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des Landes Oberösterreich
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VwSen-100696/14/Weg/Ri

Linz, 10.09.1992

VwSen - 100696/14/Weg/Ri Linz, am 10. September 1992 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch die 1. Kammer unter dem Vorsitz des Dr. Hans Guschlbauer, den Berichter Dr. Kurt Wegschaider und den Beisitzer Dr. Robert Konrath über die Berufung des O W, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. A T, Dr. H L, Dr. G G und Dr. E M, vom 22. Juni 1992 gegen das Faktum 3 des Straferkenntnisses der Bundespolizeidirektion Linz vom 3. Juni 1992, St.-12.854/91-In, auf Grund des Ergebnisses der am 10. September 1992 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGB.Nr. 51/1991, i.V.m. § 24, § 45 Abs.1 Z.1, § 51 Abs.1, § 51i, § 64 Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl.Nr. 52/1991; § 5 Abs.1 i.V.m. § 99 Abs.1 lit.a Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl.Nr.159 i.d.F. BGBl.Nr. 207/1991.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem in der Präambel zitierten Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs.1 i.V.m. § 99 Abs.1 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 12.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen verhängt, weil dieser am 4. Dezember 1991 um 22.45 Uhr in L, auf der H stadtauswärts, nächst der Auffahrt zur A, den Kombi mit dem Kennzeichen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hat. Außerdem wurde ein Kostenbeitrag in der Höhe von 1.200 S sowie der Ersatz des Alkomatröhrchens in der Höhe von 10 S in Vorschreibung gebracht.

2. Diesem Straferkenntnis liegt im wesentlichen nachstehender Sachverhalt zugrunde: Der Berufungswerber lenkte nach der Konsumation eines Seidel Bier unmittelbar vor Antritt der Fahrt ein Kraftfahrzeug und wurde bereits wenige hundert Meter danach anläßlich einer Routinekontrolle wegen der feststellbaren Alkoholisierungssymptome zum Alkotest aufgefordert. Dieser auf einem Alkomaten im Wachzimmer N durchgeführte Test ergab einen Atemluftalkoholgehalt von 0,41 mg/l. Da die Konsumation des Seidel Bier unmittelbar vor Antritt der Fahrt auch im erstbehördlichen Verfahren als erwiesen angenommen wurde, stützte die Erstbehörde die Annahme des alkoholbeeinträchtigten Zustandes auf die besonders schädlichen Wirkungen des Alkohols in der Anflutungsphase dieses zuletzt getrunkenen alkoholischen Getränkes.

3. Dagegen wendet der Berufungswerber sinngemäß ein, daß zwischen der Konsumation des Schlußtrunkes und der Betretung um 22.45 Uhr lediglich ein Zeitraum von wenigen Minuten verstrichen sei und sohin rechnerisch der Grenzwert von 0,40 mg/l AAG zum Zeitpunkt der Betretung noch nicht vorgelegen sei bzw. andererseits infolge dieses kurzen Zeitraumes die Anflutung des zuletzt genossenen Alkohols noch nicht eingesetzt habe. Der Berufungswerber habe deshalb zum Tatzeitpunkt (22.45 Uhr) sein Kraftfahrzeug in keinem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt.

4. Die Berufung ist rechtzeitig. Vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung hat die Erstbehörde nicht Gebrauch gemacht, sodaß zur Sachentscheidung der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich berufen ist, der - weil eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde - durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige Kammer zu entscheiden hat. Gemäß § 51e VStG war eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, zumal diese in der Berufungsschrift ausdrücklich verlangt wurde. Zu dieser Verhandlung wurden geladen und erschienen auch die Parteien dieses Verfahrens sowie als Zeugen die Gastwirtin H P und Bez.Insp. H O sowie die medizinische Amtssachverständige Dr. S K.

