Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-100493/3/Fra/Ka

Linz, 12.05.1992

VwSen - 100493/3/Fra/Ka Linz, am 12. Mai 1992 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des A K, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. O H, Dr. G W und Dr. K H, S, G, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 24. Februar 1992, VerkR-5537/1991-Gi, betreffend Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG i.V.m. §§ 24, 51 und 45 Abs.1 Z.1 VStG.

II. Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung von Strafkostenbeiträgen.

Rechtsgrundlage: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen hat mit Straferkenntnis vom 24. Februar 1992, VerkR-5537/1991-Gi, über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretungen nach 1.) § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 und 2.) § 4 Abs.5 StVO 1960, zu 1.) eine Geldstrafe von 2.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) und zu 2.) eine Geldstrafe von 1.500 S (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt, weil er am 3. März 1991 um 16.00 Uhr in G, W Höhe Haus Nr.24, 1. nach einem Verkehrsunfall, mit dem sein Verhalten in ursächlichem Zusammenhang stand, den von ihm gelenkten PKW nicht sofort angehalten hat, 2. es unterlassen hat, nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, mit dem sein Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang stand, die nächste Sicherheitsdienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen, obwohl ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift der Unfallbeteiligten unterblieben ist. Ferner wurde er gemäß § 64 VStG zur Leistung eines Kostenbeitrages in Höhe von 10 % der verhängten Strafe verpflichtet.

I.2. Gegen dieses Straferkenntnis wurde rechtzeitig Berufung erhoben. Vom Rechtsinstitut der Berufungsvorentscheidung hat die Erstbehörde nicht Gebrauch gemacht. Damit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da jeweils keine 10.000 S übersteigenden Geldstrafen verhängt wurden, durch eines seiner Mitglieder zu entscheiden (§ 51c VStG).

I.3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Der kraftfahrzeugtechnische Amtssachverständige, Ing. S, kommt in seinem Gutachten vom 1.8.1991 zur Auffassung, daß der Beschuldigte bei der für den Kraftfahrer geforderten Aufmerksamkeit den gegenständlichen Anstoß akustisch und optisch wahrnehmen hätte müssen.

Die akustische Wahrnehmbarkeit wird wie folgt begründet: Durch eine Streifung wie im gegenständlichen Fall, nämlich wenn sie mit Kratzspuren verbunden ist, entsteht ein Geräusch, das eine wesentlich andere Frequenzstruktur aufweist, als solche Geräusche, die bei einem Betrieb eines Fahrzeuges und der Umgebung auftreten. Solche Geräusche sind vom menschlichen Ohr auch dann erkennbar, wenn sie in ihrer Lautstärke unter der Hälfte der Umgebungslautstärke liegen. Da die Karrosserie eines Fahrzeuges die physikalische Eigenschaft eines Resonanzkastens hat, werden solche Geräusche zusätzlich verstärkt. Es hätte daher der Beschuldigte die Streifung aufgrund der geänderten Frequenz leicht wahrnehmen müssen.

Die optische Wahrnehmbarkeit wird wie folgt begründet: Die Streifung erfolgte mit der rechten vorderen Stoßstange. Es hätte daher der Beschuldigte aufgrund seiner Kenntnisse über den Platzbedarf des Fahrzeuges, die er als Besitzer einer Lenkerberechtigung haben muß, die Nähe des fremden Fahrzeuges leicht erkennen müssen, denn aufgrund der gegebenen Voraussetzungen wäre es ihm leicht möglich gewesen, den Anstoß auch optisch wahrzunehmen, da sich das gegenständliche Fahrzeug bei diesem Anstoß bewegt haben muß.

