Linz, 07.02.2011
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des X, vertreten durch X, vom 24. November 2010 gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 4. November 2010, S-5962/10-4, wegen Übertretung des KFG 1967, aufgrund des Ergebnisses der am 3. Februar 2011 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung (samt mündlicher Verkündung der Berufungsentscheidung) zu Recht erkannt:
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren ohne Vorschreibung eines Verfahrenskostenbeitrages eingestellt.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 45 Abs.1 Z1 und 66 VStG
Entscheidungsgründe:
1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über den Beschuldigten wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §§ 102 Abs.3 5.Satz iVm 134 Abs.3c KFG 1967 eine Geldstrafe von 50 Euro (16 Stunden EFS) verhängt, weil er am 23. Jänner 2010, 9.54 Uhr, in Linz, Waldeggstraße 34 stadtauswärts fahrend das Kfz mit dem Kennzeichen X gelenkt und als Lenker während des Fahrens ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung verboten telefoniert habe, wie bei einer Anhaltung gemäß § 97 Abs.5 StVO 1960 festgestellt worden sei.
Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 5 Euro auferlegt.
2. Dagegen hat der Berufungswerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 3. Februar 2011 wurde nach Durchführung eines Ortsaugenscheins an der in Rede stehenden Kreuzung eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Bw, seines Rechtsvertreters X und des Zeugen Meldungsleger X (Ml) durchgeführt. Die Vertreterin der Erstinstanz war ebenso entschuldigt wie X, auf dessen Zeugeneinvernahme verzichtet wurde. Die Berufungsentscheidung wurde mündlich verkündet.
3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, er habe eine Rufnummerndatenfeststellung beantragt zum Beweis dafür, dass er mit dem im Auto befindlichen Telefon X zum angeblichen Tatzeitpunkt weder aktiv noch passiv telefoniert habe. Er habe außerdem einen Ortsaugenschein beantragt zum Beweis dafür, dass es aus dem angegebenen Blickwinkel unmöglich sei zu unterscheiden, ob der Lenker telefoniere oder lediglich die Hand als Abstütze verwendet werde. Beide Beweisanträge seien übergangen worden. Sein Fahrzeug habe abgedunkelte Scheiben, sodass aus der Sitzposition des Anzeigers nicht erkennbar sei, ob er tatsächlich ein Handy am Ohr gehalten habe oder einen anderen Gegenstand (zB ein Diktaphon) oder die Hand hingehalten habe, zB um durch Aufstützen des Ellbogens den Kopf abzustützen. Nicht geklärt worden sei die Sichtposition des Anzeigers unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, zB der Steigung, und die Entfernung zwischen dem Anzeiger und seinem Fahrzeug, weiters die abgedunkelten Scheiben. Er könne sagen, dass er um 9.54 Uhr nicht telefoniert habe, weil er eine Funkuhr habe, bei der es keine Zeitabweichung gebe. Die Zeit auf der Armbanduhr des Anzeigers sei nicht richtig. Wichtig sei das deswegen, weil seine Kanzlei in unmittelbarer Nähe sei und er im Lauf des Tages immer wieder Fahrten zu verrichten habe und die Strecke auch in der relativ kurzen Zeitspanne von 9.49 Uhr bis 9.54 Uhr wiederholt befahre. In Wahrheit habe die Anhaltung um 9.49 Uhr stattgefunden. Auch der Tatvorwurf selbst sei unberechtigt, weil durch die dunkle Fensterverglasung eine exakte Beobachtung, ob er zB ein Handy ans Ohr gehalten habe, nicht möglich sei. Außerdem sei die bei dieser Jahreszeit vorhandene Verschmutzung der Scheiben und das düstere Tageslicht nicht berücksichtigt worden. Er habe diese Argumente bereits vor der Erstinstanz vorgebracht. Er habe außerdem eine Freisprecheinrichtung und sei nicht einzusehen, warum er ohne deren Benützung telefoniert haben sollte. Er habe von Anfang an darauf hingewiesen, dass er nicht telefoniert habe. Es gebe trotz der Wahrheitspflicht des Beamten keine absolute Glaubwürdigkeit und sei ein Beobachtungsfehler unter diesen Gegebenheiten durchaus möglich. Er beantragt Verfahrenseinstellung zumindest im Zweifel, in eventu angesichts des geringen Verschuldens die Anwendung des § 21 VStG bzw Strafmilderung.
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der der Bw und sein Rechtsvertreter gehört, die Ausführungen der Erstinstanz in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses berücksichtigt und der Ml unter Hinweis auf die Wahrheitspflicht des § 289 StGB einvernommen wurde; weiters wurde der Pkw X hinsichtlich der Tönung der Scheiben besichtigt; zuvor war vom erkennenden Mitglied ein Ortsaugenschein zur Sicht auf den stadtauswärts fahrenden Querverkehr der Waldeggstraße vom Standort des Polizeifahrzeuges vor der Kreuzung Kärntnerstraße mit dem stadteinwärts führenden Teil der Waldeggstraße durchgeführt worden.
Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:
Unbestritten ist, dass der Bw als Lenker des genannten Pkw, dessen Heckscheibe und beide hintere Seitenscheiben dunkel getönt sind, am Samstag, dem
23. Jänner 2010, gegen 10.00 Uhr Vormittag auf der Waldeggstraße Richtung stadtauswärts unterwegs war.
Der Ml bestätigte, er sei Beifahrer im Streifenfahrzeug gewesen und habe um 9.54 Uhr vom Standort gleich hinter der Haltelinie vor der Kreuzung der Kärntnerstraße mit dem stadteinwärts führenden Teil der Waldeggstraße aus den in einiger Entfernung in der Gegenrichtung fahrenden Bw ca beim Haus Nr.32 beobachtet, wie dieser zuerst die rechte Hand ans rechte Ohr und dann die linke Hand ans linke Ohr gehalten habe. Daraufhin habe er seinen Kollegen darauf aufmerksam gemacht, dass der Lenker wohl telefoniere, und sie seien so Richtung Fahrlinie des Bw gefahren, dass er dem Bw, der den linken geradeaus führenden Fahrstreifen benutzt habe, vom Abbiegestreifen links vom Bw fahrend durch das geöffnete Beifahrerfenster des Streifenfahrzeuges mittels Anhaltestab Zeichen zum Nachfahren gegeben habe, die dieser auch befolgt hat. Die Anhaltung bzw Amtshandlung erfolgte kurz darauf beim Parkplatz Haus Nr.44, wobei die Amtshandlung übereinstimmend so geschildert wurde, dass der Ml den Bw zur Lenker- und Fahrzeugkontrolle aufgeforderte und ihm vorhielt, er habe ohne Freisprecheinrichtung telefoniert, was dieser sofort abstritt.
In der Verhandlung wurde geklärt, dass der Ml allein aus der – von ihm selbst als "handytypisch" bezeichneten – Handbewegung des Bw den Schluss gezogen hat, der Bw habe telefoniert. Der Ml räumte ausdrücklich ein, er habe nie ein Handy oder handyähnliches Gerät gesehen, nämlich weder bei der Beobachtung aus der Entfernung noch später, weil er bei der Amtshandlung nicht darauf geachtet habe, ob ein solches Handy im Fahrzeug sichtbar sei. Der Ml bestätigte, er habe den Bw weder gestikulieren gesehen noch Mundbewegungen, Mimik oder ähnliches wahrgenommen. Allein der Wechsel von der rechten Hand am rechten Ohr zur linken Hand ans linke Ohr sei Anlass für seine Vermutung des Telefonierens gewesen. Er habe allerdings auch keinen Gegenstand gesehen, der von einer Hand in die andere genommen worden wäre. Sein Angebot eines Organmandates zu 50 Euro lehnte der Bw unbestritten ab, worauf ihm die Anzeige angekündigt wurde.
Der Ortsaugenschein hat ergeben, dass man vom damaligen Standort des Ml einwandfrei erkennen kann, ob ein Lenker die – rechte oder linke – Hand ans Ohr hält, dass aber die Entfernung für die Wahrnehmung, ob der Lenker etwas bzw was er in der Hand hält, zu groß ist. Ob der Lenker ein Handy von der rechten in die linke Hand wechselt, ist naturgemäß nicht zu sehen, weil solche Vorgänge erfahrungsgemäß nicht in Fensterhöhe ablaufen.
Der Ml hat in der Verhandlung nicht mehr ausgesagt, er habe gesehen, dass der Bw "telefoniert" habe, sondern er hat seine Aussage eingeschränkt auf die Wahrnehmung einer "handytypischen Handbewegung". Bei der Amtshandlung war keine Rede von einem bestimmten Handy oder einem Diktaphon. Dem Ml, der aber nach eigenen Aussagen darauf nicht achtete, fiel nichts dergleichen auf.
In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 102 Abs.3 5.Satz KFG 1967 ist dem Lenker während des Fahrens das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung verboten.
Gemäß § 134 Abs.3c KFG 1967 begeht, wenn dies bei einer Anhaltung gemäß § 97 Abs. 5 StVO 1960 festgestellt wird, eine Verwaltungsübertretung, welche mit einer Organstrafverfügung gemäß § 50 VStG mit einer Geldstrafe von 50 Euro zu ahnden ist, wer als Lenker eines Kraftfahrzeuges die in § 102 Abs.3 fünfter Satz angeführte Verpflichtung nicht erfüllt. Wenn die Zahlung des Strafbetrages verweigert wird, ist von der Behörde eine Geldstrafe bis zu 72 Euro, im
Falle der Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe bis zu 24 Stunden, zu verhängen.
Nach der Rechtsprechung des VwGH kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich telefoniert wurde oder nicht (vgl E 14.7.2000, 2000/02/0154).
Nach Auffassung des UVS ist im ggst Fall aber nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt, ob der Bw tatsächlich überhaupt ein Handy in der Hand hatte. Der Bw kann durchaus auch genau zum Zeitpunkt der 1. Beobachtung durch den Ml die rechte Hand aus irgendwelchen Gründen in Ohrhöhe gehabt und sich anschließend mit dem linken Ellenbogen an der Seitenlehne aufgestützt haben, was aus der Entfernung den Eindruck erweckt, er halte die linke Hand ans linke Ohr – eine solche "Probe" wurde vor der Verhandlung durchgeführt. Ob der Bw dabei etwas in der Hand hatte, konnte der Ml aus der Entfernung nicht sehen, wie sich beim Ortsaugenschein zweifellos gezeigt hat. Nachdem der Ml auch nie ein Handy oder auch nur einen handyähnlichen Gegenstand im Fahrzeug wahrgenommen hat und selbst eingeräumt hat, er habe – nur vom Standort hinter der Haltelinie aus, später aber nicht mehr – eine (einzige) "handytypische" Handbewegung gesehen, war im Zweifel zugunsten des Bw gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG spruchgemäß zu entscheiden, wobei Verfahrenskostenbeiträge naturgemäß nicht anfallen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese ist - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Mag. Bissenberger
Beschlagwortung:
Eine einzige "handytypische Handbewegung" ist nicht gleich Telefonieren -> Einstellung