Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401041/3/Gf/Mu

Linz, 27.01.2010

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof aus Anlass der beabsichtigen weiteren Anhaltung des x in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck zu Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass eine weitere Anhaltung des Fremden in Schubhaft über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus rechtswidrig wäre.

Rechtsgrundlage:

§ 80 Abs. 6 FPG; § 67c Abs. 3 AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 3. August 2009, GZ Sich40-2683-2009, wurde über den in der Präambel genannten Fremden, einen marokkanischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, i.d.F. BGBl.Nr. I 29/2009 (nunmehr: BGBl.Nr. I 122/2009, im Folgenden: FPG), zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das PAZ Wien sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Fremde am 19. September 2008 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und 3 Tage später (zunächst unter bewusster Angabe falscher Personaldaten) einen Asylantrag eingebracht habe. Am 13. November 2008 sei er in die Bundesbetreuung aufgenommen worden, wobei er in der Folge die ihm zugewiesene Unterkunft zwei Mal ungerechtfertigt verlassen habe. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Februar 2009, GZ 0808898, sei sein Asylantrag abgewiesen und gleichzeitig seine Ausweisung nach Marokko verfügt worden; eine dagegen erhobene Beschwerde sei mit Urteil des Asylgerichtshofes vom 20. April 2009, GZ A1-405121-1/2009, abgewiesen worden. Am 3. Juni 2009 habe er sich von seinem damaligen polizeilichen gemeldeten Wohnsitz in Wien abgemeldet, sodass er am 23. Juni 2009 in Schubhaft genommen worden sei. Infolge eines Hungerstreiks sei er am 29. Juni 2009 wieder aus der Schubhaft entlassen worden, wobei er unmittelbar darauf in die Anonymität abgetaucht sei. Am 17. Juli 2009 habe er jedoch bei der Erstaufnahmestelle Ost neuerlich einen Asylantrag gestellt. Nach einer dahin gehenden Mitteilung, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, habe er allerdings einer für den 29. Juli 2009 verfügten behördlichen Ladung keine Folge geleistet, sodass das Asylverfahren einzustellen gewesen sei. Offenbar sei er in der Zwischenzeit wiederum in die Anonymität abgetaucht, sodass am selben Tag ein Festnahmeauftrag ergangen sei. Am 31. Juli 2009 sei er im Zuge einer polizeilichen Ermittlung wegen des Verdachtes des Ladendiebstahls in Innsbruck festgenommen und der Erstaufnahmestelle West vorgeführt worden. Da seine Identität mangels entsprechender Personal- und Reisedokumente nicht gesichert sei, er weder über einen festen Aufenthalt im Bundesgebiet noch über die zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes erforderlichen finanziellen Mittel oder eine Krankenversicherung verfüge, er mehrfach wegen des Verdachtes des Diebstahls und der Sachbeschädigung angezeigt wurde und er auch bereits mehrfach in die Illegalität abgetaucht sei, sei sohin über ihn insbesondere auch unter dem Aspekt, dass der Fremde offenkundig nicht gewillt sei, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren, zur Sicherung des Verfahrens seiner Ausweisung nach Marokko und deren zwangsweiser Vollstreckung im Wege der Abschiebung die Schubhaft zu verhängen gewesen. Von der Anordnung gelinderer Mittel sei im Hinblick darauf, dass er während seines Aufenthalts in Österreich bereits mehrfach in die Anonymität abgetaucht sei, abzusehen gewesen.

1.2. Mit Schreiben vom 20. Jänner 2010, GZ Sich40-2683-2009, hat die belangte Behörde mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, die Anhaltung des Fremden in Schubhaft über sechs Monate hinaus weiterhin aufrecht zu erhalten, weil für den Fall seiner Enthaftung zu befürchten sei, dass er unverzüglich in die Anonymität abtauchen und dadurch seine Abschiebung nach Marokko faktisch vereiteln würde.

Weiters wird darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde bereits mit Schriftsatz vom 13. August 2009 bei der Botschaft des Königreiches Marokko die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beantragt und diesbezüglich sowohl am 19. November 2009 als auch am 19. Jänner 2010 bei der Bundesministerin für Inneres urgiert habe. Außerdem sei der zweite Asylantrag durch Urteil des Asylgerichtshofes und ebenso ein dritter Asylantrag durch Bescheid des Bundes­asylamtes rechtskräftig negativ erledigt worden.  

