Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-130751/7/Gf/Mu

Linz, 28.03.2011

 

 

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Berufung des x gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 8. Februar 2011, Zl. 933/10-909716, wegen einer Übertretung des Oö. Parkgebührengesetzes nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 23. März 2011 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG; § 66 Abs. 1 VStG.

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 8. Februar 2010, Zl. 933/10-909716, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von 40 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 36 Stunden; Verfahrenskostenbeitrag: 4 Euro) verhängt, weil er sein mehrspuriges KFZ am 9. August 2010 von 9.48 Uhr bis 10.16 Uhr in Linz vor dem Haus Fabrikstr. 26 – und damit in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone – ohne gültigen Parkschein abgestellt gehabt habe. Dadurch habe er eine Übertretung des § 2 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 lit. a des Oö. Park­gebührengeset­zes, LGBl.Nr. 28/1988, zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 84/2009 (im Folgenden: OöParkGebG), i.V.m. den §§ 1, 2, 3, 5 und 6 der Parkgebührenverordnung der Stadt Linz (im Folgenden: KPZV-Linz) begangen, weshalb er gemäß § 6 Abs. 1 lit. a OöParkGebG zu bestrafen gewesen sei.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die dem Rechtsmittelwerber ange­lastete Übertretung aufgrund entsprechender Wahrnehmungen eines zeugenschaftlich einvernommenen Aufsichtsorganes sowie im Wege des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens als erwiesen anzusehen sei. Außerdem habe der Berufungswerber im Zuge einer Lenkererhebung bekannt gegeben, dass er das verfahrensgegenständliche KFZ zum Tatzeitpunkt selbst gelenkt bzw. in der Folge abgestellt habe. Zuletzt habe er die ihm angelastete Tat zu keinem Zeitpunkt inhaltlich bestritten, sondern in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 18. Oktober 2010, Zl. 933/10-909716, nur pauschal und ohne nähere Angabe von Gründen die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

Im Zuge der Strafbemessung seien eine einschlägige Vormerkung als besonderer Erschwerungsgrund zu werten und seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

1.2. Gegen dieses ihm am 12. Februar 2011 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 25. Februar 2011 – und damit rechtzeitig – per e-mail  eingebrachte Berufung, in der zur Sache neuerlich nicht Stellung genommen, sondern lediglich die Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers beantragt wird.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Magistrates der Stadt Linz zu Zl. 933/10-909716 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 23. März 2011, zu der als Parteien der Beschwerdeführer und x als Vertreterin der belangten Behörde sowie die Zeugin x (Aufsichtsorgan der G4S Security Services AG) erschienen sind.

2.1.1. Im Rahmen dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Am 9. August 2010 war das mehrspurige KFZ mit dem polizeilichen Kennzeichen X, ein PKW der Marke "Mercedes" mit hell(grau- bzw. –blau)em Farbton, von 9.48 Uhr bis 10.16 Uhr ohne einen für diesen Zeitraum gültigen Parkschein in Linz vor dem Haus Fabrikstraße Nr. 26 abgestellt. Wer diesen PKW dort abgestellt hat, konnte vom Aufsichtsorgan nicht unmittelbar wahrgenommen werden, da sich während dieses Zeitraumes niemand im oder beim Fahrzeug befand und sich das Aufsichtsorgan nach dem Ende der Amtshandlung vom Vor­falls­ort entfernt hat, noch bevor der präsumtive Lenker wieder zum KFZ zurückgekehrt ist.

Laut Anfrage bei der von der Kraftfahrzeugbehörde geführten amtlichen Zulassungsevidenz (vgl. die "Organmandat-Auskunft" des Magistrates der Stadt Linz vom 25. Oktober 2010, ONr. 1 des Aktes der belangten Behörde) war dieses Fahrzeug zum damaligen Zeitpunkt auf den Beschwerdeführer zugelassen.

Die am Abstellort hinter dem Scheibenwischer des KFZ zurückgelassene Organstrafverfügung wurde nicht einbezahlt; gegen die in der Folge gegen ihn als Zulassungsbesitzer ergangene Strafverfügung des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 18. Oktober 2010, Zl. 933-10/Brand-0909716, hat der Rechtsmittelwerber rechtzeitig einen (nicht näher begründeten) Einspruch erhoben.

Mit Schreiben des Magistrates der Stadt Linz vom 2. November 2011, Zl. 933-10-909716, wurde der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Zulassungsbesitzer gemäß § 2 Abs. 2 OöParkGebG dazu aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen den Namen, das Geburtsdatum und die Anschrift jener Person bekannt zu geben, die das verfahrensgegenständliche KFZ zuletzt vor dem Tatzeitpunkt gelenkt und in der Folge am Tatort abgestellt hat; gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass er "sich strafbar mach(t)", wenn er "die verlangte Auskunft nicht, unrichtig, unvollständig oder nicht innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens erteil(t)".

