Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-164666/7/Br/Th

Linz, 26.01.2010

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die auf den Strafausspruch eingeschränkte Berufung der Frau X, vertreten durch Dr. X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, vom 11.12.2009, Zl.: VerkR96-20410-2009-Ni/Pi, zu Recht:

 

 

I.     Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen;

 

II.    Zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten wird dem Berufungswerberin für das Berufungsverfahren ein Kostenbeitrag von 80,--  Euro (20 % der verhängten Geldstrafe) auferlegt.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008 – AVG iVm § 19 Abs.1 u. 2, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008 – VStG.

Zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Über die Berufungswerberin wurde mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wegen der Übertretung nach § 103 Abs.2 KFG 1967 iVm § 134 Abs.1 KFG 1967 eine Geldstrafe von 400 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 160 Stunden verhängt, weil sie es als Zulassungsbesitzerin unterlassen habe binnen zwei Wochen, der anfragenden Behörde (BH Linz-Land) über deren Aufforderung laut Schreiben vom 19.08.2009, Auskunft darüber zu erteilen, wer das angeführte Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen X (A) [richtig: X]am 23.05.2009 um 06.20 Uhr in der Gemeinde Ansfelden auf der Autobahn A1 bei Strkm. 170.000 in Fahrtrichtung Wien gelenkt hat.

 

1.1. In der Begründung des Straferkenntnisses führt die Behörde erster Instanz Folgendes aus:

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 19.08.2009 wurden Sie als Zulassungsbesitzerin aufgefordert, binnen zwei Wochen, der Behörde bekannt zu geben, wer das Fahrzeug mit dem pol. KZ.: X (A) [richtig: X] am 23.05.2009 um 06.20 Uhr in der Gemeinde Ansfelden auf der Autobahn A1 bei Strkm. 170.000 in Fahrtrichtung Wien gelenkt hat oder wer diese Auskunft erteilen kann.

 

Dieser Aufforderung sind Sie nicht nachgekommen sondern haben mit Schreiben vom 23.09.2009 nachstehende Rechtfertigung abgegeben:

In der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 13.07.2009 legt mir die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land eine Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. a Z. 10a iVm § 99 Abs. 2c Z. 9 StVO mit der Begründung zur Last, dass ich am 23.05.2009 um 06.20 Uhr in der Gemeinde Ansfelden auf der A1 bei km 170 in Fahrtrichtung Wien die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 63 km/h überschritten habe.

Zu diesem Tatvorwurf erstatte ich nachstehende RECHTFERTIGUNG:

Der gegenständliche Tatvorwurf ist nicht berechtigt.

Meine Daten in der Anzeige der Landesverkehrsabteilung Oberösterreich vom 03.07. stammen (S. 1 zweite Rubrik) aus dem Kennzeichenregister.

Es entspricht den Tatsachen, dass ich Zulassungsbesitzerin des Pkw mit dem Kennzeichen X bin, ich war damals aber nicht dessen Lenker.

Ich war am besagten Wochenende in Radfeld bei Wörgl/Tirol, wo ich arbeite.

Aus den aktenkundigen Radarfotos (Pkw- und Kennzeichenbild) ergibt sich, dass der auf mich zugelassene Pkw damals am angeführten Ort war, diesen hat ein naher Familienangehöriger iSd § 36a AVG gelenkt.

Wäre ich im Verwaltungsstrafverfahren gegen den tatsächlichen Lenker Zeuge, müsste ich im Sinne der Bestimmungen der § 49 AVG und 38 VStG nicht aussagen, weswegen mir mit Blick auf Art 8 EMRK nicht zugemutet werden kann, den nahen Familienangehörigen als Lenker der Behörde bekannt zu geben und dem Verwaltungsstrafverfahren (und dem allfälligen Lenkberechtigungsentzug) auszusetzen.

Aus der Eigenschaft als Zulassungsbesitzer automatisch auf die Lenkereigenschaft zu schließen, ist nicht zulässig.

So führt der UVS des Landes Oberösterreich im jüngsten Erkenntnis vom 03.07.2009, VwSen-130596 (im Internet veröffentlicht) aus, dass aus der Unterlassung der Erteilung der geforderten Lenkerauskunft nicht der Schluss gezogen werden darf, dass er jene Person ist, der das verfahrensgegenständliche Kfz zum Tatzeitpunkt gelenkt (dort: abgestellt) hat. Ein aus dem bloßen Untätigbleiben der Zulassungsbesitzer nach einer Lenkeranfrage gezogener Schluss auf dessen Tätereigenschaft ist schon deshalb unzulässig, weil das PGG keine dementsprechende gesetzliche Fiktion, ja nicht einmal eine darauf gerichtete gesetzliche Vermutung enthält.

