Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420643/36/WEI/Ba

Linz, 25.02.2011

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des X X, geb. X, türkischer Staatsangehöriger, vertreten durch Dr. X X, Rechtsanwalt in X, X, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch der Bundespolizeidirektion Linz zurechenbare Organe aus Anlass der Anhaltung und Abschiebung des Beschwerdeführers am 27. und 28. Juni 2010 nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 11. Jänner 2011 zu Recht erkannt:

 

 

I.          Die Beschwerde gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers ab 27. Juni 2008 um 10:25 Uhr einschließlich seiner Abschiebung am 28. Juni 2010 wird als unbegründet abgewiesen.

 

II.      Die Beschwerde wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung des Beschwerdeführers im Zuge der Verwaltungshaft (Abschiebehaft) vom 27. bis 28. Juni 2010 wird als unbegründet abgewiesen.

 

III.   Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Verfahrenspartei Bundespolizeidirektion Linz) den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 1.313,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) iVm § 67a Abs 1 Z 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG); §§ 67c und 79a AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008).

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit der am 19. Juli 2010 eingelangten Eingabe vom 13. Juli 2010 brachte der Beschwerdeführer (im Folgenden Bf) durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ein, weil er am 27. Juni 2010 zu Unrecht festgenommen, in der Folge angehalten und unmenschlich oder erniedrigend behandelt und am 28. Juni 2010 in die Türkei abgeschoben worden sei.

 

Zum Sachverhalt wird vorgebracht, dass der Bf am Sonntag, dem 27. Juni 2010, gegen 10:30 Uhr auf der Polizeiinspektion (PI) X in X, X, im Auftrag der belangten Behörde in Haft genommen worden sei, als er im Rahmen der Befolgung eines gelinderen Mittels erschienen war. Er wäre dann ins Polizeigefangenenhaus Linz in die Nietzschestraße 33 gebracht worden, wo ihm in einem demütigenden Akt Schuhe und Socken weggenommen worden wären. Bereits zu Mittag wäre er ins Polizeianhaltezentrum Wien in der Roßauer Lände gebracht worden. Die Bitten der nachgereisten Angehörigen, mit ihm sprechen zu dürfen, wären abgewiesen worden. Eine derartige Isolation und Unterbindung der Kontakte wäre nicht angebracht und angemessen gewesen. Dies alles hätte eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dargestellt.

 

Bereits am Montag, dem 28. Juni 2010, sei der Bf in ein Flugzeug gesetzt und abgeschoben worden. Obwohl er nicht aggressiv reagierte, sondern völlig ruhig die Amtshandlung über sich ergehen lassen hätte, wären drei Begleitpersonen abgestellt und von der belangten Behörde für die Tickets nachträglich die Kosten von 2.409,88 Euro verlangt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb drei Begleitpersonen notwendig gewesen sein sollen, habe sich der Bf doch in keiner Weise zur Wehr gesetzt. Auch diese Art der Abschiebung stelle eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.

 

Der Beschwerdevertreter wäre mit E-Mail vom 27. Juni 2010 (Sonntag) über die Abschiebung am 28. Juni 2010 informiert worden. Damit wären in einer Wochenendaktion vollendete Tatsachen geschaffen worden, obwohl keine Notwendigkeit für ein dringendes oder unaufschiebbares Handeln vorgelegen hätte. Da drei Begleitpersonen mitflogen, hätte die Buchung schon vor dem 27. Juni 2010 erfolgen und demnach auch eine frühere Verständigung des Beschwerdevertreters erfolgen müssen. Dieses Vorgehen der belangten Behörde hätte in keiner Weise den Geboten eines fairen Verfahrens entsprochen, wenngleich man dies nachträglich mit humanitären Gründen (möglichst kurze Schubhaft) zu begründen versuchte.

 

Der Bf sei schon im Juni 2001 eingereist und habe am 21. Juni 2001 einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei erst am 15. September 2009 entschieden worden. Der Bf sei seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig. Er verfügte über eine Aufenthaltsberechtigung im Asylverfahren, sodass der gesamte bisherige Aufenthalt im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen wäre. Der frühere Rechtsvertreter hätte deshalb am 9. Oktober 2009 beim Magistrat Linz einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung nach § 44 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestellt. Nach der NAG-Novelle 2009 sei ausdrücklich die Möglichkeit der Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung für sog. Altfälle, nämlich negativ entschiedene Asylwerber die sich jahrelang im Bundesgebiet aufhalten und hier integriert sind, geschaffen worden.

 

Gemäß dem analog anzuwendenden § 24 NAG wäre der Bf jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag weiterhin rechtmäßig in Österreich aufhältig. Dies wäre begründet, weil der Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung unmittelbar an das Asylverfahren folgte und derartige Anträge für Altfälle vorgesehen wären. Insoweit wäre von einem "einheitlichen und quasi Verlängerungs-Verfahren" auszugehen. Dies ergäbe sich auch insoweit, als nach den maßgeblichen Bestimmungen des NAG auch von Amts wegen zu prüfen wäre. Bis zum Abschluss dieser Prüfung dürften keine fremdenpolizeilichen Maßnahmen oder Bestrafungen gesetzt werden.

 

Im vorliegenden Fall wären alle Voraussetzungen (langjähriger rechtmäßiger Aufenthalt, umfassende Integration, berufliche Verankerung, finanzielle Absicherung, Schützwürdigkeit des Privatlebens, völlige strafrechtliche Unbescholtenheit) für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gegeben gewesen. Die belangte Behörde hätte mit der Abschiebung bis zur Erledigung des Magistrats Linz zuwarten müssen.

 

Die Abschiebung hätte einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK dargestellt. Es wäre zu prüfen gewesen, ob ein derartiger Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und auch verhältnismäßig sei, was unterblieben sei. Die Behörde hätte sich auf den formellen Standpunkt gestellt, dass eine durchsetzbare Ausweisung vorgelegen sei. Tatsächlich hätte sie aber noch vor Durchführung der Abschiebung eine eingehende Abwägung der Interessen vornehmen müssen. Diese hätte ergeben, dass schon die verfügte Ausweisung im Hinblick auf das angestrebte Ziel unverhältnismäßig gewesen wäre und einen unzulässigen Eingriff nach Art 8 EMRK darstellte.

 

Die Voraussetzungen für eine Abschiebung wären nicht vorgelegen. Eine sofortige Abschiebung wäre auch nicht geboten gewesen. Der Beschwerdevertreter hätte der belangten Behörde bereits am 22. Juni 2010 mitgeteilt, dass eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit Antrag auf Zuerkennung der aufschiebende Wirkung eingebracht werden werde. Deshalb wäre zu erwarten gewesen, dass die Behörde die weiteren Verfügungen des Gerichtshofes abwarten würde. Jedenfalls hätte die belangte Behörde eine angemessene Frist zur freiwilligen Ausreise einräumen müssen, um dem Bf eine geordnete Rückkehr in sein Heimatland zu ermöglichen. Gefahr im Verzug hätte nicht bestanden. Insgesamt wäre von einem nicht zulässigen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit nach Art 1 BVG PersFrG und Art 5 EMRK auszugehen.

