Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720288/2/BP/Ga

Linz, 27.01.2011

 

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Mag. Dr. Bernhard Pree                                                                                      4A13, Tel. Kl. 15685

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA von X, vertreten durch X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 22. Dezember 2010, Zl: 1-1008594/FP/10, mit dem über den Berufungswerber ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden war, zu Recht erkannt:

 

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 22. Dezember 2010,
Zl. 1-1008594/FP/10, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden Bw) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen. Als Rechtsgrundlage wird § 60 Abs. 1 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF. genannt.

 

1.1.2. Zum Sachverhalt führt die belangte Behörde aus, dass der Bw, ein X Staatsbürger,  am 9. November 2010 vom LG Steyr unter GZ.: 499 13 HV 123/10y – 20, auf Basis des § 28 Abs. 1, 5. Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden sei, da er vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge mehrfach übersteigenden Menge von zumindest 750 Gramm Kokain anderen Personen überlassen habe. Er sei darüber hinaus schon zuvor zweimal wegen Verstößen gegen die Bestimmungen des SMG verurteilt worden.

 

In seiner Stellungnahme vom 2. Dezember 2010 habe der Bw angegeben, seit 2002 in Österreich aufhältig zu sein. Er lebe mit seiner Lebensgefährtin zusammen und habe mit ihr gemeinsame Kinder im Alter von 8, 5, 3 und 1,5 Jahren. Weiters habe er angegeben seit dem Jahr 2002 – mit Ausnahme von 1,5 Jahren – dauernd berufstätig gewesen zu sein.

 

1.1.3. In rechtlicher Würdigung führt die belangte Behörde unter Heranziehung der § 60 ff. FPG aus, dass einem Versicherungsdatenauszug zufolge der Bw während seines Aufenthalts in Österreich den größten Teil seines Einkommens aus Arbeitslosengeldern und Sozialhilfe bezogen habe. Aufgrund des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet und der familiären Bindungen sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat-, Berufs- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen und in Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit anderer, als dringend geboten zu erachten.

 

Das bisherige Verhalten des Bw verdeutliche eindrucksvoll, dass er offenbar nicht in der Lage oder willens sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne für ihn schon in Ansehung der Tatbegehung und der damit verbundenen Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen. Der Bw könne zwar durch seinen inländischen Aufenthalt seit dem Jahr 1986 und das Familienleben auf ein nicht unerhebliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet verweisen; dem stehe jedoch gegenüber, dass das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität äußerst bedeutsam sei. Der Bw habe zudem keinen Beruf erlernt und sei nicht im österreichischen Arbeitsmarkt integriert. Bloße Absichtserklärungen würden nicht ausreichen.

 

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet zu erlassen gewesen, denn, - wer wie der Bw – ein besonders große Menge an gehandeltem Suchtgift zu verantworten habe, lasse seine Geringschätzung für maßgebliche zum Rechtsschutz normierte Vorschriften, erkennen. Die belangte Behörde habe ihr Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt. Die Frist beginne mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

 

1.2.1 Gegen diesen Bescheid, der dem Bw am 24. Dezember 2010 zugestellt wurde, erhob er - rechtsanwaltlich vertreten - mit Schreiben vom 5. Jänner 2011 das Rechtsmittel der Berufung.

 

1.2.2. Begründend wird in der Berufung ausgeführt, dass der Bw die ihm zur Last gelegten Straftaten in den Jahren 2004 bis 2007 begangen und sich seit seiner ersten Verurteilung am 5. Juni 2008 wohl verhalten habe. Seine zweite Verurteilung am 9. November 2010 beziehe sich wiederum auf im selben Zeitraum 2004 bis 2007 begangene Straftaten.

 

Der Bw sei EU-Bürger, weshalb ihm das Recht auf Daueraufenthalt nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit entzogen werden dürfe.