Vielmehr geht im Gegenteil gerade daraus, dass die Nichterteilung der geforderten Auskunft gesondert unter Strafe gestellt ist, der unmissverständliche Wille des Gesetzgebers hervor, dass speziell in jenen Fällen, wo die Lenkerauskunft durch ein entsprechendes Auskunft erteilen nicht eindeutig geklärt werden kann, ausschließlich eine Bestrafung wegen der Verletzung dieser spezifischen Obliegenheitspflicht zu erfolgen hat.

Dies ist auch mit Blick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK der richtige Ansatz.

Andernfalls würde man die gesetzlichen Beweisregeln, auch jene des VStG, ins Gegenteilverkehren, was einen Verstoß gegen das fair trial bedeuten würde.

Dieses Ergebnis ist zwingend auch aus der Verfassungsbestimmung des letzten Satzes des

§ 103 Abs. 2 KFG abzuleiten, wonach Rechte auf Auskunftsverweigerung gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, zurücktreten.

Gegenständlich gibt es nicht Ansatz eines Beweises für meine Lenkereigenschaft ich habe diese mit der Begründung bestritten, dass ich nicht die damalige Lenkerin meines Fahrzeuges war, vielmehr hat dieses ein Familienmitglied im Sinne der bereits zitierten gesetzlichen Bestimmung gelenkt;

der Entzug meiner Lenkberechtigung würde somit nicht nur den falschen treffen sondern auch die Schadenersatzpflicht der Kraftfahrbehörde nach sich ziehen, weil es im Falle der Bestreitung der Lenkereigenschaft und Verweigerung der Lenkerauskunft unzulässig ist, Maßnahmen im Sinne des Führerscheingesetzes gegen den Zulassungsbesitzer eines Fahrzeuges zu treffen.

Unter derartigen Umständen von der Lenkereigenschaft des Zulassungsbesitzers auszugehen, verstößt überdies gegen die verfassungsgesetzlich geschützte Unschuldsvermutung iSd Art.6 Abs. 2 EMRK.

Dies umso mehr dann, wenn — wie im gegenständlichen Fall — der Zulassungsbesitzer angibt, dass ein naher Familienangehöriger der Lenker war, wenn dieser auch (mit Blick auf die Verfassungsbestimmung des Art. 8 Abs. 1 EMRK) nicht konkret benannt wurde.

Aus den genannten Gründen stelle ich höflich den ANTRAG auf Einstellung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens.

 

Da Sie der Auskunftspflicht nicht nachgekommen sind erging an Sie mit Schreiben vom 14.10.2009 eine Aufforderung zur Rechtfertigung wegen Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967.

 

Mit Schreiben vom 03.11.2009 wurde durch Ihren rechtsfreundlichen Vertreter nachstehende Äußerung abgegeben:

 

RECHTFERTIGUNG:

Wie ich bereits in meiner Rechtfertigung vom 23.09. ausgeführt habe, hat meinen Pkw damals ein naher Familienangehöriger iSd § 36a AVG gelenkt.

Zum Zeitpunkt der behördlichen Lenkeranfrage war ich Beschuldigte iSd VStG, zumal mir schon damals im Sinne der ersten behördlichen Aufforderung zur Rechtfertigung ein Verwaltungsstrafdelikt (Geschwindigkeitsüberschreitung) zur Last gelegt wurde. Der Beschuldigte kann zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht gezwungen werden (33 Abs. 2 VStG).

Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 1. und 2. Fall BMRK).

Nach dieser Verfassungsbestimmung, welche auch in § 49 AVG und § 38 VStG zum Ausdruck kommt, ist niemand verpflichtet, gegen einen nahen Familienangehörigen auszusagen, weil dies den Betroffenen in einen schweren Gewissenskonflikt bringt, weil damit eine Bestrafung und allfällige andere Maßnahmen gegenüber dem engsten Familienkreis verbunden sein könnte. Die Aussage darf von einem Zeugen verweigert werden, über Fragen, deren Beantwortung einem nahen Angehörigen (§ 36a) die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung zu ziehen würde (§ 49 Abs. 1 Z. 1 AVG), wobei unter "strafrechtlicher Verfolgung" auch das Verwaltungsstrafverfahren zu verstehen ist (VfSlg. 14.988).