1.3. Am 26. Jänner 2010 hat die belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck GZ Sich40-2683-2009; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, konnte im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 80 Abs. 6 FPG hat der Unabhängige Verwaltungssenat dann, wenn ein Fremder länger als sechs Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden soll, die Verhältnismäßigkeit einer derartigen Anhaltung nach dem Tag, an dem das sechste Monat überschritten wurde, von Amts wegen zu überprüfen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG kann u.a. auch gegen einen Fremden, der einen Asylantrag gestellt hat, zum Zweck der Sicherung des Verfahrens der Erlassung  einer Ausweisung oder zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängen, wenn gegen ihn nach dem Asylgesetz ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde.

Nach § 29 Abs. 3 Z. 4 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 122/2009 (im Folgenden: AsylG), hat die Fremdenpolizeibehörde dem Asylwerber den Umstand, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag u.a. gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen, mittels Verfahrensanordnung mitzuteilen; in diesem Fall gilt gemäß § 27 Abs. 1 Z. 1 AsylG ein Ausweisungsverfahren ex lege als eingeleitet.

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren u.a. nur dann länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, wenn ein Fremder nur deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil die für die Ein- oder Durchreise eines anderen Staates erforderliche Bewilligung nicht vorliegt.

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde von der Verhängung der Schubhaft gegen einen Fremden dann Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck auch durch die Anordnung gelinderer Mittel – insbesondere durch die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden (§ 77 Abs. 3 FPG) – erreicht werden kann.

4021 Linz, Fabrikstraße 32

 
3.2.1. Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag des Fremden mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Februar 2009, GZ 0808898, abgewiesen; gleichzeitig wurde er gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG in seinen Heimatstaat ausgewiesen. Dieser Bescheid ist zwischenzeitlich – allseits unbestritten – in Rechtskraft erwachsen, sodass die damit verfügte Ausweisung ebenso wie jene, die im Zuge der Zurückweisung seiner Folgeanträge angeordnet wurden, vollstreckbar sind.

Dies berechtigte die belangte Behörde zunächst dazu, die Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG als gesetzliche Grundlage für die Schubhaftverhängung heranzuziehen.  

3.2.2. In der Sache ist jedoch zu prüfen, ob die Anordnung dieser Maßnahme bzw. deren künftige Aufrechterhaltung auch verhältnismäßig war bzw. ist.

3.2.2.1. In diesem Zusammenhang ist zunächst vorweg darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände der Sache nach gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber primär um einen sog. "Wirtschaftsflüchtling" handelt (der sich seinen Unterhalt u.a. auch durch gelegentliche strafbare Handlungen finanziert), zumindest nicht völlig abwegig ist.

Da jedoch eine gesetzliche Regelung, die konkret jene Konstellation regelt, wie die Behörden mit bloßen Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang nach wie vor) fehlt, muss insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden wird, kann daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – (noch) als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese materiell betrachtet in erster Linie als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

Andererseits unterliegt aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie generell für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeutet zum einen, dass zunächst sämtliche formelle Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme (hier: der Schubhaftgrund des Vorliegens einer durchsetzbaren Ausweisung sowie der hinsichtlich der Folgeanträge bereits eingeleiteten Ausweisungsverfahren) vorliegen müssen (vgl. zur "finalen Determinierung" der Schubhaft z.B. VwGH vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067). Darüber hinaus darf sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden (vgl. VfGH v. 15. Juni 2007, B 1330/06), d.h. dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Diesbezüglich hat der Verwaltungs­gerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vgl. VfSlg 13715/1994 und VwGH v. 22. November 2007, 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreise­willigkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

3.2.2.2. Insgesamt besehen bewirkt so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht hat nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen o.ä. Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts u.a. in Kauf nehmen.

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften ist jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit „anlastbar“, als Derartiges entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So kann z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. werden – es vermögen also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie (isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen; insbesondere darf die Schubhaftverhängung nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239) oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) zum Einsatz gebracht werden.

3.2.2.3. Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedingt zunächst, dass, wie sich aus den zuvor angesprochenen Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ergibt, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig ist. So darf z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht ausschließlich „unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze“ (vgl. nochmals VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit oder strafbare Handlungen beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

Vielmehr muss die Fremdenpolizeibehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte. Dabei sind beispielsweise die Fragen nach einer allfälligen beruflichen Tätigkeit und/oder einer – allenfalls auch wechselnden – Wohnmöglichkeit im Inland (bei Verwandten oder Bekannten) als Aspekte der sozialen Integration des Fremden jeweils von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150).

