Linz, 21.09.2010
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige
I. Die Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – VStG.
II.: § 66 Abs.1 VStG.
Entscheidungsgründe:
1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat mit dem o.a. Straferkenntnis wider die Berufungswerberin eine Geldstrafe in Höhe von 150 Euro und im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 72 Stunden verhängt, wobei ihr zur Last gelegt wurde folgende Verwaltungsübertretung begangen zu haben:
1.1. Die Behörde erster Instanz führte begründend folgendes aus:
2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung tritt die Berufungswerberin durch deren ausgewiesenen Rechtsvertreter dem Schuld- u. Strafausspruch mit folgenden Ausführungen entgegen:
Innsbruck, am 20. Juli 2010 X.“
3. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser ist durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen (§ 51c VStG).
4. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war angesichts des vom der Berufungswerberin im Grunde bestrittenen Tatvorwurfes zwecks unmittelbarer Beweisaufnahme in Wahrung der durch Art. 6 EMRK intendierten Rechte durchzuführen (§ 51e Abs.1 Z1 VStG).
Beweis erhoben wurde durch Verlesen des erstinstanzlichen Akteninhaltes, insbesondere die Sichtung der im Akt erliegenden Fotos, die zeugenschaftliche Vernehmung des Anzeigers X, sowie durch Vornahme einer Stellprobe mit den beteiligten Fahrzeugen in Verbindung mit der Sichtung des Schadensbildes. Die Höhe der angeblichen Kontaktstellen wurden bei der durchgeführten Stellprobe ausgemessen. Ebenfalls wurde hier von der behaupteten Kontaktstelle anlässlich der Berufungsverhandlung ein Foto angefertigt.
Die Berufungswerberin nahm entschuldigt an der Berufungsverhandlung persönlich nicht teil, sie wurde im Einvernehmen deren Rechtsvertreterschaft von ihrem Ehegatten, Herrn Dipl.-Ing. Dr. X, vertreten.
Die Behörde erster Instanz nahm ebenfalls entschuldigt an der Berufungsverhandlung nicht teil.
5. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:
Laut Anzeige ist es am 5.2.2010 um 11.30 Uhr am Parkplatz der X X 1 zwischen dem Fahrzeug der Berufungswerberin und dem links von ihr abgestellten Pkw des Zeugen X zu einem Kontakt gekommen, nachdem die Berufungswerberin offenkundig beim öffnen der Fahrertür gegen die Zierleiste der rechten hinteren Tür des Fahrzeuges des Zeugen stieß. Dabei ist eine sichtbare Kontaktspur ohne Eindellung zurück geblieben. Dies könnte von der Berufungswerberin unbemerkt geblieben sein.
Am Fahrzeug der Berufungswerberin wurde seitens der Polizei bloß eine minimale Absplitterung an der Spitze der Zierleiste an der Türkante festgestellt.
5.1. Im Rahmen der Berufungsverhandlung erklärte der Zeuge die Situation dahingehend, dass er im Fahrzeug saß und mit seiner Frau telefonierte, als er plötzlich einen Anschlaggeräusch und auch eine leichte Stoßerschütterung an seinem Fahrzeug wahrnehmen konnte. Er blickte folglich nach rechts und sah die geöffnete Tür des Fahrzeuges der Berufungswerberin. Er öffnete das rechte Seitenfenster und informierte die weibliche Person neben seinem Fahrzeug sinngemäß dahingehend, dass sie soeben mit der Tür gegen sein Fahrzeug geschlagen hätte.
Die Frau wies diesen Hinweis brüsk zurück, stieg in ihr Fahrzeug und parkte mit diesem nach rückwärts aus. Er sei folglich aus dem Fahrzeug gestiegen und habe gerade noch das Kennzeichen notieren können, als die Frau sich nach rechts von seinem Fahrzeug entfernte.
Aus diesem Grund habe er sich veranlasst gesehen die Polizei zu verständigen, welche den Vorfall dann zur Anzeige brachte.
