Linz, 19.04.2010
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, geboren am x, deutscher Staatsangehöriger, vertreten durch die Rechtsanwälte x und x, x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Braunau am Inn vom 4. November 2009, Sich40-15783, mit dem über den Berufungswerber ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt worden ist, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Rechtsgrundlagen:
§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 9 Abs. 1, 86 Abs. 1, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 135/2009).
Entscheidungsgründe:
1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Braunau am Inn vom 4. November 2009, Zl. Sich40-15783, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage des § 86 Abs. 1 und 3 iVm den §§ 60, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen. Gleichzeitig wurde ihm Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.
Nach Darlegung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen, des relevanten Sachverhaltes, der Beschreibung des Verhaltens des Bw, das zu seinen Verurteilungen geführt hatte, und nach der Interessensabwägung zog die belangte Behörde den Schluss, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde und zum Schutze des öffentlichen Wohles der Republik Österreich oder anderen, im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.
2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, der dem Bw zu Handen seiner Rechtsvertreter am 13. November 2009 zugestellt wurde, richtet sich die rechtzeitig am 17. November 2009 durch seine Rechtsvertreter mittels Telefax eingebrachte Berufung vom 16. November 2009.
Begründend führten die Rechtsvertreter aus, dass der vorliegende Bescheid insoweit rechtswidrig sei, als dem Bw gerichtliche Vormerkungen aus Deutschland vorgeworfen worden seien, die sich vor seiner Einreise ereignet hätten und mittlerweile getilgt wären. Diese Verurteilungen würden keine bestimmten Tatsachen im Sinne des § 60 FPG darstellen.
Die beiden in Österreich angeführten Verurteilungen seien im Bereich der Kleinkriminalität anzusiedeln. Aus dem beschriebenen Sachverhalt werde deutlich, dass vom Bw keine derartige kriminelle Energie ausgehe, die eine tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Bei der gebotenen Interessensabwägung sei daher zu beachten, dass der Bw im Zeitraum von 2000 bis 2008 strafrechtlich überhaupt nicht aufgefallen sei. Weiterhin sei zu beachten, dass der Bw nunmehr seine Sucht endgültig bewältigt habe und in den Arbeitsmarkt integriert sei. Überdies lebe er in einer aufrechten Lebensgemeinschaft. Aus den genannten Gründen werde beantragt, den rechtswidrigen Bescheid aufzuheben.
Abschließend beantragten die Rechtsvertreter die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
3.1. Mit Schreiben vom 18. November 2009, Zl. Sich40-15783, legte die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn den Verwaltungsakt samt Berufungsschrift dem Unabhängigen Verwaltungssenat vor.
Ergänzend zum Vorlageschreiben übermittelte die belangte Behörde am
26. November 2009 per E-Mail eine Stellungnahme des Bewährungshelfers (Verein x) vom 23. November 2009.
3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn zu Zl. Sich40-15783. Daraus ergab sich in Verbindung mit der Berufung der nachfolgend geschilderte, im Wesentlichen unstrittige Sachverhalt.
3.2.1. Der Bw, geboren am x in x), deutscher Staatsangehöriger, ist im September 1999 in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist, seit 6. September 1999 in Österreich gemeldet, lebt seit nunmehr 12 Jahren mit seiner Lebensgefährtin x zusammen und ist rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen.
3.2.2. Aufgrund der Tagesmeldung des GP Braunau am Inn vom 11. Oktober 2000, wonach der Bf nach der Verabreichung einer Überdosis Heroin auf die Intensivstation des Krankenhauses Braunau eingeliefert worden war, leitete die belangte Behörde eine fremdenpolizeiliche Überprüfung ein und ersuchte das GPK Braunau am Inn um Erhebungen.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2000 teilte der GP Braunau am Inn der belangten Behörde mit, dass der Bw bei seiner Lebensgefährtin gemeldet sei, keiner Beschäftigung nachgehe und über keinen Krankenversicherungsschutz verfüge. Seine berufstätige und ebenfalls heroinabhängige Lebensgefährtin bestreite den gemeinsamen Lebensunterhalt. In der BRD sei der Bw bereits mehrfach wegen Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz und auch wegen Eigentumsdelikten zur Anzeige gebracht worden. Wegen des vorliegenden Heroinkonsums werde der Bw beim BG Braunau am Inn angezeigt.
3.2.3. Über Ersuchen der belangten Behörde übermittelte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof am 26. Oktober 2000 eine aktuelle Auskunft aus dem Zentralregister.
Folgende Eintragungen wurden übermittelt:
4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:
4.1. Gemäß § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung betreffend freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom
13. Oktober 2000, 2000/18/0013).
Demgemäß sind auch die §§ 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs. 1 und Abs. 2 FPG orientiert.
Gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet.
Als bestimmte Tatsache im Sinne des Absatz 1 gilt gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 leg. cit. insbesondere, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Nach § 60 Abs. 3 leg. cit. liegt eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Eine solche Verurteilung liegt jedoch vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.
