Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231166/8/Fi/Fl/Ga

Linz, 14.02.2011

 

 

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Präsident Mag. Dr. Johannes Fischer über die Berufung der X vertreten durch X, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion der Landeshauptstadt Linz vom 21. Oktober 2010, GZ S-19.188/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24. Jänner 2011 mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

I.               Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren eingestellt.

II.           Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs. 1 Z 1 und § 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG;

zu II: § 66 VStG.


Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion der Landeshauptstadt Linz (im Folgenden: belangte Behörde) vom 21. Oktober 2010, GZ S-19.188/10-2, wurde über die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage) wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 iVm § 31 Abs. 1 Z 2-4 und Z 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG 2005) verhängt.

Der Bw wird vorgeworfen, wie von Polizeibeamten des SPK St. Pölten am 24. März 2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt worden sei, Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG 2005 zu sein, und sich seit 8. Jänner 2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufzuhalten. Dies deshalb, weil die Bw weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sei, kein vom Vertragsstaat ausgestellter Aufenthaltstitel gegeben sei, bzw. der Bw eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukomme. Ebenfalls habe sie keine Beschäftigungsbewil­ligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbe­schäftigungs­gesetz inne.

Begründend führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Tat durch die eigene dienstliche Wahrnehmung von Beamten des SPK St. Pölten und der hierüber vorgelegten Anzeige vom 24. März 2010 sowie aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei erwiesen sei. Hiebei wird u.a. erklärt, dass mit Bescheid der Erstaufnahmestelle Ost vom 7. Jänner 2010 gegen die Bw eine Ausweisung wegen unrechtmäßigem Aufenthalt angeordnet worden sei. Es sei nicht Gegenstand eines Verwaltungsstrafverfahrens, eventuelle Gründe für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses zu prüfen. Dies erfolge im Rahmen eines fremdenpolizeilichen oder asylrechtlichen Verfahrens.

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der Bw am 25. Oktober 2010 zugestellt wurde, richtet sich die am 8. November 2010 per Telefax der belangten Behörde übermittelte – und damit rechtzeitige – Berufung vom selben Tag, die dem Unabhängigen Verwaltungssenat von der belangten Behörde mit Schreiben vom 12. November 2010 unter Anschluss des vollständigen Verwaltungsaktes zur Entscheidung vorgelegt wurde.

Begründend führt die Bw im Wesentlichen aus, dass sie am 29. Dezember 2009 Asyl beantragt habe und ihr daher auch nach dem 8. Jänner 2010 faktischer Abschiebeschutz zugekommen sei. Das Bundesasylamt Erstaufnahmestelle Ost habe dem Vertreter der Bw am 3. Februar 2010 den ihr Asylbegehren wegen entschiedener Sache zurückweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Februar 2010 zugestellt, mit dem auch die Ausweisung der Bw aus Österreich gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) verfügt worden sei. Gegen diesen Bescheid habe die Bw Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben, die mit Erkenntnis vom 22. April 2010 abgewiesen worden sei. Insofern habe die Bw am 8. Jänner 2010 und danach faktischen Abschiebeschutz genossen, weshalb ihr Aufenthalt rechtmäßig "oder jedenfalls aufgrund des faktischen Abschiebeschutzes geduldet" gewesen sei. Infolge des unrichtig bezeichneten Beginns des Strafzeitraums leide das Straferkenntnis an einem nicht behebbaren Mangel im Sinne des § 44a VStG.

Ferner könne die Bw mangels Dokumente und Einreiseberechtigung in ein anderes Land Österreich nicht verlassen, weshalb der Bw wegen Unmöglichkeit der Abschiebung eine Duldung zukomme. Demnach hätte die Bw nicht bestraft werden dürfen.

Darüber hinaus habe die Behörde ihren Bescheid auf ein verfassungswidriges Gesetz gestützt. § 120 FPG 2005 verstoße gegen den Gleichheitssatz, zumal zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der als primäre Rechtsfolge vorgesehenen Geldstrafe ein exzessives Missverhältnis gegeben sei.

Die Bw stelle daher den Antrag, das gegen sie geführte Verwaltungsstrafverfahren einzustellen; in eventu auf Herabsetzung der Strafe.

1.3. Mit Schreiben vom 30. November 2010 wurde die Bw – zumal diese in ihrer Berufung vorbrachte, am 29. Dezember 2009 einen weiteren Asylantrag gestellt zu haben – aufgefordert, eine Kopie des Bescheids des Bundesasylamtes Erstaufnahmestelle Ost vom 1. Februar 2010, eine Kopie des Erkenntnisses des Asylgerichtshofs vom 22. April 2010 sowie eine Kopie des Bescheids des Bundesasylamtes Erstaufnahmestelle Ost vom 7. Jänner 2010 vorzulegen.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2010 legte die Bw eine Kopie des Bescheids des Bundesasylamtes Erstaufnahmestelle Ost vom 1. Februar 2010 sowie des Erkenntnisses des Asylgerichtshofs vom 22. April 2010 vor. Die Bw wies jedoch daraufhin, dass ihr ein Bescheid des Bundesasylamtes Erstaufnahmestelle Ost vom 7. Jänner 2010 nicht bekannt sei, weshalb dieser auch nicht vorgelegt werden könne.

