Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720263/4/SR/Sta

Linz, 19.04.2010

 

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, geboren am x, deutscher Staatsangehöriger, vertreten durch die Rechtsanwälte x und x, x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Braunau am Inn vom 4. November 2009, Sich40-15783, mit dem über den Berufungswerber ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt worden ist, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 9 Abs. 1, 86 Abs. 1, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 135/2009).

 

 

 Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Braunau am Inn vom 4. November 2009, Zl. Sich40-15783, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage des § 86 Abs. 1 und 3 iVm den §§ 60, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen. Gleichzeitig wurde ihm Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

 

Nach Darlegung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen, des relevanten Sachverhaltes, der Beschreibung des Verhaltens des Bw, das zu seinen Verurteilungen geführt hatte, und nach der Interessensabwägung zog die belangte Behörde den Schluss, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde und zum Schutze des öffentlichen Wohles der Republik Österreich oder anderen, im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.

 

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, der dem Bw zu Handen seiner Rechtsvertreter am 13. November 2009 zugestellt wurde, richtet sich die rechtzeitig am 17. November 2009 durch seine Rechtsvertreter mittels Telefax eingebrachte Berufung vom 16. November 2009.

 

Begründend führten die Rechtsvertreter aus, dass der vorliegende Bescheid insoweit rechtswidrig sei, als dem Bw gerichtliche Vormerkungen aus Deutschland vorgeworfen worden seien, die sich vor seiner Einreise ereignet hätten und mittlerweile getilgt wären. Diese Verurteilungen würden keine bestimmten Tatsachen im Sinne des § 60 FPG darstellen.

Die beiden in Österreich angeführten Verurteilungen seien im Bereich der Kleinkriminalität anzusiedeln. Aus dem beschriebenen Sachverhalt werde deutlich, dass vom Bw keine derartige kriminelle Energie ausgehe, die eine tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Bei der gebotenen Interessensabwägung sei daher zu beachten, dass der Bw im Zeitraum von 2000 bis 2008 strafrechtlich überhaupt nicht aufgefallen sei. Weiterhin sei zu beachten, dass der Bw nunmehr seine Sucht endgültig bewältigt habe und in den Arbeitsmarkt integriert sei. Überdies lebe er in einer aufrechten Lebensgemeinschaft. Aus den genannten Gründen werde beantragt, den rechtswidrigen Bescheid aufzuheben.

Abschließend beantragten die Rechtsvertreter die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

 

3.1. Mit Schreiben vom 18. November 2009, Zl. Sich40-15783, legte die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn den Verwaltungsakt samt Berufungsschrift dem Unabhängigen Verwaltungssenat vor.

 

Ergänzend zum Vorlageschreiben übermittelte die belangte Behörde am
26. November 2009 per E-Mail eine Stellungnahme des Bewährungshelfers (Verein x) vom 23. November 2009.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn zu Zl. Sich40-15783. Daraus ergab sich in Verbindung mit der Berufung der nachfolgend geschilderte, im Wesentlichen unstrittige Sachverhalt.

 

3.2.1. Der Bw, geboren am x in x), deutscher Staatsangehöriger, ist im September 1999 in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist, seit 6. September 1999 in Österreich gemeldet, lebt seit nunmehr 12 Jahren mit seiner Lebensgefährtin x zusammen und ist rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen.

 

3.2.2. Aufgrund der Tagesmeldung des GP Braunau am Inn vom 11. Oktober 2000, wonach der Bf nach der Verabreichung einer Überdosis Heroin auf die Intensivstation des Krankenhauses Braunau eingeliefert worden war, leitete die belangte Behörde eine fremdenpolizeiliche Überprüfung ein und ersuchte das GPK Braunau am Inn um Erhebungen.

