Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231236/2/Gf/Mu

Linz, 08.04.2011

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 25. Februar 2011, Zl. S-58522/10-2, wegen einer Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als die Geldstrafe auf 250 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 38 Stunden herabgesetzt wird; im Übrigen wird diese hingegen abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl.Nr. I 17/2011" einzufügen ist. 

II. Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde ermäßigt sich auf 25 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat ist kein Kostenbeitrag zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 25. Februar 2011, Zl. S-58522/10-2, wurde über den Rechtsmittelwerber eine Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage) verhängt, weil er sich seit dem 1. Jänner 2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe; dadurch habe er eine Übertretung des § 120 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes (im Folgenden: FPG), i.V.m. § 31 Abs. 1 Z. 2 bis 4 und 6 FPG begangen, weshalb er nach § 120 Abs. 1 FPG zu bestrafen gewesen sei.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass sich nach den von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, die geeignet gewesen wären, den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich als legal anzusehen.

Im Zuge der Strafbemessung sei seine bisherige Unbescholtenheit nicht als mildernd zu werten und davon auszugehen gewesen, dass er kein Einkommen beziehe und keine Sorgepflichten bestünden.

1.2. Gegen dieses ihm am 3. März 2011 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 8. März 2011 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

Darin wird vorgebracht, dass es zwar zutreffe, dass sein Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ abgeschlossen sei. Allerdings ergebe sich sein rechtmäßiger Aufenthalt aus § 31 Abs. 1 Z. 7 FPG. Diese Bestimmung sei jedoch nicht berücksichtigt worden, weshalb der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses den Anforderungen des § 44a Z. 1 und 2 VStG nicht gerecht werde. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde selbst unter der Annahme eines weiterhin rechtswidrigen Aufenthaltes zudem zum Ergebnis kommen müssen, dass die Folgen dieser Übertretung unbedeutend gewesen seien.

Zuletzt wird darauf hingewiesen, dass er derzeit weder über ein Einkommen verfüge noch Leistungen aus der Grundversorgung erhalte.

Daher wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu eine Herabsetzung der Strafe beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Linz zu Zl. S-58522/10-2; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und der Berufungswerber lediglich eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde behauptet, den von dieser ermittelten Sachverhalt aber unbestritten gelassen hat und beide Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 51e VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Weil in dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, war im Rechtsmittelverfahren ein Einzelmitglied zur Entscheidung zuständig (vgl. § 51c VStG).

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009, begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro zu bestrafen, der sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Nach § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde dann rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während ihres Aufenthalts die zulässige Aufenthaltsdauer nicht überschreiten (Z. 1), wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation ihres Aufenthaltsrechts nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zum Aufenthalt berechtigt sind (Z. 2), wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind (Z. 3), wenn und solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt (Z. 4), wenn sie über eine Beschäftigungsbewilligung, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung oder eine Anzeigebestätigung verfügen (Z. 6) oder wenn sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen ergibt (Z. 7).

3.2. Im gegenständlichen Fall wendet sich der Rechtsmittelwerber nicht dagegen, dass er sich bereits seit dem 1. Jänner 2009 widerrechtlich in Österreich aufhält. Allerdings macht er insoweit einen Spruchmangel geltend, als im Tatvorwurf die Ziffern 1 und 7 des § 31 Abs. 1 FPG nicht berücksichtigt worden seien.

Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass in diesem Zusammenhang dem aus § 44a Z. 1 VStG resultierenden Konkretisierungsgebot nur dann entsprochen ist, wenn im Spruch des Straferkenntnisses sämtliche der in § 31 Abs. 1 FPG angeführten Alternativen – in verneinender Weise – angeführt sind (vgl. z.B. statt vieler VwGH v. 30. Mai 2001, Zl. 2000/21/0009, m.w.N.).

