Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-165062/6/Br/Th

Linz, 18.05.2010

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 07.04.2010, Zl. VerkR96-5961-2010-Heme, zu Recht:

 

 

I.     Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

 

II.    Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – VStG.

Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Über den Berufungswerber wurde mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis  der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck wegen der Übertretung nach § 18 Abs.1 iVm § 99 Abs.2c Z4 StVO 1960 eine Geldstrafe von 180 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 84 Stunden verhängt, weil er am 09.12.2009, 11:07 Uhr,  in Linz, Autobahn Freiland, A 7, km 3.3, Rfb. Süd, als Lenker des Omnibus mit dem Kennzeichen X, zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten habe, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, weil der mittels Videomessung festgestellte zeitliche  Abstand mit nur 0,30 Sekunden betragen habe.

 

1.1. Begründend führte die Behörde erster Instanz Folgendes aus:

Gemäß § 99 Abs.2c Z.4 StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen wer als Lenker eines Fahrzeuges den erforderlichen Sicherheitsabstand zum nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug gemäß § 18 Abs. 1 nicht einhält, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand 0,2 Sekunden oder mehr, aber weniger als 0,4 Sekunden beträgt.

 

Gemäß § 18 Abs.1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

 

Gemäß § 99 Abs.2c StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 72,00 Euro bis 2.180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges Fußgänger, die Schutzwege vorschriftsmäßig benützen oder Radfahrer, die Radfahrerüberfahrten vorschriftsmäßig benützen, gefährdet oder behindert.

 

Der im Spruch angeführte Sachverhalt stützt sich auf eine Anzeige der Landesverkehrsab-teilung OÖ. vom 09.12.09. Dabei wurde die Verwaltungsübertretung mit einem geeichten Messsystem festgestellt.

 

Nachdem von der Bundespolizeidirektion Linz eine Lenkererhebung durchgeführt wurde, ist an Sie von do. Stelle am 04.01.10 eine Strafverfügung in dieser Angelegenheit ergangen. Gegen diese Strafverfügung haben Sie Einspruch erhoben und dabei die Tat nicht vehement bestritten, aber die Vormerkung nicht akzeptiert. Sie ersuchten in Ihrem Einspruch, von einer Vormerkung abzusehen, da dieser zu geringe Abstand im normalen Straßenverkehr durchaus passieren könne, z.B. vor einem Überholvorgang.

 

Das Verwaltungsstrafverfahren wurde in weiterer Folge zuständigkeitshalber auf Grund Ihres Hauptwohnsitzes an die BH Vöcklabruck abgetreten.

 

Mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 17.02.2010 wurde Ihnen der Sachverhalt zur Last gelegt und Sie haben am 16.03.2010 persönlich bei der BH Vöcklabruck vorgesprochen und nochmals erklärt, dass Sie die Übertretung aus dem Grund nicht als gerechtfertigt erachten würden, weil es sich dabei um eine Verkehrssituation aus dem täglichen Verkehr gehandelt habe und Sie sicher kein Drängler wären. Es habe jedenfalls kein Vorsatz bestanden. Sie wären überdies schon auf der Überholspur gewesen und dabei mit ca. 88 km/h im Fließverkehr auf den Pkw aufgelaufen. Die im Zusammenhang mit dieser Strafe zu verhängende Vormerkung im Führerscheinregister könnten Sie nicht akzeptieren und deshalb wurde vereinbart, dass eine Entscheidung schriftlich ergehen würde.

 

Die Behörde geht von folgendem Sachverhalt aus:

Die angelastete Verwaltungsübertretung wurde mit einem geeichten Messsystem unter Beachtung der eichamtlichen Verwendungsbestimmungen und unter Beachtung der Bedienungsanleitung gemessen. Dabei wurde bei einer gemessenen Geschwindigkeit von 85 km/h ein Abstand von 7 m, das ist ein zeitlicher Abstand von 0,3 Sek. eingehalten. Dieser zu geringe Sicherheitsabstand wurde auch mit einer Fotobeilage dokumentiert.

Ihre Rechtfertigungsangaben, es habe sich um eine Situation aus dem täglichen Verkehr gehandelt, wobei der vor Ihnen fahrende Pkw Ihrer Ansicht nach wahrscheinlich erst die Fahrspur gewechselt hat, nachdem Sie bereits auf der Überholspur waren, können dahingehend entkräftet werden, dass die Messung lt dem Bildnachweis über einen Zeitraum von nahezu 4 Sek. durchgeführt wurde, wobei der zu geringe Sicherheitsabstand über die ganze Strecke nachweisbar ist. Es war daher grundsätzlich wie im Spruch angeführt zu entscheiden.

