Linz, 29.12.2009
E r k e n n t n i s
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn X, vertreten durch RA Dr. X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, vom 11.12.2009, Zl. VerkR21-919-2009LL, zu Recht:
Der Berufung wird Folge gegeben; der ausgesprochene Entzug der Lenkberechtigung wird behoben.
Rechtsgrundlagen:
§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 - AVG iVm § 7 Abs.3, Abs.4 Z13 Führerscheingesetz 1997, zuletzt geändert durch BGBl I Nr. 93/2009 - FSG
Entscheidungsgründe:
1.1. Die Behörde erster Instanz traf nachfolgende Erwägungen:
2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht per Fax bei der Behörde erster Instanz eingebrachten Berufung mit folgenden Ausführungen:
2.1. Mit diesem Vorbringen ist der Berufungswerber im Recht!
3. Die Behörde erster Instanz hat die Akte mit Schreiben vom 22.12.2009 zur Berufungsentscheidung vorgelegt; der Akt langte bei der Berufungsbehörde am 28.12.2009 ein und kam dem zuständigen Mitglied am 29.12.2009 zur Vorlage.
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des hier anhängig gewesenen Verwaltungsstrafverfahrens, sowie in den vorgelegten Verfahrensakt. Beigeschafft wurde ein aktueller Auszug aus dem Verwaltungsvormerkregister der Wohnsitzbehörde des Berufungswerbers.
4. Sachverhalt:
Der Berufungswerber hat am 12.5.2009 um 11:00 Uhr mit dem Pkw, Kennzeichen X, in der Gemeinde Pichl bei Wels, die Richtungsfahrbahn der Autobahnabfahrt aus Richtung Suben der A8 entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung befahren.
Wie in der Berufung unter Hinweis auf die h. Berufungsentscheidung v. 14.12.2009, VwSen-164549/5/Br/Th zutreffend dargetan wurde, hat die Berufungsbehörde dieser vom Berufungswerber ehest erkannten und letztlich noch vor Erreichen der Autobahn beendeten Falschfahrt als atypisch bezeichnet und keine gefährlichen Folgen zugemessen. Dieser Umstand wurde demnach als gravierend anders beurteilt als er einer klassischen „Geister- oder Falschfahrt“ in typischer Weise an Gefährlichkeit zuzuordnen ist.
Zutreffend wurde auch darauf hingewiesen, dass selbst die Verwaltungstrafbehörde erster Instanz diesem nunmehr bereits mehr als sieben Monate zurückliegenden Vorfall nicht als unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen erachtete und demnach nur die Strafnorm des § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 anwendete.
Der als Geschäftsführer tätige Berufungswerber zeigte sich anlässlich der h. Berufungsverhandlung am 14.12.2009 im Verwaltungsstrafverfahren einsichtig und bedauerte diesen Vorfall. Er legte glaubwürdig und nachvollziehbar dar, dass es offenkundig nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände und keinesfalls durch einen Orientierungsverlust zu dieser kurzen und gefahrlos verlaufenen Falschfahrt gekommen ist. Die Berufungsbehörde sah sich im Strafverfahren nicht zuletzt zur Feststellung veranlasst, dass ein solcher Fehler „durch widrige Umstände durchaus jedem wertverbundenen Autofahrer unterlaufen könnte“.
Mit diesen Überlegungen scheint sich die Behörde erster Instanz offenbar in diesem Verfahren, insbesondere bei der nach § 7 Abs.4 FSG vorzunehmenden Wertung, inhaltlich nicht auseinander gesetzt zu haben.
6. Rechtlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung darf eine solche im Sinne des § 3 Abs.1 FSG nur Personen erteilt (und daher auch nur belassen) werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
...
Gemäß § 24 Abs.1 Z1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen.
Gemäß § 25 Abs.1 FSG ist bei der Entziehung auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit ist gemäß § 25 Abs.3 FSG eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen.