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Erstbehörde (einschließlich der Schriftsätze der Parteien) sowie durch Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24. Jänner 2011. Die ordnungsgemäß geladene Bw sowie ihr Vertreter sind der öffentlichen mündlichen Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben.

2.2. Aus dem vorliegenden Akt (einschließlich der Schriftsätze der Parteien) sowie aus der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24. Jänner 2011 ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat folgender Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde liegt:

Die Bw ist X Staatsbürgerin. Am 22. April 2008 stellte die Bw in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß AsylG 2005. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Oktober 2008 wurde der Bw weder der Status der Asylberechtigung noch der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat X zuerkannt sowie die Ausweisung der Bw nach Nigeria verfügt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. November 2008 abgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 30. Jänner 2009 ab.

Am 29. Dezember 2009 stellte die Bw einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom
1. Februar 2010, zugestellt am 3. Februar 2010, wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Ferner wurde darin die Ausweisung der Bw aus Österreich nach Nigeria angeordnet. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 22. April 2010, zugestellt am 27. April 2010, abgewiesen.

Die Bw verfügt über kein gültiges Reisedokument. Die X Behörden wurden um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für die Bw ersucht. Diesem Ersuchen sowie einer weiteren Urgenz vom 30. September 2010 wurde bislang nicht nachgekommen.

2.3. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich durch Einsichtnahme in den Akt der Erstbehörde (einschließlich der Schriftsätze der Parteien) sowie aufgrund der am 24. Jänner 2011 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung. Im Zuge dieser öffentlichen mündlichen Verhandlung erklärte der Vertreter der belangten Behörde, dass dessen Erhebungen ergeben haben, dass die nigerianischen Behörden um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für die Bw ersucht wurden. Dieses Ersuchen ist erfolglos geblieben, weshalb am 30. September 2010 bei den X Behörden ein weiteres Ersuchen gestellt wurde. Gründe, dass eine Ausweisung aus von der Bw vertretbaren Gründen nicht möglich sei, sind ihm nicht bekannt. Die Angaben der Bw betreffend ihren neuen (zweiten) Asylantrag sind korrekt.

3. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 51c VStG hat der Unabhängige Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden.

3.2.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG 2005, BGBl. I 100 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung BGBl. I 135/2009, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1.000 bis 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

3.3.2. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltsorts, bei Betretungen in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmens möglich ist.

3.3.3. Gemäß § 31 Abs. 1 FPG 2005 halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

3.3.4. Gemäß § 120 Abs. 5 Z 2 FPG 2005 liegt eine Verwaltungsübertretung nach Abs. 1 Z 2 leg.cit. nicht vor, solange der Fremde geduldet ist (§ 46a FPG 2005).

Gemäß § 46a FPG 2005 ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§ 50 und 51

2. §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist oder

3. aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich scheint,

es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt.

3.3.5. § 2 Abs. 4 Z 1 FPG 2005 definiert Fremde als Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen.

3.4.1. Im vorliegenden Fall wurde die Bw im Zug von Salzburg nach Wien anlässlich einer fremdenpolizeilichen Kontrolle angetroffen. Die diensthabenden Beamten verließen das öffentliche Beförderungsmittel mit der Bw an der nächstgelegenen Ausstiegsstelle Linz-Hauptbahnhof, weshalb der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung berufen ist.

3.4.2. Unbestritten ist zunächst, dass die Bw nicht österreichische Staatsangehörige und somit Fremde im Sinne des FPG 2005 ist.

Weiters hat das vom Unabhängigen Verwaltungssenat geführte Ermittlungsverfahren ergeben, dass die Bw zum einen über kein Reisedokument verfügt und zum anderen die Bemühungen der zuständigen Behörde, ein Heimreisezertifikat durch den Heimatstaat der Bw zu erlangen, fruchtlos geblieben sind. Dass das Scheitern dieser Bemühungen auf von der Bw zu vertretende Gründe zurückzuführen ist, konnte nicht bewiesen werden. Im Ergebnis kann damit die Bw jedoch weder in ihren Heimatstaat Nigeria abgeschoben werden, noch rechtmäßig in irgend einen anderen Staat einreisen. Insofern liegt hier – entsprechend dem Grundsatz in dubio pro reo – eine Konstellation des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG 2005 vor, zumal die Abschiebung der Bw – aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen – tatsächlich undurchführbar ist und kein Sachverhalt des letzten Halbsatzes dieser Bestimmung erkannt wird.

Demnach ist davon auszugehen, dass die Bw im Tatzeitraum – unabhängig von der Frage der Abgrenzung des vorgeworfenen Tatzeitraums angesichts ihres neuen (zweiten) Asylantrags – jedenfalls als im Bundesgebiet geduldet anzusehen ist. Damit kommt aber § 120 Abs. 5 Z 2 FPG 2005 zum Tragen, der folglich das Vorliegen schon der objektiven Tatseite verneint.

3.5. Aus diesen Gründen war daher der gegenständlichen Berufung gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bw gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Johannes Fischer

 

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