 

Zur Strafbemessung wird angeführt, dass dabei unter Berücksichtigung ihrer Einkommensverhältnisse der Strafbetrag noch einmal reduziert werden konnte, weitere besondere Strafmilderungs- oder Erschwerungsgründe lagen nicht vor.

 

Die Vorschreibung der Verfahrenskosten begründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

 

 

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung tritt der Berufungswerber mit folgenden Ausführungen dem Straferkenntnis entgegen:

Betrifft: Einspruch gegen Straferkenntnis VerkR96-5961-2010-Heme

 

Wie schon in meinen ersten Schreiben und ebenso bei meiner Vorsprache vorgebrachte Argumentation kann ich nur nochmals bekräftigen. Wie schon gesagt meiner Erinnerung zu Folge ist dieses Auto vor mir auf die Überholspur gewechselt, und wenn man wie von Ihnen verlangt jedesmal wenn ein Auto vor Ihnen die Fahrspur wechselt abbremsen würde dann würde es zu einen nicht absehbaren Verkehrschaos führen. Wie ich ebenso schon sagte fahre ich jährlich über 100000 Kilometer im Jahr weiters sitze ich in meine Klein LKW höher als der Lenker im vorausfahrenden Fahrzeug und kann somit Gefahren schneller erkennen als zum Beispiel ein hinten fahrender PKW Lenker. Wie von Ihnen verlangt das ich in den gemessenen 4 Sekunden den Abstand vergrößern hätte müssen kann ich nur sagen das ich in dieser Situation bestimmt den Fuß vom Gaspedal genommen habe und keine Bremsung eingeleitet habe was darauf kann ich Wetten jeder andere Autofahrer in der selben Situation auch gemacht hätte. Ich wehre mich vehement dagegen diese Situation grob fahrlässig herbeigeführt zu haben, weiters nie eine Absicht zu Drängeln oder sonstigen Straftaten gewollt zu haben. Diese Situationen finden Sie täglich im Straßenverkehr wieder, ich habe auch bestimmt schon meine Geschwindigkeit reduziert den in diesen Bereich ist Tempo 100 erlaubt und die gemessene Geschwindigkeit betrug 85 km/h.

Hiermit möchte ich Sie nochmals ersuchen von einer Bestrafung meinerseits abzusehen.

 

Mit Besten Dank verbleibe ich höflichst

X.“

 

 

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einschau in den erstbehördlichen Verfahrensakt. In Vorbereitung der Berufungsverhandlung wurde im Wege der Verkehrstechnik eine Ausarbeitung des Videomaterials angefordert, welche jedoch offenbar irrtümlich bereits überspielt worden sein dürfte. Vom Amtssachverständigen wurde aus dem der Anzeige beigeschlossenen Bildmaterial eine fachliche Stellungnahme erstattet.

 

 

3.1. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer Berufungsver­handlung konnte unterbleiben (§ 51e Abs.2 Z1 VStG).

 

 

4. Sachverhalt laut Aktenlage:

Der vom Berufungswerber gelenkte Kleinbus ist auf dem Foto Nr.1 ([oberes Bild] - 11:07:59:16) am linken Fahrstreifen unmittelbar hinter dem Fahrzeug des Berufungswerbers, zu diesem vielleicht einen Meter nach links versetzt,  relativ knapp dahinter ist ebenfalls ein Pkw sichtbar.  Am rechten Fahrstreifen findet sich die Spitze einer aus mehreren Fahrzeugen bestehenden Kollonne und etwa 50 m  vor dem Vorderfahrzeug des Berufungswerbers bzw. 40 m vor seinem Vordermann, ist auf dem rechten Fahrstreifen ein noch wahrscheinlich deutlich langsamer fahrender Klein-Lkw sichtbar, welcher den Grund für das vielleicht unvermittelte Umspuren des Vorderfahrzeuges und die dadurch bedingte Abstandsverkürzung umittelbar vor dem Messpunkt gebildet haben könnte.

