Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401088/4/Gf/Mu

Linz, 20.09.2010

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, dzt. Polizeianhaltezentrum x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck seit dem 24. Juni 2010 zu Recht erkannt:

 

I. Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als rechtswidrig festgestellt; unter einem wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeb­lichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

 

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in einer Höhe von insgesamt 776 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 24. Juni 2010, GZ Sich40-2146-2010, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen syrischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wels sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 16. Juni 2010 widerrechtlich in das Bundesgebiet eingereist sei und am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe.

Nachdem jedoch bekannt geworden sei, dass er zuvor auch bereits in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt und in der Folge in der X einen Asylantrag gestellt habe, wurde dem Beschwerdeführer am 17. Juni 2010 gemäß § 29 Abs. 3 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 139/2009 (im Folgenden: AsylG), mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen und seit diesem Tag mit der X Dublin-Konsultationen geführt werden.

Da er keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität habe vorlegen können, sondern im Gegenteil mehrfach versucht habe, diese ebenso zu verschleiern wie jeglichen Dublin-Bezug, insbesondere seine illegalen Grenzübertritte und Aufenthalte in der X und in Griechenland; er zudem nachdrücklich seinen Willen bekundet habe, Österreich nicht freiwillig verlassen zu wollen; und er hinsichtlich seiner örtlichen Gebundenheit mangels eines ordnungsgemäß gemeldeten Wohnsitzes als besonders flexibel anzusehen sei, bestehe sohin eine akute Fluchtgefahr, sodass zur Verhinderung eines Abtauchens in die Anonymität gelindere Mittel nicht hingereicht hätten, sondern die Schubhaft zu verhängen gewesen sei. Im Zuge der Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und dem durch die Haftanordnung bewirkten Eingriff in die Privatsphäre des Fremden hätten Erstere angesichts des konsequenten Irreführens der Behörden und des Ignorierens der fremdenpolizeilichen Vorschriften, seiner mangelnden sozialen Bindung in Österreich und des Fehlens eines ordentlichen Wohnsitzes zweifelsfrei überwogen.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
17. September 2010 nach dem Ende der h. Amtsstunden per Telefax an den Oö. Verwaltungssenat übermittelte und somit gemäß § 13 Abs. 5 AVG als am 20. August 2010 eingelangt zu wertende Beschwerde.

Darin wird der zuvor dargestellte entscheidungsrelevante Sachverhalt nur insoweit bestritten bzw. ergänzt, als vorgebracht wird, dass er seinen Aufenthalt in Griechenland nur auf der dort notorisch inhumanen Asylpolitik nicht bekannt gegeben habe und nach seiner Ausweisung aus der X nicht wieder dorthin zurückgeschoben werden wollte.

Außerdem halte er sich nicht illegal in Österreich auf; vielmehr stehe ihm als Asylwerber zu, die Entscheidung hierüber im Inland abzuwarten, wobei im Falle seiner Freilassung eine Wohnmöglichkeit bei Bekannten in Vöcklabruck und finanzielle Unterstützung seiner beiden ordnungsgemäß in X lebenden Brüder bestehe. Davon abgesehen habe er sich bis zu seiner Festnahme stets in der ihm zugewiesenen bundesbetreuten Unterkunft aufgehalten.

Da die belangte Behörde in Wahrheit keine überzeugenden Tatsachen habe feststellen können, die darauf schließen lassen, dass er sich nunmehr dem fremdenpolizeilichen Verfahren zu entziehen versuchen würde und er bereits länger als zwei Monate in Schubhaft angehalten werde, wird die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

1.3. Die belangte Behörde hat den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass sich die X für mittlerweile unzuständig, in der Folge jedoch Griechenland per 9. August 2010 die Aufnahme des Asylverfahrens akzeptiert habe.