 

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2000 teilte der GP Braunau am Inn der belangten Behörde mit, dass der Bw bei seiner Lebensgefährtin gemeldet sei, keiner Beschäftigung nachgehe und über keinen Krankenversicherungsschutz verfüge. Seine berufstätige und ebenfalls heroinabhängige Lebensgefährtin bestreite den gemeinsamen Lebensunterhalt. In der BRD sei der Bw bereits mehrfach wegen Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz und auch wegen Eigentumsdelikten zur Anzeige gebracht worden. Wegen des vorliegenden Heroinkonsums werde der Bw beim BG Braunau am Inn angezeigt.

 

3.2.3. Über Ersuchen der belangten Behörde übermittelte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof am 26. Oktober 2000 eine aktuelle Auskunft aus dem Zentralregister.

 

 

Folgende Eintragungen wurden übermittelt:

 

1. Urteil des Amtsgerichtes x vom 25.01.1995, LS 23 JS 18046/94 wegen des gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall, Hausfriedensbruch, gemeinschaftliche gemeinschädliche Sachbeschädigung in zwei Fällen, Störung der Religionsausübung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung in zwei Fällen, Sachbeschädigung, Beleidigung in zwei Fällen sowie Bedrohung in zwei Fällen, nach §§ 242 Abs. 2, 243 Abs. 1 Nr. 1, 123 Abs. 1 und 2, 303, 303c, 304, 167 Abs. 1 Nr. 2, 113 Abs. 1, 185, 194, 52, 53 deutsches StGB, § 105 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2, 21 und 31 Abs. 1 deutsches JGG, zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten mit einer Bewährungszeit von 3 Jahren,

2. Urteil des Amtsgerichtes x vom 28.09.1995, LS 360 JS 29741/95, wegen vier sachlich zusammentreffender Fälle des Diebstahls, in drei Fällen gemeinschaftlich begangen, sachlich zusammentreffend mit einem Fall der gefährlichen Körperverletzung nach §§ 242 Abs. 1, 248 A, 223 Abs. 1, 223A Abs. 1, 25 Abs. 2 und 53 deutsches StGB, § 31 Abs. 2 deutsches JGG, zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, wobei die Entscheidung vom 25.01.1995 mit einbezogen wurde,

3. Urteil des Amtsgerichtes Laufen vom 02.11.1995, LS 360 JS 33745/95, wegen versuchten Diebstahls nach §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Nr. 1, 22 und 23 deutsches StGB und § 31 Abs. 2 deutsches JGG, zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 8 Monate wobei die Entscheidungen vom 28.09.1995 und 25.01.1995 mit einbezogen wurden,

4. Urteil des Amtsgerichtes Laufen vom 25.07.1996, LS 120 JS 8418/96, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln nach §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 29 Abs. 1 Nr. 1 deutsches BtMG und § 31 deutsches JGG zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, welche mit 25.06.1997 vollzogen wurde;

5. Urteil des Amtsgerichtes Eggenfelden vom 27.08.1999, 1 CS JS 21771/1999 wegen Diebstahls nach §§ 242 Abs. 1 und 248 A deutsches StGB zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 40,-- DM;

 

3.2.4. Mit Schreiben vom 21. November 2000 teilte die belangte Behörde dem Bw die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mit und forderte ihn nach Darlegung des relevanten Sachverhaltes zur Abgabe einer Stellungnahme auf.

 

3.2.5. Aufgrund des angeführten Schreibens sprach der Bw am 29. November 2000 bei der belangten Behörde vor. Über sein Ersuchen wurden seine Angaben niederschriftlich festgehalten. Im Wesentlichen hatte der Bw vorgebracht, dass er sich nunmehr von den Suchtmitteln abgekehrt und ein Substituierungsprogramm begonnen habe. Seit dem 24. November 2000 sei er bei einer Personalleasingfirma in Braunau am Inn beschäftigt. Seitens der belangten Behörde wurde dem Bw zur Kenntnis gebracht, dass er in Österreich solange über ein Aufenthaltsrecht verfüge, als er über eine Beschäftigung bzw. über ein entsprechendes Einkommen und eine Krankenversicherung verfüge. Gleichzeitig wurde ihm ein Aufenthaltsverbot für den Fall einer neuerlichen Straffälligkeit oder eines Zusammenhanges mit Suchtmitteln in Aussicht gestellt.

