Linz, 23.08.2010
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über Berufung des Herrn X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, vom 28. Juni 2010, Zl. VerkR96-355-2010, nach der am 23. August 2010 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:
I. Der Berufung wird in Punkt 1) und 3) als unbegründet abgewiesen; im Punkt 2) wird der Berufung statt gegeben, der Schuldspruch wird diesbezüglich behoben und das Verfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. In den Punkten 1) u. 3) werden dem Berufungswerber zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten je 16 Euro als Kosten für das Berufungsverfahren auferlegt (20% der ausgesprochenen Geldstrafen). Im Punkt 2) entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 135/2009 – AVG, iVm § 19, § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 135/2009 – VStG;
Zu II.: § 64 Abs.1 und 2., § 66 VStG.
Entscheidungsgründe:
1. Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach hat wider den Berufungswerber mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis 1) u. 2) wegen der Übertretung nach 1) § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 u. 3) §16 Abs.1 lit.c StVO 1960 jeweils iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 drei Geldstrafen (80 Euro, 100 Euro und 80 Euro und im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von 36, 46 u. 36 Stunden) verhängt, wobei wider ihn als Tatvorwürfe formuliert wurden,
1) er habe ein Fahrzeug überholt, obwohl nicht einwandfrei erkennbar war, ob das Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr eingeordnet werden kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern.
Tatort: Gemeinde Feldkirchen an der Donau, Landesstraße Freiland, Nr. 127 bei km 19.800. Tatzeit: 08.02.2010, 11:15 Uhr.
2) habe er ein Fahrzeug überholt, wodurch andere Straßenbenützer behindert wurden.
Tatort: Gemeinde Feldkirchen an der Donau, Landesstraße Freiland, Nr. 127 bei km 19.800. Tatzeit: 08.02.2010, 11:15 Uhr und
3) habe er ein Fahrzeug überholt, obwohl nicht einwandfrei erkennbar war, ob das Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr eingeordnet werden kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern.
Tatort: Gemeinde Feldkirchen an der Donau, Landesstraße Freiland, Nr. 127 bei km 19.250. Tatzeit: 08.02.2010, 11:15 Uhr.
Fahrzeug: Kennzeichen X, PKW, Skoda Superb
1.1. Die Behörde erster Instanz stützte führt begründend folgendes aus:
2. In der gegen das Straferkenntnis bei der Behörde erster Instanz fristgerecht eingebrachten Berufung bestreitet der Berufungswerber die Tatvorwürfe mit folgenden Ausführungen:
3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den o.a. Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach und deren auszugsweisen Verlesung anlässlich der Berufungsverhandlung. Beigeschafft wurden ferner Übersichtsaufnahme aus dem System Doris, sowie die Fahrzeugdaten betreffend die Motor- u. Beschleunigungsleistung. Ferner wurde in Vorbereitung der Berufungsverhandlung die Sichtweiten an den fraglichen Örtlichkeiten vermessen und hiervon eine Videoaufzeichnung erstellt, die im Rahmen der Berufungsverhandlung gesichtet wurde (AV Subzahl 4).
Der Überholweg wurde mittels Analyzer Pro 32, Version 6, unter Grundlegung der fahrzeugspezifischen Beschleunigungswerte und Bedachtnahme auf das abfallende Terrain zwecks Nachvollziehbarkeit der Anzeige berechnet.
Der Meldungsleger wurde im Rahmen der Berufungsverhandlung als Zeuge einvernommen.
Der Berufungswerber wurde als Beschuldigter gehört. Ein Vertreter der Behörde erster Instanz nahm an der Berufungsverhandlung ebenfalls teil.
4. Der Berufungswerber führte an den oben angeführten Örtlichkeiten zwei Überholmanöver durch, wobei er als erstes das private Fahrzeug des Meldungslegers überholte. Dieses war in einem Abstand zum Vorderfahrzeug von etwa 20 mit etwa 70 km/h in Richtung Linz unterwegs. Die Spitze der aus sechs Fahrzeugen bestehenden Kolonne bildete ein Lastkraftwagenzug.
Dabei musste sich der Berufungswerber nach dem ersten Überholvorgang wegen des herrschenden Gegenverkehrs vor dem Meldungsleger in die Kolonne hineinzwängen, wodurch sich Letzterer zum Abbremsen seines Fahrzeuges veranlasst sah.
Etwa nach 600 Metern überholte der Berufungswerber dann auch die noch vor ihm fahrenden Fahrzeuge (incl. Lkw-Zug). Dabei war laut Einschätzung des Meldungslegers für den Berufungswerber abermals nicht erkennbar ob ein Wiedereinordnen ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer möglich sein würde.