Über Vorhalt des Vertreters der Berufungswerberin, wonach der Zeuge bei seiner Frau angerufen hätte und dabei sie sinngemäß der Lüge geziehen hätte, wurde vom Zeugen dahingehend beantwortet, dass dieser lediglich die Sache im guten Einvernehmen erledigen habe wollen. Das Telefonat sei jedoch von der Gegenseite eher unfreundlich und einsichtslos verlaufen, sodass auch er entsprechend reagierte und schließlich das Telefonat von sich aus einseitig beendet habe.
Über Befragen des Verhandlungsleiters über einen allfälligen Kostenvoranschlag betreffend Reparatur erklärte der Zeuge, es sei von einem Beseitigungsaufwand in der Höhe von 120 Euro die Rede gewesen. Weil dieses Verfahren noch offen war habe er den geringfügigen „Schaden“ noch nicht reparieren lassen.
5.2. Das „Schadensbild“ war aus der Sicht der Berufungsbehörde dahingehend zu umschreiben, dass jedenfalls keine Eindellung an der Zierleiste vorliegt, sondern eher nur eine Lackabriebspur vorzuliegen schien, welche sich gegebenenfalls sogar weitgehend oder gänzlich wegpolieren lassen könnte.
Die Höhe der Zierleiste liegt exakt in einer Höhe von 64 cm, während die Zierleistenhöhe des Fahrzeuges der Berufungswerberin bei 57 cm liegt. Aus der Sicht der Berufungsbehörde dürfte dieser Kontakt von der Türkante des Beschuldigtenfahrzeuges herbeigeführt worden sein, wobei an diesem in exakt dieser Höhe eine minimale Lackabschürfung feststellbar war, welche wohl bei vielen Fahrzeugen in diesem Umfang zu finden ist. Auch die Farbe des Fahrzeuges der Berufungswerberin ist grundsätzlich mit dem dunklen Fleck von maximal einen halben Quadratzentimeter an der Zierleiste des Zeugenfahrzeuges in Einklang zu bringen (die Pfeilspitzen im Bild verweisen auf die Kontaktspuren).
Letztlich hing die Beurteilung des Fahrzeugkontaktes nur davon ab ob dem Zeugen schön in der Darstellung seiner Wahrnehmung zu glauben ist.
5.2.1. Dies bejaht die Berufungsbehörde, zumal die Aussagen des Zeugen in jeder Richtung hin überzeugten. Der Zeuge legte sachlich nachvollziehbar den Vorfall dar, wobei sich auch das Kontaktbild damit völlig in Einklang zu bringen ist. Der Zeuge machte einen soliden Eindruck, sodass ihm jedenfalls nicht zugesonnen wird, die Kontaktbehauptung wahrheitswidrig gemacht zu haben um allenfalls den kaum sichtbaren Schaden an seinem Fahrzeug „einfach irgend jemanden anzuhängen“.
Wenn sich weitere geringere Kontaktspuren innerhalb eines Zentimeters befinden, so schmälert dies die Logik der Zeugenaussage ebenfalls nicht. Ist dies doch durchaus darauf zurückzuführen, dass sich eine Tür beim Einsteigen bewegt und es dabei zu vertikalen und auch lateralen Scheuerbewegungen kommen kann, welche sich an der Zierleiste des Fahrzeuges des Zeugen nachvollziehen lassen.
Dem Zeugen ist daher zu folgen, wenn er den Anstoß an seiner Tür der Angezeigten zuordnete, die unmittelbar neben ihm die Fahrzeugtüre öffnete. Dies konnte er sehr wohl von seiner Fahrersitzposition am stehenden Fahrzeug trotz des Telefonierens wahrnehmen. Ein solcher Zwischenfall ist im übrigen durchaus nicht lebensfremd und sollte sich in aller Regel doch einvernehmlich und emotionslos beilegen lassen.