Die Verwandten und Verschwägerten des Beschuldigten in auf- und absteigender Linie etc. sind von der Verbindlichkeit der Ablegung eines Zeugnisses auch dann befreit, wenn die in § 49 Abs. 1 Z. 1 AVG vorgesehenen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 38 VStG).

Dieselben Entschlagungsrechte sehen auch andere Verfahrensbestimmungen, etwa in der ZPO und StPO, vor.

Unter den gegebenen Umständen liegt betreffend die mir zur Last gelegte Verweigerung der Lenkerauskunft ein Rechtfertigungsgrund vor, weswegen höflich der ANTRAG gestellt wird, die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land möge das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einstellen.

 

Die Behörde hat Folgendes erwogen:

Gemäß § 103 Abs. 2 kann die Behörde Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw. zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskunft, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer - im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung - zu erteilen, kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

Der Zweck des § 103 Abs. 2 KFG 1967 liegt nicht nur darin, einen etwaigen einer Verwaltungsübertretung schuldigen Lenker festzustellen. Es sollen darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der Ausforschung von Zeugen und Straftätern geordnete und zielführende Amtshandlungen ermöglicht werden.

Das beträchtliche öffentliche Interesse hat er Bundesgesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er einen Teil dieser Bestimmung in Verfassungsrang erhoben hat.

 

Die gegenständliche Lenkererhebung wurde Ihrerseits nicht beantwortet.

 

Der Zweck des § 103 Abs. 2 KFG 1967 liegt nicht nur darin, einen etwaigen einer Verwaltungsübertretung schuldigen Lenker festzustellen. Es sollen darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der Ausforschung von Zeugen und Straftätern geordnete und zielführende Amtshandlungen ermöglicht werden.

Das beträchtliche öffentliche Interesse hat er Bundesgesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er einen Teil dieser Bestimmung in Verfassungsrang erhoben hat.

Eine auf Grund einer Anfrage nach Abs. 2 erteilte Auskunft genügt den gesetzlichen Anforderungen nur dann, wenn der Darstellung der verantwortliche Lenker zweifelsfrei entnommen werden kann. VwGH-Erkenntnis vom 29.9.1993 ZI. 93/02/0191, vom 5.7.2006 ZI. 96/02/0075.

 

Weiters wird auf das VwGH-Erkenntnis vom 26.05.2000, ZI. 2000/02/115 verwiesen, welches wie folgt lautet:

Aus Art. 6 Abs. 2 des Vertrages über die EU ist nicht ableitbar, dass die Rezeption der EMRK in das Gemeinschaftsrecht durch den Vertrag über die EU bewirkt hätte, dass es zu einer generellen Verdrängung entgegenstehender nationaler Vorschriften (also über den Bereich der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht hinaus) gekommen wäre (hier: die behauptete Rechtsverletzung durch die Anwendung des Abs. 2 liegt daher mangels Zusammenhangs mit der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht nicht vor). Überdies hat die Europäische Kommission für Menschenrechte in der E v. 5.9.1989 über die Beschwerden 15.135/89, 15.136/89 und 15.137/89 festgestellt, dass die Auskunftspflicht nach Abs. 2 nicht gegen Art. 6 EMRK (insb. nicht gegen die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK) verstößt.

 

Gleichzeitig darf angemerkt werden, dass das Strafverfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 52 lit. a Zif. 10a nicht weiterverfolgt wurde.

Aus den oben angeführten Gründen erscheint es für die Behörde daher als zweifelsfrei erwiesen, dass Sie die Ihnen angelastete Tat begangen haben.

 

Im Sinne des § 19 Abs. 1 VStG 1991 bildet Grundlage für die Bemessung der Strafhöhe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Gemäß § 19 Abs. 2 VStG 1991 sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden.

 

Bei der Strafbemessung wurde hinsichtlich Ihrer Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse wurde von folgender Schätzung ausgegangen: Einkommen: ca. 1.400 Euro monatlich, kein Vermögen, keine Sorgepflichten.

 

Strafmildernd und straferschwerend waren keine Umstände zu werten.

 

2. In der dagegen fristgerecht durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter  erhobenen Berufung wird dem Schuldspruch mit folgenden Ausführungen entgegen getreten:

Im Straferkenntnis vom 11.12.2009 verhängt die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land über mich eine Geldstrafe von € 400,-- mit dem Vorwurf, das Lenkerauskunftsersuchen vom 19.0S.2009 nicht beantwortet und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 103 Abs. 2 iVm § 134 Abs, 1 KFG begangen zu haben.