Am 14. November 2010 hat der Rechtsmittelwerber per e-mail mitgeteilt, dass er selbst den besagten PKW zum Tatzeitpunkt gelenkt habe.

In der Folge hat die belangte Behörde am 22. Dezember 2010 das Aufsichtsorgan zeugenschaftlich einvernommen und – nachdem der Rechtsmittelwerber die ihm zur Abgabe einer Stellungnahme zu diesem Beweisergebnis eingeräumte Frist ungenutzt verstreichen ließ – am 8. Februar 2011 ein Straferkenntnis erlassen, gegen das sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Berufung richtet.

In der Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat hat der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Gewährung eines Verfahrenshilfeverteidigers zurückgezogen und begehrt, seine im erstbehördlichen Verfahren erteilte Lenkerauskunft nicht als Beweismittel zuzulassen. Dies der Sache nach deshalb, weil er sich damals nur aus dem Grund selbst als Lenker bezeichnet habe, um nicht wegen einer diesbezüglichen Falschauskunft bestraft zu werden. Aufgrund der Garantie des Art. 6 Abs. 1 EMRK könne er nämlich nicht dazu gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Objektiv besehen lägen somit keinerlei Anhaltspunkte für seine Lenkereigenschaft vor. 

2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die glaubwürdigen und – von der Frage der Zulassungsbesitzer- und Lenkereigenschaft des Rechtsmittelwerbers zum Tatzeitpunkt abgesehen – inhaltlich übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers, der Vertreterin der belangten Behörde und der in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Zeugin sowie auf den Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Aktes, der zu diesen auch nicht im Widerspruch steht. Unter einem wird das Verhandlungsprotokoll zum integrierenden Bestandteil dieser Entscheidung erklärt.

2.2. Da mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, hatte der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 51c VStG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 6 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 2 Abs. 1 OöParkGebG begeht u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist hierfür mit einer Geldstrafe bis zu 220 Euro zu bestrafen, der als Lenker eines mehrspurigen KFZ durch Handlungen oder Unterlassungen die Parkgebühr hinterzieht.

3.2. Im gegenständlichen Fall ist allseits unstrittig, dass das mehrspurige KFZ mit dem polizeilichen Kennzeichen X am 9. August 2010 von 9.48 Uhr bis 10.16 Uhr ohne einen für diesen Zeitraum gültigen Parkschein in Linz vor dem Haus Fabrikstraße Nr. 26 abgestellt war.

Dass der Beschwerdeführer damals auch Zulassungsbesitzer dieses Fahrzeuges war, ergibt sich aus der amtlichen Zulassungsevidenz und konnte vom Rechtsmittelwerber im Ergebnis während des Strafverfahrens auch nicht substantiell in Abrede gestellt werden. Denn dafür, dass in dem Fall, dass es sich bei jenem KFZ nicht um einen goldenen Mercedes mit Stufenheck, sondern um einen hell(grau-bzw. –blau)en Kombi-Mercedes – wofür die schriftlichen Aufzeichnungen der in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Zeugin ("Mercedes hellgrau") sprechen – handelte, der damals entgegen den Aufzeichnungen der amtlichen Zulassungsevidenz tatsächlich nicht auf ihn, sondern vielmehr auf seine Lebensgefährtin zugelassen gewesen sein soll, handelte, konnte er keinerlei Nachweise vorlegen, sodass dieses Vorbringen als eine bloße Schutzbehauptung und damit insgesamt als unglaubwürdig zu qualifizieren ist. 

Keinem Zweifel unterliegt schließlich auch, dass der Abstellort des verfahrensgegenständlichen KFZ ("Fabrikstraße vor 26") innerhalb eines durch § 1 Abs. 1 lit. a KPZV-Linz zu einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone erklärten Gebietes liegt.

3.3. Gegensätzliche Standpunkte vertreten die Verfahrensparteien hingegen in Bezug auf die entscheidungserhebliche Frage, ob der Beschwerdeführer tatsächlich den PKW (unmittelbar zuvor gelenkt und diesen dann) selbst am Vorfallsort abgestellt hat, ob also die im angefochtenen Straferkenntnis angelastete Tathandlung seiner Person als unmittelbarem Täter zuzurechnen ist.