Aus den bereits im Schubhaftbescheid angeführten Gründen wird daher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu GZ Sich40-2146-2010; da sich bereits daraus der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und dieser zwischen den Verfahrensparteien auch nicht strittig ist, konnten die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen auch dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde gelegt und im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang generell anzumerken, dass im Hinblick auf die durch (Art. 5 Abs. 4 EMRK i.V.m. und) Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG i.V.m. § 83 Abs. 2 Z. 2 FPG für Schubhaftbeschwerden vorgegebene Entscheidungsfrist von 1 Woche in derartigen Verfahren der in § 39 Abs. 2 AVG normierte Amtswegigkeitsgrundsatz als entsprechend materienspezifisch relativiert anzusehen ist:

Während das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rechtschutzinstrumentariums der Schubhaftbeschwerde an die Unabhängigen Verwaltungssenate (1. Jänner 1991) maßgebliche Fremdenpolizeigesetz (BGBl.Nr. 75/1954 i.d.F. BGBl.Nr. 21/1991) lediglich 20 – zudem vergleichsweise relativ kurze – Paragraphen umfasste, eine Inschubhaftnahme von Asylwerbern damals in der Praxis fast nicht vorgekommen ist und auch kaum eine höchstgerichtliche Judikatur zu dieser Problematik existierte, haben sich diese Rahmenbedingungen nunmehr drastisch geändert bzw. geradezu ins Gegenteil verkehrt: Der Umfang des Fremdenpolizeigesetzes ist paragraphenmäßig um mehr als das Sechsfache, inhaltlich hingegen zudem um ein Vielfaches angestiegen; Gleiches gilt für die Asylverfahren, in denen die Inschubhaftnahme von Antragstellern keinesfalls mehr einen seltenen Ausnahmefall bildet; und schließlich ist auch die höchstgerichtliche Judikatur schon dadurch, dass im Jahr 2008 ein eigenständiger Asylgerichtshof eingerichtet wurde, aber auch dadurch, dass sie stets zeitlich nachhinkt, unübersichtlich und schwer einschätzbar geworden.

Insgesamt resultiert daraus, dass sich das Fremdenrecht in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer hochkomplexen Materie entwickelt hat, ohne dass diesem Umstand im Bereich der Personal- und Sachausstattung – und zwar weder bei den Fremdenpolizeibehörden noch bei den Unabhängigen Verwaltungssenaten noch bei den Höchstgerichten – adäquat Rechnung getragen wurde. Dazu kommt schließlich, dass dessen ungeachtet das Zuständigkeitsfeld der Unabhängigen Verwaltungssenate durch entsprechende Verwaltungsreformgesetze kontinuierlich erweitert wurde, sodass bei den UVS die Schubhaftangelegenheiten nur mehr einen relativ geringen Anteil des Gesamtanfalls bilden, deren Mitglieder also vorrangig mit anderen Materien ausgelastet sind.

Unter derartig geänderten Rahmenbedingungen kann daher dem (nach wie vor unveränderten) Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG nur mehr dann Rechnung getragen werden, wenn damit eine entsprechende materienspezifische Modifikation des Amtswegigkeitsprinzips einhergeht.

Konkret bedeutet dies – v.a. auch im schutzwürdigen Interesse des Fremden selbst, der regelmäßig daran interessiert ist, dass sich die lediglich eine Maximalfrist verkörpernde Wochenfrist des Art. 6 Abs. 1 letzter Satz PersFrSchG in seinem Fall weitestmöglich verkürzt – beispielsweise, dass es primär den Verfahrensparteien – d.h. dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde – obliegt, die von ihnen aufgestellten Behauptungen auch im Wege entsprechender Beweismittel konkret zu belegen, sodass ein bloßer Hinweis auf einen "beizuschaffenden Akt", ein "einzuholendes Gutachten", eine "auszuforschende Meldeadresse", einen "ausfindig zu machenden Zeugen" etc. nicht hinreicht; da eine öffentliche Verhandlung im Zuge eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens schon nach der Textierung des § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG ersichtlich bloß die Ausnahme bilden soll, reicht es somit auch nicht hin, diese bloß standardmäßig zu beantragen, ohne hierfür gleichzeitig auch eine tragfähige Begründung anzugeben; weiters hält es der Oö. Verwaltungssenat auch nicht für geboten, sich mit von ein und demselben Beschwerdevertreter in unterschiedlichen Beschwerden verwendeten, insgesamt sohin ständig wiederkehrenden, sowohl weitwendigen als auch quantitativ unangemessen zahlreichen sog. Textbausteinen oder Rechtssatz- bzw. Fundstellenzitaten, hinsichtlich der der Rechtsmittelwerber nicht gleichzeitig auch jeweils einen unmittelbaren Bezug zu seinem konkreten Fall explizit aufgezeigt hat, im Detail auseinanderzusetzen; etc.