Am Foto Nr. 2 (11:08:03:04), also etwa mehr als drei Sekunden später, befindet sich das Fahrzeug des Berufungswerbers in eben dieser Position auch noch hinter dem Pkw, wobei der Klein-Lkw auf der rechten Fahrspur am Bild 2 (unteres Bild) bereits überholt ist. Das Vorderfahrzeug scheint bereits im Begriff des Umspurens nach rechts zu sein, wobei der  Berufungswerber fast eine Fahrzeugbreite zum Vorderfahr-zeug nach links versetzt positioniert ist.

Die Verantwortung des Berufungswerbers scheint schon aus dieser Bildabfolge durchaus glaubwürdig, weil sich, ob des deutlich langsamer fahrenden Klein-LKW auf der rechten Fahrspur, das Vorderfahrzeug knapp vor der Aufnahme des Bildes 1 unmittelbar vor das Fahrzeug des Berufungswerbers gesetzt haben könnte. In der begründeten Erwartung des ehesten Rückspurens nach rechts nach dem Überholen des Klein-LKW´s, verblieb der Berufungswerber durch bloßes Weggehen vom Gas für die auf der Bildfolge ersichtlichen dreieinhalb Sekunden an diesem Fahrzeug. Unter Hinweis auf die Verkehrspraxis räumt dies der Berufungswerber sogar unumwunden ein. Das er in dieser Situation nicht schon durch plötzliches Abbremsen den Sicherheitsabstand für die bereits in wenigen Sekunden zu erwartende freie linke Spur herstellte, sondern nur den Fuß vom Gas nahm um seine allenfalls etwas höhere Ausgangsgeschwindigkeit auf das Vorderfahrzeug lediglich anzupassen, scheint in dieser Situation durchaus der Verkehrspraxis zu entsprechen.

Dem Berufungswerber meint dazu, es hätte wohl kaum ein anderer Autofahrer eine abrupte Bremsung eingeleitet, zumal die dadurch herbeigeführte Störung des Nachfolgeverkehrs allenfalls sogar zu einem Auffahren führen hätte können.

Da letztlich die Dauer der Abstandsverkürzung offenbar nur auf wenige Sekunden angelegt schien, kann hier von dem  verpönten, sogenanntes "Drängeln" nicht die Rede sein. Dies wäre am Video auf einer längeren Sichtstrecke nachvollziehbar, sofür sich aber hier gerade keine Indizien ergeben.  Das der Anzeige beigefügte Fotomaterial reicht jedenfalls nicht für einen Beweis einer vom Berufungswerber schuldhaft herbeigeführten Abstandsverkürzung.

 

 

4.1. Der von h. in Vorbereitung der Berufungsverhandlung mit der Beischaffung der Videosequenz beauftragte  Amtssachverständige,  Dipl.-Ing. (X) X, brachte die irrtümliche Überspielung dieses Videobandes bei der Polizei in Erfahrung.

Eine nachträgliche Auswertung bzw. eine Beurteilung wie letztlich der zu geringe Tiefenabstand entstand ist gemäß der Stellungnahme des Amtssachverständigen vom 12.5.2010 daher aus technischer Sicht nicht möglich.

Unabhängig davon vermeint der Sachverständige jedoch, dass  „auf Grund der Programmierung des Meßsystems festgehalten werden könne, dass der Vordermann in Bezug auf den Berufungswerber oder der Berufungswerber in Bezug auf den Vordermann - seine Geschwindigkeit im Messzeitraum ( t = 3,52 s – Zeitunterschied zwischen 1. Bild und 2. Bild ) um max. 4, 25 Km/h verringert hat.

Daraus ergebe sich eine max. Verzögerung von ~  0, 33 m/s². Das ist eine Verzögerung die sich z.B. auf Grund des Luftwiderstandes ergibt, wenn man vom Gas geht. Das Bremspedal wurde dabei nicht betätigt.

Der Berufungswerber fuhr daher (möglicherweise, so der SV)  3,52 s hinter dem Vordermann nach ohne die Betriebsbremse betätigt zu haben.

 

Wenn man davon ausgeht, das der Berufungswerber vom herausfahrenden Vordermann überrascht wurde und man ihm eine Reaktionszeit von 1s zubilligt, hätte er  t =2,52 s zum Abbremsen gehabt. Hätte er in den t = 2, 52 s eine Betriebsbremsung ( 3 m/s² ) durchgeführt, um seinen Tiefenabstand zu vergrößern, so hätte er dabei seine Geschwindigkeit um  ca. 27 Km/h reduziert. Das VKS - Messystem hätte dann die Messung von sich aus verworfen, da der Geschwindigkeitsunterschied zwischen 1. und 2. Messung größer als 5 %  ( 4,25 km/h ) gewesen wäre.