 

Gegen diesen Strafbescheid erhebe ich

 

BERUFUNG

 

an den Unabhängigen Verwaltungssenat Oberösterreich.

 

Die Bezirkshauptmannschaft bezieht sich auf ein Erkenntnis des VwGH aus dem Jahr 2000 wonach die Rezeption der EMRK in das Gemeinschaftsrecht durch den Vertrag über die Europäische Union nicht bewirkt hätte, dass es zu einer generellen Verdrängung entgegenstehender nationaler Vorschriften gekommen wäre; es liege kein Zusammenhang mit der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht vor. Weiters hätte die Europäische Kommission für Menschenrechte bereits im Jahr 1999 diesbezügliche Beschwerden in Bezug auf Art. 6 EMRK abgewiesen.

 

Zweifelsfrei hat der EGMR in den letzten Jahren Urteile in englischen und Österreichi­schen Fällen gefällt; wonach die Verpflichtung des Zulassungsbesitzers zur Lenker­auskunft nicht gegen Art. 6 EMRK verstößt, gegenständlich geht es aber im Sinne meiner Rechtsfertigung vom 23.09. und der Äußerung vom 03.11.2009 um die Frage der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Achtung des Pri­vat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK.

Dazu gibt es weder im gegebenen Zusammenhang Rechtsprechung des Verfassungs­gerichtshofes und des EGMR.

 

Unbestrittenermaßen war ich zum Zeitpunkt des behördlichen Lenkerauskunftsersu­chens Beschuldigte im Sinne des VStG, weil mir in der Aufforderung zur Rechtferti­gung vom 13.07.2009 eine Verwaltungsübertretung nach § 52 lit.a Z. 10a iVm § 99 Abs. 2 (gemeint: Abs. 2c) Z. 9 StVO (163 statt der zulässigen 100 km/h am 23.05. um 06.20 Uhr auf der A 1 bei km 170 in Fahrtrichtung Wien) zur Last gelegt wurde.

 

Nach der verwaltungsgerichtlichen Judikatur ist ein Aufforderungsverfahren nach § 103 Abs. 2 KFG ein Administrativverfahren (vgl. etwa VwGH vom 23,01.2007, 2005/11/0049).

 

Das gegenständlich gegen mich geführte Verwaltungsstrafverfahren ist ein Verfahren nach dem VStG, in welchem lediglich die Bestimmungen dieses Gesetzes zur Anwen­dung kommen sowie jene des AVG, soweit dies § 24 VStG erlaubt.

 

Damit ist ungeachtet der Tatsache, dass der letzte Satz des § 103 Abs. 2 KFG eine Verfassungsbestimmung ist, die Bestimmung des § 33 Abs, 2 VStG lex specialis zu § 103 Abs. 2 KFG mit dem Ergebnis, dass ein Beschuldigter" im Sinne des VStG nicht unter Strafsanktion zur Beantwortung eines an ihn gerichteten Lenkerauskunftsersu­chens gezwungen werden kann.

 

Dieses Ergebnis steht auch mit dem Urteil des EGMR vom 08.04.2004 im Fall Weh gegen Österreich, Beschwerde-Nr. 38,544/97, in Einklang, in welchem der Gerichtshof mit 4 : 3 Stimmen deshalb zum Ergebnis kommt, dass keine Verletzung von Art. 6 EMRK vorliegt, weil im dortigen Fall nur ein schwacher und hypothetischer Zusam­menhang zwischen der Verpflichtung des Beschwerdeführers, den Lenker seines Fahr­zeuges preis zu geben, und einem möglichen Strafverfahren wegen Geschwindigkeits­überschreitung gegen ihn bestand. Ohne ausreichend konkreter Verbindung zu diesem Verfahren wirft die Anwendung von Zwang zur Erlangung von Informationen kein Problem bezüglich des Rechts des Beschwerdeführers zu schweigen und sich nicht selbst zu bezichtigen, auf.

 

Dieses Ergebnis steht auch mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Ein­klang.