3.2.2.4. Davon ausgehend ist zunächst der zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung konkret erforderliche Sicherungsbedarf zu prüfen.

Ein solcher ist offenkundig generell umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren bereits ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf wird daher regelmäßig – d.h. aber, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen (wie z.B. eine amtsbekannt langdauernde Übermittlung von Heimreisezertifikaten durch bestimmte Staaten) – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wurde, weil ihm dann jedenfalls klar sein muss, dass er regelmäßig in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft werden wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich dann i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass er sich dem behördlichen Zugriff faktisch zu entziehen versucht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

Umgekehrt ist aber – gleichsam das gegenüberliegende Extrem – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich etwa bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 EMRK und des PersFrSchG gebotenen verfassungskonformen Interpretation kann daher ein Bedürfnis zur „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren zumindest bereits formell eingeleitet worden ist, angenommen werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht stets umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

3.2.2.5. Im gegenständlichen Fall wurden gegen den Rechtsmittelwerber zwar schon geraume Zeit vor der Schubhaftverhängung aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt, nämlich eine Ausweisung (am 27. Februar 2009) erlassen. In der Folge wurde erstmals mit Schriftsatz vom 13. August 2009 bei der Botschaft des Königreiches Marokko die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beantragt, wobei diesbezüglich sowohl am 19. November 2009 als auch am 19. Jänner 2010 neuerlich urgiert wurde, ohne dass seither eine Reaktion des Heimatstaates des Fremden erfolgt wäre.

Daher kann derzeit keineswegs davon ausgegangen werden, dass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme bereits unmittelbar vor ihrer tatsächlichen Umsetzung stünde.

Damit stellt sich aber für den Rechtsmittelwerber die Situation auch nicht so dar, dass er gegenwärtig praktisch umgehend mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen hat.

3.2.2.6. In objektiver Hinsicht wurden von der Fremdenpolizeibehörde der Sache nach weiters die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts, die Mittellosigkeit und die fehlende Unterkunftsmöglichkeit als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt.

In diesem Zusammenhang trifft zwar unbestritten zu, dass der Rechtsmittelwerber illegal nach Österreich eingereist ist und bloß über geringe Barmittel verfügt. Aus ordnungsrechtlicher Sicht handelt es sich dabei allerdings bloß um Bagatellvergehen, wobei insbesondere darauf hinzuweisen ist, dass hinsichtlich der ihm angelasteten, aus dem Zeitraum Ende 2008/Anfang 2009 datierenden Straftaten bislang lediglich Anzeigen, aber noch keine gerichtliche Verurteilung vorliegt.

3.2.2.7. Eine soziale Integration des Fremden in Österreich kann nach dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt nicht konstatiert werden.

Davon ausgehend kann es grundsätzlich auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Zuge der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung im konkret vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den dadurch beeinträchtigten privaten Interessen des Beschwerdeführers als höher stehend bewertet hat.

3.2.2.8. Indem sich der Fremde mehrmals ohne Angabe seines künftigen Verbleibes aus der bundesbetreuten Unterkunft entfernt hat, hat er grundsätzlich ein Verhalten gesetzt, aus dem – insbesondere im Hinblick auf seine durch die Stellung mehrerer Asylanträge auch offen deklarierte Weigerung, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren – konkret und zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass er sich umgehend dem behörd­lichen Zugriff zu entziehen versuchen würde, wenn er aus der Schubhaft entlassen werden würde.

3.2.2.9. Dennoch bleibt zu prüfen, ob anstelle der Schubhaftverhängung nicht auch gelindere Mittel dazu hingereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Als ein in diesem Sinne gelinderes Mittel sieht § 77 Abs. 3 FPG insbesondere vor, dem Fremden aufzutragen, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