3.3.1. Da sich niemand im oder beim Fahrzeug befand und sich das Aufsichtsorgan nach dem Ende der Amtshandlung vom Vorfallsort entfernt hat, noch bevor der präsumtive Lenker wieder zum KFZ zurückgekehrt ist, konnte vom Aufsichtsorgan sohin auch weder wahrgenommen noch sonst eine Auskunft darüber eingeholt werden, welche Person diesen PKW dort abgestellt hat.

3.3.2. Als ein Indiz für die unmittelbare Täterschaft des Rechtsmittelwerbers könnte allerdings angesehen werden, dass er im Zuge der Beantwortung der mit Schreiben des Magistrates der Stadt Linz vom 2. November 2010, Zl. 933-10-909716, an ihn als Zulassungsbesitzer gerichteten, auf § 2 Abs. 2 OöParkGebG gestützten Aufforderung um Bekanntgabe des Namens, des Geburtsdatums und die Anschrift jener Person, die das verfahrensgegenständliche KFZ zuletzt vor dem Tatzeitpunkt gelenkt und in der Folge am Tatort abgestellt hat, mit e‑mail vom 14. November 2010 dezidiert Folgendes geäußert hat:

"Zu Ihrem geforderten Auskunftsbegehren teile ich mit, dass ich den besagten PKW zum Zeitpunkt gelenkt habe."

3.3.2.1. Unterstellt man dieses sein eigenes Vorbringen als zutreffend, hätte er damit den Tatbestand des § 6 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 2 Abs. 1 OöParkGebG und i.V.m. § 1 Abs. 1 lit. a KPZV-Linz erfüllt.

Sein tatbestandsmäßiges Handeln wäre auch insofern zumindest als fahrlässig und damit auch als schuldhaft zu qualifizieren gewesen, als seine Verhaltensweise von jenem Sorgfaltsmaßstab, der in rechtlicher Hinsicht von einem in Bezug auf die öffentliche Ordnung den gesetzlich normierten Werten verbundenen Durchschnittsmenschen normalerweise erwartet werden kann, insofern signifikant abweicht, als er offenbar keinerlei wirksamen Vorkehrungen dafür getroffen hat, dass er das Abstellen seines KFZ noch vor dem Ablauf jenes Zeitraumes, für den er die fällige Gebühr entrichtet hat, auch tatsächlich beenden kann.

Seine Strafbarkeit wäre daher grundsätzlich gegeben.

Da sich in dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt kein Nachweis für die von ihr im Zuge der Strafbemessung als erschwerend gewertete einschlägige Vormerkung finden lässt und diese damit in rechtlicher Hinsicht als unbeachtlich zu qualifizieren ist, wäre sohin zwar die Höhe der verhängten Geldstrafe (und damit auch die Höhe der verhängten Ersatzfreiheitsstrafe sowie der Verfahrenskostenbeitrag nach § 64 Abs. 1 VStG entsprechend) herabzusetzen, im Übrigen aber die Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis zu bestätigen gewesen.

3.3.2.2. Allerdings enthielt die behördliche Aufforderung vom 2. November 2010, Zl. 933-10-909716, auch den expliziten Hinweis:

"Bitte beachten Sie, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie die verlangte Auskunft nicht, unrichtig, unvollständig oder nicht innerhalb zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens erteilen."

Wenn der Rechtsmittelwerber in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat seine Verteidigungsstrategie dahin geändert hat, "von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen" (vgl. das h. Verhandlungsprotokoll vom 23. März 2011, S. 2) und mit der gleichzeitigen Beantragung eines entsprechenden Beweisverwertungsverbotes sein "Geständnis" vom 14. November 2010 nunmehr implizit widerrufen hat, so erhebt sich damit aber die Frage, ob er insgesamt etwa in rechtswidriger Weise dazu verhalten wurde, sich selbst zu belasten.

3.3.2.2.1. Der vom Beschwerdeführer relevierte Grundsatz, schweigen zu dürfen und sich nicht selbst beschuldigen bzw. belasten zu müssen ("nemo tenetur se ipsum accusare"), ist zwar in Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht ausdrücklich angeführt, zählt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zum Kernbereich des in dieser Bestimmung allgemein normierten Prinzips des "fairen Verfahrens" (vgl. z.B. Ch. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Auflage, München 2009, RN 119 zu § 24).