 

Die Frage, wer das Fahrzeug gelenkt hat, ist nach dem Text der Anfrage unlösbar mit dem Tatvorwurf verbunden, dass dieser Lenker die höchst zulässige Geschwindigkeit um 26 km/h überschritten habe; eine Beantwortung der Frage, wer das Fahrzeug ge­lenkt habe, ist also notwendig damit verbunden, dass nach Auffassung des Befragten diesen Lenker dieser Tatvorwurf treffe. Eine Ermächtigung für eine derartige Frage­stellung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Dies führt aber zur Gesetzwidrigkeit der An­frage und damit zum Wegfall der Verpflichtung, die verlangte Auskunft zu erteilen (VwGH vom 15.09.1999, 99/03/0090 und die darin zitierte Vorjudikatur),

 

Im gegenständlichen Fall enthält zwar das Lenkerauskunftsersuchen selbst keine kon­krete Bezugnahme auf das Grunddelikt, welches Anlass für das Lenkerauskunftsersuchen war, aufgrund der mir aber zwei Monate vorher zugestellten Aufforderungen zur Rechtfertigung vom 13.07. war aber völlig klar, dass der bekannt zu gebende Lenker diese Geschwindigkeitsübertretung begangen hat weil sämtliche Daten in der Auffor­derung zur Rechtfertigung und im Lenkerauskunftsersuchen ident sind (Tatort, Tatzeit, Kfz, etc.).

 

Dies führt im Sinne des zitierten Judikats aber zur Gesetzwidrigkeit der Anfrage und damit zum Wegfall der Verpflichtung, die verlangte Auskunft zu erteilen. In dieselbe Richtung geht das in der ZVR veröffentlichte und bekannte Erkenntnis des UVS Vor­arlberg.

 

Im Urteil vom 04.10.2005 im Fall X gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde-Nr. 6563/03 stellt der EGMR (Rz, 41) eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK (Selbstbelastungsverbot) mit der Begrün­dung fest, dass die Verpflichtung zur Teilnahme an einer Befragung durch die Steuer­behörden und zur Beantwortung der dabei gestellten Fragen dem Selbstbelastungsverbot widerspricht, zumal die Einvernahme im Zusammenhang mit Ereignissen stand, wegen welcher der dortige Beschwerdeführer verfolgt wurde.

Im Urteil vom 03.05.2001 im Fall X gegen die Schweiz, Beschwerde-Nr- 31827/96, stellt der EGMR eine Verletzung des Selbstbezichtigungsverbots nach Art. 6 Abs. 1 EMRK mit der Begründung fest, dass der Beschwerdeführer mit einer Ordnungsstrafe belegt wurde, weil er die geforderte Vorlage von Dokumenten unterlassen hat. Die verhängte Geldstrafe von € 400,-- ist im Rahmen der festgestellten persönlichen Verhältnisse - diese Schätzung wird akzeptiert - überhöht.

 

Ich stelle daher höflich den

 

ANTRAG,

 

der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge meiner Berufung Folge geben, das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 11.12.2009 aufheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen.

 

 

Mattighofen, am 18.12.2009                                                                 Anja Unverdorben.“

 

3. Da  keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der  Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer Berufungsverhandlung konnte letztlich angesichts der Einschränkung der Berufung auf das Strafausmaß unterbleiben (§ 51e Abs.3 Z1 VStG).

 

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt. Daraus ergibt sich mit Blick auf das Berufungsvorbringen in Verbindung mit dem Schriftsatz vom 21.1.2010, mit welchem die Berufung auf das Strafausmaß eingechränkt und demnach der Schuldspruch in Rechtskraft erwuchs, der für die Beurteilung der Straffrage wesentliche Sachverhalt.

 

4. Wie bereits in der Rechtfertigung und in der Berufung wird im Schriftsatz vom 21.1.2010 abermals als schuldmildernder Umstand ins Treffen geführt, dass die Berufungswerberin bereits drei Monate vor der Lenkeranfrage eine Strafverfügung betreffend die StVO-Übertretung zugestellt worden sei. Demnach habe sie mit gutem Grund die Auffassung vertreten können sich durch die geforderte Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers (der Fahrzeuglenkerin) nicht selbst belasten zu müssen.

Mit dieser Verantwortung vermag die Berufungswerberin insbesondere wegen des Hinweises auf die Strafbarkeit in der Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe mit Schreiben vom 19.8.2009 nichts gewinnen. Dies zusätzlich vor dem Hintergrund, dass diese Aufforderung dem Rechtsvertreter zugestellt wurde, wobei wohl kein Zweifel darin besteht, dass jedenfalls diesem die durch die Judikatur in allen Instanzen und nicht zuletzt zwischenzeitig selbst durch den EGMR abgesicherte Rechtslage bekannt ist. Zur Bezeichnung der Berufungswerberin im Auskunftsbegehren als Frau „X“ ist auf die diesberzügliche handschriftliche Korrektur auf den richtigen Familiennamen in der im Akt befindlichen Ausfertigung hinzuweisen. Auch auf der zu Handen des Rechtsvertreters zugestellten RSb-Sendung findet sich der richtigte Familienname angeführt, sodass seitens des Rechtsvertreters dadurch wohl zu keinem Zeitpunkt ein Irrtum über die Person und den Umfang deren Verpflichtung bestanden haben konnte.