Dafür spräche im konkreten Fall lediglich der Aspekt, dass die Entfernung aus der bundesbetreuten Unterkunft in Ostösterreich anfangs nur kurzzeitig – nämlich für ca. drei Wochen – erfolgte und zunächst auch durch eine freiwillige Rückkehr (am 17. Juli 2009; s.o., 1.1.) wieder beendet wurde. In der Folge hat sich der Fremde jedoch neuerlich aus dieser entfernt, wobei er dann nur eher zufällig im Zuge einer polizeilichen Diebstahlsfahndung, und noch dazu in Westösterreich (Innsbruck), aufgegriffen werden konnte. Daraus konnte die belangte Behörde unter Berücksichtung des Gesamtverhaltens des Fremden grundsätzlich in zulässiger Weise eine Prognoseentscheidung dahin treffen, dass sich dieser – würde die Schubhaftverhängung aufgehoben – unverzüglich dem behördlichen Zugriff durch ein Untertauchen in der Anonymität entziehen versuchen würde. Gelindere Mittel – wie insbesondere die Verpflichtung zur täglichen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle – hätten daher zu diesem Zeitpunkt (3. August 2009) offenkundig nicht in gleicher Weise dazu hingereicht, um den mit der Schubhaftanordnung beabsichtigten Zweck in gleicher Weise zu realisieren.

3.2.2.10. Allerdings sind nunmehr seit der Inschubhaftnahme des Fremden schon nahezu sechs Monate vergangen. Dass aber allein ein weiterhin aufrechtes Sicherungsbedürfnis es nicht rechtfertigt, diese Maßnahme über diesen Zeitraum hinaus zu prolongieren, geht nicht nur schon aus dem Gesetzestext des § 80 Abs. 6 FPG selbst unmissverständlich hervor, wenn dort darauf abgestellt wird, dass die ausnahmsweise Weiterverlängerung der Schubhaft deshalb, weil das Nichtvorliegen der für die Durchführung der Abschiebung erforderlichen Bewilligung (ausschließlich) dem Verhalten des Fremden zurechenbar sein muss: Insbesondere in Verbindung mit der bereits zuvor dargestellten Judikatur der Gerichtshöfe des Öffentlichen Rechts, wonach die Schubhaftanordnung schon prinzipiell nicht dem Zweck einer bloß präventiven Vorbereitungshandlung für eine effektive Durchführung der Abschiebung dienen darf  (vgl. oben, 3.2.2.2.), spricht insbesondere auch das in Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip, das in der in § 80 Abs. 1 FPG normierten Verpflichtung, dass die Behörde darauf hinwirken muss, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, seine nähere einfachgesetzliche Ausgestaltung findet, schon aus grundrechtlicher Sicht dafür, dass im Zuge der beabsichtigten Verlängerung der Schubhaftdauer über sechs Monate hinaus an die Kriterien der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist.

Im gegenständlichen Fall hat der Fremde nun zwar kurzzeitig, und zwar bei seiner ersten Asylantragstellung am 22. September 2009, versucht, seine Identität zu verschleiern; seit einer diesbezüglichen Klarstellung am 10. Oktober 2008 kann ihm jedoch weder insoweit noch auch sonst angelastet werden, dass er seiner Mitwirkungsverpflichtung nicht entsprochen und dieser Umstand zur Verunmöglichung der Erlangung eines Heimreisezertifikates geführt hätte.

Wenngleich auch die belangte Behörde ihrerseits durch eine entsprechende Antragstellung am 13. August 2009 alles unternommen hat, um möglichst rasch die für die Durchführung der Abschiebung erforderliche Bewilligung des Heimatstaates des Fremden zu erlangen, so kann es objektiv betrachtet im Ergebnis dennoch keinesfalls zu Lasten des Fremden gehen, dass unleugbare Schwierigkeiten, Ineffizienzen oder Ineffektivitäten im Bereich der innerstaatlichen und/oder diplomatischen Verwaltungsführung dessen Ausstellung bislang de facto – und zwar über einen Zeitraum von mehr als fünf Monaten hinweg – verunmöglicht haben.

3.3.1. Im Ergebnis kann daher unter den Umständen des hier konkret vorliegenden Falles keine Rede davon sein, dass die Nichtvornahme der Abschiebung dem Verhalten des Fremden zuzurechnen wäre; seine weitere Anhaltung in Schubhaft über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus wäre daher nicht durch § 80 Abs. 4 FPG gedeckt.

Dies hatte der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 67c Abs. 3 AVG i.V.m. § 80 Abs. 6 FPG festzustellen.

3.3.2. Daran ändert auch nichts, dass die  Fremdenpolizeibehörde nunmehr gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG u.a. auch dann über einen Asylwerber die Schubhaft anzuordnen "hat", wenn gegen diesen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde, weil auch in diesem Fall die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig sein muss.