Die Gefahrensichtweite betrug an der Örtlichkeit des zweiten Überholvorganges maximal nur mehr knapp über 100 m.
4.1. Beim Fahrzeug des Berufungswerbers handelt es sich wohl um ein 160 PS starkes Fahrzeug, welches bei Windstille auf horizontaler Fahrbahn in 8,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigt. Dies entspricht einem rechnerischen mittleren Beschleunigungswert von 3,27 m/sek2. Da im fraglichen Streckenbereich das Gelände etwa um 20 m abfällt liegt die Beschleunigungsleistung höher und kann mit 3,5 m/sek2 angenommen werden. Am 8.2.2010 um 11:00 Uhr herrschte in Linz (Messstelle Römerburgtunnel) ein Temperatur von – 2,5º Celsius, ein sehr schwacher Wind aus östlicher Richtung und den ganzen Tag über kein Niederschlag (Beilage 2b). Sohin kann von idealen Straßen- bzw. Fahrbahnverhältnissen ausgegangen werden.
Legt man die oben angeführten Beschleunigungswerte zu Grund wird bei sportlicher Fahrweise aus einem Abstand von fünfzehn Meter zum Vorderfahrzeug für einen Überholvorgang (vom Beginn des Ausscherens bis zum Wiedereinordnen) eine Wegstrecke von 150 m in Anspruch genommen (Berechnung mit Anlayzer Pro 32).
Selbst mit diesen für die bestehende Überholsicht (Gefahrensichtweite) einen sicheren Überholvorgang ermöglichenden Bedingungen, ist hier für den Berufungswerber nichts zu gewinnen.
So ist es nämlich durchaus glaubhaft, dass der Überholvorgang wegen Gegenverkehrs durch Einordnen vor dem Meldungsleger beendet werden musste. Selbst der Berufungswerber konnte nicht sagen, ob er vorher die vor ihm fahrende Fahrzeugkolonne hinreichend zu überblicken vermochte, wobei angesichts des vom Berufungswerber selbst eingestandenen Einordnens vor dem Fahrzeug des Meldungslegers die an sich glaubwürdige Darstellung des Meldungslegers sogar zusätzlich bestätigt zu werden scheint. Demnach kann es als logisch und plausibel gelten, dass bereits zum Zeitpunkt des ersten Überholentschlusses, mangels Abschätzbarkeit der Abstände der Vorderfahrzeuge, die sichere Durchführung des Überholvorganges, insbesondere wegen des herrschenden und im ersten Fall wohl schon sichtbar gewesenen Gegenverkehrs, nicht gesichert gelten konnte. Das dabei jedenfalls das überholte Fahrzeug des Meldungslegers behindert wurde, indem dieser vorsorglich bremste um dem Berufungswerber ein Einordnen zu erleichtern, beweist den zu Recht erhobenen Tatvorwurf in sehr anschaulicher Weise.
Das damit aber zusätzlich auch noch der Gefährdungstatbestand iSd § 16 Abs.1 lit.a StVO (Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer [des Gegenverkehrs]) erfüllt worden wäre, lässt sich aber andererseits nicht einmal aus den Ausführungen des Meldungslegers ableiten.
Demnach ist das mit dem ersten Überholvorgang geschaffene Gefährdungselement bereits im Punkt 1) vollinhaltlich erschöpfend geahndet zu erachten.
Da schließlich beim zweiten Überholvorgang die Gefahrensichtweite ob des Gefälles und des Kurvenverlaufes nach links bereits deutlich reduziert war, ist auch dieser Überholvorgang dahingehend zu qualifizieren, dass ein Erkennen einer sicheren Beendigung desselben nicht gesichert gelten konnte, wenngleich hier auch kumulativ die Bestimmung des § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 – die Gefährdung des Gegenverkehrs – wahrscheinlich und damit auch erfüllt worden wäre.
Der Einschätzung des Meldungslegers als erfahrenes Straßenaufsichtsorgan war hier daher auch seitens der Berufungsbehörde vollumfänglich zu folgen gewesen. Seine Aussage war glaubwürdig und mit dem Feststellungen vor Ort gut im Einklang zu bringen.