Dieses Recht ist allerdings nicht absolut gewährleistet. Insbesondere hindert es das Strafgericht grundsätzlich nicht, aus dem Schweigen des Beschuldigten auch solche Schlüsse zu ziehen, die ihm im Ergebnis zum Nachteil gereichen (vgl. z.B. W. Peukert in J.A. Frowein – W. Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Auflage, Kehl 2009, RN 130 zu Art. 6), wobei es unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des konkreten Falles insbesondere auf das Gewicht, das dem Schweigen im Rahmen der Abwägung aller Beweise zugemessen wird, und auf den Grad des (indirekten) Zwanges (zur Aussage), der der jeweiligen Situation inhärent ist, ankommt (vgl. die Nachweise bei W. Peukert, a.a.O., RN 131 und 137). Ob in einem konkreten Fall der Wesensgehalt der Garantie ausgehöhlt wurde oder nicht, ist grundsätzlich nach Art eines "beweglichen Systems" anhand folgender Gesichtspunkte zu beurteilen: Art und Schwere des Zuganges zur Beweiserlangung; Gewicht des öffentlichen Interesses an der Tatverfolgung und Täterbestrafung; Existenz angemessener Verfahrensgarantien; Verwertung der erlangten Beweismittel (vgl. Ch. Grabenwarter, a.a.O., m.w.N.).

3.3.2.2.2. Im Besonderen hat der EGMR einen mit einer (bloß geringen) Verwaltungsstrafe bewehrten Zwang gegenüber einem Fahrzeughalter zur Auskunft darüber, wer sein KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt innehatte, als mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar erachtet. Dies deshalb, weil jeder Zulassungsbesitzer diese allgemein im Straßenverkehrsrecht enthaltene Verpflichtung und Verantwortlichkeit mit dem Erwerb der Lenkerberechtigung auch konkret für seine Person übernommen hat. Hinzu kommt, dass ein derartiges Ersuchen inhaltlich – nämlich auf die Identität des Fahrers – begrenzt ist und für den Fall der Zuwiderhandlung lediglich eine geringe Strafe droht, wobei insoweit auch eine verfahrensrechtliche Garantie dahin besteht, dass Straflosigkeit eintritt, wenn der Zulassungsbesitzer den Fahrer nicht kannte und auch nicht hätte kennen müssen.

Davon ausgehend hat es der EGMR bisher auch nicht als eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK angesehen, wenn zunächst wegen des Grunddeliktes (z.B. Geschwindigkeitsübertretung) ein Strafverfahren gegen einen unbekannten Täter, dieses aber dann später – als eine allfällige Konsequenz der Aussageverweigerung – gegen den Zulassungsbesitzer geführt wird, wenn und solange der Zusammenhang zwischen dem Auskunftserteilungsverfahren und dem Strafverfahren wegen des Grunddeliktes "lose und hypothetisch" bleibt (vgl. EGMR v. 8. April 2004, 38544/97 [Weh gegen Österreich]).

Wesentlich ist allerdings, dass in den vom EGMR entschiedenen und speziell Österreich betreffenden Verfahren zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Lenkerauskunft gegen den Betroffenen jeweils (noch) kein Strafverfahren wegen eines Grunddeliktes (wie z.B. Geschwindigkeitsüberschreitung oder Verkürzung der Parkgebühr) geführt wurde: Damit ging es also nicht um die Verwendung von einer unter Zwang erlangten Information in einem nachfolgenden Strafverfahren, sodass der Zulassungsbesitzer auch nicht als "wesentlich berührt" (d.h.: als einer Straftat beschuldigt bzw. angeklagt i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK) anzusehen war (vgl. EGMR vom 8. April 2004, 38544/97 [Weh gegen Österreich]; vom 24. März 2005, 63207/00 [Rieg gegen Österreich]; vom 3. Mai 2005, 52167/99 [Fischbach-Mavromatis gegen Österreich] = ÖJZ 2006, S. 39).

3.3.2.2.3. Aus dieser Rechtsprechung folgt als logisch-denknotwendig gebotener Umkehrschluss, dass jedenfalls die Verwendung von unter Zwang erlangten Informationen gegen den Auskunftspflichtigen in einem gegen ihn wegen eines Grunddeliktes bereits anhängigen Strafverfahren unzulässig ist, weil er unter solchen Umständen als i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK angeklagt und damit als "wesentlich berührt" angesehen werden muss (vgl. in diesem Sinne bereits UVS Oberösterreich vom 15. Dezember 2010, Zl. 130629).

Weiters hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 18. März 2010, 13201/05 (Fall Krumpholz), bekräftigt, dass das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK abzuleitende Recht zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen in einem engen Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK steht.