5. Die am 10. September 1992 durchgeführte öffentliche mündliche Verhandlung erbrachte nachstehenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt:

Der Berufungswerber weilte am Abend des 4. Dezember 1991 ca. 2 Stunden im Gastlokal R, genoß Bier, Kaffee und ein Salzstangerl und hat kurz vor Antritt der Fahrt noch ein Seidel Bier konsumiert. Er verließ anschließend das Lokal in der H und wollte nach Hause (S) fahren. Ca. 2 Minuten nach Fahrtantritt wurde er zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten. Unter Hinzurechnung der Verabschiedungs- und Ankleidezeit nach der Konsumation des Seidel Biers ergibt sich somit ab Trinkende ein Zeitraum von 5 - 7 Minuten bis zur Anhaltung. Die ca. 15 Minuten nach der Anhaltung gemessene Atemluftalkoholkonzentration betrug 0,41 mg/l. Über die strittige Frage, ob sich der Berufungswerber zum Zeitpunkt des Lenkes um 22.45 Uhr in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befand, sei es verursacht durch die Auswirkungen der Anflutungsphase des Alkohols oder durch die Erreichung des gesetzlichen Grenzwertes von 0,4 mg/l AAG, wurde die medizinische Amtssachverständige und zwar zu folgenden Beweisthemen befragt:

Befand sich der Berufungswerber in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, und zwar zum Zeitpunkt der Betretung, unter der Annahme a) des Sturztrunkes (Genuß des Seidel Biers in 2 bis 3 Minuten) bei einer Zeitspanne von ca. 5-7 Minuten zwischen Trinkende und Betretung? b) Trinken des Seidels innerhalb eines Zeitraumes von ca. einer Viertelstunde und der Annahme einer 5-7 minütigen Zeitspanne zwischen dem Trinkende und der Betretung? c) Ist das Arbeiten mit dem Verdünner Deltron (tuluol- und xylolhältig) bis ca. 3 Stunden vor der Betretung von Relevanz? Daraufhin hat die Amtssachverständige folgendes Gutachten erstattet:

"Zu a): Bei der Alkomatuntersuchung um 22.57 Uhr des 4.12.1991 wurde ein Atemlalkoholgehalt von 0,41 mg/l gemessen. Geht man nun davon aus, daß Herr W unmittelbar vor Antritt der Fahrt ein Seidel Bier in 3 Minuten (Sturztrunk) getrunken hat, so kann dieser Alkohol zum Deliktszeitpunkt um 22.45 Uhr noch nicht oder höchstens zu einem Bruchteil resorbiert gewesen sein und es kann somit wegen der nicht abgeschlossenen Alkoholresorbtion zur Tatzeit rein rechnerisch eine Unterschreitung der 0,8 Promille- bzw.0,4 mg/l-Grenze nicht ausgeschlossen werden. Es ist jedoch eine wissenschaftlich unbestrittene Tatsache, daß in der Phase der Alkoholanflutung eine besondere Gefährdung vorliegt und durch das rasche Ansteigen des Blutalkoholgehaltes mindestens gleiche Beeinträchtigungen bestehen, wie bei dem zu einem späteren Zeitpunkt gemessenen Blutalkoholgehalt bzw. Atemalkoholgehalt. Diese Anflutungswirkung, welche den Konzentrationsfehlbetrag bis zum Meßwert zumindest ausgleicht, ist darauf zurückzuführen, daß sich der Sturztrunk im Gehirn früher auswirkt als im Venenblut und deswegen der Alkoholgehalt der Gehirnzellen in der Resorptionsphase über jenem des Venenblutes liegt. In der Fachliteratur ist das Einsetzen dieses Anflutungsphänomens nicht exakt beschrieben. Laut Artikel "Blutalkoholspiegel und Trunkenheitsgrad nach Sturztrunk" von Naeve und Brinkmann, erschienen in der Zeitschrift Blutalkohol, Band 8, 1971, wird beschrieben, daß die Trunkenheitszeichen überwiegend während der Sturztrunkzeit selbst, spätestens aber 5-10 Minuten nach Sturztrunkende auftreten. Im gegenständlichen Fall sind zwischen Trinkende und Zeitpunkt der Verkehrskontrolle 5-7 Minuten vergangen, sodaß die Anflutungswirkung noch nicht mit absoluter Sicherheit eingesetzt hat und somit bei Herrn W zur Tatzeit nicht mit absoluter Sicherheit eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit angenommen werden kann.