Die  Gestaltung des letzten Satzes des § 103 Abs.2 KFG 1967 als  Verfassungsbestimmung  erachtete  der  Verfassungsgerichtshof  im Einklang  mit  den  Baugesetzen  des  B‑VG  stehend und (derzeit) nicht im  Widerspruch  zu  Art. 6  EMRK.  Der  Verfassungsgerichtshof hebt das  in  dieser  Bestimmung   rechtspolitische Anliegen des Gesetzgebers hervor, welchem dieser nur durch das Institut der Lenkerauskunft in dieser Form nachkommen zu können glaubt, bemerkt aber auch kritisch die Problematik der Durchbrechung des Anklageprinzips gem. Art. 90 Abs.2 B-VG und den durch eine Strafsanktion ausgeübten Zwang zur Ablegung eines Geständnisses (VfSlg. 9950/1984, 10394/1985 VfGH 29.09.1988, Zl. G72/88 u.a.). Nach bisher ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt der Bestimmung des § 103 Abs.2 KFG die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, sicherzustellen, dass der verantwortliche Lenker eines Kraftfahrzeuges jederzeit festgestellt werden kann (vgl. u.a. Erk. vom 29. September 1993, 93/02/0191).

Anzumerken gilt es in diesem Zusammenhang, dass eine dem Rechtsanwalt durch § 9 Abs.2 RAO eingeräumte Befugnis, über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen keine Auskunft zu geben, durch die Verfassungsbestimmung des § 103 Abs 2 letzter Satz KFG idF 1986/106 ebenso durchbrochen gilt (VwGH 26.4.1991, 90/18/0252).

Eine Aufforderung nach § 103 Abs 2 zweiter Satz KFG darf im Falle, dass vorher bereits eine rechtsanwaltliche Vertretung für den/die Zulassungsbesitzer(in) im Verfahren ausgewiesen war – was auch hier der Fall war - nur an den Rechtsanwalt zugestellt werden (VwGH 16.2.1983, 82/03/0048 mit Hinweis auf VwGH 8.9.1982 82/03/0018,  12.12.1955 1232/53 Slg. Anhang Nr.77, VwGH 17.12.1980 2942/79, VwSlg 10327 A/1980).

 

5. Tatschuld und Strafzumessung:

Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

Wenngleich der Berufungswerberin in ihrem Vorbringen durchaus gefolgt werden kann, sich angesichts der hohen Fahrgeschwindigkeit und des damit zwingend drohenden Entzuges der Lenkberechtigung von (zumindest) zwei Wochen, sich einer Strafverfolgung nicht auszusetzen geneigt zu zeigen, zwingt diese im Verfassungsrang stehende Bestimmung dennoch zu einer solchen Auskunft. Schon aus diesem Grund bedarf es insbesondere aus generalpräventiven Überlegungen einer spürbaren Bestrafung. Der Unwertgehalt einer Verweigerung der Lenkerbekanntgabe ist angesichts des  öffentlichen  Interesses, insbesondere dem Interesse der Pflege der Verkehrssicherheit und der sich daraus ableitenden Pflicht zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr in einer solcherart herbeigeführten Vereitelung der Strafverfolgung nicht bloß als geringfügig zu beurteilen. Mit der Verweigerung wurde jedenfalls ein Lenker oder eine Lenkerin dem staatlichen Sanktionsregime in ganz gezielter und letztlich sanktionsvermeidender Absicht entzogen.

Wenn die Berufungswerberin immerhin 1.400 Eur monatlich verdient und keine Sorgepflichten hat, vermag in der hier verhängten Geldstafe jedenfalls ein Ermessensfehler nicht erblickt werden.

Der bis 5.000 Euro reichende Strafrahmen wurden hier nur im Umfang von 8% und demnach durchaus im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraumes ausgeschöpft.

Der Berufung muss daher ein Erfolg sowohl in der Schuld- als auch in der Straffrage versagt bleiben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. B l e i e r

 

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