Daraus folgt insgesamt, dass in derartigen Sachverhaltskonstellationen, bei denen den Strafbehörden als einziges Beweismittel bloß ein Beleg dafür vorliegt, dass die Übertretung mit einem bestimmten KFZ begangen wurde, nicht eine solche Situation gegeben ist, die notwendigerweise eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers dieses Fahrzeuges erfordert, wenn gleichzeitig keinerlei objektives Indiz bezüglich der Identität einer bestimmten Person als Fahrer vorliegt: Unter solchen Umständen erweist sich nämlich – wenn man zudem berücksichtigt, dass das österreichische Recht keine generelle gesetzliche Vermutung für eine grundsätzliche Lenkereigenschaft des Zulassungsbesitzers aufstellt – eine Schlussfolgerung dahin, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen sein muss, keineswegs als schon durch die allgemeine Lebenserfahrung begründet.

Dem entspricht schließlich auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dahin, dass auf gesetzwidrige Weise gewonnene Beweisergebnisse zur Ermittlung der materiellen Wahrheit unzulässig sind, wenn deren Verwendung dem Zweck des durch seine Gewinnung verletzten Verbotes diametral widersprechen würde (vgl. z.B. VwGH vom 5. Juni 1993, Zl. 91/10/0130 = JBl 1994, 196, sowie VwSlg 11540 A/1994 und dazu jeweils näher UVS Oberösterreich vom 15. Dezember 2010, Zl. VwSen-130629).

3.3.2.2.4. Aus all dem folgt insgesamt, dass aus dem Schweigen eines Beschuldigten grundsätzlich zwar auch Schlüsse gezogen werden können, die ihm im Ergebnis zum Nachteil gereichen, wobei ein strafbewehrter Zwang zur Auskunft des Zulassungsbesitzers darüber, wer das KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt verwendet hat, per se nicht gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt. Wird jedoch gegen den Zulassungsbesitzer nicht bloß ein Strafverfahren wegen der Auskunftsverweigerung, sondern bereits auch ein solches wegen eines Grunddeliktes (z.B. wegen Geschwindigkeitsüberschreitung oder Verkürzung der Parkgebühr) geführt, dann besteht insoweit nicht bloß ein "loser und hypothetischer" Zusammenhang, sondern es liegt ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK vor, wenn die im Auskunftsverfahren unter Zwang erlangten Informationen in der Folge auch im Strafverfahren wegen des Grunddeliktes verwendet werden. Daher besteht ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot, wobei noch hinzukommt, dass in Konstellationen, in denen kein Indiz bezüglich der Identität des Fahrers vorliegt, ein Schluss darauf, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen ist, nicht nur nicht auf eine entsprechende "allgemeine Lebenserfahrung" gegründet werden kann, sondern zudem auch nicht eine solche Situation darstellt, die zwingend eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers gebietet, sodass allein schon aus dessen dementsprechenden Schweigen auf seine Lenkereigenschaft geschlossen werden könnte.

3.3.2.2.5. Da im gegenständlichen Fall lediglich eine faktische Wahrnehmung des Aufsichtsorganes dahin vorliegt, dass das KFZ in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone ohne gültigen Parkschein abgestellt war, ansonsten aber keinerlei objektives Indiz in die Richtung weist, dass der Beschwerdeführer dieses unmittelbar zuvor selbst gelenkt und in der Folge dort abgestellt hätte, bestand sohin für ihn i.S.d. EGMR-Urteils vom 18. März 2010, 13201/05, auch kein Rechtfertigungsbedarf, sodass aus seinem Schweigen auch der Umkehrschluss auf seine Lenkereigenschaft nicht zulässig ist.

Unter einem durfte auch sein der belangten Behörde mit e-mail vom 14. November 2010 übermitteltes "Geständnis" dahin, dass er den verfahrensgegenständlichen PKW selbst gelenkt hätte, von dieser deshalb nicht verwendet werden, weil es unter Zwang und zu einem Zeitpunkt abgelegt wurde, als gegen den Rechtsmittelwerber bereits ein Strafverfahren wegen eines Grunddeliktes (Verkürzung der Abgabengebühr; vgl. die Strafverfügung des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 18. Oktober 2010, Zl. 933-10/Brand-0909716) im Gange war (vgl. im Übrigen zu einem im Wesentlichen gleichgelagerten, dieselbe Behörde betreffenden Fall näher UVS Oberösterreich vom 15. Dezember 2010, Zl. VwSen-130629, Pkte. 4.7. bis 4.9., m.w.N.).

Im Ergebnis war sohin davon auszugehen, dass i.S.d. Art. 6 Abs. 2 EMRK kein Nachweis dafür besteht, dass dem Beschwerdeführer die ihm angelastete Tat persönlich zugerechnet werden kann; somit mangelt es an einem tatbestandsmäßigen Verhalten.