Das allenfalls die Berufungswerberin den Anstoß tatsächlich nicht wahrgenommen haben mag, ist jedoch andererseits ebenfalls nicht auszuschließen. Über den Hinweis des Zeugen hätte sich jedoch zumindest vorsorglich auf sein Ansinnen einlassen müssen, anstatt den Zeugen Schön mit seinen scheinbaren Schaden zurück zu lassen.
So wäre es weder zu rechtfertigen, noch entspricht es einem verkehrpartnerschaftlichen oder sozialadäquaten Verhalten, einen Mitmenschen mit einem derartigen Anliegen, sprichwörtlich „links liegen zu lassen“ und einfach davon zu fahren.
Die Wahrhaftigkeit und Solidität des Zeugen gelangte zuletzt auch dadurch zum Ausdruck, dass er sich im Lichte der Anregung anlässlich der im Rahmen der Berufungsverhandlung vorgenommenen Besichtigung, bereit erklärte, zu versuchen die Schürfspur wegzupolieren und darüber der Berufungsbehörde Mitteilung zu machen.
Mit Schreiben vom 20.9.2010, 17:17 Uhr (Email), gibt der Zeuge bekannt, dass er sich zwischenzeitig bemüht habe den „Schaden“ wegzupolieren und dieser jetzt nicht mehr sichtbar wäre.
Sohin kann von einem „verursachten Schaden“ letztlich nicht mehr ausgegangen werden.
5.3. Rechtliche Ausführungen:
Gemäß § 4 Abs.5 StVO 1960 haben, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die in Abs.1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs.1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Als Verkehrsunfall gilt jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis anzusehen, welches sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr zuträgt und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat (VwGH 20.4.2001, 99/02/0176 u.a.).
Die Anhalte- und Meldepflicht setzt einerseits einen Vorfall (Verkehrsunfall) und andererseits ein Wissen (müssen) eines solchen voraus. Dabei ist aber nicht unbedingt das positive Wissen vom Verkehrsunfall und vom ursächlichen Zusammenhang erforderlich, sondern es genügt – da der Anwendungsbereich des § 4 StVO in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich auf die Schuldform des Vorsatzes beschränkt ist (§ 5 VStG) – wenn die betreffende Person bei gehöriger Aufmerksamkeit den Verkehrsunfall und den ursächlichen Zusammenhang hätte erkennen können (siehe Pürstl - Somereder, Kommentar zur StVO, 11. Auflage, S 69 Rn 34, sowie – unter vielen – VwGH 23.5.2002, 2001/03/0417, VwGH 13.2.1991, 90/03/0114 mit Hinweis auf VwGH 9.9.1981, 81/03/0125 u. VwGH 31.1.1986, 85/18/0367).
5.3.1. Der Berufung kommt letztlich aber dennoch Berechtigung zu! Von einem Sachschaden kann nämlich dann nicht (mehr) gesprochen werden, wenn der frühere Zustand am betroffenen Fahrzeug ohne nennenswerten Aufwand wieder hergestellt werden kann. Dies ist etwa - anders als bei einem Lackschaden oder einer bleibenden Verformung eines seiner Teile oder einer Abschürfung an einem Gummigriff, mögen diese Schäden auch nur geringfügig sein - bei bloßer Beschmutzung oder einer wegwischbaren Kontaktspur oder einem herausgerissenen Gummiwulst aus einer Stoßstange, falls der Gummi hiebei keine dauernde Beschädigung erlitten hat, der Fall (VwGH 22.3.1991, 86/18/0135 mit Hinweis auf VwGH-Erk. v. 31.10.1990, 90/02/0119 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Vor dem Hintergrund der vom Zeugen nachgereichten Mitteilung über dessen erfolgreiches Bemühen das Schadensbild durch Wegpolieren beseitigt zu haben, ist auch hier von keinem Schadensereignis mehr auszugehen.
Demnach war letztlich das Verwaltungsstrafverfahren mangels Tatbestand nach § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r