Äußerst zweckdienlich wäre zudem, wenn sich sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde einerseits in ihren Schriftsätzen jeweils bloß auf das konkret-sachverhaltsbezogen Wesentliche konzentrieren und andererseits ihren Eingaben auch die zum Beweis der ihnen jeweils relevant erscheinenden Tatsachen erforderlichen Belege oder Akten(teile) bereits unmittelbar anschließen bzw. raschestmöglich vorlegen.

2.3. Im gegenständlichen Fall wird der Beschwerdeführer auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde gegeben.

Dieser hatte gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 82 Abs. 1 FPG hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Nach § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG kann die Fremdenpolizeibehörde gegen einen Asylwerber u.a. dann zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG oder zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft zu verhängen, wenn gegen ihn ein Ausweisungsverfahren bereits eingeleitet wurde; ein Ausweisungsverfahren gilt nach § 27 Abs. 1 AsylG ex lege als eingeleitet, wenn im Zulassungsverfahren eine Bekanntgabe dahin erfolgt, dass beabsichtigt ist, den Asylantrag zurückzuweisen oder abzuweisen (§ 29 Abs. 3 Z. 4 und 5 AsylG).

Gemäß § 80 Abs. 4 Z. 1 FPG darf die Schubhaft – abweichend von der in § 80 Abs. 2 FPG allgemein festgelegten Zwei-Monats-Frist – dann, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann oder darf, weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist, sechs Monate aufrecht erhalten werden.

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in
diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

4021 Linz, Fabrikstraße 32

 

3.2. Die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Schubhaftverhängung sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war (und ist), kann – nur – dann bejaht werden, wenn a) ein Schubhafttatbestand gemäß § 76 Abs. 2 FPG vorliegt, b) eine dem Zweck dieses Tatbestandes entsprechende Sicherungsnotwendigkeit besteht und zudem c) durch eine derartige Maßnahme insgesamt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt

3.2.1. Im vorliegenden Verfahren hat die belangte Behörde die Schubhaftverhängung auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt. Dies setzt voraus, dass gegen den Beschwerdeführer entweder ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde oder eine durchsetzbare Ausweisung verhängt worden ist.

Hier wurde dem Beschwerdeführer am 17. Juni 2010 im Wege einer Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen, sowie, dass seit demselben Tag hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung über seinen Asylantrag zunächst entsprechende Konsultationen mit der X und in der Folge mit Griechenland geführt werden.

Da eine derartige Mitteilung schon ex lege als Einleitung eines Ausweisungsverfahrens gilt (vgl. § 27 Abs. 1 AsylG), waren somit auch die Voraussetzungen eines Schubhafttatbestandes – nämlich des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG – erfüllt; die formellen Voraussetzungen für seine Festnahme und Anhaltung in Schubhaft lagen somit vor.

3.2.2. Hinsichtlich der Beurteilung der Sicherungsnotwendigkeit (nicht: Sicherungsbedürfnis, weil durch diesen Terminus suggeriert werden würde, dass es diesbezüglich nicht auf eine objektivierbare, sondern auf die subjektive Einschätzung der Organwalter der Fremdenpolizeibehörde ankäme) ist anhand objektiver Kriterien zu prüfen, ob mit Blick auf das Ziel der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme eine Beschränkung der persönlichen Freiheit unabdingbar war. Es ist also zunächst (und zwar nicht mit der vorgefassten Tendenz: "im Zweifel pro Haft", sondern im Gegenteil: mit der Sichtweise, dass grundsätzlich gelindere Mittel anzuordnen sind, sodass eine behördliche Anhalteverfügung stets nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen kann) zu untersuchen, ob anhand der Umstände des konkreten Falles tatsächlich nur im Wege einer Haft zuverlässig zu erreichen ist, dass die intendierte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch effektiv umgesetzt werden kann.

