sowie des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 1. Fall StGB, § 297 Abs 1 1. Fall, § 269 Abs 1 1. Satz StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren, wobei Bewährungshilfe angeordnet wurde; Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Beachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes Salzburg 61 HV 126/200v, rk. 16.11.2007.

 

Weiters scheint über den Berufungswerber in Deutschland folgende gerichtliche Verurteilung auf:

9.      Urteil des Amtsgerichts Altötting vom 14.6.2002, CS 150 JS 7014/02, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro.

 

Der Berufungswerber wurde darüber hinaus von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung mit Straferkenntnis vom 25.8.2005, GZ 30308/369-49457-2005 V1, wegen einer Übertretung des § 107 Abs 1 Z 1 Fremdengesetz 1997 mit einer Geldstrafe in der Höhe von 100 Euro rechtskräftig bestraft. Ferner wurde ihm mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 26.6.2007, VerR21-171-2007/BR, die Lenkerberechtigung entzogen sowie ein Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen mangels gesundheitlicher Eignung auferlegt.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 31. März 2005 wurde über den Berufungswerber ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Dieses wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. September 2007, GZ 2005/18/0161, mit der Begründung aufgehoben, dass der Beschwerdeführer (und nunmehrige Berufungswerber) Anfang des Jahres 2000 zehn Jahre seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet gehabt habe, und ihm zu diesem Zeitpunkt daher gemäß § 10 Abs 1 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können.

3. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Folgende Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2009/29, sind im Verfahren maßgeblich:

§ 9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

  1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und
  2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz. […]

 

3. Abschnitt

Aufenthaltsverbot und Rückkehrverbot

Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot

§ 60. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.                 die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.                 anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1.      […]

12.    auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass er einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat;

13.    auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass er durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

14.    öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(3) […]

 

Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes

§ 61. Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn

1.                 der Fremde in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z 8 nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben hätte dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Fremde betreten wurde, keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen wäre;

2.                 eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre;

3.                 dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen;

4.                 der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

 

Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung

und für verfahrensfreie Maßnahmen

§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) […]

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise des Fremden wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

 

3.2. Im Hinblick auf die geltend gemachten Verfahrensmängel ist der Berufungswerber nicht im Recht:

Einerseits geht aus dem dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorliegenden Akt der Erstbehörde hervor, dass die besagte Niederschrift über die Vernehmung der Ehegattin des Berufungswerbers mit Schreiben vom 28. Juli 2009 an die rechtsfreundliche Vertretung des Berufungswerbers übermittelt wurde und von dieser laut Rückschein am 30. Juli 2009 übernommen wurde.

Andererseits würde, selbst wenn dem nicht so wäre, kein zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führender Mangel gegeben sein. Eine Verletzung des Rechts auf Parteiengehör durch die erstinstanzliche Behörde ist nämlich als saniert anzusehen, wenn die Partei die Möglichkeit hatte, das ihr im erstinstanzlichen Bescheid zur Kenntnis gebrachte Ergebnis des Ermittlungsverfahrens mit Berufung zu bekämpfen und damit hiezu Stellung zu nehmen (VwGH 30.6.1994, 93/09/0333). Darüber hinaus führt die Verletzung des Parteiengehörs nur dann zur Aufhebung des Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wenn die Behörde bei Vermeidung dieses Fehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Es reicht daher nicht, nur einen Mangel aufzuzeigen, der Betroffene muss vielmehr jene entscheidenden Tatsachen anführen, die er vorgebracht hätte, wäre ihm das Parteiengehör gewährt worden (vgl VwGH 28.3.1996, 95/07/0175).

3.3. Materiell betrachtet ist die Berufung hingegen – wenn auch nicht im Sinne des Vorbringens des Berufungswerbers – berechtigt:

3.3.1. Da Rumänien dem EWR angehört, sind auf den Berufungswerber als rumänischen Staatsbürger grundsätzlich die im FPG normierten Sonderbestimmungen für EWR-Bürger anzuwenden. Ein Aufenthaltsverbot ist daher nur zulässig, wenn die Tatbestandselemente des § 86 Abs 1 FPG, die strenger als die für "sonstige" Fremde geltenden Aufenthaltsverbotsvoraussetzungen des § 60 Abs 2 leg cit (der jedoch nach ständiger Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes als "Orientierungsmaßstab" gilt) sind, vom Berufungswerber erfüllt werden.