 

Abschließend wird beantragt, eine kostenpflichtige Verletzung der Art 3, 5 und 8 EMRK durch die Verhaftung und Abschiebung festzustellen.

 

2.1. Mit Schreiben vom 8. September 2010, Zl. 1006780/FRB, ist die belangte Behörde der Beschwerde in allen Punkten entgegen getreten, hat deren kostenpflichtige Abweisung beantragt und ihre Verwaltungsakten zur Entscheidung vorgelegt.

 

Zum Sachverhalt hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass der Bf mit Schreiben vom 9. Juni 2010 zur unverzüglichen Ausreise aufgefordert und ihm die sonstige Konsequenz der Abschiebung angedroht worden wäre. Da er bis 18. Juni 2010 nicht ausreiste, sei das gelindere Mittel der täglichen Meldung bei der PI X angeordnet und der türkische Reisepass gemäß § 38 FPG sicher gestellt worden. Um den Bf mit dem für 28. Juni 2010 gebuchten Flug nach Istanbul abschieben zu können, sei der Bf am 27. Juni 2010 über Festnahmeauftrag der belangten Behörde von Beamten der PI X festgenommen und in der Folge die Abschiebung durchgeführt worden.

 

Zur gerügten Abschiebung als "Wochenendaktion" ohne Dringlichkeit entgegnet die belangte Behörde, dass es für die Vollziehung der gesetzlichen Aufgaben der Fremdenpolizei irrelevant sei, an welchen Tagen der Woche eine Abschiebung oder Festnahme erfolgt. Es bestehe kein Verpflichtung für Durchführungen nur unter der Woche.

 

Der Bf sei der im § 67 FPG normierten Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise bis zur Abschiebung nicht nachgekommen. Die Einbringung von Beschwerden hindere nicht, rechtskräftige Bescheide zu vollziehen. Erst die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung könne Rechtsfolgen bewirken. Eine Nachfrage beim Verfassungsgerichtshof am 1. Juli 2010 hätte ergeben, dass bis dahin noch keine Beschwerde eingebracht worden war.

 

Die Rechtsansicht der Beschwerde, die belangte Behörde hätte die Erledigung des beim Magistrat Linz anhängigen Verfahrens auf Erteilung eine humanitären Niederlassungsbewilligung abwarten müssen, sei völlig verfehlt. Der laut Aktenlage nach § 44 Abs 3 NAG gestellte Antrag würde gemäß § 44b Abs 3 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen und keine aufschiebende Wirkung haben. Die Mitteilung gemäß § 67 Abs 4 FPG hätte mangels Ausweisung nach § 10 AsylG nicht gemacht werden müssen. Sie habe keine normative Wirkung nach dem Fremdenpolizeigesetz (FPG), sondern nur für die Anwendbarkeit des § 12a Abs 3 Asylgesetz. Eine Beschwer sei für die belangte Behörde nicht erkennbar.

 

Zur gerügten erniedrigenden Behandlung des Bf bezüglich Abnahme der Schuhe und Socken wird auf eine eingeholte Stellungnahme des PAZ Linz verwiesen. Hinsichtlich Isolation und Unterbindung der Kontakte sei eine Anfrage an das PAZ Rossauerlände noch nicht beantwortet worden. Diese werde nachgereicht.

 

Zur gerügten unmenschlichen Behandlung wegen Abschiebung in Begleitung von drei Polizeibeamten verweist die belangte Behörde auf die Abschiebedokumentation vom 28. Juni 2010, wonach der Bf geäußert hätte, nicht freiwillig nach Istanbul ausreisen zu wollen, weil er Familie, Arbeit und Wohnung in Linz habe. Die Abschiebung sei dann ruhig und ohne Zwangsmaßnahmen verlaufen. Für die belangte Behörde sei nicht nachvollziehbar, worin bei einer einfachen Begleitung eine Verletzung des Art 3 EMRK liegen sollte. Zur bescheidförmigen Vorschreibung der Schubkosten wird auf das anhängige Berufungsverfahren bei der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich hingewiesen.

 

Abschließend beantragt die belangte Behörde die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde in allen Punkten.

 

2.2. In der rechtsfreundlich vertretenen Stellungnahme des Bf vom 22. Oktober 2010 bekräftigt dieser seinen Standpunkt, dass die sofortige Abschiebung nicht geboten gewesen wäre und einen schwerwiegenden Eingriff nach Art 8 EMRK darstellte. Die belangte Behörde hätte weitere Verfügungen des Verfassungsgerichthofs abwarten müssen.

 

Zum Argument, der Antrag auf humanitäre Niederlassungsbewilligung begründe kein Aufenthalts- oder Bleiberecht, wird auf die §§ 43 Abs 2, 44 Abs 3 und 4 NAG verwiesen, welche quotenfreie Niederlassungsbewilligungen unter der Bedingung vorsehen würden, dass sich die Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet aufhalten. Daraus sei auch zwingend das Recht abzuleiten, die Entscheidung im Inland abwarten zu dürfen. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller während des Verfahrens zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels grundsätzlich nicht abgeschoben werden dürfe (Hinweis auf Beschluss des VwGH vom 14.09.2009, Zl. AW 2009/21/0149)

 

Zum Argument, eine Information des Rechtsvertreters sei vor Durchführung der Abschiebung gesetzlich nicht erforderlich gewesen, vertritt die Beschwerde zusammengefasst die Ansicht, dass bei der gegebenen Sachlage schon aus Gründen der Fairness die geplante Durchführung der Abschiebung dem Rechtsvertreter schon früher angezeigt hätte werden müssen. Jedenfalls hätte die Behörde eine angemessene Frist zur freiwilligen Ausreise setzen müssen, um eine geordnete Rückkehr ins Heimatland zu ermöglichen. Gefahr im Verzug hätte nicht bestanden.

 

Die Begleitung durch drei Polizeibeamte bei der Abschiebung in die Türkei sei nicht erforderlich gewesen. Dies wäre vor allem wegen der nachträglich verlangten Kosten bedeutsam. Wäre der Bf über die beabsichtigte Abschiebung rechtzeitig informiert worden, so hätte er kostengünstig seine Ausreise organisieren können. Es hätte keinerlei Gefahr im Verzug bestanden.

 

Die Visitierung des Bf im PAZ Linz wäre von den Verwandten anders wahrgenommen und als demütigender Akt empfunden worden. Die Angaben der Verwandten stünden auch der Mitteilung gegenüber, dass im PAZ Wien von einem Besuch nichts bekannt geworden sei. Ihre Bitten, mit dem Bf sprechen zu dürfen, wären abgewiesen worden, was als demütigend empfunden worden wäre.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat am 11. Jänner 2011 eine öffentliche mündliche Verhandlung in Gegenwart des Beschwerdevertreters Dr. X X, sowie des Behördenvertreters Hofrat Dr. X X durchgeführt. Beweis wurde aufgenommen durch Erörterung der Aktenlage, Verlesung von Urkunden und Einvernahme von Zeugen. Mit bedarfsgerechter Unterstützung des gerichtlich beeideten Dolmetschers X X wurden die mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen ausgestatteten Zeugen Frau X und Herr X X sowie Herr X X einvernommen. Weiter wurden die dem Polizeianhaltezentrum (PAZ) Linz dienstzugeteilten Polizeibeamten GI X X und GI X X als Zeugen vernommen.