Bei einer Reaktionszeit von 1 s, hätte der Beschuldigte ab einer Bremsverzögerung von über 0,47 m/s²,  bei t = 2,52 s Bremszeit einen Geschwindigkeitsunterschied erreicht, der zur automatischen Verwerfung der Messung geführt hätte, wenn der Vordermann seine Geschwindigkeit beibehielt.

Geht man davon aus das der Vordermann leicht gebremst hat (  a ~ 0,33 m/s² / t = 3, 52 s ), so hätte der Berufungswerber nach 1 s Reaktionszeit, bei noch vorhandener Bremszeit von t = 2,52 s, ab einer Bremsverzögerung von mehr als 0,91 m/s² eine Geschwindigkeitsdifferenz erreicht die zu einer automatischen Verwerfung der Messung geführt hätte.

Im Hinblick auf die automatische Kontrolle beim Meßsystem das von der Polizei verwendet wird hält der Amtssachverständige fest, das wenn man davon ausgeht, das der Vordermann unmittelbar vor der Messung den Spurwechsel durchgeführt hat, der Berufungswerber  nach einer Reaktionszeit von 1 s seinen PKW mit mehr als 0,91m/s² abbremsen hätte müssen um die Messung der Polizei automatisch zu  annullieren.

Da keine Annullierung stattfand, hat der Berufungswerber  in der ihm zu Verfügung  stehenden Bremszeit t = 2, 52 s ( 1s Reaktionszeit berücksichtigt ) max. mit einer Verzögerung von 0,91 m/s² gebremst. Das entspricht noch keiner Betriebsbremsung ( a ~ 3 m/s² ) wie sie im " normalen " Verkehrsgeschehen immer wieder gefordert wird.  

Der Berufungswerber  habe es daher aus technischer Sicht gesehen unterlassen die mögliche, für ihn ungefährliche folgende Reaktion zu setzten. Nach dem der Vordermann 1 s auf der Überholspur vor ihm war (Reaktionszeit) eine verkehrsübliche Betriebsbremsung einzuleiten.

Der hinter dem BW fahrende PKW war ca. 30 – 35 m hinter dem BW. Die im Sinne des BW angesetzte Reaktionszeit von 1s, berücksichtigt nicht, das ein Spurwechsel ca. 2 – 3 s dauert und der BW  daher schon reagieren kann, bevor sich der Vordermann auf seiner Fahrspur befindet. Im Sinne des BW wurden der Beginn der Reaktionszeit erst angenommen, als der Vordermann schon vollständig auf der Überholspur war

 

 

4.2. Der Amtssachverständige setzt sich darin jedoch nicht mit der Frage auseinander, inwieweit eine unverzügliche Betriebsbremsung wegen eines plötzlich umspurenden Fahrzeuges, im Gefahrenelement gegenüber der Inkaufnahme einer kurzzeitigen Unterschreitung des Sicherheitsbstandes mit Blick auf den Nachfolgeverkehr im Einzelfall sogar kontraproduktiv sein könnte.

Die hier verfahrensgegenständliche Ausgangslage beurteilt die Berufungsbehörde dahingehend, dass Grenzfälle letztlich immer noch der Disposition eines Fahrzeuglenkers überlassen sein müssen. Wenn hier der Berufungswerber mit guten Gründen für bloß wenige Sekunden eine Bremsung vermied und den Verkehr dafür flüssig hielt, dabei insbesondere ein Auffahrrisiko für den Nachfolgeverkehr potenziell minimierte, dafür aber wenige Sekunden den Sicherheitsabstand zu seinem Vorderfahrzeug unterschritt, wird darin noch kein Fehlverhalten erblickt.

Der Berufungswerber hat sich hier offenbar in sachlicher Überzeugung von der Richtigkeit dieser Entscheidung unter Hinweis auf die Verkehrspraxis für Letzteres entschlossen. Darin war ihm auch mit sachlicher Überzeugung zu folgen. Es scheint im übrigen auch durchaus eher mit der auf Autobahnen gepflogenen Praxis im Einklang zu stehen.