Der gerichtlich beeidete Sachverständige Dipl.Ing. J L kommt in seinem Gutachten vom 3.11.1991 zum Schluß, daß es aus technischer Sicht durchaus möglich ist, daß, bedingt durch die besonders knappe Situation, die Berührung mit dem anderen Fahrzeug für den Beschuldigten nicht bemerkbar war. Dieses Gutachten wird im wesentlichen wie folgt begründet: Der Kontakt des PKW des Beschuldigten (Ford Sierra) mit dem PKW der Unfallbeteiligten (Toyota Corolla) erfolgte derart, daß das vordere Kunststoffstoßstangeneck des Beschuldigten-PKW vorne rechts mit dem Ende der vorderen linken und der hinteren linken Tür des PKW der Unfallbeteiligten streifte. Die Berührung erfolgte dabei in einem sehr spitzen Winkel, da es nur zu ganz geringen Eindrückungen an der äußerst weichen hinteren Tür des Toyota kam. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Umbauer, der den PKW der Unfallbeteiligten besichtigte, geht die Streifrichtung vom vorderen linken Türunterteil zum linken hinteren Türunterteil.

Zur Bemerkbarkeit der Berührungen führt der Sachverständige Dipl.Ing.L aus, daß die Kunststoffstange nur ganz leicht an der glattflächigen und leicht deformierbaren Türe streifte, weshalb es mit Sicherheit zu keinen wesentlichen Vibrationen oder Schwingungen, wie sie etwa entstehen würden, wenn man mit dem PKW z.B. an einer rauhen, harten Fläche, die deutliche Abkratzungen hervorruft, streift (z.B. Steinmauer). Da die Berührung auch nicht stoßartig, sondern ganz leicht und verlaufend einsetzte, sei auch kein wesentlicher Ruck zu hören oder zu spüren gewesen. Es könne daher aus technischer Sicht gesagt werden, daß mit größter Wahrscheinlichkeit wegen der fehlenden Geräuschentwicklung der Anstoß für den Beschuldigten nicht zu hören war. Die Ansicht des Amtssachverständigen über das Geräusch wäre dann richtig, wenn die Streifung tatsächlich so erfolgt wäre, daß es zu deutlichen Lackabkratzungen bis zum Blech gekommen wäre, was hier aber wegen der flachen Streifung und der Materialpaarung (Kunststoff - glattes weiches Blech) auszuschließen sei.

Zur Frage der optischen Erkennbarkeit könne ausgeführt werden, daß sicher ein neben den Fahrzeugen stehender Zeuge eine leichte Bewegung des Fahrzeuges der Unfallbeteiligten erkennen mußte. Betrachte man aber die Berührungsstellen (rechts vorne und linke Seite) und berücksichtige die Streifrichtung von vorne nach hinten, so müsse der PKW des Beschuldigten in einer Rückwärtsbewegung gewesen sein, als es zur Berührung kam. Wenn man nun aufgrund der Situation (Aussage A) dem Lenker zugestehe, daß er in die Fahrtrichtung und damit nach hinten blickte, so konnte er natürlich nicht das rechte vordere Eck des PKW beobachten und wird deshalb auch den Anstoß nicht optisch bemerken.

In seinem Ergänzungsgutachten vom 19.12.1991 hielt der Amtssachverständige Ing. Sallaberger dem vorhin zitierten Gutachten des Dipl.Ing. L im wesentlichen folgendes entgegen: Die Kollision bzw. die Streifung erfolgte einerseits mit der rechten Ecke der vorderen Stoßstange, wobei diese andererseits die hintere und vordere Türe des Fahrzeuges des Geschädigten leicht eindrückte. Fahrzeugtüren seien an deren Rändern gefalzt und mit Preßverstärkungen versehen, sodaß gerade in diesem Bereich, wenn eine Streifung über 2 Türen erfolgt, eine deutliche Geräuschentwicklung entstehe. Außerdem sei jede Streifung, auch wenn kein Materialabrieb zustandekomme, mit einem Geräusch verbunden, das in einer Frequenzstruktur vom Umgebungsgeräusch oder von Geräuschen, die im Inneren eines Fahrzeuges hörbar sind, derartig abweicht, daß dieses leicht vom menschlichen Ohr unterschieden werden könne. In dieser Richtung seien schon Versuche unternommen worden und bei gleicher Geschwindigkeit im Fahrzeuginneren ein Geräusch von 74 dBa gemessen. In der Folge wurde das Autoradio auf eine Lautstärke von 95 dBa gebracht. Dies entspreche etwa der 4fachen Lautstärke und es konnten auch dabei einwandfrei die Rollgeräusche erkannt werden. Weiters wurden Versuche beim Befahren von Ortschaftswegen und Streifungen mit Grashalmen durchgeführt. Diese Streifungen konnten meßtechnisch überhaupt nicht erfaßt werden, können aber deutlich wahrgenommen werden.