3.3.3. Dagegen ließe sich zwar aus formaler Sicht einwenden, dass Art. II der Finanzausgleichsgesetz-Novelle BGBl.Nr. 384/1986 (im Folgenden: FAG-Nov 1986) – der (ebenso wie § 103 Abs. 2 des Kraftfahrgesetzes, BGBl.Nr. 267/1967 i.d.F. der Novelle BGBl.Nr. 106/1986, im Folgenden: KFG-Nov 1986) im Wege einer Verfassungsbestimmung anordnet, dass im Zuge der Regelung der Erhebung von Abgaben für das Abstellen von Kraftfahrzeugen die Rechte auf Auskunftsverweigerung gegenüber der Befugnis der Behörde, eine Auskunft vom Zulassungsbesitzer darüber zu verlangen, wem er das KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt überlassen hat, zurücktreten – sowohl aufgrund seines materiellen Regelungsgehaltes als lex specialis als auch als lex posterior anzusehen ist und daher den zuvor dargestellten Garantien des Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK derogiert.

3.3.3.1. Beide Argumente erweisen sich jedoch zum einen aus rechtssystematischer Sicht deshalb nicht als stichhaltig, weil sowohl der Grundsatz, schweigen zu dürfen und sich nicht selbst belasten zu müssen als ein besonderer Aspekt des Rechtes auf ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK als auch die sich speziell daran anschließende Gewährleistung der Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK ihre spezifische Ausprägung sowohl in inhaltlicher als auch in zeitlicher Hinsicht – wie die zuvor angeführten EGMR-Urteile (vgl. oben, 3.3.2.2.1. und 3.3.2.2.2.) zeigen – erst lange nach dem Inkrafttreten des Art. II FAG-Nov 1986 (bzw. des § 103 Abs. 2 KFG-Nov 1986) erfahren haben.

Vielmehr sind daher umgekehrt Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK jeweils als leges speciales in Bezug auf Art. II FAG-Nov 1986 und § 103 Abs. 2 KFG-Nov 1986 anzusehen.

Dass derartige, durch die Judikatur des EGMR bewirkte inhaltliche Fortentwicklungen der Konventionsgarantien jedenfalls insoweit, als sich diese nicht als eine "offene Rechtsfortbildung" erweisen, stets auch innerstaatlich entsprechend nachvollzogen werden müssen, hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 11500/1987 betont:

"Wenn auch bei der Auslegung internationaler Verträge nicht auf das Verständnis abgestellt werden kann, das einzelne Mitglieder beim Abschluß oder gar erst bei ihrem späteren Beitritt zugrundegelegt haben, ist das Verständnis Österreichs im Verein mit der Rechtslage in anderen Staaten und der langjährigen Praxis der Kommission doch ein wichtiges Anzeichen dafür, daß nach seinem ursprünglichen Sinn der Begriff "civil rights" einen viel engeren Inhalt hat als ihm die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterstellt. Diese Rechtsprechung erweist sich mithin als offene Rechtsfortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben. ..... Der VfGH sieht sich zwar grundsätzlich gehalten, der MRK als Verfassungsnorm jenen Inhalt zu unterstellen, der ihr auch als internationalem Instrument zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt. Er hat daher bei ihrer Auslegung insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als dem zur Auslegung der MRK zunächst berufenen Organ besonderes Gewicht einzuräumen. Er kann diese Haltung aber nicht unter allen Umständen einnehmen. Wie er an späteres Verfassungsrecht auch dann gebunden wäre, wenn sich aus ihm Änderungen gegenüber den Grundsätzen der MRK ergeben würden, kann bestimmten Auslegungsergebnissen auch Staatsorganisationsrecht im Verfassungsrang entgegenstehen. Freilich unterstellt der Gerichtshof dem späteren Verfassungsrecht nach Möglichkeit einen Inhalt, der es mit der MRK verträglich macht ..... An die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Staatsorganisation ist der Gerichtshof aber auch im Falle eines Widerspruches zur Konvention gebunden. Stehen sie einer möglichen Auslegung der MRK entgegen, kann er diese Auslegung seiner Entscheidung nicht zugrundelegen. Selbst wenn daher der Europäische Gerichtshof eine Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung in diesem Punkte annehmen sollte, könnte dieser Verstoß nur durch den Verfassungsgesetzgeber selbst geheilt werden. Der VfGH möchte allerdings nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß die dann anzunehmende Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung nach dem derzeitigen Stand seiner Überlegungen nur das Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung durch die Konventionsorgane sein könnte und sich daher die - hier nicht zu beantwortende - Frage stellen würde, ob nicht die Übertragung einer rechtsfortbildenden Aufgabe auf verfassungsrechtlichem Gebiet an ein internationales Organ als Ausschaltung des Verfassungsgesetzgebers eine Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art44 Abs3 B-VG wäre und einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes bedurft hätte."