 

Auf Grund der Aktenlage und der Ergebnisse der durchgeführten Verhandlung geht das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenats vom nachstehenden wesentlichen S a c h v e r h a l t aus:

 

3.1. Der Bf, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 21. Juni 2001 illegal über unbekannt in das österreichische Bundesgebiet ein. Die Eltern des Bf halten sich in Österreich seit 1989 bzw 2004 auf und verfügen über Niederlassungsbewilligungen. Der Bf wohnte zuletzt bei seinem Bruder und seiner Schwägerin in X, X, und ging einer aufrechten Beschäftigung im Rahmen eines befristeten saisonalen Dienstverhältnisses bei der Fa. X GmbH nach.

 

Mit Erkenntnis des Asylgerichthofs vom 8. September 2009, Zl. E8 228.568-0/2008-16E, wurde die Beschwerde gegen den negativen Asylbescheid des Bundesasylamts vom 26. April 2002, Zl. 01 14.470-BAL, mit dem der Asylantrag des Bf abgewiesen und seine Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt wurde, gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen. Die negative Entscheidung des Asylgerichthofs wurde seinem damaligen Rechtvertreter am 15. September 2009 zugestellt und ist daher seit diesem Zeitpunkt rechtkräftig erlassen worden.

 

3.2. Mit Schreiben vom 30. September 2009, Zl. 1006780/FRB, zugestellt durch Hinterlegung beim Postamt X am 5. Oktober 2009, machte die belangte Behörde den Bf im Hinblick auf das rechtskräftig negativ entschiedene Asylverfahren auf seinen unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich und die behördliche Absicht aufmerksam, ihn auszuweisen. Gleichzeitig gewährte sie ihm dazu Parteiengehör binnen zwei Wochen. Mit rechtsfreundlich vertretenem Schreiben vom 9. Oktober 2009 erstattete der Bf eine Stellungnahme im Ausweisungsverfahren. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er in Österreich vollständig integriert und unbescholten sei, bei seinem Bruder X X, seiner Schwägerin X X, einer österreichischen Staatsbürgerin, und seinen beiden mj. Neffen lebe und bei der X GmbH in X auf Grund einer bis 23. April 2010 erteilten Beschäftigungsbewilligung arbeite und monatlich 1.400 bis 1.600 Euro netto verdiene. Er habe den Staplerführerlehrgang absolviert und Deutsch-Integrationskurse besucht. Seine Eltern, zu denen er intensiven Kontakt habe, lebten in X, X, und hätten freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Vor dem Hintergrund der vollständigen Integration des Bf wurde beantragt, von einer Ausweisung Abstand zu nehmen. Neben zahlreichen Unterlagen zum Nachweis der Integration wurde auch auf einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 NAG hingewiesen.

 

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2009, Zl. 1006780/FRB, hat die belangte Behörde den Bf gemäß § 53 Abs 1 iVm § 31 Abs 1 und § 66 FPG ausgewiesen. Dagegen brachte der Bf durch seinen damaligen Rechtvertreter rechtzeitig per E-Mail Berufung vom 4. November 2009 ein und übermittelte in der Anlage auch einen schriftlichen Antrag vom 9. Oktober 2010 "auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 (3) NAG" an den Magistrat Linz.

 

Dem aktenkundigen Ausdruck aus dem Fremdeninformationssystem vom 29. Oktober 2009 ist eine Antragstellung gemäß § 44 Abs 3 NAG beim Magistrat Linz mit 14. Oktober 2009 zur Zl. AEG/40790 zu entnehmen.

 

Nach der dazu gemäß § 44b Abs 2 NAG eingeholten begründeten Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 19. Mai 2010, Zl. E1/12466/2010, durfte der in der Türkei aufgewachsene Bf wegen seines unsicheren Aufenthaltsstatus bereits seit dem negativen erstbehördlichen Asylbescheid vom 26. April 2002 nicht damit rechnen, nach negativem Abschluss des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Deswegen seien fremdenpolizeiliche Maßnahmen gegen den Bf zulässig.

 

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 2. Juni 2010, Zl. E1/19970/2009, wurde der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Ausweisungsbescheid bestätigt. Begründend wird auf den rechtswidrigen Aufenthalt seit Abschluss des Asylverfahrens mit 15. September 2009 hingewiesen. Das Gewicht der Integration des Bf in Österreich seit 2001 werde aber dadurch gemindert, dass der Aufenthalt nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Asylantrages möglich war und ein Privat- und Familienleben während eines unsicheren Aufenthaltsstatus geschaffen wurde. Schon die negative Asylentscheidung vom 26. April 2002 habe ein eindeutiges Indiz dargestellt, dass der Aufenthalt des Bf temporär begrenzt sein könne. Damit relativiere sich auch seine berufliche Integration, habe er doch gewusst, dass sein Aufenthalt nur an das Abwarten der Asylentscheidung geknüpft war.

 

Der Bf halte sich schon ein halbes Jahr illegal in Österreich auf. Den fremdenrechtlichen Regelungen betreffend Einreise und Aufenthalt komme aus der Sicht der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Wenn einwanderungswillige Fremde unerlaubt einreisen und nach Abschluss des Asylverfahrens nicht rechtzeitig ausreisen, müsse der rechtskonforme Zustand mit Ausweisung hergestellt werden Bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG erachtete die Sicherheitsdirektion den Verstoß gegen die öffentliche Ordnung durch den Bf im Verhältnis zu seiner Integration als überwiegend, weshalb eine Ermessensübung zu seinen Gunsten ausscheide.

 

3.3. Die belangte Behörde stellte dem damaligen Rechtsvertreter des Bf den oben bezeichneten Berufungsbescheid gemeinsam mit ihrem Schreiben vom 9. Juni 2010 betreffend Information über die Verpflichtung zur Ausreise am 14. Juni 2010 nachweislich zu. In diesem Schreiben wurde er auf die unverzügliche Ausreisepflicht und die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis in den Herkunftsstaat zurückzukehren, hingewiesen und ein Informationsblatt zur Rückkehrberatung durch den Verein Menschenrechte Österreich oder die Caritas beigelegt. Er wurde auch ausdrücklich auf die Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen für den Fall des Weiteren unerlaubten Aufenthalts und darauf hingewiesen, dass er mit Abschiebung zu rechnen hätte.

 

Mit dem per Telefax zugestellten Bescheid vom 18. Juni 2010 ordnete die belangte Behörde gemäß § 77 Abs 1 und 3 FPG zur Sicherung der Abschiebung als gelinderes Mittel die tägliche Meldepflicht bei der PI X zwischen 06:00 und 22:00 Uhr an und schloss gemäß § 64 Abs 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung aus. Bei der ersten Meldung des Bf am 19. Juni 2010 wurde sein türkischer Reisepass gemäß § 38 Abs 1 FPG sicher gestellt.