 

3.2.6. Über Ersuchen der belangten Behörde teilte die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis mit Schreiben vom 30. April 2007, GZ 13 BAZ 123/07b, mit, dass das Verfahren gegen den Bw wegen § 27 SMG gemäß § 35 Abs. 1 SMG für eine Probezeit von 2 Jahren zurückgelegt worden ist (Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 Z. 2 und 5 SMG).

 

3.2.7. Am 27. Jänner 2007 erstattete die PI Braunau am Inn Anzeige gegen den Bw wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG. U.a. hatte der im Drogenersatzprogramm befindliche Bw bei der niederschriftlichen Befragung am 2. Dezember 2006 (PI Braunau am Inn) eingestanden, im Sommer 2006 zusätzlich zur verordneten Ration weiteres Substitol eingekauft zu haben.

 

Das Bezirksgericht Braunau am Inn hat das Verfahren am 11. Juli 2007, AZ 1 U 173/07x, gemäß der §§ 35 Abs. 2 und 37 SMG für eine Probezeit von 2 Jahren vorläufig eingestellt und die vorläufige Einstellung davon abhängig gemacht, dass sich der Bw weiterhin der amtsärztlichen Behandlung in Form der Entzugs- und Substitutionsbehandlung und einer gesundheitsbezogenen Maßnahme in Form einer psychosozialen Beratung und Betreuung durch die Beratungsstelle x in x, unterzieht und beides unaufgefordert dem Gericht im Abstand von drei Monaten nachweist.

 

3.2.8. Mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 20. November 2008, AZ 7 Hv 80/08i, wurde gegen den Bw wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 und 129 Z. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten verhängt, weil er am 7. und 10. Oktober 2008 in Braunau am Inn Verfügungsberechtigten der Firma x 2 iPods im Wert von je € 129,90 durch Aufbrechen einer Sicherungsdose, sohin eines Behältnisses mit dem Vorsatz weggenommen hat, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Die verhängte Probezeit wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Erschwerend wertete das Gericht die einschlägigen Vorstrafen sowie die Wiederholung der Diebstähle. Mildernd wurde das Geständnis und die Schadensgutmachung gewertet.

 

3.2.9. Nach Kenntnisnahme der unter Punkt 3.2.8. dargestellten Verurteilung hielt die belangte Behörde dem Bw im Schreiben vom 5. Dezember 2008 seine bisherigen in- und ausländischen Verurteilungen vor und verwies auf die bereits einmal getätigte Androhung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.

Abschließend führte die belangte Behörde aus:

"Es wird Ihnen hiermit nochmals und letztmalig für den Fall nochmaliger Straffälligkeit die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für das Bundesgebiet der Republik Österreich angedroht. Sie werden darauf hingewiesen, dass in einem solchen Fall weder private, berufliche oder familiäre Interessen berücksichtigt werden können".

 

3.2.10. Über Ersuchen der belangten Behörde übermittelte das Landesgericht Ried im Innkreis den Protokollsvermerk und die gekürzte Urteilsausfertigung vom 9. Juli 2009, AZ 7 Hv 32/09 g. Damit war der Bw schuldig erkannt worden, 1. am 11. Jänner 2009 in Braunau am Inn versucht zu haben, fremde bewegliche Sachen durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung, nämlich Bargeld aus Zeitungskassen mit dem Vorsatz zuzueignen, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er a) eine auf einer Straßenlaterne befestigte und mit einem Vorhängeschloss gesicherte Zeitungskasse (x) zum Nachteil der Fa x aufgebrochen hat, b) eine auf einer Straßenlaterne befestigte und mit einem Vorhängeschloss gesicherte Zeitungskasse (x) zum Nachteil der Fa. x heruntergerissen und versucht hat, die Kasse durch Zu-Boden-Schlagen aufzubrechen und 2. am 11. Februar 2009 in Braunau am Inn als Zeuge vor Gericht bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache im Verfahren 5 U 99/09 w insofern falsch ausgesagt, als er angegeben hat: "Dieses Rezept ist von mir. Ich habe es gefälscht. Dazu habe ich ein altes Rezept eingescannt. Ich habe es abgeändert." Wegen des Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 und 129 Z. 3 StGB (Punkte 1a und 1b) und des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs. 1 StGB (Punkt 2) wurde der Bw zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren wurde die verhängte Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen. Erschwerend wertete das Gericht die Vorstrafen, den raschen Rückfall und die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen. Mildernd wurde gewertet, dass sich der Bw selbst gestellt hatte, der geringe Schaden und das Geständnis.