Hinsichtlich des Erfordernisses, den Tatbestand der Z. 1 des § 31 Abs. 1 FPG anzuführen und umschreibend zu verneinen, ist zunächst festzuhalten, dass die Einreise des Beschwerdeführers offensichtlich vor dem inkriminierten Zeitraum stattfand, die in Z. 1 weiters angeführten Umstände ebenfalls nicht bis in diesen Zeitraum andauerten und demnach per se hier weder bejahenden- noch verneinendenfalls als maßgeblich scheinen. Der Intention des § 44a Z. 1 VStG folgend, wonach die Unverwechselbarkeit einer Tat und die Möglichkeit für einen Rechtsmittelwerber, ihr entgegentreten zu können, im Vordergrund zu stehen hat, kann durch das unterbliebene Eingehen im Tatvorwurf – mangels konkreter Relevanz dieses Tatbestandes – keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht, sich zielgerichtet verteidigen zu können, erkannt werden.

Außerdem können an den generell gefassten Auffangtatbestand des § 31 Abs. 1 Z. 7 FPG hinsichtlich des Erfordernisses einer entsprechenden Konkretisierung wohl nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an die detailliert ausgeführten Z. 1 bis 4 und Z. 6. Eine diesbezügliche Verpflichtung der Behörden würde eine geradezu unerfüllbare Ausdehnung des Tatvorwurfs und von dessen durch Sachverhaltselemente anzureichernder Beschreibung darstellen, die letztlich nicht mehr an Klarheit für den Beschuldigten bringen würde als die bloße Nennung des Gesetzestextes: Es bedürfte nämlich einer tabellarischen Aufzählung aller nur erdenklichen nationalen, europarechtlichen und internationalen Normen (mit Bezug zu Bundesgesetzen), um das Maß an Konkretheit effektiv zu steigern. Die Intention zur Verpflichtung zu einer derartigen Überdehnung kann dem Gesetzgeber des Fremdenpolizeigesetzes aber nicht unterstellt werden.

Schließlich liegt im vorliegenden Fall auch kein Hinweis darauf vor, dass sich für den Beschwerdeführer ein auf den Auffangtatbestand des § 31 Abs. 1 Z. 7 FPG gründendes Recht ergeben könnte, weshalb er auch nicht als in seinen Verteidigungsrechten verletzt anzusehen ist.

Im Ergebnis kann daher eine Verletzung des § 44a VStG nicht ins Treffen geführt werden, weshalb dem Berufungsvorbringen diesbezüglich nicht zu folgen war.

Vielmehr hat der Rechtsmittelwerber tatbestandsmäßig i.S.d. § 120 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 FPG und insoweit, als er dazu verhalten gewesen wäre, sich über die für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblichen Rechtsvorschriften rechtzeitig bei der zuständigen Behörde zu erkundigen, dies jedoch offenkundig unterlassen hat, auch fahrlässig und damit auch schuldhaft gehandelt

Seine Strafbarkeit ist daher gegeben.

3.3.1. Hinsichtlich der Strafbemessung ist jedoch zu beachten, dass als Tatzeitraum deshalb, weil im Spruch lediglich der Beginn des strafbaren Verhaltens explizit angeführt ist (1. Jänner 2009), das gesamte rechtswidrige Verhalten bis zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses, d.i. bis zum 3. März 2011 (s.o., 1.2.) anzusehen ist (sog. "Erfassungswirkung"; vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei W. Hauer – O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Wien 2004, S. 1530 f).

3.3.2. Während dieses Zeitraumes wurde nun zwar die maßgebliche Rechtsgrundlage, nämlich die Strafbestimmung des § 120 Abs. 1 FPG, durch die Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 insoweit geändert, als der früher "bis zu 2.180 Euro" reichende Strafrahmen auf einen solchen "von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro" ausgedehnt wurde; ab dieser gemäß § 126 Abs. 7 FPG am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle war daher eine Mindeststrafe von 1.000 Euro vorgesehen. Allerdings wurde der mit der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 erhöhte Strafrahmen vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 52/10, mit Wirkung vom 4. April 2011 (vgl. BGBl.Nr. I 17/2011) wieder als verfassungswidrig aufgehoben (siehe dazu näher unten, 3.3.3.7.)

3.3.3. Nach § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, soweit das zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses geltende Recht für den Beschuldigten nicht günstiger ist.

3.3.3.1. Im gegenständlichen Fall war die Rechtslage in Bezug auf den zwischen dem 1. Jänner 2009 und dem 31. Dezember 2009 liegenden Teilbereich des Tatzeitraumes für den Beschwerdeführer offenbar insofern günstiger, als § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 einerseits keine Mindeststrafe und andererseits eine deutlich geringere Höchststrafe vorgesehen hat. Indem die belangte Behörde insoweit das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs. 2 VStG nicht beachtet hat, hat sie sohin das angefochtene Straferkenntnis möglicherweise (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen) mit Rechtswidrigkeit belastet.