 

Der Bw gibt an, bei der Firma X in einem aufrechten Dienstverhältnis beschäftigt zu sein. Er lebe seit 10 Jahren mit seiner Lebensgefährtin zusammen und sei seit dem Jahr 2002 in Österreich aufhältig. Von den 4 gemeinsamen Kindern im Alter von 8, 5, 3 und 1,5 Jahren besuche der ältere Sohn die Volksschule und die beiden mittleren Kinder den Kindergarten in X. Er und seine Lebensgefährtin seien in der katholischen Pfarre X aktiv tätig. Vor und nach den Straftaten im Zeitraum 2004 bis 2007 habe der Bw sich weder in Österreich noch sonst wo etwas zu schulden kommen lassen. Aus diesen Gründen sei von einem besonders hohen Grad der Integration auszugehen, weshalb die Erlassung einer Ausweisung gegen den Bw unzulässig sei. Die Auswirkungen auf die Lebenssituation seiner Familie würden weitaus schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der getroffenen Maßnahme. Strafrechtliche Verurteilungen alleine könnten nicht ohne weiters ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen. Vielmehr sei darauf abzustellen, dass bereits seine Erstverurteilung im Jahr 2008 eine dermaßen positive spezialpräventive Wirkung gehabt habe.

Der Bw sei stets bestrebt einer geregelten Arbeit nachzugehen, sei in einem aufrechten Dienstverhältnis beschäftigt und bei der Oö. Gebietskrankenkasse sozialversichert. Der Freundes- und Bekanntenkreis befinde sich ebenfalls in Österreich.

 

Die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes sei jedenfalls unverhältnismäßig. Für die gute Zukunftsprognose spreche auch die Stellungnahme der Bewährungshelferin des Bw, die schlüssig darlege, dass sich für die Zukunft aus der positiven Entwicklung eine Orientierung für ein deliktfreies Gestalten des Alltags in Österreich ergebe.

 

1.2.3. Abschließend wird der Antrag gestellt:

1. der Berufung stattzugeben und das in Rede stehende unbefristete Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich aufzuheben;

2. das unbefristete Aufenthaltsverbot befristet auszusprechen.

 

1.3. Mit Berufungsvorentscheidung vom 10. Jänner 2011 wandelte die belangte Behörde das unbefristete Aufenthaltsverbot in ein auf 8 Jahre befristetes.

 

1.4. Dagegen brachte der Bw mit Schreiben vom 19. Jänner 2011 rechtzeitig einen Vorlageantrag ein.

 

 

2.1. Mit Schreiben vom 20. Jänner 2011, wurde der gegenständliche Verwaltungsakt dem Oö. Verwaltungssenat von der belangten Behörde vorgelegt.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.2. und 1.2.2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt aus.

 

Zusätzlich ergibt sich aus dem Akt, dass der Bw wegen mehrerer Verwaltungsübertretungen gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen (jedoch weitgehend aus den Jahren 2005 und 2006) bestraft wurde.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) BGBl I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl I Nr. 135/2010 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Aufenthalt ununterbrochen seit 10 Jahren im Bundesgebiet haben, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Gemäß § 56 Abs. 1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG" oder "Daueraufenthalt – Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

Als schwere Gefahr gilt gemäß Abs. 2 leg. cit., wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht

1. wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, entgeltlicher Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt, Eingehens oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder Aufenthaltspartnerschaften, wegen einer Aufenthaltsadoption oder der Vermittlung einer Aufenthaltsadoption, wegen eines mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens nach dem SMG oder nach einem     Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des besonderen Teils des StGB oder

2. wegen einer Vorsatztat, die auf der selben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung deren         Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von    mehr als 6 Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

3.1.2. Beim Bw handelt es sich um einen X Staatsangehörigen, der seit dem Jahr 2002 in Österreich durchgehend aufhältig und polizeilich gemeldet ist. Es steht außer Zweifel, dass er wegen der EU- bzw. EWR-Mitgliedschaft seines Heimatstaates unter den Anwendungsbereich des § 86 FPG fällt, wobei - mangels des 10-jährigen Aufenthalts - auf ihn nicht der vorletzte Satz des § 86 Abs. 1 FPG anzuwenden ist. Dieser Umstand wurde von der belangten Behörde im erstinstanzlichen Bescheid außer Acht gelassen und erst in der Berufungsvorentscheidung, die allerdings gemäß § 64a AVG nunmehr außer Kraft getreten ist, berücksichtigt.