 

3.2.11. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 27.07.2009 wurde der Bw von der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt und ihm seine bisherigen Verurteilungen vorgehalten. Abschließend wurde dem Bw die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben.

 

3.2.12. In der Stellungnahme vom 12. Oktober 2009 führte der Rechtsvertreter des Bw aus, dass dem Bw vorwiegend bereits getilgte Straftaten in Deutschland vorgeworfen worden seien und in Österreich lediglich eine Suchtgiftdelinquenz und ein damit zusammenhängendes Vermögensdelikt bestehe. Mittlerweile habe der Bw einen Drogenentzug absolviert und sei insoweit eine günstige Zukunftsprognose gegeben. Der Bw lebe seit 12 Jahren in einer Lebensgemeinschaft und habe seinen Lebensmittelpunkt in Österreich. In seiner Kindheit bzw. Jugend sei er bereits österreichischer Staatsbürger gewesen, lediglich seine Mutter habe beim Umzug nach Deutschland für den Bw die deutsche Staatsbürgerschaft ohne seine Zustimmung beantragt. Weiters habe der Bw eine Lehre als Betriebsschlosser absolviert und würde derzeit einen Schweißkurs machen, um wieder in den ehemaligen Beruf zurückkehren zu können. Es habe durchgehend eine Betreuung durch das AMS stattgefunden. Nach Abschluss der derzeitigen Kurse stünde dem Bw ein Arbeitsplatz in einer x Schlosserei in Aussicht. Der Bw würde nun erstmalig von der Bewährungshilfe betreut, sodass auch hier eine neuerliche Delinquenz mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewendet werden könne. Angesichts der günstigen Zukunftsprognose möge von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand genommen werden.

 

3.2.13. Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2009 legte der Rechtsvertreter des Bw eine Bestätigung über die therapeutische Behandlung vom 19. Oktober 2009 und zwei negative Drogenbefunde (11. März und 15. Juli 2009) vor.

 

3.2.14. In der Stellungnahme des Vereins x vom 23. November 2009 führte der Bewährungshelfer des Bw wie folgt aus:

"Ich betreue Herrn x seit August 2009 im Rahmen der Bewährungshilfe (AZ: LG Ried 7 Hv 32/09g).

In Kenntnis der bisherigen Sachlage spreche ich mich eindeutig gegen ein Aufenthaltsverbot gegen meinen Klienten aus und begründe dies wie folgt:

Bei Herrn x handelt es sich um einen gebürtigen Österreicher, der bis zu seinem 9. Lebensjahr die österreichische Staatsbürgerschaft hatte und als Kind österreichischer Eltern in x ca. 30 km von der österreichisch-bayrischen Grenze aufgewachsen ist.

Seit 10 Jahren lebt Herr x wieder in Österreich und seit 12 Jahren ist er mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin x liiert. In dieser Zeit hat Herr x seine Drogensucht, welche auch die Ursache früherer Delikte war, mit Hilfe der Drogenberatungsstelle x überwunden. In Bezug auf Drogendelinquenz kam es auch zu keinen weiteren Verurteilungen mehr.