 

Laut aktenkundigem Buchungsbeleg vom 23. Juni 2010 (Webbuchung) hat die belangte Behörde für die geplante Abschiebung auf dem Luftweg einen Flug für 28. Juni 2010 mit der Turkish Airlines ab Flughafen Wien (Abflug 10:00 Uhr) nach Istanbul (Ankunft 13:15 Uhr) für den Bf und drei angeforderte Begleitpersonen gebucht. Diese Polizeibeamten wurden mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 23. Juni 2010 bekannt gegeben.

 

Mit Schreiben vom 25. Juni 2010 erteilte die belangte Behörde der PI X im Hinblick auf die geplante Abschiebung des Bf am 28. Juni 2010 den Festnahmeauftrag für 27. Juni 2010. Der Bf wurde dann am 27. Juni 2010 um 10:25 Uhr in der PI X (vgl Haftbericht und Kurzbrief der PI X vom 27.06.2010) festgenommen und anschließend ins PAZ Linz eingeliefert. Nach dem Überstellungsauftrag der belangten Behörde vom 25. Juni 2010 war der Bf unmittelbar danach in ordnungsgemäß bekleidetem Zustand in das PAZ Wien, Rossauer Lände 7-9, zu überstellen.

 

Nach dem aktenkundigen E-Mail vom 27. Juni 2010 (11:20 Uhr) wurde der Beschwerdevertreter im Auftrag der belangten Behörde durch das PAZ Linz verständigt, dass die Abschiebung des Bf in die Türkei am 28. Juni 2010 vorgesehen ist.

 

Nach der Dokumentation (Sachbearbeiter: Kommandant Abschiebeteam) des Landespolizeikommandos Wien, Abteilung für Sondereinheiten, vom 28. Juni 2010 wurde der Bf am 28. Juni 2010 um 07:30 Uhr vom PAZ Wien abgeholt und mit einem Dienstwagen zum Flughafen Wien gebracht. Die begleitete Abschiebung erfolgt mit der Turkish Airlines Abflug 10:30 Uhr und Landung in Istanbul um 12:40 Uhr. Die Übergabe des Bf an die türkischen Behörden erfolgt um 12:55 Uhr.

 

Zum Ablauf wird weiter berichtet, dass die WEGA am 24. Juni 2010 von einer Problemabschiebung nach Istanbul/Türkei am 28. Juni 2010 verständigt worden sei. Dazu habe erhoben werden können, dass der Bf angab, nicht freiwillig nach Istanbul abzureisen, da sich seine Familie in X befinde, wo er auch Arbeit und Wohnung habe. Beim Kontaktgespräch am 27. Juni 2010 um 17:00 Uhr im PAZ Wien sei der Bf beruhigt und über die bevorstehende Abschiebung informiert worden. Bei der Abholung am nächsten Tag sei der Bf noch in der PAZ-Aufnahme visitiert worden. Er zeigte sich bei der Abholung ruhig und einsichtig.

 

3.4. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdevertreter vor, dass er am 23. Juli 2010 Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion vom 2. Juni 2010 beim Verfassungsgerichthof einbrachte, deren Behandlung mit Beschluss vom 6. Oktober 2010, Zl. B X (Beilage 1 zum Verhandlungsprotokoll - VP), abgelehnt wurde. Nach Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichthof sei die Beschwerde entsprechend dessen Verfügung vom 11. November 2010 (Beilage 2) ergänzt und am 28. Dezember 2010 eingebracht worden. Das Beschwerdeverfahren ist nunmehr beim Verwaltungsgerichthof zu Zl. 2010/21/0464 anhängig.

 

Dem E-Mail Verkehr (vgl Sammelbeilage 3) ist im Wesentlichen zu entnehmen:

 

Mit E-Mail vom 22. Juni 2010 teilte der Beschwerdevertreter mit, dass er mit der Einbringung einer Verfassungsgerichtshofsbeschwerde beauftragt worden sei. Mit E-Mail vom 25. Juni 2010 ersuchte die belangte Behörde um Mitteilung, wem die Vertretungsbefugnis in fremdenpolizeilichen Angelegenheiten zukomme. Daraufhin erklärte der Beschwerdevertreter mit E-Mail vom 25. Juni 2010, dass er mit der rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt worden sei und um Zustellung zu seinen Händen ersuche. Mit E-Mail vom 27. Juni 2010 leitete das PAZ Linz ein E-Mail der Fremdenpolizei Linz vom 25. Juni 2010 samt Anlage (Mitteilung über die Abschiebung des Bf am 28.06.2010) an den Beschwerdevertreter weiter.

 

Der Beschwerdevertreter beschwerte sich mit E-Mail vom 28. Juni 2010 über die Schaffung von vollendeten Tatsachen in einer "Wochenendaktion", obwohl der Bf unbescholten, in gesichertem Umfeld lebte und die auferlegten gelinderen Mittel strikt einhielt. Mit E-Mail vom 12. Juli 2010 antwortete die belangte Behörde und vertrat dabei einen Standpunkt wie in der erstatteten Gegenschrift.

 

3.5. Am späten Vormittag des 27. Juni 2010 trafen sich Frau X X, der Vater des Bf und X X, ein Freund des Bf, bei der belangten Behörde und begaben sich gemeinsam ins PAZ Linz, um den Bf zu besuchen. Es muss bereits nach 11:20 Uhr gewesen sein, als Frau X X die im Aufnahmeraum diensthabende Polizistin GI X X fragte, warum der Bf so schnell verhaftet worden sei. Diese Zeugin, die den Beschwerdevertreter per E-Mail um 11:20 Uhr über Einlieferung und Abschiebung des Bf verständigt hatte, konnte sich noch an drei Personen erinnern, die noch vor Mittag im PAZ Linz vorgesprochen hatten. In der Verhandlung konnte sie Frau X X und Herrn X X wiedererkennen. Sie wusste nicht mehr, ob auch noch ein Gespräch mit dem Bf im Besucherraum stattfand, schloss dies aber auch nicht aus. Sie schrieb die Nummer des Rechtsanwalts auf einen Zettel und wies darauf hin, dass die Abschiebung erst am Montag stattfinden werde. Der Zeuge GI X, der die Visitierung des Bf vorgenommen hatte, konnte sich an die Angehörigen des Bf nicht erinnern. Er vernahm nach der Visitierung zwar Stimmen von Besuchern, kümmerte sich aber nicht weiter darum, weil er für die unmittelbar darauf vorgesehen Überstellung des Bf nach Wien vorgesehen war und sich umziehen musste (vgl VP; Seite 11). Er konnte aber einen kurzen Besuch auch nicht ausschließen.

 

Der erkennende Verwaltungssenat folgt daher den Angaben der Zeugen X X (Schwägerin) und X X und geht davon aus, dass gleich nach der Visitierung von einem Polizeibeamten im PAZ Linz ein kurzes Gespräch mit dem Bf im Besucherraum via Telefonhörer ermöglicht worden war. Bei diesem Gespräch, das höchstens fünf Minuten dauerte, sprachen die Schwägerin und der Vater mit dem Bf. Dieser berichtete, dass er gleich nach Mittag nach Wien verlegt werde. Der Bf hatte nur Hose und T-Shirt sowie Schuhe, möglicher Weise aber keine Socken an.

