Linz, 22.06.2010
E r k e n n t n i s
I. Der Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben, als gemäß § 21 VStG auch vom Ausspruch einer Ermahnung abgesehen wird. Der Vorfallsort [Tatort] hat in Abänderung zu lauten: „Fahrbahn Humboldstraße stadtauswärts / nach der Einsenbahnunterführung auf Höhe der Straßenbahnhaltestelle Barbara Friedhof.“
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – AVG iVm § 24, § 21 Abs.1 erster Satz, § 51 Abs.1, § 51e Abs.3 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – VStG.
Zu II.: § 65 VStG.
Entscheidungsgründe:
1. Über die Berufungswerberin wurde mit dem oben bezeichneten Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz wegen einer Übertretung nach § 76 Abs.6, 2. Satz eine Ermahnung ausgesprochen, weil sie am 23. 12. 2009 um 11:15 Uhr in Linz, Friedhofstraße 1, als Fußgängerin, obwohl die Verkehrslage ein sicheres Überqueren an der gewählten Stelle nicht zweifellos zugelassen habe, die Fahrbahn im Ortsgebiet nicht an einer Kreuzung überquert habe.
1.1. Begründend legte die Behörde erster Instanz Folgendes dar, dass auf Grund des Vorbringens der Berufungswerberin das Verschulden als geringfügig zu werten wäre. Da keine bedeutenden Folgen der Übertretung vorlägen, habe gemäß § 21 Abs. 1 VStG ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden können. Eine bescheidmäßige Ermahnung sei jedoch auszusprechen gewesen, um die Berufungswerberin in Hinkunft von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.
2. In der dagegen durch die ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht erhobenen Berufung bestreitet die Berufungswerberin die Tatbegehung wie folgt:
X.“
2.1. Diesem Vorbringen kommt teilweise Berechtigung zu!
3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Beischaffung des Sachverständigengutachtens Dr. X aus dem gerichtlichen Verfahren, GZ: 46 BAZ 104/10 z, sowie durch den Ausdruck von maßstabsgetreuen Luftbildern aus dem System Doris und diesbezüglich gewährtes Parteiengehör, welches von beiden Parteien mit je einer kurzen Stellungnahme beantwortet wurde.
3.1. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung wurde letztlich per Schriftsatz vom 22.6.2010 seitens der Berufungswerberin verzichtet, sodass letztlich eine solche nicht erforderlich war (§ 51e Abs.3 VStG).
4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:
Unbestritten ist, dass an der Vorfallsörtlichkeit weder ein Schutzweg noch eine für Fußgänger bestimmte Unter- oder Überführungen oder Kreuzung vorhanden ist. Die Friedhofseite konnte andererseits in zumutbarer Weise nur durch Überqueren der Fahrbahn nächst der Haltestelle erreicht werden. Die Verkehrslage ließ jedoch an der genannten Stelle offenkundig ein sicheres Überqueren der Fahrbahn an der Vorfallsörtlichkeit gerade nicht zu. Zwischenzeitig soll jedoch laut Berufungswerberin nächst der genannten Haltestelle ein Fußgängerübergang eingerichtet worden sein.
Wie aus der Unfallanzeige, insbesondere den Angaben der Beteiligten und auch dem Gutachten nachvollziehbar hervorgeht, betrat die betagte Berufungswerberin die Fahrbahn offenbar im Sichtschatten eines an ihr vorbeifahrenden Fahrzeuges und geriet so unmittelbar vor jenes Fahrzeug mit dem es dadurch zur Kollission gekommen ist. Dabei trat sie laut Gutachten etwa zehn Meter vor dem mit 40 bis 50 km/h in südlicher Richtung fahrenden Pkw des F. X in dessen Fahrlinie. Da diesem Lenker die Sicht auf die Berufungswerberin verdeckt war gewesen sein dürfte, konnte dieser laut Sachverständigengutachten die Kollission mit der Berufungswerberin offenbar nicht mehr verhindern.
Die Berufungswerberin erlitt durch die frontale Kollission mit dem Pkw schwere Verletzungen. Schon vor diesem Hintergrund besteht es aus Gründen der Prävention kein Strafbedarf.
4.1. In diesem Verfahren gilt es ausschließlich die Frage zu klären, ob die Verkehrslage für Fußgänger ein sicheres Überqueren der Fahrbahn an der gewählten Stelle zweifellos zuließ. Dies ist hier wohl klar zu verneinen!
Zur Interpretation des Begriffes "Verkehrslage" kann nach herkömmlicher Auffassung die Situation auf den Straßen, insbesondere Verkehrsunfälle, mögliche Behinderungen, Stau, Witterungsumstände etc. verstanden bzw. beschrieben werden. In regelmäßigen Abständen wird in den Medien über die „Verkehrslage“ berichtet.