3.3.3.2. Nach Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl 2007/C 303/01, im Folgenden: Grundrechte-Charta) darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war; es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden; wird nach der Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist (nur) diese zu verhängen.

Nach den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta (ABl 2007/C 303/02) positiviert der letzte Satz dieser Bestimmung – über Art. 7 EMRK hinaus – die in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU geltende "Regel der Rückwirkung von milderen Strafvorschriften".

Mit Blick auf den Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta soll dieses spezifische Rückwirkungsverbot aber offenbar nur Zustands-, nicht jedoch auch Dauerdelikte erfassen. Denn insbesondere jener Fall, dass sich die Strafdrohung während eines Dauerdeliktes in der Richtung ändert, dass die Strafdrohung pro futuro (nicht herabgesetzt, sondern) erhöht wird, ist zum einen nicht explizit geregelt; und andererseits ergeben sich auch aus den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta keine Hinweise darauf, dass mit dieser Regelung eine über die Rückwirkung von milderen Strafvorschriften hinausreichende, insbesondere eine zukünftige Strafverschärfung generell verhindernde Wirkung beabsichtigt gewesen wäre.

Unabhängig von der Problematik, inwieweit die Grundrechte-Charta dem Einzelnen überhaupt unmittelbar subjektive Rechte gewährleistet, stellt sich somit auch inhaltlich betrachtet die Frage, ob Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta allenfalls als unmittelbar anwendbares Primärrecht dem § 1 Abs. 2 VStG vorgeht, hier schon von vornherein nicht.  

3.3.3.3. In seinem Urteil vom 17. September 2009, 10249/03, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter ausdrücklichem Abgehen von seiner früheren Judikatur festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht nur das Verbot der Rückwirkung strengerer Strafgesetze, sondern auch das Gebot der Rückwirkung milderer Strafgesetze statuiert: Wenn Unterschiede zwischen dem zur Zeit der Tatbegehung bestanden habendem und einem nachfolgend – noch vor der endgültigen Entscheidung – erlassenen Gesetz bestehen, dann muss das Gericht jenes Gesetz anwenden, dessen Strafsätze den Beschuldigten am meisten begünstigen[1].

Auch aus diesem Urteil lässt sich aber weder ableiten, dass durch Art. 7 Abs. 1 EMRK eine Erhöhung des Strafsatzes pro futuro grundsätzlich gehindert wäre, noch, dass der Beschuldigte dann, wenn ein Teilbereich des Tatzeitraumes noch unter das Regime der früheren, günstigeren Regel fällt, einen Anspruch darauf hätte, dass damit die gesamte Tat nach dem für ihn günstigeren Recht zu beurteilen wäre.

Hinsichtlich Art. 7 Abs. 1 EMRK erscheint daher die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG in Bezug auf Dauerdelikte weder unter dem Aspekt des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz der Grundrechte-Charta noch aus dem Blickwinkel des Urteiles des EGMR vom 17. September 2009, 10249/03, als verfassungsrechtlich bedenklich.

3.3.3.4. Davon ausgehend sind aber Art. 49 Abs. 1 der Europäischen Grundrechte-Charta und das vorerwähnte Urteil des EGMR auch nicht dazu geeignet, nunmehr die bisherige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 2 VStG, wonach bei Dauerdelikten das Tatende bzw. der letzte Teilakt entscheidend ist, in Zweifel zu ziehen: Danach ist nämlich dann, wenn dieser letzte Teilakt nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes gesetzt wurde, die Tat – und zwar selbst dann, wenn die neue Regelung vergleichsweise strenger ist – deshalb ausschließlich nach dem neuen Recht zu beurteilen, weil das strafbare Verhalten in der Zeit der strengeren Regelung noch fortgesetzt wurde (vgl. z.B. VwGH vom 2. Mai 2005, Zl. 2001/10/0183, m.w.N.).

Diese Judikatur zu Grunde legend ist daher als Zwischenergebnis festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall die der Rechtsmittelwerberin angelastete Tat grundsätzlich in vollem Umfang nach § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist.