 

Der Zeuge X X glaubte, ihn ohne Schuhe gesehen zu haben (VP, Seite 9). Dieser unsicheren Angabe konnte aber nicht gefolgt werden. Sie widerspricht sogar den Angaben von Frau X X, die den Bf nur ohne Socken gesehen haben will. Außerdem hatte die Zeugin GI X X, die im Aufnahmeraum vis-a-vis dem Visitierungsraum saß, den Bf in gebückter Haltung beim Anziehen der Schuhe gesehen, als ihr Kollege GI X nach der Visitierung die Türe öffnete. Ob er auch Socken an hatte, konnte sie nicht mehr sagen.

 

Der Zeuge X (VP, Seite 11) berichtete zur Visitierung, dass der Bf sein Gewand sowie Socken und Schuhe ausziehen musste, um verbotene Gegenstände am Körper oder im Gewand ausschließen zu können. Nach der vorschriftsmäßigen Visitierung konnte er sich nach wenigen Minuten wieder anziehen. Er hätte nur geschaut, ob etwas in den Socken oder Schuhen drinnen ist und danach diese Gegenstände zurückgegeben. Was hätte er sonst damit tun sollen. Das erkennende Mitglied hält diese Darstellung für lebensnah und glaubhaft. Sie ist mit den Angaben der Zeugin X X durchaus vereinbar und wird indirekt durch die Wahrnehmung der GI X (Vp, Seite 9) bestätigt. Denn sollte der Bf im Zeitpunkt des Besuches tatsächlich keine Socken angehabt haben, heißt das nicht, dass er sie nicht hatte. Vielleicht hatte er sie nur noch nicht angezogen.

 

Es kann daher entgegen der Beschwerdebehauptung nicht festgestellt werden, dass dem Bf Schuhe und Socken weggenommen worden wären. Vielmehr wurden diese Gegenstände bei der Visitierung nur untersucht und dann dem Bf wieder zurück gegeben.

 

3.6. Der Bf wurde entsprechend dem Auftrag der belangten Behörde am 27. Juni 2010 von GI X und einem weiteren Beamten mit dem Dienstwagen ins PAZ Wien in der Roßauerlände überstellt. Dort wurde er um 14:21 Uhr als Verwaltungshäftling aufgenommen und am 28. Juni 2010 um 07:30 Uhr von Beamten der Sondereinheit WEGA abgeholt und in der Folge zum Flughafen Wien/Schwechat zwecks begleiteter Abschiebung am Luftweg nach Istanbul gebracht.

 

Nach der von der belangten Behörde aus Anlass der Beschwerde eingeholten Stellungnahme des Leiters des PAZ Wien vom 16. September 2010 (vgl ON 8) sind in der für die Besuchsabwicklung zuständigen Überwachungszentrale während der Anhaltung des Bf keine Beschwerden bekannt geworden. Ein beabsichtigter Besuch sei den Dienst versehenden Beamten weder erinnerlich noch dokumentiert worden. Während des Kontaktgesprächs mit dem Abschiebeteam sei ein Besuch nicht möglich gewesen. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass bei kurzfristig Abzuschiebenden ein Besuch auch außerhalb der normalen Besuchszeiten und die Abgabe von Geld oder Gegenständen auch jederzeit möglich sei.

 

Der Bf meldete sich am 27. Juni 2010 gegen 18:00 Uhr telefonisch bei seinem Bruder X X und ersuchte noch, ihm Geld und persönliche Sachen ins PAZ Wien zu bringen. In weiterer Folge machten sich die Ehegatten X und X X und X X auf den Weg und fuhren mit dem PKW nach Wien. Gegen 20:30 Uhr trafen sie beim PAZ Wien ein und sprachen dort in der Überwachungszentrale vor (Zeugen X X und X X, VP, Seiten 7 f). Eine mitgebrachte Tasche mit persönlichen Gegenständen für den Bf wurde von den Beamten überprüft und entgegen genommen. Dem Wunsch, den Bf zu sprechen, um sich zu verabschieden, sind die diensthabenden Beamten nicht nachgekommen. Ein Polizeibeamter verwies darauf, dass keine Besuchszeit mehr sei (Zeugin X X, VP, Seite 5). Die Angehörigen fanden sich damit ab und fuhren wieder nach Hause. Sie verlangten kein Gespräch mit einem Vorgesetzen des Polizeibeamten. Sie erhoben auch nicht Beschwerde an den Leiter des PAZ Wien wegen der Verweigerung des Besuchs (Zeugin X X, VP, Seite 5).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl ua VwGH 14.12.1993, Zl. 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und VfSlg 9813/1983).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofs ist die Abschiebung, die nur der Durchsetzung einer vollstreckbaren Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes dient, als bloße Maßnahme der Vollstreckung vorangegangener Bescheide zu betrachten, die nicht selbständig als Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt bekämpfbar ist (vgl etwa VfSlg 13885/1994 und VfSlg 17.639/2005). Dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 5. März 2008, Zl. G 267/07-3, ist zu entnehmen, dass der Verfassungsgerichthof weiterhin diese Rechtsmeinung vertritt und eine verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt nur ausnahmsweise annimmt, wenn keine bloße Umsetzung rechtskräftiger Bescheide vorliegt.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Abschiebung seit dem § 36 Fremdengesetz 1992 nicht eine bloß tatsächliche Maßnahme der Vollstreckung vorangegangener Bescheide, sondern als selbständige Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen (vgl VwGH 23.9.1994, Zl. 94/02/0139; VwGH 24.2.1995, Zl. 94/02/0410; VwGH 8.9.1995, Zl. 95/02/0197; VwGH 17.11.1995, Zl. 95/02/0217). Hingegen war die Abschiebung zuvor nach dem früheren § 13 Fremdenpolizeigesetz (FrPolG) auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes noch eine bloße Vollstreckungsmaßnahme und keine anfechtbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (vgl VwGH 14.4.1993, Zlen. 93/18/0062, 93/18/0108 und 93/18/0113; VwGH 11.11.1993, Zl. 93/18/0456; VwGH 22.4.1994, Zl. 94/02/0009; VwGH 30.5.1995, Zl. 92/18/0275).

 

Nach dem Verwaltungsgerichthof ist die Abschiebung ist als Einheit aufzufassen, die auf den Endzweck gerichtet ist, den Fremden zum Verlassen des Bundesgebietes zu veranlassen, gleichgültig wo sich die Einzelelemente ereignen. Diese gehen nämlich alle auf den Willen der die Abschiebung veranlassenden Fremdenpolizeibehörde zurück. Daraus folgt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur jener unabhängige Verwaltungssenat zuständig ist, in dessen örtlichen Wirkungsbereich die Abschiebung beginnt. Dass auch im Gebiet anderer Länder auf die Abschiebung gerichteter behördlicher Zwang wirksam wird, sei für die Zuständigkeit  des unabhängigen Verwaltungssenates ohne Belang. Solange es nur um die Abschiebung selbst und nicht auch um davon losgelöste selbständige Maßnahmen geht, die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Abschiebung im Gebiet eines anderen Landes stehen, bleibe für die Zuständigkeit eines anderen unabhängigen Verwaltungssenates kein rechtlicher Raum (vgl grundlegend zum Ganzen VwGH 23.9.1994, Zl. 94/02/0139). Bereits in früheren, noch zum § 13 FrPolG ergangenen Erkenntnissen hatte der Verwaltungsgerichtshof zum Umfang der Abschiebung ausgesprochen, dass diese sowohl die Überstellung zum Flughafen, als auch die Abbeförderung per Flugzeug umfasse (vgl VwGH 11.11.1993, Zl. 93/18/0456; VwGH 22.4.1994, Zl. 94/02/0009).