In einem Aufsatz zu diesem Thema wird etwa die Abstandsproblematik  in Bezug zur Dauer und die Intensität der Zwangswirkung auf den Vorausfahrenden als entscheidend erachtet. Zu berücksichtigen sind demnach immer die Umstände des Einzelfalls wie die Örtlichkeiten, die Annäherungsgeschwindigkeit, die Dauer sowie die Art und Weise der Einwirkung auf den Vorausfahrenden durch die Kürze des Abstandes (den Einsatz von Hupe, Lichthupe oder den Fahrtrichtungsanzeiger). Unter Berücksichtigung der durch ein Abbremsen zur raschest möglichen Herstellung des Sicherheitsabstandes generierten Geschwindigkeitsunterschiede in einer auflaufenden Kolonne, beurteilt dies der  Autor keineswegs als positiv, da mit deutlichem Bremsen von voraus fahrenden Fahrzeugen in der Kolonne selbst große Geschwindigkeitsunterschiede geschaffen werden, die nach hinten über schärfere Bremsungen abgebaut werden müssen[1].

Ein Nachweis eines Drängelns – ein dem Berufungswerber als Verschulden zuzurechnedes Abstandsproblem iSd § 18 Abs.1 StvO -  kann daher im Zeitfenster von dreieinhalb Sekunden (noch) nicht in einer für das Strafverfarhen erforderlichen Sicherheit erwiesen gelten.  

 

 

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 18 Abs.1 Straßenverkehrsordnung 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand zum nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird. Davon kann jedenfalls dann noch nicht die Rede sein, wenn ein Vorderfahrzeug durch knappes Umspuren bloß kurzfristig eine Abstandsverkürzung herbeiführt.   Eine solche Auslegung scheint insbesondere auch im Sinne der Rechtssicherheit geboten, weil sonst gleichsam jede in einem zu knappen Umspuren gründende Abstandsverkürzung einen derart Betroffenen Pkw-Lenker einerseits in Beweisnotstand bringen würde, und andererseits der gebotene Sicherheitsbstand nur durch ein abruptes Abbremsen in kürzest möglicher Zeit hergestellt werden müsste, was wohl kaum im Einklang mit der realen Situation auf Autobahnen wäre, zumal eine derartige Reaktion den Verkehrsfluss nach hinten nachhaltiger stören und gefährden  würde, als dies im  „kuzzeitigen Abfedern“ auf Kosten  des Sicherheitsabstandes zum Vordermann der Fall ist.

Da sich hier relativ knapp hinter dem Berufungswerber ebenfalls ein Fahrzeug befindet, wäre mit einer unvermittelten Bremsung möglicher Weise ein deutlich höheres Gefahrenpotenzial geschaffen woden als in der Inkaufnahme der kurfristigen Abstandsverkürzung zum Vormann gegeben war. Die Situation kann nur im konkreten Einzelfall sachgerecht beurteilt werden, sodass ohne Beurteilungsmöglichkeit der situationsspezifischen Gesamtsituation am Video eine zu einem Schuldspruch ausgreichende Beweislage – selbst in der durchaus nachvollziehbaren Überlegung des Amtssachverständigen – demnach nicht erblickt werden kann.

Das sich letztlich rechnerisch eine andere und/oder allenfalls auch eine optimalere Verhaltensversion darstellen lässt, darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ein Fahrzeuglenker je ad hoc, unter Bedachtnahme auf die subjektive Beurteilung seines momentanen Verkehrsumfeldes, zu entscheiden hat. Damit will gesagt sein, dass nicht jede noch so geringe Fehlentscheidung im Straßenverkehr zur Bestrafung führen muss.

Ein dem Schutzziel des § 18 Abs.1 StVO zuzuordnendes Drängeln kann hier mit Blick auf die sich spezifisch darstellende Verkehrssitutation jedenfalls  nicht erwiesen gelten. Für diesen Beweis bedürfte es, wie oben bereits festgestellt, der Beurteilung des Fahrverhaltens im weiteren zeitlichen Kontext, der  sich letztlich nur aus dem Video durch ein Zeitfenster im Bereich bis zumindest zehn Sekunden nachvollziehen ließe  (vgl. h. Erk. v. 03.02.2009, VwSen-163764/5/Br/RSt).

 

Das angefochtene Straferkenntnis war demnach zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG mangels Tatbeweis einzustellen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. B l e i e r

 

 



[1]Dipl. Phys. Dr. Gerhart Prell, München; Quelle:  www.unfallanalytik.de

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