3.3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat vermag der belangten Behörde grundsätzlich nicht entgegentreten, wenn sie zur Auffassung gelangt, dass bei wiederholt rechtswidrigem Verhalten die Voraussetzungen, die § 86 Abs 1 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots für EWR-Bürger normiert, vorliegen.

Die belangte Behörde hat es aber unterlassen, eine Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 61 FPG zu prüfen. § 61 FPG findet auch auf EWR-Bürger Anwendung bzw ist bei der Interpretation des § 86 FPG zu berücksichtigen (vgl VwGH 13.9.2006, 2006/18/0173; 29.11.2006, 2006/18/0275), widrigenfalls das zum paradoxen Ergebnis führen würde, dass die an sich im Fremdenrecht begünstigten EWR-Bürger hinsichtlich der Aufenthaltsverbotserteilung gegenüber "sonstigen" Fremden benachteiligt würden. Ein solche Rechtsauffassung wäre unsachlich und würde dem Gleichheitssatz widersprechen.

3.3.3. Gegen den Berufungswerber ist ein Aufenthaltsverbot daher nur dann zulässig, wenn § 61 FPG dem nicht entgegen steht. Z 3 leg cit verbietet ein Aufenthaltsverbot, wenn "dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen."

Der im Sinne der zitierten Norm für das Aufenthaltsverbot maßgebliche Sachverhalt beginnt mit der Verwirklichung der ersten bekannt gewordenen gerichtlich strafbaren Handlung am 9. Oktober 2001. Dass dem Berufungswerber bereits davor, nämlich mit Anfang des Jahres 2000, die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können, wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. September 2007, GZ 2005/18/0161, bereits festgestellt.

Ein Aufenthaltsverbot ist im konkreten Fall daher nur zulässig, wenn der Berufungswerber wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist oder einen der in § 60 Abs 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklicht hat.

Für die Verwirklichung eines der Tatbestände in § 60 Abs 2 Z 12 bis 14 FPG liegen – wie auch die belangte Behörde bestätigt – keine Anhaltspunkte vor. Dem Berufungswerber könnte somit grundsätzlich erst bei einer Verurteilung zu einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe der Aufenthalt in Österreich untersagt werden. Wie die im Akt befindlichen Strafurteile zeigen, wurde der Berufungswerber zwar mit Urteil des Bezirksgerichtes Oberndorf bei Salzburg vom 9.8.2004, GZ 30 Hv 21/04, zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten verurteilt, allerdings wurden 15 Monate bedingt nachgesehen. Auch die Verurteilung vom
12. November 2007, GZ 61 HV 126/2007v, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten reicht – da es dem klaren Wortlaut des § 61 Z 3 FPG nach auch nicht gestattet ist, die Verurteilungen aufzusummieren – für ein Aufenthaltsverbot nicht aus.

Der Bescheid war daher ersatzlos zu beheben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

1.     Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.     Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Johannes Fischer


 

 

Rechtssatz:

 

VwSen-720259/3/Fi/MZ vom 19. November 2009

 

Erkenntnis

 

§ 61 FPG findet auch auf EWR-Bürger Anwendung bzw ist bei der Interpretation des § 86 FPG zu berücksichtigen (vgl VwGH 13.9.2006, 2006/18/0173; 29.11.2006, 2006/18/0275), widrigenfalls das zum paradoxen Ergebnis führen würde, dass die an sich im Fremdenrecht begünstigten EWR-Bürger hinsichtlich der Aufenthaltsverbotserteilung gegenüber "normalen" Fremden benachteiligt würden. Ein solche Rechtsauffassung wäre unsachlich und würde dem verfassungsrechtlichen allgemeinen Sachlichkeitsgebot widerstreiten.

§ 61 Z 3 FPG stellt ausdrücklich auf die rechtskräftige Verurteilung "wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung zu mehr als einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe" ab. Es können dem klaren Wortlaut nach daher nicht mehrere gegen die Person verhängte unbedingte Freiheitsstrafen zusammengerechnet werden.

 

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