 

Die Abschiebung im § 46 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 157/2005) unterscheidet sich kaum von der Vorgängerbestimmungen des § 56 Abs 1 FrG 1997 und des § 36 Abs 1 Fremdengesetz 1992. Die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist daher übertragbar. Auf Grundlage dieser Judikatur ist begrifflich von der gesondert bekämpfbaren Maßnahme der Abschiebung auszugehen. Die im gegenständlichen Fall rechtzeitig eingebrachte Maßnahmenbeschwerde ist daher zulässig.

 

Der Bf wurde im Auftrag der belangten Behörde am 27. Juni 2010 um 10:25 Uhr auf der PI X festgenommen, vorübergehend ins PAZ Linz verbracht und dann ins PAZ Wien zur Vorbereitung der Abschiebung am nächsten Tag überstellt. Die Abschiebung erfolgte dann in Begleitung von drei Beamten der WEGA auf dem Luftweg von Wien/Schwechat nach Istanbul. Die polizeiliche Anhaltung zwecks Durchführung der Abschiebung des Bf in die Türkei erfolgte unter Zwang.

 

4.2. Gemäß dem § 46 Abs 1 FPG können Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung (§§ 53, 54 und § 10 AsylG) durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung), wenn

 

1.    die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint oder

2.    sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise (§ 67, § 10 AsylG) nicht zeitgerecht nachgekommen sind oder

3.    auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen oder

4.    sie dem Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Gemäß § 67 Abs 1 FPG werden Ausweisung oder Aufenthaltsverbot mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der Fremde hat dann unverzüglich auszureisen. Für die Dauer eines Freiheitsentzuges wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung oder für die Dauer eines Durchsetzungsaufschubes ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit aufgeschoben.

 

In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass mit Zustellung des Bescheides der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 2. Juni 2010 eine rechtskräftige und vollstreckbare Ausweisung erlassen worden ist. Der Bf hatte nach Erlassung der rechtskräftigen Ausweisung am 14. Juni 2010 (Datum der Zustellung an seinen damaligen Rechtsvertreter) gemäß § 67 Abs 1 FPG "unverzüglich" auszureisen. Daran vermochte die vom Beschwerdevertreter angekündigte Einbringung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nichts zu ändern. Erst mit Zustellung eines Beschlusses über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wären die Wirkungen des Berufungsbescheides suspendiert worden. Dies ist aber tatsächlich nicht der Fall gewesen. Vielmehr hat der Verfassungsgerichtshof nachträglich mit Beschluss vom 6. Oktober 2010, Zl. B 994/10-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

 

Gleichzeitig mit dem Berufungsbescheid wurde auch das Schreiben der belangten Behörde vom 9. Juni 2010 mit Information über die Ausreiseverpflichtung und die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise samt Informationsblatt über Kontaktadressen zur Rückkehrberatung zugestellt. Weder der Bf noch sein damaliger Rechtvertreter haben darauf reagiert. Die belangte Behörde hat dann zur Sicherung der Abschiebung noch den Bescheid über ein gelinderes Mittel (tägliche Meldepflicht) vom 18. Juni 2010 per Telefax am gleichen Tag dem früheren Rechtsvertreter des Bf zugestellt. Der Bf meldete sich in der Folge auch bei der PI X und es wurde ihm am 19. Juni 2010 der Reisepass gemäß § 38 Abs 1 FPG abgenommen. Er teilte der belangten Behörde noch immer nicht seine angebliche – allerdings nur nachträglich behauptete - Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr mit, obwohl er auf Grund der gegebenen Umstände nunmehr dringend damit rechnen musste, alsbald abgeschoben zu werden.

 

Für die belangte Behörde stellte sich die Situation so dar, dass der Bf offenbar nicht zur freiwilligen Ausreise bereit war, zumal er tatsächlich keinerlei Anstalten machte, freiwillig auszureisen. Bereits mit Schreiben vom 30. September 2009 hatte die belangte Behörde den Bf auf das rechtskräftig negativ abgeschlossene Asylverfahren und seinen unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich seit 15. September 2009 hingewiesen. Es wurde ihm Parteiengehör zur beabsichtigten Ausweisung eingeräumt. Sein damaliger Rechtsvertreter brachte daraufhin eine Stellungnahme vom 9. Oktober 2009 ein, in der er auf seine vollständige Integration in Österreich und auf einen unter einem gestellten Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung hinwies. Auch vor diesem Hintergrund durfte die belangte Behörde annehmen, dass der Bf, der von seinem illegalen Aufenthalt seit rund neun Monaten wissen musste, seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nur nicht "zeitgerecht", sondern wahrscheinlich überhaupt nicht nachkommen wollte. Sie hat daher mit Recht ab dem 23. Juni 2010 die Abschiebung organisiert.

 

Die Pflicht nach § 67 Abs 4 FPG zur ehestmöglichen Verständigung über den festgelegten Abschiebetermin besteht nur in Bezug auf Fremde, gegen die eine durchsetzbare Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 erlassen wurde. Da dies gegenständlich nicht der Fall war, eine Ausweisung vielmehr erst im fremdenpolizeilichen Verwaltungsverfahren erging, hätte die belangte Behörde den Rechtsvertreter des Bf überhaupt nicht verständigen müssen. Das Beschwerdevorbringen geht daher ins Leere.

 

4.3. Der schriftliche Antrag des Bf "auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 (3) NAG" vom 9. Oktober 2009 wurde der Berufung gegen die Ausweisung beigelegt. Laut Fremdeninformationsdatei wurde dieser Antrag am 14. Oktober 2009 beim Magistrat Linz erfasst.

 

Anträge gemäß § 44 Abs 3 NAG (vgl "Niederlassungsbewilligung – beschränkt" seit BGBl I Nr. 29/2009: Inkrafttreten mit 1.04.2009) sind im Grunde der Verfahrensbestimmung des § 44b Abs 1 Z 1 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn – wie im gegenständlichen Fall - gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde. Solche Anträge begründen außerdem gemäß § 44b Abs 3 Satz 1 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Sie stehen nach dem 2. Satz des § 44b Abs 3 NAG (idF BGBl I Nr. 122/2009 seit 01.01.2010) der Erlassung fremdenpolizeilicher Maßnahmen nicht entgegen und können daher im fremdenpolizeilichen Verfahren keine aufschiebende Wirkung entfalten.

 

Für den Fall. dass der Antrag auf "humanitäre Niederlassungsbewilligung" auch als Antrag nach § 44 Abs 4 NAG (arg.: "in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen") aufgefasst werden könnte, gilt nunmehr die Sondervorschrift des § 44 Abs 5 NAG. Denn nach der Übergangsbestimmung des § 81 Abs 15 NAG sind alle am 1. Jänner 2010 anhängigen Verfahren gemäß § 44 Abs 4 NAG nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl I Nr. 122/2009 zu Ende zu führen.