Dipl.Ing. L hielt in seinem Ergänzungsgutachten vom 22.1.1992 dem vorhin zitierten Ergänzungsgutachten des Ing. S folgendes entgegen: Die Ursache für Geräusche seien Schallwellen. Solche werden durch Vibrationen, die zu Schwingungen im Bereich der Hörmöglichkeiten führen, Töne oder Geräusche übertragen. Notwendig dazu sei, daß es durch eine Berührung eben zu solchen Schwingungen komme oder aber durch einen Schlag auf einen Teil an diesem solche Schwingungen entstehen. Auch beim Befahren der Straße werden durch die Reifen, die ja nicht nur an einem Punkt, sondern auf einer Fläche (der Aufstandsfläche) aufliegen, da sich ja diese durch die fortwährende Drehung ständig weiterbewegt, solche Schwingungen erzeugt, die durchaus, ja sogar laut zu hören seien. Um dies selbst überprüfen zu können, brauche man sich nur an einem Gefällestück einer Straße aufstellen oder aber auf der Autobahn, um zu hören, daß durch das Rollgeräusch das Motorgeräusch völlig übertönt werde. Es wird sich also das Fahr- und Motorgeräusch auch bei dem bestisolierten Fahrzeug immer hören lassen, auch wenn das Radio im Auto aufgedreht ist. Es sei daher völlig daneben gegriffen, wenn man Versuche in diese Richtung für den gegenständlichen Fall heranziehe, da es sich hier ja um sehr laute Geräusche handelt (74 dB werden neueren Autos erst bei Geschwindigkeiten zwischen 120 km/h und 130 km/h erreicht). Auch der zitierte Versuch bei Streifung von Grashalmen sage nichts aus. Hier schlagen ja eine Vielzahl von Halmen zunächst gegen die Stoßstange, richten sich wieder auf und reiben bei ständiger Lösung und Berührung des Wagenbodens an diesen. Dadurch komme es natürlich zu Schwingungen, die auch hörbar sind.

Im gegenständlichen Fall allerdings streifte ja eine abgerundete feste Kunststoffstange an einem glattflächigen lackierten Blech. Auch der wenige Millimeter große Türspalt spiele hier keine Rolle, da die Berührung einerseits leicht, andererseits an einer wesentlich größeren abgerundeten Fläche stattfindet, sodaß es hier nicht zu einem "Ruck" kommen könne. Auch die Türfalze spielen hier keine Rollen. Wie bereits angegeben, erfolgte die Berührung ja bei ganz geringen Geschwindigkeiten. Bei diesen Geschwindigkeiten komme es aber bei Streifungen wie in diesem Fall, insbesondere ohne tiefe Eindrückung zu keiner Geräuschentwicklung, da die entstehenden Schwingungen, falls es überhaupt zu solchen kommt, unter der Frequenz liegen, die der Mensch hören könne und sei dies keinesfalls "eignungsbedingt", wie dies der Amtssachverständige angegeben hat. Um diese nicht vorhandene Geräuschentwicklung zu überprüfen, könne er auf eigene Beobachtungen und Eigenversuche hinweisen, weiters auf die ständige Beobachtung des Verkehrsgeschehens, wo des öfteren solche Vorfälle vorkommen. Man könne auch selbst diesen Vorgang überprüfen, wenn man mit dem runden Ende des Kunststoffgriffes eines größeren Schraubenziehers fest an einem größeren Blechstück anstreife und dieses dabei eindrücke. Es werden dabei keine Geräusche entstehen.

Zusammenfassend hält Dipl.Ing. L sein Gutachten aufrecht und verweist darauf, daß die vom Amtssachverständigen angezogenen Versuche in keiner Beziehung zu dem gegenständlichen Geschehen stehen und damit nicht geeignet seien, einen Beweis für eine deutliche Geräuschentwicklung in diesem Falle zu liefern. Diese könne vielmehr ausgeschlossen werden.