Der Berufungswerber konnte dem nichts von Überzeugung entgegen setzen. Seine Darstellung reduziert sich im Ergebnis auf die bloße Behauptung, dass einerseits kein Gegenverkehr geherrscht hätte, er sich aber dennoch vor dem Berufungswerber eingeordnet hätte, weil er nie mehrere Fahrzeug in einem Zug überholen würde. Dies entspricht aber weder der Praxis und es entbehrt vor allem jeder praxisnahen Logik, zumal beim ersten Überholvorgang die Gefahrensichtweite etwa 400 m betragen hätte und ein einmal eingeleiteter Überholvorgang bei einer solchen Sichtweite eben nur dann abgebrochen wird, wenn dies der Gegenverkehr fordert. Warum sollte der Berufungswerber den Überholvorgang trotz fehlenden Gegenverkehrs, bei noch 300 m bestehenden Sicht in den Verkehrsraum, durch ein Hineinzwängen vor dem Berufungswerber abgebrochen haben. Dies wäre allenfalls nur bei einem Fahranfänger realistisch, der mit einem Überholvorgang an sich bereits an die Grenzen seines Fahrkönnens stößt.
Das Pkws hinter einem Lkw eher nur im Umfang des Sicherheitsabstandes nachfahren entspricht ebenfalls der Verkehrspraxis. Ein Hineinzwängen bedingt daher jedenfalls eine kurzzeitige Verkürzung des Sicherheitsabstandes nach vorne und hinten.
5.1. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. erwogen:
Der § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 besagt, dass ein Lenker nicht überholen darf wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern…
Diesbezüglich ist in Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen der Behörde erster Instanz hinzuweisen.
Nach § 16 Abs.1. lit.a StVO ist überholen auch nicht zulässig, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist.
Der lit.c ist demnach die speziellere Bestimmung, wobei sich die Tatbestandselemente zumindest teilweise überschneiden.
Zum Kumulationsprinzip im Verwaltungsstrafverfahren ist grundsätzlich festzustellen, dass im Falle eines zeitlichen, örtlichen und sachlicher Einheit darstellenden, sowie von einem Gesamtvorsatz getragenen Tathandlungen als Tateinheit zu sehen sind (Stadlmayer ZVR 1980, 65; mit Hinweis auf VwGH 26. 4. 1973, 601/72; 20.11.1974, 587/74; sowie auch ZfVB 560/1976, 988/1976). Dies trifft insbesondere auf diese Fallgestaltung wenn bereits die speziellere Bestimmung den Unwert des Tatverhaltens vollumfänglich erschöpft, sodass nicht nochmals die damit verursachte Wirkung zu bestrafen ist!
Die verfassungsrechtliche Grenzen einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung im Sinne des Art.4 Abs.1 des 7. ZPEMRK findet sich dort, "wo der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft ist, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst" (VfGH 5.12.1996, G9/96 u.a. mit Hinweis auf VfGH 11.3.1998, G262/97,G328/97 und auf Kienapfel, Grundriss des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245).
6. Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.
6.1. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die hier offenbar forsch ausgeführten Überholvorgänge vor dem Hintergrund der etwa neun Meter breiten Fahrbahn in der Überzeugung ausgeführt wurden, dass es sich schon ausgehen werde.
Auf eine entsprechende Disposition anderer Verkehrsteilnehmer wurde vom Berufungswerber offenbar vertraut, was letztlich die Inkaufnahme eines „Hinzwängens“ durchaus einkalkulierte. Eine zumindest abstrakte Gefährdung muss einem Überholentschluss wie er hier vorlag – bei offenkundig nicht gesicherter Erkennbarkeit der jeweiligen Zwischenabstände der vorausfahrenden Fahrzeuge – zu Grunde gelegt werden.
Konkret ist zur Strafzumessung auszuführen, dass angesichts des jedenfalls abstrakten Gefährdungspotentials riskanter Überholmanöver bei bloßer Ausschöpfung des Strafrahmens im untersten Bereich sehr niedrig angesetzt wurde. Insbesondere aus Gründen der Generalprävention ist es geboten derartige Fehlverhalten im Straßenverkehr, die auf mangelhaftes Unrechtsbewusstsein und einer erhöhten Neigung zum Risikoverhalten schließen lassen, durch entsprechende Ausschöpfung des Strafrahmens zu ahnden. Die hier verhängten Geldstrafen sind daher trotz des nur auf € 1.200 anzunehmenden Monatseinkommens in Verbindung für die Sorgepflicht für drei Kinder als sehr milde zu beurteilen.
Ein Ermessensfehler kann darin jedenfalls nicht gesehen werden.
Hinsichtlich des Punktes 2) wurde der Unwertgehalt bereits mit der Bestrafung zu Punkt 1) vollumfänglich umfasst und erschöpfend erledigt. Das etwa auch der Gegenverkehr gefährdet worden wäre kann dem Beweisverfahren nicht schlussgefolgert werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss ‑ von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen ‑ jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r