 

Gemäß der Sondervorschrift des § 44 Abs 5 NAG idF BGBl I Nr. 122/2009 begründen Anträge gemäß § 44 Abs 4 leg.cit. ebenfalls kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

 

1.    ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs 4 eingeleitet wurde und

 

2.    die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung – beschränkt" gemäß Abs 4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs 4 Z 1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.

 

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z 2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde (vgl § 3 NAG) einzuholen.

 

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde dem Bf bereits mit Schreiben vom 30. September 2009 Parteiengehör zur beabsichtigten Ausweisung gewährt und damit jedenfalls das fremdenpolizeiliche Ausweisungsverfahren eingeleitet. Erst danach wurde der Antrag auf "humanitäre Niederlassungsbewilligung" des Bf beim Magistrat Linz gestellt. Somit ist das Ausweisungsverfahren gegen den Bf in erster Instanz bereits anhängig gewesen und schon die Ziffer 1 nicht erfüllt. Es erübrigen sich damit weitere Ausführungen. Nach der neuen Rechtslage kommt einem Fremden nur unter den – hier nicht erfüllten – Bedingungen des § 44 Abs 5 NAG ausnahmsweise eine Abschiebeschutz zu (vgl Beschluss des VwGH vom 01.03.2010, Zl. AW 2010/21/0032). Im Ergebnis ist daher die Beschwerdeansicht, dass die belangte Behörde mit der Abschiebung hätte zuwarten müssen, unbegründet.

 

4.4. Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.

 

4.4.1. Dieses Grundrecht schützt die physische und psychische Integrität von Menschen. Eingriffe durch Amtshandlungen setzen nach der Rechtsprechung ein Mindestmaß an Schwere der Handlung voraus, wobei die Arten des Grundrechtseingriffs nach der Intensität in Folter, unmenschliche Behandlung und erniedrigende Behandlung abgestuft werden (vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 1394 ). In der Judikatur werden Amtshandlungen nach dem Verhältnismäßigkeitgrundsatz beurteilt und eine Rechtsverletzung angenommen, wenn eine Maßnahmen auf Grund des Gesamtbildes des behördlichen Einschreitens nach den konkreten Umständen als unangemessen anzusehen ist. Eine Misshandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen (näher Mayer, B-VG3 Art 3 MRK I.2 m Nachw zur EGMR-Judikatur).

 

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichthofs verletzen physische Zwangsmaßnamen den Art 3 EMRK, wenn qualifizierend eine gröbliche Missachtung des Betroffenen als Person hinzutritt (vgl zahlreiche Nachweise bei Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 1394 und bei Mayer, B-VG3 Art 3 MRK II.1. bis 3.). Eine den Rechtsgrundsätzen des Waffengebrauchsgesetzes entsprechende verhältnismäßige und maßhaltende Zwangsausübung verstößt nicht gegen den Art 3 EMRK (vgl ua VfSlg 9298/1981, 10250/1984, 10.321/1985, 10427/1985, 11.809/1988, 12.271/1990).

 

4.4.2. In der vorliegenden Beschwerde wird als Verletzung des Art 3 EMRK zunächst das Wegnehmen von Schuhe und Socken in einem demütigenden Akt im PAZ Linz. behauptet. Dazu ist auf die Feststellungen im Punkt 3.5. hinzuweisen, wonach das Beweisverfahren eine solche Wegnahme nicht ergeben hat. Der Bf wurde vielmehr als Häftling im PAZ Linz vis-a-vis des Aufnahmeraumes in einem eigenen Raum in üblicher Weise von GI X nach den Dienstvorschriften visitiert. Er musste sich dabei ausziehen, um verborgene Gegenstände an ihm ausschließen zu können. Dabei untersuchte der Beamte auch Socken und Schuhe des Bf, gab sie ihm aber danach wieder zurück und er konnte sich normal ankleiden. Der erkennende Verwaltungssenat kann in dieser Visitierung durch den Beamten in einem separaten Raum keine demütigende Behandlung des Bf erkennen.

 

Auch der Beschwerdevorwurf der "Isolation" des Bf und der Unterbindung von Kontakten mit seinen Angehörigen ist nicht berechtigt. Im PAZ Linz ermöglichte ein Polizeibeamter nach der Darstellung der in der Beschwerde geführten Zeugen nach der Visitierung des Bf am späten Vormittag des 27. Juni 2010 einen kurzen Besuch in der Dauer von etwa 5 Minuten, damit sich die Angehörigen verabschieden konnten. Kurze Zeit später (Abfahrt um die Mittagszeit) wurde der Bf mit einem Dienstwagen ins PAZ Wien in der Roßauer Lände überstellt.

 

Vom PAZ Wien konnte er sich dann telefonisch gegen 18:00 Uhr bei seinem Bruder X X melden, um den Bruder um Geld und persönliche Sachen zu ersuchen. Der Bruder, die Schwägerin und X X fuhren mit dem PKW zum PAZ Wien, wo sie gegen 20:30 Uhr eintrafen und in der Überwachungszentrale eine mitgebrachte Tasche mit persönlichen Gegenständen für den Bf abgeben konnten. Den Besuchswunsch verweigerten die diensthabenden Beamten unter Hinweis darauf, dass keine Besuchszeit mehr sei.

 

Nach der Stellungnahme des Leiters des PAZ Wien vom 16. September 2009 wäre bei einem Häftling, wo zwischen Einlieferung und Abschiebung eine so kurzer Zeitraum wie beim Bf liegt, ein Besuch außerhalb der normalen Besuchszeiten möglich gewesen. Dies wurde von den diensthabenden Beamten nicht so gehandhabt. Dennoch kann der erkennende Verwaltungssenat nicht finden, dass die Verweigerung eines Besuchs zu später Stunde bereits als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art 3 EMRK gewertet werden könnte, zumal deshalb auch von einer Isolation noch keine Rede sein kann. Außerdem sprechen auch die weiteren Umstände dagegen.

 

Gemäß § 23 Anhalteordnung – AnhO (BGBl II Nr. 439/2005) besteht ein Beschwerderecht an den Kommandanten des polizeilichen Anhaltezentrums. Dieses wurde im gegenständlichen Fall nicht wahrgenommen. Die Angehörigen des Bf fanden sich mit der Verweigerung ab und fuhren nach Hause, ohne ein Gespräch mit einem Vorgesetzen des diensthabenden Polizeibeamten zu verlangen. Auch ist im gegenständlichen Verfahren eine Beschwerde durch den Bf an den Leiter des PAZ Wien wegen der Verweigerung des Besuchs nicht bekannt geworden. Nach der Stellungnahme des PAZ Wien sind keinerlei Vorfälle oder Beschwerden bekannt geworden. Bei dieser Sachlage ist wohl anzunehmen, dass der besondere Besuchswunsch nicht mit dem erforderlichen Nachdruck verfolgt wurde. Ein unverhältnismäßiges Verhalten von Exekutivbeamten kann nach den vorliegenden Beweisergebnissen nicht festgestellt werden.