§ 73 StGB bestimmt für den Fall, dass das Gesetz nicht ausdrücklich auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellt, dass ausländische Verurteilungen inländischen gleichstehen, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art. VI der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entsprechenden Verfahren ergangen sind.
Nach § 56 Abs. 1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt -Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
Gemäß § 56 Abs. 2 leg. cit. hat als schwere Gefahr im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht
1) wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt, Eingehen oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB oder
2) wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten
rechtskräftig verurteilt worden ist.
Würde nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.
Nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 leg.cit. darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
Gemäß § 66 Abs. 2 leg. cit. sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.
Gemäß § 61 Z. 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z. 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.
Nach § 81 Abs. 4 NAG (BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 99/2006) gilt für EWR-Bürger und Schweizer Bürger, die bereits vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen und nach dem Meldegesetz 1991 gemeldet sind, ihre aufrechte Meldung nach dem Meldegesetz 1991 als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG.
§ 46 des Gesetzes über das Zentralregister und Erziehungsfristen (Bundeszentralregistergesetz – BZRG, neugefasst durch B. v. 21.09.1984 BGBl. I S. 1229, 1985 I 195; zuletzt geändert durch Artikel 2 Abs. 2 G. v. 14.08.2009 BGBl. I S. 2827) lautet:
(1) Die Tilgungsfrist beträgt
1. fünf Jahre
bei Verurteilungen
a) zu Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe, kein Strafarrest und keine Jugendstrafe im Register eingetragen ist,
b) zu Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,
c) zu Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr,
d) zu Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
e) zu Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren, wenn ein Strafrest nach Ablauf der Bewährungszeit gerichtlich oder im Gnadenweg erlassen worden ist,
f) zu Jugendstrafe, wenn der Strafmakel gerichtlich oder im Gnadenweg als beseitigt erklärt worden ist,
g) durch welche eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 des Strafgesetzbuches) mit Ausnahme der Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis für immer und des Berufsverbots für immer, eine Nebenstrafe oder eine Nebenfolge allein oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln angeordnet worden ist,
2. zehn Jahre
bei Verurteilungen zu
a) Geldstrafe und Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 Buchstaben a und b nicht vorliegen,
b) Freiheitsstrafe oder Strafarrest von mehr als drei Monaten, aber nicht mehr als einem Jahr, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden und im Register nicht außerdem Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe eingetragen ist,
c) Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, außer in den Fällen der Nummer 1 Buchstaben d bis f,
3. zwanzig Jahre bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr,
4. fünfzehn Jahre
in allen übrigen Fällen.
(2) Die Aussetzung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bewährung oder die Beseitigung des Strafmakels bleiben bei der Berechnung der Frist unberücksichtigt, wenn diese Entscheidungen widerrufen worden sind.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 Buchstabe e, Nr. 2 Buchstabe c, Nr. 3, Nr. 4 verlängert sich die Frist um die Dauer der Freiheitsstrafe, der für den Fall der Uneinbringlichkeit der Vermögensstrafe bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe, des Strafarrestes oder der Jugendstrafe.
Die Erläuterungen zu § 86 FPG (22 GP, RV 952, 106) verweisen auf die Art. 27
Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 Z. a der Richtlinie 2004/38/EG und die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.10.1977, Rs 30/77 - Fall Bouchereau).
Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des § 60 Abs. 2 FPG nur als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.
Hinsichtlich der nach dem FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Wie nachfolgend ausgeführt, legt das FPG, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer, ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. So setzt § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Relation zu § 56 Abs. 1 FPG ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") ein geringeres Maß der Gefährlichkeitsprognose voraus. Hingegen verlangt § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") im Verhältnis zu § 56 Abs. 1 FPG ein höheres Maß der Gefährdungsprognose, die sich zudem nach dem fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert (vgl. VwGH vom 20. November 2008, 2008/21/0603; E vom 3. April 2009, 2008/22/0913).
Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.
4.2.2. Der Bw ist seit dem 6. September 1999 nach dem Meldegesetz 1991 gemeldet und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen.
Entsprechend den deutschen Tilgungsvorschriften (§ 46 BZRG) sind die unter Punkt 3.2.3. angeführten Straftaten jedenfalls seit dem 17. September 2009 als getilgt anzusehen und können zur Begründung des Aufenthaltsverbotes nicht mehr herangezogen werden. Im Zuge der Erstellung eines Persönlichkeitsbildes kann aber darauf Bezug genommen werden.
4.2.2.1.1. Fraglich ist, ob dem Bw aufgrund seiner langen Aufenthaltsdauer in Österreich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden hätte können und gegen ihn schon aus diesem Grund die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 61 Z. 3 FPG unzulässig wäre.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechenden Verfahren ergangen ist.
Grundsätzlich setzt die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 einen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet von mindestens zehn Jahren und davon eine Niederlassung von zumindest fünf Jahren voraus.