Zu b): Unter der Annahme, daß Herr W das Seidel innerhalb eines Zeitraumes von ca. 15 Minuten konsumiert hat (zwischen Trinkende und Betretung 5-7 Minuten), kann nicht von einem sogenannten Sturztrunk ausgegangen werden. Durch die langsame Konsumation des Seidels kommt es nur zu einem langsamen Ansteigen des Blutalkoholgehaltes und das Anflutungsphänomen kann somit nicht angenommen werden. Rein rechnerisch kann wegen der nicht abgeschlossenen Alkoholresorption zur Tatzeit eine Unterschreitung des gesetzlichen Grenzwertes nicht ausgeschlossen werden, da der aliquote Blutalkoholwert des Seidels vom Meßergebnis in Abzug gebracht werden muß. Fazit: Die 0,8 Promillebzw. 0,4 mg/l Grenze kann zur Tatzeit nicht nachgewiesen werden.

zu c): Zum Berufungseinwand, das Ergebnis der Alkomatuntersuchung sei durch das Einatmen von toluol- und xylolhältigen Lösungsmitteldämpfen verfälscht worden, wird folgendes festgestellt:

Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß bei beruflichem Umgang mit den betreffenden Substanzen - wenn die Konzentration in der Atemluft unterhalb der maximal zulässigen Arbeitsplatzkonzentration bleibt - eine Beeinflussung der Meßwerte nicht zu erwarten ist (die Problematik beschränkt sich somit auf die mißbräuchliche Benutzung bestimmter Lösungsmittel in hohen Konzentrationen). Geht man davon aus, daß im gegenständlichen Fall die Konzentration der Lösungsmitteldämpfe im MAK-Wertbereich gelegen ist, ist eine Verfälschung des Alkomatmeßergebnisses nicht möglich." (MAK = maximale Arbeitsplatzkonzentration).

Aus dem obigen das gestellte Beweisthema voll beantwortende und schlüssige Gutachten ergibt sich, daß dem Beschuldigten nicht mit einer für ein Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann, zum Zeitpunkt der Betretung um 22.45 Uhr ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Dabei ist die Gutachterin sowohl von einem Schlußsturztrunk (2-3 Minuten) als auch von einem normalen Schlußtrunk (ca. 15 Minuten) eines Seidel Biers ausgegangen. Auch etwaige sonstige auf eine Fahruntauglichkeit weisende Umstände (z.B. auffällige Fahrweise oder besonders auffälliges Verhalten) wurden während der mündlichen Verhandlung nicht vorgebracht. 6. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Gemäß § 99 Abs.1 lit.a StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt.

Gemäß § 5 Abs.1 StVO 1960 gilt bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber der Zustand einer Person als von Alkohol beeinträchtigt.

Entsprechend der zu § 5 Abs.1 StVO 1960 ergangenen Judikatur kann eine die Fahruntauglichkeit bewirkende Alkoholisierung auch unter 0,4 mg/l AAG als gegeben angenommen werden, wenn - wie im konkreten Fall von der Erstbehörde angenommen - der rechnerische Grenzwert zwar noch nicht ganz erreicht ist, aber durch andere Faktoren, etwa durch das Phänomen der Anflutung, eine die Fahruntauglichkeit bewirkende Beeinträchtigung als erwiesen anzunehmen ist. Im konkreten Fall konnte auf Grund des Sachverständigengutachtens das Anflutungsphänomen als Begründung für die Fahruntauglichkeit aber nicht erwiesen werden.

Die mündliche Verhandlung hat insgesamt ergeben, daß dem Berufungswerber mit einer für ein Strafverfahren notwendigen Sicherheit oder Wahrscheinlichtkeit weder zum Vorwurf gemacht werden kann, er habe ein Kraftfahrzeug mit einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gelenkt, noch, er sei durch die Auswirkungen des vor Antritt der Fahrt getrunkenen Alkohols (Anflutungsphase) alkoholbeeinträchtigt bzw. fahruntüchtig gewesen.

Gemäß § 45 Abs.1 Z.1 VStG ist von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann.

Da dem Beschuldigten das objektive Tatbild der Verletzung des § 99 Abs.1 lit.a StVO 1960 nicht nachgewiesen werden konnte, war spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Guschlbauer

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