Solche generell für eine derartige Sicherungsnotwendigkeit sprechenden Kriterien können beispielsweise die fehlende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Ausreise, die für eine Rückkehr in den Abschiebe- bzw. Heimatstaat fehlenden finanziellen Mittel, die sowohl im Aufnahme- als auch im Heimatstaat fehlende soziale Bindung, die angesichts fehlender Sanktionen gegebene Wahrscheinlichkeit einer illegalen Rückkehr des Fremden nach Österreich o.Ä; nicht jedoch eine allgemeine, d.h. nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Sicherungsnotwendigkeit stehende Gleichgültigkeit gegenüber generellen Ordnungsvorschriften oder strafrechtliche Verbote, ein allgemein unkooperatives Verhalten, eine allgemein mangelnde soziale, insbesondere berufliche Integration, etc. sein.

Hat daher der Fremde beispielsweise seine persönliche Identität zu verschleiern versucht und war dieser weder polizeilich gemeldet noch tatsächlich durch längere Zeit hindurch an einer bestimmten Unterkunft aufhältig, so besteht eine hohe Gefahr des Untertauchens, die umgekehrt prinzipiell eine entsprechende Sicherungsnotwendigkeit begründet. Hingegen entfällt diese von vornherein, wenn der Fremde beispielsweise bloß gegen melderechtliche Vorschriften verstoßen hat und/oder wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sich seither aber tatsächlich durchgehend an einer der Fremdenpolizeibehörde bekannten Unterkunft aufgehalten hat.

3.2.2.1. Im gegenständlichen Fall bezweckt(e) die Schubhaftverhängung, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde für seine Abschiebung nach Griechenland auch tatsächlich zur Verfügung stehen wird und diese nicht dadurch, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt an seinem bisherigen Aufenthaltsort faktisch nicht greifbar wäre, erschweren oder gar verunmöglichen können soll.

Dass der Beschwerdeführer, dessen Identität mangels entsprechender Reise- und Personaldokumente nach wie vor nicht zweifelsfrei geklärt ist, über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfügt, wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet. Allerdings hielt er sich allseits unbestritten vom Tag seiner Asylantragstellung (16. Juni 2010) bis zu seiner Inschubhaftnahme am 24. Juni 2010 in der ihm zugewiesenen Betreuungsstelle auf.

Von einer sozialen oder beruflichen Integration des Rechtsmittelwerbers kann keine Rede sein. In Österreich leben lediglich nicht näher namhaft gemachte "Bekannte", wobei eine – zudem glaubwürdige und verbindliche – Erklärung, dass bei diesen für den Fall seiner Freilassung bei ihnen Unterkunft nehmen könnte, nicht vorliegt; Gleiches gilt hinsichtlich einer allfälligen finanziellen Unterstützung durch seine in X lebenden Brüder.

Dass er keinesfalls wieder nach Griechenland abgeschoben werden möchte, hat der Rechtsmittelwerber im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 16. Juni 2010 durch die Polizeiinspektion St. Georgen bekräftigt (vgl. die Niederschrift vom selben Tag, GZ E1/14297/2010, insbes. S. 9). Angesichts der Mitteilung vom 17. Juni 2010, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen und bezüglich der Klärung der internationalen Zuständigkeit entsprechende Konsultationen mit der X geführt werden, und des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits zuvor von Deutschland aus nach Griechenland abgeschoben wurde, liegt es auf der Hand, dass er eine neuerliche Abschiebung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sondern – wäre er in Freiheit – von der einfachsten und deshalb am nächsten liegenden Möglichkeit, nämlich: Verschleierung seines jeweiligen aktuellen Aufenthaltsortes, Gebrauch machen wird, um sich dieser zu entziehen.