Ist der Fremde im Besitz der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), so ist gemäß § 11a Abs. 4 Z. 2 StbG dem Fremden nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet und unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8, Abs. 2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen.
4.2.2.1.2. Die erstmalige Verurteilung des Bw in Österreich erfolgte am 20.11.2008 durch das Landesgericht Ried im Innkreis. Der zugrundeliegende Sachverhalt wurde von ihm am 7. und 10. Oktober 2008 verwirklich.
Im Hinblick auf § 61 Z. 3 FPG ist zu prüfen, ob dem Bw vor diesem Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden hätte können.
Da gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft nur verliehen werden darf, wenn der Fremde weder durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig verurteilt worden ist, das Urteil des AG x, bedingt durch die Registereintragungen (Urteile des AG Laufen) erst mit 27. August 2009 als getilgt anzusehen ist, hätte dem Bw die österreichische Staatsbürgerschaft vor diesen Zeitpunkt mangels Tilgung und danach wegen der inländischen Verurteilung nicht verliehen werden dürfen. Die Ausnahmebestimmung des § 61 Z. 3 FPG liegt somit nicht vor.
Aus der Aktenlage und dem Parteienvorbringen ist auch nicht zu ersehen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aufgrund der weiteren Bestimmungen des § 61 FPG (Z. 1, 2 oder 4) unzulässig wäre.
4.2.2.2. Bezogen auf die Sonderstellung des Bw als EWR-Bürger ist nunmehr zu prüfen, ob das persönliche Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Bedingt durch die beiden rechtskräftigen Verurteilungen des LG Ried im Innkreis (siehe Punkte 3.2.8 und 3.2.10.) ist § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Dies wird vom Bw auch nicht in Abrede gestellt.
Nach § 63 Abs. 1 FPG wäre die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zulässig.
Für den Oö. Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Wie bereits dargelegt, ist eine Gefährdungsprognose zu erstellen und die Überprüfung an Hand der, je nach Lage des Falles einschlägigen Bestimmungen vorzunehmen.
Im konkreten Fall könnte es sich nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse sondern um ein Grundinteresse der Gesellschaft handeln, dass darin gelegen ist, strafbare Handlungen gegen Eigentumsdelikte zu verhindern. Für letzteres würde sprechen, dass die Straftat des Bw in dem unter Punkt 3.2.10. auszugsweise wiedergegebenen Urteil als Verbrechen eingestuft worden ist.
Im Sinne der wiedergegeben Judikatur (VwGH, EGMR, EuGH) ist nicht primär maßgeblich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Im konkreten Einzelfall ist zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird. Besonders aussagekräftig ist daher die Strafzumessungsbegründung. Diese lässt eindeutige Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Bw zu.
Trotzdem das erkennende Gericht die beiden Tathandlungen (Diebstahl durch Einbruch) als Verbrechen zu beurteilen hatte, wurde die kriminelle Energie des Bw als so gering eingestuft, dass jeweils mit bedingten Freiheitsstrafen das Auslangen gefunden werden konnte.
Stellte man ausschließlich auf den Deliktstyp ab, könnte daraus eine schwerwiegende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität resultieren (vgl. VwGH vom 2. April 2009, 2009/18/0032, mwN; VwGH vom 11. Mai 2009, 2009/18/0134).
In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil des EGMR vom 6.2.2003, Bsw.Nr. 36757, X, beachtenswert, wonach der EGMR der Ansicht war, dass "zwei Verurteilungen wegen Einbruchsdiebstahl nicht als besonders schwerwiegend beurteilt werden können, da die Straftaten keine gewaltsamen Elemente beinhalten" würden.
Wie bereits unter Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt, ist bei der Erstellung der Gefährlichkeitsprognose besonders die Aufenthaltsdauer zu berücksichtigen. Auch wenn der Bw sich vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes noch keine zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, setzt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Hinblick auf seine begünstigte Stellung (EWR-Bürger) nicht nur ein geringes Maß der Gefährdungsprognose (§ 60 Abs. 1 FPG ["Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen"], § 56 Abs. 1 FPG ["schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"]) voraus, sondern das bedeutend höhere des § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt").
Obwohl die belangte Behörde ein umfassendes Persönlichkeitsbild erstellt und Bezug auf das bisherige deliktische Verhalten des Bw genommen hat, weist das Verhalten des Bw, der trotz mehrfacher Androhung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wiederum straffällig geworden ist, nicht eine derartige kriminelle Energie auf und lässt auch keine Gefährlichkeitsprognose in dem Ausmaß zu, dass sein Gesamtfehlverhalten die Annahme rechtfertigen würde, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Die getroffene Beurteilung der belangten Behörde ist daher nicht zu vertreten.
4.3. Das angefochtene Aufenthaltsverbot war daher aufzuheben.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweise:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.
Mag. Christian Stierschneider