 

Schließlich geht auch die Beschwerdeansicht fehl, dass schon allein die begleitete Abschiebung durch drei Polizeibeamte eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen würde. Wie schon unter Punkt 4.2. erörtert, konnte die belangte Behörde ex ante davon ausgehen, dass der mit seiner guten Integration argumentierende Bf Österreich nicht freiwillig verlassen hätte. Die Einschätzung der belangten Behörde, dass vom Bf auch Widerstand gegen die Abschiebung zu erwarten war, mag sich nachträglich als übertrieben darstellen, weil alles ohne besondere Vorkommnisse ablief. Allerdings könnte gerade die Anwesenheit von drei geschulten Beamten bei der Abschiebung dafür maßgeblich gewesen sein. Wie auch immer, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung kann allein aus der Begleitung, ohne dass tatsächlich ein besonderer Zwang ausgeübt wurde, nicht abgeleitet werden. Hier fehlt es schon an einer für einen Grundrechtseingriff erforderlichen Mindestintensität des polizeilichen Verhaltens. Eine andere, im gegenständlichen Verfahren nicht zu lösende Frage ist es, ob die Kosten der Begleitung zur Gänze überwälzt werden können. Gegen die Kostenvorschreibung ist ohnehin ein Berufungsverfahren bei der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich anhängig (vgl Beschwerdevertreter, VP, Seite 13).

 

4.5. Mit dem Argument eines schwerwiegenden Eingriffs in das Privat- und Familienlebens des Bf durch die Abschiebung verkennt die Beschwerde, dass die belangte Behörde mit der Abschiebung nur eine im Instanzenzug ergangene rechtskräftige und vollstreckbare Ausweisung durchgesetzt hat. Im Ausweisungsverfahren waren die Kriterien gemäß § 66 Abs 2 FPG bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK als notwendige Voraussetzung zu berücksichtigen. Die Sicherheitsdirektion hatte die Frage der Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit des Eingriffs in die Rechtsposition nach Art 8 EMRK letztlich unter Hinweis auf den unsicheren Aufenthaltsstatus des Bf, dessen Asylantrag in erster Instanz bereits am 26. April 2002 negativ erledigt worden war, bejaht. Nach Rechtskraft dieser Ausweisungsentscheidung und mangels Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof war diese schon verbindlich entschiedene Frage nicht mehr aufzuwerfen.

 

Für die Zulässigkeit der Abschiebung kommt es allein auf die Voraussetzungen nach der Regelung des § 46 FPG und darauf an, dass kein Durchsetzungsaufschub (§§ 67 Abs 1, 68 FPG) oder ein Verbot der Abschiebung nach §§ 50 f FPG oder nunmehr auch nach § 44 Abs 5 NAG entgegensteht. Diese entgegenstehenden Gründe lagen nach der Aktenlage allerdings unbestritten nicht vor.

 

Im Ergebnis war daher die Beschwerde in allen Punkten als unbegründet abzuweisen.

 

5.1. Gemäß § 79a Abs 1 AVG 1991 hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs 3 AVG).

 

Nach § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) betragen die Pauschbeträge für die belangte Behörde als obsiegende Partei für den Vorlageaufwand 57,40 Euro (§ 1 Z 3), für den Schriftsatzaufwand 368,80 Euro (§ 1 Z 4) und für den Verhandlungsaufwand 461 Euro (§ 1 Z 5).

 

Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz auf Antrag der Partei zu leisten. Einen solchen Antrag hat die belangte Behörde in der Gegenschrift gestellt.

 

Gemäß § 79a Abs 7 AVG gelten die §§ 52 bis 54 VwGG auch für den Aufwandersatz nach § 79a AVG im Maßnahmenbeschwerdeverfahren.

 

5.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem Zweck der behördlichen Akte trennbare Anfechtungsgegenstände zu unterscheiden, hinsichtlich derer jeweils eine gesonderte Kostenentscheidung zu ergehen hat (vgl dazu etwa VwGH 22.10.1999, 98/02/0142, 0143; VwGH 28.2.1997, 96/02/0481; VwGH 17.12.1996, 94/01/0714; VwGH 6.5.1992, 91/01/0200).

 

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sind zumindest zwei separat in Beschwerde gezogene und damit unterschiedliche Verwaltungsakte zu unterscheiden. Hinsichtlich der auf Grund der Ausweisung erfolgten Festnahme und Anhaltung des Bf mit Abschiebung ist nach dem Verwaltungsgerichthof von einer einheitlich anfechtbaren Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auszugehen (näher oben Punkt 4.1.). Die Beschwerde wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung des Bf im Zuge der Anhaltung betrifft polizeiliche Maßnahmen zu bestimmten Zeitpunkten der Anhaltung (Visitierung im PAZ Linz, Besuchsverweigerung im PAZ Wien). Dabei geht es um ein zusätzlich bekämpfbares Polizeiverhalten mit gesondertem Rechtsschutzziel iSd Art 3 EMRK. Die Verwaltungsakte können getrennt voneinander bekämpft werden und lösen daher separate Kostenfolgen aus. Es sind daher grundsätzlich zwei gesonderte Kostenentscheidungen bezüglich der beiden Verwaltungsakte nach den Ansätzen und Pauschalbeträgen der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 zu treffen (vgl zu Amtshandlungen mit selbständigen Akten etwa VwGH 22.03.2000, Zl. 97/02/0745 und VwGH 17.12.1996, 94/01/0714).

 

Nach § 52 Abs 1 VwGG ist im Fall der Anfechtung mehrerer Verwaltungsakte durch einen oder mehrere Beschwerdeführer in einer Beschwerde die Frage des Anspruchs auf Aufwandersatz so zu beurteilen, wie wenn jeder der Verwaltungsakte in einer gesonderten Beschwerde angefochten worden wäre.

 

Wurde über eine Beschwerde nur eine einheitliche Verhandlung durchgeführt, dann gebührt nur der einfache Verhandlungsaufwand, ohne dass es auf die Zahl der bekämpften Verwaltungsakte ankäme (vgl VwGH 22.4.1998, Zl. 98/01/0630; VwGH 22.03.2000, Zl. 97/01/0745).

 

Im vorliegenden Fall wurde eine einheitliche Verhandlung über die bekämpften Verwaltungsakte durchgeführt. Diese verursachten der obsiegenden belangte Behörde in Bezug auf den Beschwerdepunkt "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" einen zusätzlichen Vorlage- und Schriftsatzaufwand. In den trennbaren Beschwerdepunkten wegen Anhaltung und Abschiebung sowie wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ist der obsiegenden belangten Behörde daher ein zweifacher Vorlage- und Schriftsatzaufwand und ein einfacher Verhandlungsaufwand entstanden.

 

Dem Rechtsträger Bund, für den die belangten Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig geworden ist, war daher der Ersatz dieses Aufwandes zuzusprechen, und zwar für Aktenvorlageaufwand (2 x 57,40 = 114,80), Schriftsatzaufwand (2 x 368,80 = 737,60) und Verhandlungsaufwand (461,00), insgesamt daher der Betrag von 1.313,40 Euro.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 Blg NR 19. GP, 14 f).

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundesstempelgebühren für die Beschwerde von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Dr. W e i ß

 

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