6.1. Die Behörde erster Instanz geht in ihren rechtlichen Ausführungen auf die hier rechtskräftig festgestellte atypische Fallgestaltung überhaupt nicht ein. Mit den pauschalen Hinweisen auf § 7 Abs.3 Z3 letzter Halbsatz wird zumindest keine noch für weitere drei Monate bestehende Verkehrsunzuverlässigkeit aufgezeigt.
Es kann auf sich bewenden ob das kurze Befahren einer Autobahnzufahrt, welche als Definition im Sinne der StVO als Teil der Autobahn gilt, vom Führerscheingesetzgeber an sich bereits „als Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen“ gesehen werden wollte.
Jedenfalls kann diesem von der Strafbehörde nicht einmal nach § 99 Abs.2 lit.c StVO (als unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen) qualifiziertem Verhalten und unter Berücksichtigung des bisherigen Wohlverhaltens keine über zehn Monate andauernde Verkehrszuverlässigkeit zugesonnen werden. Damit wurde von der Behörde erster Instanz die Rechtslage insofern verkannt, als dies zu einem mit der EMRK in Konflikt geratendem Ergebnis führt, indem der Führerscheinentzug letzlich nur mehr als Strafe zur Wirkung gelangt (VwGH 25.5.2004, 2003/11/0291).
Vor diesem Hintergrund muss ob des langen Zurückliegens des Vorfalls auch die Annahme einer Gefahr in Verzug und darauf gestützt die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung als problematisch bemerkt werden.
Die Behörde kann [hat] iSd § 64 Abs.2 AVG einer Berufung die aufschiebende Wirkung immer dann (aber auch nur dann) aberkennen, wenn die vorzeitige Vollstreckung des Bescheides im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzuge geboten ist. Davon kann bei sachbezogener Betrachtung des Sachverhaltes hier aber wohl kaum die Rede sein (VwGH 2.7.1986, 85/11/0167 mit Hinweis auf VwGH 28.11.1983, 82/11/0270, VwSlg 11237 A/1983 sowie VwGH 29.9.2005, 2005/11/0123).
Wenn die Behörde erster Instanz in diesem Zusammenhang auf ein Erkenntnis einer gravierenden Geschwindigkeitsüberschreitung verweist, geht dies ins Leere weil den sogenannten Kurzzeitentzügen keine Wertung zu Grunde liegt, sondern ein solcher Entzug als Erziehungs- u. nicht als Sicherungsmaßnahme konzipiert ist (VfGH 14.3.2003, G 203/02 ua).
Gemäß § 7 Abs.1 Z1 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs.3) und ihrer Wertung (Abs.4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird.
Gemäß § 7 Abs.3 Z3 FSG hat als bestimmte Tatsache iSd Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbei zu führen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen, sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen.
Gemäß § 7 Abs.4 FSG sind für die Wertung der in Abs.3 beispielsweise angeführten Tatsachen deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend. Der Berufungswerber nahm laut Vormerkregister ab diesem Vorfall bis zu verfahrensgegenständlichen Entzug im übrigen völlig unbeanstandet am Straßenverkehr teil.
Alleine schon die mit Blick auf im Gegensatz zur Fahrt auf der Autobahn geringergradige Gefährlichkeit dieser nur kurzzeitigen Falschfahrt am Zufahrtsbereich und insbesondere die seit daher verstrichene Zeit und das Wohlverhalten während dieser Zeit lässt keine Wertungskriterien erkennen, welche derzeit noch auf eine noch weitere drei Monate auf eine Verkehrsunzuverlässigkeit schließen ließen (vlg. VwGH v. 11.4.2000, 99/11/0351). Nicht zuletzt erfordert das am Gleichheitsgrundsatz orientierte Sachlichkeitsgebot, dass ein Sachverhalt nicht völlig pauschal, sondern an seinen Auswirkungen im Einzelfall beurteilt wird!
Die Entziehung der Lenkberechtigung war daher von der Berufungsbehörde unverzüglich zu beheben (VwGH 24.7.2007, 2005/11/0156 mit Hinweis auf VwGH 27. März 2007, 2006/11/0273 mwN.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r