3.3.3.5. Zu prüfen bleibt allerdings noch, ob die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich nicht zu einem anderen Endergebnis führen muss.

Danach gelten "die §§ 114 bis 121 dieses Bundesgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl.Nr. I 29/2009 ..... für strafbare Handlungen, die vor dem 1. Jänner 2010 begangen wurden, weiter".

Im Lichte der zuvor angeführten ständigen Judikatur des VwGH zu den Dauerdelikten könnte diese Anordnung i.V.m. der Inkrafttretensbestimmung des § 126 Abs. 7 FPG (1. Jänner 2010) entweder bedeuten, dass damit die Anordnung des § 1 Abs. 2 VStG im Ergebnis lediglich wiederholt wird; oder, dass dadurch bestimmt wird, dass die gesamte – vor dem 1. Jänner 2010 begonnene und erst danach abgeschlossene – Tat nach der früheren, hinsichtlich ihrer Strafdrohung milderen Sanktionsnorm zu beurteilen ist; oder, dass hinsichtlich des vor dem 1. Jänner 2010 liegenden Teilbereiches des Tatzeitraumes die frühere und in Bezug auf den nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich die spätere Rechtslage anzuwenden ist.

Den Gesetzesmaterialien ist zur Lösung dieser Problematik unmittelbar nichts zu entnehmen, weil sich die Regierungsvorlage insoweit bloß auf die Wiederholung des Gesetzestextes beschränkt (vgl. 330 BlgNR, 24. GP, S. 38) und der Ausschussbericht hierzu überhaupt schweigt (vgl. 387 BlgNR, 24. GP).

Gerade aus dem Umstand, dass zu der zuvor dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Dauerdelikten überhaupt nicht Stellung bezogen wird, lässt sich jedoch nach h. Auffassung ableiten, dass diese dem Gesetzgeber wohl nicht aktuell bewusst war. Und in Verbindung damit, dass ohne entsprechenden konkreten Hinweis auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Normsetzer mit einer Novelle Überflüssiges anordnet – Derartiges läge aber vor, wenn man in § 125 Abs. 12 FPG in dem bereits zuvor aufgezeigten Sinn lediglich eine Wiederholung der ohnehin bereits mit § 1 Abs. 2 VStG getroffenen Anordnung erblickt –, kommt man insgesamt zu dem Ergebnis, dass der eigenständige Sinn der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich darin liegt, dass eine bereits vor dem 1. Jänner 2010 begonnene Übertretung des § 120 Abs. 1 FPG in vollem Umfang nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist. Dies deshalb, weil auch die dritte zuvor aufgezeigte Alternative – nämlich: Trennung des Tatzeitraumes in einen vor und einen nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich (wie dies der Verwaltungs­gerichtshof bei Dauerdelikten ansonsten nur hinsichtlich Übertretungs- und Sanktionsnorm kennt; vgl. z.B. VwGH v. 8. Oktober 1990, 90/19/0319) – zu dem insgesamt unbilligen Ergebnis führen würde, dass die Gesamtstrafe damit zwangsläufig stets über der mit der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 eingeführten Mindeststrafe liegen müsste.

3.3.3.6. Davon ausgehend hätte daher die belangte Behörde im gegenständlichen Fall für den gesamten Tatzeitraum als Sanktionsnorm die Bestimmung des § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009, also (weil durch die
Novelle BGBl.Nr. I 29/2009 keine Änderung der hier relevanten Bestimmungen erfolgte) i.d.F. BGBl.Nr. I 4/2008 anzuwenden gehabt; in dieser war aber lediglich eine Geldstrafe "bis zu 2.180 Euro" vorgesehen.