Da Griechenland seine Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens nicht explizit bestritten (sondern gemäß Art. 18 Abs. 7 der Dublin-II-VO, 343/2003/EG stillschweigend anerkannt) hat und zudem derzeit auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass sonstige Hindernisse entgegenstehen könnten, ist daher objektiv besehen grundsätzlich mit einer baldigen faktischen Durchführung der Abschiebung zu rechnen.

3.2.2.2. Alle diese Gründe sprechen im vorliegenden Fall somit für eine dementsprechende Sicherungsnotwendigkeit; sie überwiegen insgesamt betrachtet deutlich jene – nämlich: dass sich der Beschwerdeführer freiwillig zur Fremdenpolizeibehörde begeben und bis zu seiner Inschubhaftnahme in der Bundesbetreuung aufgehalten hat; in diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass ihm bis dahin die Aussichtslosigkeit seines Asylverfahrens noch in keiner Weise bewusst war, sodass ein insoweit kooperatives Verhalten gleichsam selbstverständlich ist – dagegen sprechenden Argumente, und zwar insbesondere auch deshalb, weil das Bestehen einer derartigen Sicherungsnotwendigkeit im sog. Spätstadium des Asylverfahrens umso mehr anzunehmen ist (vgl. jüngst VwGH v. 25. März 2010, 2008/21/0617).

3.2.3. Vom Bestehen einer Sicherungsnotwendigkeit ausgehend war schließlich noch zu untersuchen, ob der mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme konkret verfolgte Zweck nicht auch durch normale (diese Bezeichnung ist deshalb angebracht, weil dadurch umgekehrt die Haft als das "Ausnahmemittel" besser gekennzeichnet wird), d.h. im Verhältnis zum Entzug der persönlichen Freiheit im Wege der Haft gelindere Sicherungsmittel zu erreichen gewesen wäre oder sich diese sonst als unverhältnismäßig erweist.

Die Anordnung gelinderer Mittel bedingt das grundsätzliche, durch entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung hält, d.h. für diese auch faktisch greifbar ist. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsordnung davon aus, dass ein derartiges Vertrauen a priori zunächst vorauszusetzen ist – sonst wäre nicht die Schubhaftverhängung als ein bloßes ultima-ratio-Mittel, sondern im Gegenteil als Standardmaßnahme für die Fremdenpolizeibehörden gesetzlich vorgesehen worden. Daraus folgt, dass es dann, wenn die Schubhaft angeordnet wird, der Behörde obliegt, jene Gründe vorzubringen und entsprechend zu belegen, die im konkreten Fall für ein Nichtbestehen eines derartigen Vertrauensverhältnisses sprechen.

Einer derartigen Prognoseentscheidung sind somit v.a. jene Hinweise in Bezug auf das bisherige Verhalten zu Grunde zu legen, die gegen bzw. für eine Freiheitsentziehung sprechen (wie z.B. ob gelindere Mittel bisher schon angewendet wurden und wenn ja, ob diese erfolgreich waren oder nicht; ob sich auch die näheren Familienangehörigen [legal] in Österreich befinden; ob der Fremde in Österreich sozial integriert ist; ob sich der Fremde grundsätzlich den österreichischen Rechtsvorschriften verbunden fühlt, etc.), wobei insoweit unter dem Aspekt, dass eine Haftanordnung nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen kann, eben eine formelhafte oder bloß auf allgemeine Erfahrungssätze abstellende Begründung des Schubhaftbescheides nicht hinreicht, sondern diese vielmehr eine konkrete, individuell-fallbezogene Subsumtion mit entsprechender pro- und contra-Abwägung aufweisen muss, damit gewährleistet ist, dass durch diese keine antizipatorische "pro-Haft-Tendenz" zum Ausdruck kommt, d.h. eine haft"begünstigende" Begründungsargumentation objektiv betrachtet verlässlich ausgeschlossen ist. Nur wenn danach mit zwingenden Gründen davon ausgegangen werden kann, dass die effektive Umsetzung (eine bloße "Erschwerung" reicht hingegen nach § 76 FPG – und erst recht nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG – nicht hin) der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit gewährleistet werden kann, erweist sich die Anordnung der Schubhaft auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips als gerechtfertigt.