Zu den sonstigen Verurteilungen ist zu bemerken, dass sämtliche von der BH Braunau angeführten Delikte aus den Jahren 1995 – 1999 nach deutschem Recht getilgt sind. Bei der letzten Verurteilung durch das LG Ried (9 Monate bedingt wegen Aufbrechen von Zeitungskassen sowie eine Falschaussage im Rahmen eines Drogenprozesses) wurde für ihn erstmals ein Bewährungshelfer bestellt.

Derzeit ist er dabei, sich mit Hilfe eines bfi-Schweißerkurses wieder in den aktiven Arbeitsmarkt in seinem alten Beruf als Schlosser zu integrieren. Die Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe funktioniert bis jetzt problemlos.

Zur Stammfamilie des Klienten ist zu sagen, dass die massiven Gewalterfahrungen, welche er als Kind vor allem durch seien Vater erlebte, nicht unwesentlich zu seinem Abgleiten in die Drogensucht und Kriminalität beitrugen. Derzeit hat er kaum mehr Kontakt zu seinen Verwandten in Niederbayern und eine Ausweisung würde zum derzeitigen Zeitpunkt eine starke Existenzbedrohung (drohende Obdachlosigkeit, Lebensgefährtin hat Eigentumswohnung in Österreich, Abbruch der beruflichen Integrationsmaßnahmen, Abbruch der Betreuung durch die Drogenberatungsstelle x und Abbruch der Betreuung durch die Bewährungshilfe) darstellen.

Ich ersuche daher, auf Grund der derzeit recht stabilen Gesamtsituation von Herrn x der Berufung meines Klienten stattzugeben."

 

3.3. Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig. Die nachträglich eingebrachte Stellungnahme des Vereins x wurde von der belangten Behörde unwidersprochen gelassen.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. 

 

§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsbe­rechtigung betreffend freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom
13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß sind auch die §§ 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs. 1 und Abs. 2 FPG orientiert. 

 

Gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als bestimmte Tatsache im Sinne des Absatz 1 gilt gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 leg. cit. insbesondere, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Nach § 60 Abs. 3 leg. cit.  liegt eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Eine solche Verurteilung liegt jedoch vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

 

§ 73 StGB bestimmt für den Fall, dass das Gesetz nicht ausdrücklich auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellt, dass ausländische Verurteilungen inländischen gleichstehen, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art. VI der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entsprechenden Verfahren ergangen sind.

 

Nach § 56 Abs. 1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt -Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

Gemäß § 56 Abs. 2 leg. cit. hat als schwere Gefahr im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht

1) wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt, Eingehen oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder gemäß der     §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB oder

2) wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Würde nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 leg.cit. darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 leg. cit. sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Gemäß § 61 Z. 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z. 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

 

Nach § 81 Abs. 4 NAG (BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 99/2006) gilt für EWR-Bürger und Schweizer Bürger, die bereits vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen und nach dem Meldegesetz 1991 gemeldet sind, ihre aufrechte Meldung nach dem Meldegesetz 1991 als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG.

 

§ 46 des Gesetzes über das Zentralregister und Erziehungsfristen (Bundeszentralregistergesetz – BZRG, neugefasst durch B. v. 21.09.1984 BGBl. I S. 1229, 1985 I 195; zuletzt geändert durch Artikel 2 Abs. 2 G. v. 14.08.2009 BGBl. I S. 2827) lautet:

 

(1) Die Tilgungsfrist beträgt

1. fünf Jahre

bei Verurteilungen

a) zu Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe, kein Strafarrest und keine Jugendstrafe im Register eingetragen ist,

b) zu Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,

c) zu Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr,

d) zu Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden ist,

e) zu Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren, wenn ein Strafrest nach Ablauf der Bewährungszeit gerichtlich oder im Gnadenweg erlassen worden ist,

f) zu Jugendstrafe, wenn der Strafmakel gerichtlich oder im Gnadenweg als beseitigt erklärt worden ist,

g) durch welche eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 des Strafgesetzbuches) mit Ausnahme der Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis für immer und des Berufsverbots für immer, eine Nebenstrafe oder eine Nebenfolge allein oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln angeordnet worden ist,

2. zehn Jahre

bei Verurteilungen zu

a) Geldstrafe und Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 Buchstaben a und b nicht vorliegen,

b) Freiheitsstrafe oder Strafarrest von mehr als drei Monaten, aber nicht mehr als einem Jahr, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden und im Register nicht außerdem Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe eingetragen ist,

c) Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, außer in den Fällen der Nummer 1 Buchstaben d bis f,

3. zwanzig Jahre bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr,

4. fünfzehn Jahre

in allen übrigen Fällen.