3.3.3.7. Dazu kommt, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10 u.a., einerseits zu Recht erkannt hat, dass die Wortfolge "von 1000 Euro" als verfassungswidrig aufgehoben wird und andererseits unter Heranziehung des Art. 140 Abs. 7 B-VG ausgesprochen hat, dass "die aufgehobenen Bestimmungen ..... nicht mehr anzuwenden" sind; dieser Ausspruch wurde gemäß Art. 140 Abs. 5 B-VG mit dem am 4. April 2011 ausgegebenen BGBl.Nr. I 17/2011 im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Davon ausgehend, dass der vorzitierte Ausspruch des VfGH im Sinne einer vom Regelfall abweichenden Anordnung, nämlich dahin zu verstehen ist, dass die aufgehobenen Bestimmungen des FPG nach Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG (auch) auf sämtliche vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden sind, ergibt sich für den hier maßgeblichen Bereich des Berufungsverfahrens, dass die generelle Anordnung des § 1 Abs. 2 VStG insoweit verfassungskonform, d.h. im Ergebnis dahin zu interpretieren ist, dass auch im Rechtsmittelverfahren die sich erst nach der Fällung des Bescheides in erster Instanz geändert habende, durch die Aufhebung der vorangeführten Wortfolge in § 120 Abs. 1 FPG für den Beschuldigten günstiger gewordene Rechtslage anzuwenden ist. Den am 4. April 2011 oder danach ergehenden Berufungsentscheidungen ist somit die bereinigte Fassung des § 120 Abs. 1 FPG zu Grunde zu legen.

3.3.4. Dem entsprechend findet es der Oö. Verwaltungssenat unter den Aspekten des konkret vorliegenden Falles – kein Milderungsgrund einerseits; tatbestands­mäßiges Verhalten über zwei Jahre und zwei Monate hinweg als erschwerend (und damit eine Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 VStG ausschließend) andererseits – in gleicher Weise als tat- und schuldangemessen, die verhängte Geldstrafe mit 250 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe in Anlehnung an die durch § 16 Abs. 2 VStG vorgegebene Relation mit 38 Stunden festzusetzen.

3.4. Insoweit war daher der gegenständlichen Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben; im Übrigen war diese hingegen als unbegründet abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe zu bestätigen, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl.Nr. I 17/2011" einzufügen ist. 


4. Bei diesem Verfahrensergebnis ermäßigt sich der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde nach § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf 25 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat war dem Berufungswerber gemäß § 65 VStG kein Kostenbeitrag vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

VwSen-231236/2/Gf/Mu vom 8. April 2011

Erkenntnis

 

VStG §1 Abs2;

FPG 2005 §120 Abs1;

B-VG Art140 Abs7

 

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10 ua, einerseits zu Recht erkannt, dass die Wortfolge "von 1000 Euro" in §120 Abs1 FPG 2005 als verfassungswidrig aufgehoben wird und andererseits unter Heranziehung des Art140 Abs7 B-VG ausgesprochen, dass "die aufgehobenen Bestimmungen ... nicht mehr anzuwenden" sind; dieser Ausspruch wurde gemäß Art140 Abs5 B-VG mit dem am 4. April 2011 ausgegebenen BGBl I 17/2011 im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Davon ausgehend, dass der vorzitierte Ausspruch des VfGH im Sinne einer vom Regelfall abweichenden Anordnung, nämlich dahin zu verstehen ist, dass die aufgehobenen Bestimmungen des FPG 2005 nach Art 140 Abs7 zweiter Satz B-VG (auch) auf sämtliche vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden sind, ergibt sich für den hier maßgeblichen Bereich des Berufungsverfahrens, dass die generelle Anordnung des § 1 Abs2 VStG insoweit verfassungskonform, dh im Ergebnis dahin zu interpretieren ist, dass auch im Rechtsmittelverfahren die sich erst nach der Fällung des Bescheides in erster Instanz geändert habende, durch die Aufhebung der vorangeführten Wortfolge in § 120 Abs1 FPG 2005 für den Beschuldigten günstiger gewordene Rechtslage anzuwenden ist. Den am 4. April 2011 oder danach ergehenden Berufungsentscheidungen ist somit die bereinigte Fassung des § 120 Abs1 FPG 2005 zu Grunde zu legen.

 

 

 

 

 

 

 



[1] "..... that Article 7 § 1 of the Convention guarantees not only the principle of non-retrospectiveness of more stringent criminal laws, but also, and implicitly, the principle of retrospectiveness of the more lenient criminal law. ..... where there are differences between the criminal law in force at the time of the commission of the offence and subsequent criminal laws enacted before a final judgment is rendered, the courts must apply the law whose provisions are most favourable to the defendant." (EGMR v. 17. September 2009, 10249/03 [Fall Scoppola/Italien], RN 109).

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