3.2.3.1. Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer illegal in das Bundesgebiet eingereist, nachdem er bereits zuvor in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt und daher sein Asylantrag in der X wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen worden war. Seine Beweggründe, sich dem Asylverfahren nicht in dem dafür zuständigen EU-Staat zu stellen, liegen ausschließlich darin, dass Asylwerber in Griechenland nach seiner Ansicht inhuman behandelt würden.

Die Stellung eines mangels Zuständigkeit offenbar aussichtslosen Asylantrages in Österreich diente daher – wie dies auch dem Rechtsmittelwerber selbst durchaus bewusst ist – offenkundig primär dazu, das Asylverfahren insgesamt in die Länge zu ziehen und auf diese Art seinen faktischen Aufenthalt in Österreich zu verlängern.

In die gleiche Richtung zielt die Verwendung wechselnder Namen, die eine Klärung seiner Identität erheblich erschwert, die Nichtvorlage von erforderlichen Dokumenten, das Verschweigen der erkennungsdienstlichen Behandlung und Asylanträgen in anderen EU-Staaten, etc.

Insgesamt folgt daraus, dass der Beschwerdeführer durch diese Handlungen das ihm grundsätzlich entgegen zu bringende Vertrauen in einem solchen Grad erschüttert hat, der es nicht mehr zulässt, mit gutem Grund annehmen zu können, dass sich der Rechtsmittelwerber zum Zeitpunkt der Abschiebung jedenfalls freiwillig und auch tatsächlich zur Verfügung der Fremdenpolizeibehörde halten wird; Letzterer kann daher vor dem Hintergrund des hier konkret zu beurteilenden Sachverhalts grundsätzlich nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgegangen ist, dass es zweckentsprechender Sicherungsmaßnahmen bedarf.

3.2.3.2. Allerdings erweist sich dessen Anhaltung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nunmehr als unverhältnismäßig.

Denn die belangte Behörde hat – wie sie selbst vorbringt – bereits am 5. Juli 2010 ein Konsultationsverfahren mit Griechenland eingeleitet und am 9. August 2010 ist die Zuständigkeit dieses EU-Staates gemäß Art. 18 Abs. 7 der Dublin-II-VO, 343/2003/EG, eingetreten.

Seither, d.i. seit nunmehr 11/2 Monaten, wurden aber weder eine Ausweisung erlassen noch seitens des Bundesasylamtes oder der Fremdenpolizeibehörde sonstige verfahrensrechtliche Schritte gesetzt, die i.S.d. § 80 Abs. 1 FPG darauf hindeuten, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, im Gegenteil: In der Zwischenzeit wurde die Regeldauer von 2 Monaten (vgl. § 80 Abs. 2 FPG) bereits deutlich überschritten, ohne dass für eine Abschiebung nach Griechenland die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erforderlich – und somit die Voraussetzung des § 80 Abs. 4 Z. 1 FPG gegeben – wäre oder sonstige stichhaltige Gründe für eine derartige Verzögerung evident sind.

3.3. Der gegenständlichen Beschwerde war daher gemäß § 83 Abs. 4 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben und davon ausgehend auch die weitere Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft als rechtswidrig festzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) dazu zu verpflichten, dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 776 Euro (Gebühren: 38,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.


Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 16,80 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

Rechtssatz:

 

VwSen-401088/4/Gf/Mu vom 20. September 2010

 

Art. 18 Abs. 7 Dublin-II-VO; Art. 1 Abs. 3 und 4 PersFrSchG; § 80 FPG

Wie VwSen-401083 vom 20. August 2010; darüber hinaus:

Schubhaftanordnung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, wenn 11/2 Monate nach dem Feststehen der Zuständigkeit eines EU-Staates gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-II-VO weder eine Auswesiung noch sonstige Verfahrensschritte zur Außerlandesschaffung gesetzt wurden.

 

 

 

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