 

Weiters ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass der Bw zumindest die Voraussetzungen für den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG" erreichen könnte, weshalb im Sinne des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts jedenfalls materiell von der Anwendbarkeit des § 56 FPG auszugehen sein würde.

 

3.2. § 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für die Erlassung von Aufenthalts­verboten für EWR-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß sind auch die – von der belangten Behörde herangezogenen – §§ 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen.

 

3.3. Gemäß § 60 Abs. 2 Z1 FPG 2005 hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einem wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist das Aufenthaltsverbot gemäß § 66 Abs. 1 FPG 2005 zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art.8 Abs.2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

3.4. Es ist nun nach dem festgestellten Sachverhalt zunächst völlig klar, dass der Bw am 9. November 2010 vom LG Steyr unter GZ.: 499 13 HV 123/10y – 20, auf Basis des § 28 Abs. 1, 5. Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt wurde, da er vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge mehrfach übersteigenden Menge von zumindest 750 Gramm Kokain anderen Personen überlassen hatte.

 

Sohin sind grundsätzlich sowohl § 56 Abs. 2 Z. 1 FPG als auch § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG fraglos gegeben. Dieser Umstand wird vom Bw auch in keinster Weise in Abrede gestellt.

 

Er wendet gegen das verhängte Aufenthaltsverbot allerdings ein, dass er sich seit seiner ersten Verurteilung im Juni 2008 wohl verhalten habe und die letzte Verurteilung für im Jahr 2007 begangene Delikte ausgesprochen worden sei, weshalb seine Person keine zukünftige Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in Österreich darstellen würde; andererseits beruft er sich auf den Schutz seines Privat- und Familienlebens und den seiner Familienangehörigen.

 

3.5.1. Wie oben angeführt (vgl. § 86 Abs. 1 FPG), muss das persönliche Verhalten des Bw zur rechtmäßigen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden und eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Die Verhinderung von Straftaten gerade im so sensiblen Bereich der Suchtgiftdelikte zählt unbestritten zum Grundinteresse der Gesellschaft, auf dem die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit basiert.

 

3.5.2. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu überprüfen, ob das Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung dieses Grund­interesses darstellt.

 

Maßgeblich ist somit nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird. Dabei sind die Umstände der von ihm begangenen Tat zu beleuchten.

 

Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 33/77 – Fall Bouchereau, ausgesprochen, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben. 

 

3.5.3. Es zeugt zwar – der belangten Behörde folgend – von erheblicher krimineller Energie Suchtmittelhandel mit einer großen Menge zu betreiben (wie im vorliegenden Fall über 750 Gramm Kokain). Allerdings muss dem Berufungsvorbringen folgend festgestellt werden, dass die in Rede stehenden Straftaten im Zeitraum der Jahre 2004 bis 2007 stattfanden. Tatsächlich liegen nach dem Jahr 2007 diesbezüglich keinerlei Hinweise vor. Auch, wenn grundsätzlich nicht stets davon ausgegangen werden kann, dass ein dreijähriger Beobachtungszeitraum genügt, um ein zukünftiges Wohlverhalten anzunehmen, so sprechen die Umstände des vorliegenden Falles dafür, eine gegenwärtige akute tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Interessen durch den Bw zu verneinen. Dies gründet ua. auf die Stellungnahme der Bewährungshelferin sowie auf die familiäre Situation, die ein Rückfällig-Werden des Bw als nicht unbedingt wahrscheinlich annehmen lassen. Gemäß den einschlägigen Bestimmungen des FPG müsste dies jedoch klar der Fall sein, um ein Aufenthaltsverbot zu rechtfertigen.

 

Im Hinblick auf den Grundsatz "in dubio pro reo" ist jedoch zu erkennen, dass das Verhalten des Bw zum jetzigen bzw. zukünftigen Zeitpunkt nicht unbedingt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung des Grundinteresses der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Verhinderung von Straftaten sowie des Schutzes der Gesundheit Dritter bildet.