4.2. Das die Berufungswerberin – wie sie laut Zeugeneinvernahme vom 12.1.2010 angegeben hat – die Entfernung des/der sich annäherden Auto(s) vermutlich falsch einschätzte, weil sie allenfalls auf die andere Straßenseite fixiert gewesen sein mag, hängt mit der Beurteilung und Klärung der hier verfahrensrelevanten Frage nicht zusammen, sondern ist als Verschuldenselement des Verkehrsunfalls zu klären. Wenn § 76 StVO 1960 ein Überqueren der Fahrbahn im Hinblick auf die Verkehrslage neben anderen Faktoren zulässt, muss nämlich davon ausgegangen werden, dass hier der Verkehr als Ereignis bzw Gegebenheit gemeint ist und nicht der Umstand, ob ein einzelner Kraftfahrzeuglenker allenfalls mit erhöhter Geschwindigkeit sein Fahrzeug lenkt oder sich auf andere Weise sich fehlverhält.
Diesbezüglich hat hier das Gericht zu befinden, wobei das auch diesem Verfahren vorliegende Gutachten eine recht klare Schlussfolgerung ableiten lässt.
Ein Fehlverhalten des unfallbeteiligten Fahrzeuglenkers lässt sich im Rahmen der h. vorzunehmenden Beurteilung – zumindest auf dem ersten Blick – nicht ableiten.
4.3. Die Unfallörtlichkeit wurde in der Anzeige aus unerfindlichen Gründen mit „Friedhofstraße 1“ benannt. Dagegen sprechen insbesondere neben den von der Polizei aufgenommenen Fotos, welche den Unfallort vielleicht 50 m nächst der Bushaltestelle „Barbara Friedhof“ und der Eisenbahnunterführung Huboldstraße zeigen, auch die Luftbilder. Andererseits war der Berufungswerberin die tatsächliche Unfallörtlichkeit zu keinem Zeitpunkt unklar bzw. der Berufungswerberin wohl vom Anbeginn bekannt.
Diese Örtlichkeit wurde letztlich auch mit dem h. Parteiengehör vom 15.6.2010 abermals zum Gegenstand gemacht, sodass eine Verfolgungsverjährung mangels Tatortkonkretisierung nicht vorliegt. Insbesondere konnte mit der bloßen örtlichen Fehlbezeichnung weder eine Einschränkung in den Verteidigungsrechten noch die Gefahr einer Doppelbestrafung entstehen (vgl. VwGH 4.10.1996, 96/02/0402 mwN, sowie VwGH 3.9.2003, 2001/03/0150).
Der Spruch war demnach in diesem Punkt zu korrigieren.
5. Rechtliche Erwägung:
Gemäß § 76 Abs.6 StVO 1960 haben Fußgänger, wenn Schutzwege oder für Fußgänger bestimmte Unter- oder Überführungen vorhanden sind, diese Einrichtungen zu benützen. Ist jedoch keine dieser Einrichtungen vorhanden oder mehr als 25 m entfernt, so dürfen Fußgänger im Ortsgebiet die Fahrbahn nur an Kreuzungen überqueren, es sei denn die Verkehrslage lässt ein sicheres Überqueren der Fahrbahn auch an anderen Stellen zweifellos zu.
5.1. Gemäß § 21 Abs.1 VStG kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.
5.1.1. Das gegenständliche Fehlverhalten der Berufungswerberin als Fußgängerin hat im Ergebnis ausschließlich negative Folgen für sie selbst gehabt. Sie wurde beim Unfall schwer verletzt. Sonstige Unfallfolgen sind nicht bekannt, insbesondere sind auch am Unfallfahrzeug – mit Ausnahme einer Kontaktspur an der Plastikstoßstange - keine weitere Schäden entstanden. Wie bereits oben ausgeführt, ist das Verschulden der Berufungswerberin als geringfügig anzusehen, weshalb gemäß § 21 Abs.1 VStG sowohl von der Verhängung einer Strafe als auch vom Ausspruch einer Ermahnung abgesehen werden konnte.
Im Hinblick auf die schwere Verletzung der fast 86-jährigen Berufungswerberin bedarf es nach Überzeugung der Berufungsbehörde nicht des Ausspruches einer Ermahnung, um sie in Zukunft von ähnlichen Übertretungen abzuhalten. Es ist mit gutem Grund davon auszugehen, dass die erlittenen schweren Verletzungen sie in Zukunft zu einem vorsichtigeren Verhalten motivieren werden.
Sollte dies wider jede Logik nicht der Fall sein, so könnte dieser "Strafzweck" wohl auch nicht durch eine Ermahnung erzielt werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r