3.3.3.2. Zu diesen rechtssystematischen Erwägungen kommt zum anderen als ein gewichtiges rechtspolitisches Argument auch der Umstand, dass der EGMR die Garantien der EMRK grundsätzlich autonom auslegt, sodass aus dessen Sicht entgegenstehendes innerstaatliches Verfassungsrecht von Vornherein unbeachtlich ist, im Gegenteil: Staaten, die sich einer verbindlichen Auslegung der EMRK durch den EGMR systematisch widersetzen, müssen mit ernsten Konsequenzen, die z.B. von einem sog. "Pilotverfahren" gemäß Art. 46 EMRK (vgl. z.B. jüngst EGMR vom 2. September 2010, 46344/06 [Fall Rumpf/BRD]) bis zu einem (befristeten oder endgültigen) Ausschluss aus dem Europarat reichen können, rechnen (vgl. Ch. Grabenwarter, a.a.O., RN 7 und RN 11 zu § 16).

3.3.3.3. Gegen dieses Ergebnis können vermeintliche Schwierigkeiten im Bereich der Vollzugspraxis freilich keinen stichhaltigen Einwand bilden, zumal insoweit ohnehin lediglich zu beachten ist, dass das Strafverfahren wegen des Grunddeliktes (z.B. Geschwindigkeitsübertretung, Parkgebührenverkürzung) einerseits zwar erst nach Abschluss des auf (§ 103 Abs. 2 KFG bzw.) § 2 Abs. 2 OöParkGebG gestützten administrativen Auskunftserteilungsverfahrens (weil sonst eine Missachtung des in Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK verankerten "nemo tenetur"-Prinzips und/oder der Unschuldsvermutung droht) eingeleitet werden kann, andererseits aber noch vor dem Abschluss eines allfälligen Strafverfahrens wegen Verletzung der Auskunftspflicht eingeleitet worden sein muss (um einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 Abs. 1 7.ZPMRK zu vermeiden; vgl. dazu auch jüngst UVS Oberösterreich vom 10. März 2011, Zl. 301008).

Effizienzgesichtspunkte oder der Aspekt, dass es sich sowohl bei den Grunddelikten als auch bei den Verletzungen der Auskunftspflicht in der Vielzahl aller Fälle bloß um Bagatelldelikte handelt, vermögen dem gegenüber aus rechtlicher Sicht jedenfalls kein Argument dafür zu bilden, eine das Verfahren insgesamt "abkürzende" Praxis, nach der zunächst eine Strafverfügung gegen den Zulassungsbesitzer ergeht und lediglich im Falle eines Einspruches gegen diese ein Verfahren zur Lenkerfeststellung eingeleitet wird, weiterhin unreflektiert aufrecht zu erhalten (vgl. in diesem Sinne schon UVS Oberösterreich vom 25. Februar 2008, Zl. 130583).

3.4. Aus allen diesen Gründen war daher der vorliegenden Berufung im Ergebnis mangels eines i.S.d. Art. 6 Abs. 2 EMRK erwiesenen tatbestandsmäßigen Handelns des Beschwerdeführers gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG einzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.


Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

 

 

VwSen-130751/7/Gf/Mu vom 28. März 2011

Erkenntnis

EMRK Art6 Abs1;

EMRK Art6 Abs2;

FAG-Novelle BGBl 384/1986 ArtII;

KFG §103 Abs2;

Oö ParkGebG §2 Abs2

 