Dem unabhängigen Verwaltungssenat erscheinen beide Gutachen schlüssig. Was die Frage der akustischen Wahrnehmbarkeit des gegenständlichen Anstoßes durch den Beschuldigten anlangt, so ist jedoch der unabhängige Verwaltungssenat der Auffassung, daß das Gutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. J L fallbezogener gestaltet ist. Überzeugend sind insbesondere die Aussagen, daß die vom Amtssachverständigen angezogenen Versuche für den gegenständlichen Fall wohl nicht spezifisch sind. Im gegenständlichen Fall hat eine abgerundete feste Kunststoffstoßstangenecke an einem glattflächigen lackierten Blech gestreift. Da die Berührung einerseits leicht, andererseits an einer wesentlichen größeren abgerundeten Fläche stattfindet und die Berührung bei einer ganz geringen Geschwindigkeit erfolgt ist, sodaß der (auf wenige Millimeter große) Türspalt keine große Rolle spielt, ist der Schluß, daß es im gegenständlichen Fall zu keiner eignungsbedingten Geräuschentwicklung kam, da die entstehenden Schwingungen, falls es überhaupt zu solchen kommt, unter jener Frequenz liegen, die der Mensch hören kann, überzeugend.

Was die Frage der optischen Erkennbarkeit der gegenständlichen Berührung der Fahrzeuge anlangt, ist vorerst einmal der Aussage des Sachverständigen Dipl.Ing. L dahingehend, daß aufgrund der Berührstellen die Streifrichtung von vorne nach hinten gewesen sein muß, nicht entgegenzutreten. Es muß daher der PKW des Beschuldigten in einer Rückwärtsbewegung gewesen sein, als es zur Berührung kam. Zweifellos hatte daher der Beschuldigte in die Fahrtrichtung und damit nach hinten zu blicken. Der unabhängige Verwaltungssenat ist der Auffassung, daß zwar in diesem Fall auch ein Kontrollblick nach rechts vorne zu werfen ist. Doch da der Lenker nicht ständig gleichzeitig nach hinten und nach vorne blicken kann, ist es nicht auszuschließen, daß die Berührung genau zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Beschuldigte gerade nach hinten blickte, sodaß es durchaus möglich ist, daß der Beschuldigte deshalb den Anstoß optisch nicht bemerkte. Zieht man nun in Erwägung, daß es ja aufgrund des Türspaltes zu einer Bewegung des gegnerischen Fahrzeuges gekommen sein muß, und diese Bewegung gerade zu dem Zeitpunkt stattgefunden hat, als der Beschuldigte nach hinten blickte, weshalb für den Beschuldigten die Streifung allenfalls aufgrund der Stoßreaktion bemerkbar gewesen sein müßte, so ist selbst der Amtssachverständige der Auffassung, daß durch die Bewegung des Fahrzeuges die Gefühlsschwelle des Beschuldigten nicht unbedingt überschritten wurde.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß die Wahrnehmung der gegenständlichen Streifkollision für den Beschuldigten nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit als erwiesen anzunehmen ist, weshalb der Tatbestand im Zweifel dem Beschuldigten subjektiv nicht vorwerfbar ist.

Außerhalb des Beweisverfahrens ist festzuhalten, daß der Beschuldigte die Schadensliquidierung in der vollen Höhe bewerkstelligt und nicht bis zur rechtskräftigen Beendigung des gegenständlichen Verfahrens zugewartet hat, sodaß der Zweck der gegenständlichen Bestimmung, die Verkehrsteilnehmer anzuhalten, allfällige Schäden bekanntzugeben, um den Geschädigten den Ersatz des Schadens zu ermöglichen, nicht beeinträchtigt wurde.

Da sich die gegenständliche Entscheidung bereits aus der Aktenlage ergab, erwies sich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung als nicht erforderlich (§ 51e Abs.1 VStG).

zu II. Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig. Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Fragner

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