(2) Die Aussetzung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bewährung oder die Beseitigung des Strafmakels bleiben bei der Berechnung der Frist unberücksichtigt, wenn diese Entscheidungen widerrufen worden sind.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 Buchstabe e, Nr. 2 Buchstabe c, Nr. 3, Nr. 4 verlängert sich die Frist um die Dauer der Freiheitsstrafe, der für den Fall der Uneinbringlichkeit der Vermögensstrafe bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe, des Strafarrestes oder der Jugendstrafe.

 

4.2.1. Zunächst ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 (erster bis vierter Satz) vorliegen (vgl. VwGH vom 18. September 2008, 2007/21/0214). Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Bw die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Die Erläuterungen zu § 86 FPG (22 GP, RV 952, 106)  verweisen auf die Art. 27
Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 Z. a der Richtlinie 2004/38/EG und die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.10.1977, Rs 30/77 - Fall Bouchereau).

 

Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen  rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des     § 60 Abs. 2 FPG nur als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.

 

Hinsichtlich der nach dem FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Wie nachfolgend ausgeführt, legt das FPG, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer, ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. So setzt § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Relation zu § 56 Abs. 1 FPG ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") ein geringeres Maß der Gefährlichkeitsprognose voraus. Hingegen verlangt § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") im Verhältnis zu § 56 Abs. 1 FPG ein höheres Maß der Gefährdungsprognose, die sich zudem nach dem fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert (vgl. VwGH vom 20. November 2008, 2008/21/0603; E vom 3. April 2009, 2008/22/0913).

 

Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände  ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

4.2.2. Der Bw ist seit dem 6. September 1999 nach dem Meldegesetz 1991 gemeldet und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen. 

 

Entsprechend den deutschen Tilgungsvorschriften (§ 46 BZRG) sind die unter Punkt 3.2.3. angeführten Straftaten jedenfalls seit dem 17. September 2009 als getilgt anzusehen und können zur Begründung des Aufenthaltsverbotes nicht mehr herangezogen werden. Im Zuge der Erstellung eines Persönlichkeitsbildes kann aber darauf Bezug genommen werden.

 

4.2.2.1.1. Fraglich ist, ob dem Bw aufgrund seiner langen Aufenthaltsdauer in Österreich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden hätte können und gegen ihn schon aus diesem Grund die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 61 Z. 3 FPG unzulässig wäre.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechenden Verfahren ergangen ist.

 

Grundsätzlich setzt die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 einen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet von mindestens zehn Jahren und davon eine Niederlassung von zumindest fünf Jahren voraus.

Ist der Fremde im Besitz der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), so ist gemäß § 11a Abs. 4 Z. 2 StbG dem Fremden nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet und unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8, Abs. 2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen.

 

4.2.2.1.2. Die erstmalige Verurteilung des Bw in Österreich erfolgte am 20.11.2008 durch das Landesgericht Ried im Innkreis. Der zugrundeliegende Sachverhalt wurde von ihm am 7. und 10. Oktober 2008 verwirklich.

 

Im Hinblick auf § 61 Z. 3 FPG ist zu prüfen, ob dem Bw vor diesem Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden hätte können.

 

Da gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft nur verliehen werden darf, wenn der Fremde weder durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig verurteilt worden ist, das Urteil des AG x, bedingt durch die Registereintragungen (Urteile des AG Laufen) erst mit 27. August 2009 als getilgt anzusehen ist, hätte dem Bw die österreichische Staatsbürgerschaft vor diesen Zeitpunkt mangels Tilgung und danach wegen der inländischen Verurteilung nicht verliehen werden dürfen. Die Ausnahmebestimmung des § 61 Z. 3 FPG liegt somit nicht vor.