 

3.5.4. Festzuhalten ist also, dass die Verhängung des Aufenthaltsverbotes gegen den Bw in § 86 Abs. 1 FPG keine Deckung findet und somit nicht zurecht erfolgte.  

 

Auch wenn man dieser Ansicht nicht folgen würde, käme man zu keinem anderen Ergebnis, denn die getroffene Maßnahme wäre darüber hinaus unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und des gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Grundrechts auf den Schutz des Privat- und Familienlebens zu beurteilen.

 

3.6.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK sind gemäß der mit 1. April 2009 novellierten Fassung des § 66 Abs. 2 FPG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Nach Abs. 3 leg. cit. ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches oder unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Diese Bestimmung ist auch auf Aufenthaltsverbote anzuwenden - § 60 Abs.6 FPG 2005, wobei diese Verweisung im § 86 FPG 2005 dezidiert nicht vorgenommen wird – aus der Systematik des FPG 2005 jedoch auch auf Aufenthaltsverbote gemäß § 86 FPG 2005 anzuwenden sein wird.

 

3.6.2. Grundsätzlich ist vorerst – der belangten Behörde im Übrigen folgend – festzuhalten, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes massiv in das Privat- und Familienleben des Bw eingreift.

 

In Österreich lebt die Lebensgefährtin und 4 minderjährige Kinder des Bw, wobei insbesondere das Interesse der im österreichischen Bildungssystem integrierten Kinder an der Präsenz des Vaters ins Gewicht fällt. Das Privat- und Familienleben ist sohin durchwegs schutzwürdig und wurde nicht etwa in einem aufenthaltsrechtlich unsicheren Stadium eingegangen.

 

Der bisherige Aufenthalt des Bw war langfristig (seit 2002) und legal. Aufgrund der Aufenthaltsdauer und der relevierten persönlichen Beziehungen kann der Bw auch fraglos als in Österreich integriert angesehen werden. Ein straffälliges Verhalten alleine ist per se nicht geeignet die Integration auszuschließen. Auch weist der Bw – wenn auch keinesfalls durchgehend – eine berufliche Integration in Österreich auf und ist hier sozialversichert. Über die Bindungen zu seinem Heimatland gibt der Sachverhalt keinen Aufschluss. 

 

 

3.6.3. Auf der anderen Seite ist das Fehlen der strafrechtlichen Unbescholtenheit zu gewichten (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6). Z. 7 leg cit. kann dem Bw wohl lediglich hinsichtlich der aber ebenfalls schon länger zurückliegenden Verstöße gegen das FSG und anderer verkehrsrechtlicher Normen angelastet werden, da insbesondere keine Verstöße gegen Asyl- und fremdenrechtliche Vorschriften aktenkundig sind.

 

3.6.4. Nun ist eine konkrete Interessensabwägung und Gewichtung vorzunehmen (vgl. § 66 FPG und Art. 8 Abs. 2 EMRK), in deren Rahmen die Gefährdung der Schutzgüter des Art. 8 Abs. 2 EMRK und die Massivität des Eingriffs in das Grundrecht des Bw gegenüber zu stellen sind.

 

Im vorliegenden Fall ist eindeutig den Interessen des Bw am Schutz seines Privat- und Familienlebens der Vorzug zu geben, zumal die der relevanten Verurteilung zugrundeliegende Straftat schon mehr als drei Jahre zurückliegt und der Bw im nachfolgenden Zeitraum nicht wieder straffällig wurde. Vor allem aber ist auf die Interessen seiner 4 minderjährigen Kinder nochmals zu verweisen, was schlussendlich den Ausschlag geben muss.

 

Auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt man also zu den dargestellten Überlegungen, wodurch auch aus diesem Grund die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Bw als nicht gerechtfertigt anzusehen ist.

 

3.7. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Hinweis: Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 38,40 Euro (Eingabegebühr) angefallen; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Bernhard Pree

 

 

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