 

3.3.2.1. Denn § 76 Abs. 2a FPG scheint aufgrund seiner im Hinblick auf die Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 1 und 2 FPG divergierenden Formulierung zwar grundsätzlich eine obligatorische Verhängung der Schubhaft festzulegen – den Materialien (BlgNR 330, 24. GP) ist diesbezüglich zu entnehmen, dass hier "grundsätzlich von einem Sicherungsbedürfnis auszugehen sein wird".

 

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass gemäß § 76 Abs. 2a FPG schon nach dem Wortlaut die Schubhaft kumulativ jedenfalls auch zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig sein muss. Dies kann aber nichts anderes bedeuten, als dass jeweils das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes zusätzlich zum Vorliegen der Tatbestandsmäßigkeit der Z. 1 des § 76 Abs. 2a FPG gegeben sein muss. Das Vorliegen einer oder mehrerer  Alternativen des § 76 Abs. 2a FPG ist also lediglich als Indiz für das Vorliegen des Sicherungsbedarfs zu werten, eine Prüfung hinsichtlich eines konkreten Sicherungsbedarfes wird aber dadurch nicht ersetzt. Weiters muss auch trotz Einfügung dieser Bestimmung in das FPG nach wie vor die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft – mit besonderer, aber nicht ausschließlicher Blickrichtung auf persönliche Verhältnisse des Schubhäftlings – gegeben sein. Davon ausgehend zeigt ein Vergleich mit den Gesetzesmaterialien zudem, dass durch diese Norm das Institut des gelinderen Mittels nach § 77 FPG unberührt bleibt und somit in die Gesamterörterung mit einzubeziehen ist (wie dies im gegenständlichen Fall oben unter 3.2.2. vorgenommen wurde).

 

3.3.2.2. Davon abgesehen blieb die Bestimmung des § 80 FPG durch die Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 ohnehin in ihrer Gesamtheit unangetastet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr.  G r o f

 

 

Rechtssatz:

 

VwSen-401041/3/Gf/Mu vom 27. Jänner 2010

 

§ 80 Abs. 6 FPG; § 76 Abs. 2a FPG

 

Grundsätzlich wie VwSen-401026 vom 17. August 2009; zusätzlich:

§ 80 Abs. 6 FPG: Wenn seit der Inschubhaftnahme des Fremden nahezu sechs Monate vergangen sind, rechtfertigt allein ein weiterhin aufrechtes Sicherungsbedürfnis die Prolongation dieser Maßnahme über diesen Zeitraum hinaus nicht, denn in diesem Fall ist an die Kriterien der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit ein besonders strenger Maßstab anzulegen; wenn der Fremde zwar kurzzeitig versucht hat, seine Identität zu verschleiern, ihm jedoch seit einer diesbezüglichen Klarstellung weder insoweit noch auch sonst angelastet werden kann, dass er seiner Mitwirkungsverpflichtung nicht entsprochen hätte, so kann keine Rede davon sein, dass die Nichtvornahme der Abschiebung dem Verhalten des Fremden zuzurechnen wäre; Schwierigkeiten, Ineffizienzen oder Ineffektivitäten im Bereich der innerstaatlichen und/oder diplomatischen Verwaltungsführung können keinesfalls zu Lasten des Fremden gehen.

 

§ 76 Abs. 2a FPG: Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass § 76 Abs. 2a FPG aufgrund seiner im Hinblick auf die Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 1 und 2 FPG divergierenden Formulierung zwar grundsätzlich eine obligatorische Verhängung der Schubhaft festzulegen scheint – den Materialien (BlgNR 330, 24. GP) ist diesbezüglich zu entnehmen, dass hier "grundsätzlich von einem Sicherungsbedürfnis auszugehen sein wird"; dem ist jedoch auf der anderen Seite entgegenzuhalten, dass gemäß § 76 Abs. 2a FPG schon nach dem Wortlaut die Schubhaft kumulativ jedenfalls auch zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig sein muss; dies kann aber nichts anderes bedeuten, als dass jeweils das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes zusätzlich zum Vorliegen der Tatbestandsmäßigkeit der Z. 1 des § 76 Abs. 2a FPG geprüft werden muss; das Vorliegen einer oder mehrerer  Alternativen des § 76 Abs. 2a FPG ist also lediglich als Indiz für das Vorliegen des Sicherungsbedarfs zu werten, eine Prüfung hinsichtlich eines konkreten Sicherungsbedarfes wird aber dadurch nicht ersetzt.

 

 

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