Aus dem Schweigen eines Beschuldigten können grundsätzlich zwar auch Schlüsse gezogen werden können, die ihm im Ergebnis zum Nachteil gereichen, wobei ein strafbewehrter Zwang zur Auskunft des Zulassungsbesitzers darüber, wer das KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt verwendet hat, per se nicht gegen Art6 Abs1 EMRK verstößt. Wird jedoch gegen den Zulassungsbesitzer nicht bloß ein Strafverfahren wegen der Auskunftsverweigerung, sondern bereits auch ein solches wegen eines Grunddeliktes (zB wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder Verkürzung der Parkgebühr) geführt, dann besteht insoweit nicht bloß ein "loser und hypothetischer" Zusammenhang, sondern es liegt ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK vor, wenn die im Auskunftsverfahren unter Zwang erlangten Informationen in der Folge auch im Strafverfahren wegen des Grunddeliktes verwendet werden. Daher besteht ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot, wobei noch hinzukommt, dass in Konstellationen, in denen kein Indiz bezüglich der Identität des Fahrers vorliegt, ein Schluss darauf, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen ist, nicht nur nicht auf eine entsprechende "allgemeine Lebenserfahrung" gegründet werden kann, sondern zudem auch nicht eine solche Situation darstellt, die zwingend eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers gebietet, sodass allein schon aus dessen dementsprechenden Schweigen auf seine Lenkereigenschaft geschlossen werden könnte. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass Art II der FAG-Nov BGBl 384/1986 – der (ebenso wie § 103 Abs 2 KFG) im Wege einer Verfassungsbestimmung anordnet, dass im Zuge der Regelung der Erhebung von Abgaben für das Abstellen von Kraftfahrzeugen die Rechte auf Auskunftsverweigerung gegenüber der Befugnis der Behörde, eine Auskunft vom Zulassungsbesitzer darüber zu verlangen, wem er das KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt überlassen hat, zurücktreten – sowohl aufgrund seines materiellen Regelungsgehaltes als lex specialis als auch als lex posterior anzusehen ist und daher den zuvor dargestellten Garantien des Art 6 Abs 1 und 2 EMRK derogiert: Weil sowohl der Grundsatz, schweigen zu dürfen und sich nicht selbst belasten zu müssen als ein besonderer Aspekt des Rechtes auf ein faires Verfahren iSd Art6 Abs1 EMRK als auch die sich speziell daran anschließende Gewährleistung der Unschuldsvermutung gemäß Art 6 Abs 2 EMRK ihre spezifische Ausprägung sowohl in inhaltlicher als auch in zeitlicher Hinsicht erst lange nach dem Inkrafttreten des Art II FAG-Nov 384/1986 bzw des § 103 Abs 2 KFG erfahren haben, sind unter Zugrundelegung des VfGH-Erkenntnisses VfSlg 11.500/1987 vielmehr umgekehrt Art6 Abs1 und Abs2 EMRK jeweils als leges speciales in Bezug auf Art II FAG-Nov 1986 und § 103 Abs 2 KFG-Nov 1986 anzusehen. Zu diesen rechtssystematischen Erwägungen kommt als ein gewichtiges rechtspolitisches Argument auch der Umstand, dass der EGMR die Garantien der EMRK grundsätzlich autonom auslegt, sodass aus dessen Sicht entgegenstehendes innerstaatliches Verfassungsrecht von Vornherein unbeachtlich ist; im Gegenteil: Staaten, die sich einer verbindlichen Auslegung der EMRK durch den EGMR systematisch widersetzen, müssen mit ernsten Konsequenzen, die zB von einem sog "Pilotverfahren" gemäß Art 46 EMRK bis zu einem (befristeten oder endgültigen) Ausschluss aus dem Europarat reichen können, rechnen. Auch vermeintliche Schwierigkeiten im Bereich der Vollzugspraxis können keinen stichhaltigen Einwand gegen dieses Ergebnis bilden, zumal insoweit ohnehin lediglich zu beachten ist, dass das Strafverfahren wegen des Grunddeliktes (zB Geschwindigkeitsübertretung, Parkgebührenverkürzung) einerseits zwar erst nach Abschluss des auf (§ 103 Abs 2 KFG bzw) § 2 Abs 2 Oö ParkGebG gestützten administrativen Auskunftserteilungsverfahrens (weil sonst eine Missachtung des in Art 6 Abs 1 und 2 EMRK verankerten "nemo tenetur"-Prinzips und/oder der Unschuldsvermutung droht) eingeleitet werden kann, andererseits aber noch vor dem Abschluss eines allfälligen Strafverfahrens wegen Verletzung der Auskunftspflicht eingeleitet worden sein muss (um einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art 4 Abs 1 7.ZPMRK zu vermeiden). Effizienzgesichtspunkte oder der Aspekt, dass es sich sowohl bei den Grunddelikten als auch bei den Verletzungen der Auskunftspflicht in der Vielzahl aller Fälle bloß um Bagatelldelikte handelt, vermögen dem gegenüber aus rechtlicher Sicht jedenfalls kein Argument dafür zu bilden, eine das Verfahren insgesamt "abkürzende" Praxis, nach der zunächst eine Strafverfügung gegen den Zulassungsbesitzer ergeht und lediglich im Falle eines Einspruches gegen diese ein Verfahren zur Lenkerfeststellung eingeleitet wird, weiterhin unreflektiert aufrecht zu erhalten.


 

 

 

 

 

 

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