Aus der Aktenlage und dem Parteienvorbringen ist auch nicht zu ersehen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aufgrund der weiteren Bestimmungen des § 61 FPG (Z. 1, 2 oder 4) unzulässig wäre.

 

4.2.2.2. Bezogen auf die Sonderstellung des Bw als EWR-Bürger ist nunmehr zu prüfen, ob das persönliche Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Bedingt durch die beiden rechtskräftigen Verurteilungen des LG Ried im Innkreis (siehe Punkte 3.2.8 und 3.2.10.) ist § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Dies wird vom Bw auch nicht in Abrede gestellt.

 

Nach § 63 Abs. 1 FPG wäre die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zulässig.

 

Für den Oö. Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Wie bereits dargelegt, ist eine Gefährdungsprognose zu erstellen und die Überprüfung an Hand der, je nach Lage des Falles einschlägigen Bestimmungen vorzunehmen.

 

Im konkreten Fall könnte es sich nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse sondern um ein Grundinteresse der Gesellschaft handeln, dass darin gelegen ist, strafbare Handlungen gegen Eigentumsdelikte zu verhindern. Für letzteres würde sprechen, dass die Straftat des Bw in dem unter Punkt 3.2.10. auszugsweise wiedergegebenen Urteil als Verbrechen eingestuft worden ist.

 

Im Sinne der wiedergegeben Judikatur (VwGH, EGMR, EuGH) ist nicht primär maßgeblich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Im konkreten Einzelfall ist zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird. Besonders aussagekräftig ist daher die Strafzumessungsbegründung. Diese lässt eindeutige Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Bw zu.

 

Trotzdem das erkennende Gericht die beiden Tathandlungen (Diebstahl durch Einbruch) als Verbrechen zu beurteilen hatte, wurde die kriminelle Energie des Bw als so gering eingestuft, dass jeweils mit bedingten Freiheitsstrafen das Auslangen gefunden werden konnte.

 

Stellte man ausschließlich auf den Deliktstyp ab, könnte daraus eine schwerwiegende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität resultieren (vgl.  VwGH vom 2. April 2009, 2009/18/0032, mwN; VwGH vom 11. Mai 2009, 2009/18/0134).

 

In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil des EGMR vom 6.2.2003, Bsw.Nr. 36757, X, beachtenswert, wonach der EGMR der Ansicht war, dass "zwei Verurteilungen wegen Einbruchsdiebstahl nicht als besonders schwerwiegend beurteilt werden können, da die Straftaten keine gewaltsamen Elemente beinhalten" würden.

 

Wie bereits unter Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt, ist bei der Erstellung der Gefährlichkeitsprognose besonders die Aufenthaltsdauer zu berücksichtigen. Auch wenn der Bw sich vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes noch keine zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, setzt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Hinblick auf seine begünstigte Stellung (EWR-Bürger) nicht nur ein geringes Maß der Gefährdungsprognose (§ 60 Abs. 1 FPG ["Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen"], § 56 Abs. 1 FPG ["schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"]) voraus, sondern das bedeutend höhere des § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt").

 

Obwohl die belangte Behörde ein umfassendes Persönlichkeitsbild erstellt und Bezug auf das bisherige deliktische Verhalten des Bw genommen hat, weist das Verhalten des Bw, der trotz mehrfacher Androhung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wiederum straffällig geworden ist, nicht eine derartige kriminelle Energie auf und lässt auch keine Gefährlichkeitsprognose in dem Ausmaß zu, dass sein Gesamtfehlverhalten die Annahme rechtfertigen würde, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Die getroffene Beurteilung der belangten Behörde ist daher nicht zu vertreten.

 

4.3. Das angefochtene Aufenthaltsverbot war daher aufzuheben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

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