Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-252779/2/Gf/Mu

Linz, 07.04.2011

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des Finanzamtes Grieskirchen-Wels gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 16. März 2011, Zl. SV96-14-2010, wegen Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen einer Übertretung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (mitbeteiligte Partei: x) zu Recht erkannt:

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 16. März 2011, Zl. SV96-14-2010, wurde das gegen die mitbeteiligte Partei deshalb, weil sie es als handelsrechtliche Geschäftsführerin einer GmbH zu vertreten habe, dass jene am 22. Juli 2009 auf einer Baustelle in Wels eine näher bezeichnete Person als Dienstnehmer beschäftigt gehabt habe, ohne dass diese zur Sozialversicherung angemeldet gewesen sei, wegen einer Übertretung des § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG i.V.m. § 33 Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl.Nr. 189/1955 in der im gegenständlichen Fall maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 111/2010 (im Folgenden: ASVG), geführte Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass dieses der mitbeteiligten Partei angelastete deliktische Verhalten zwar von Aufsichtsorganen des Finanzamtes Grieskirchen-Wels während einer amtlichen Kontrolle grundsätzlich festgestellt worden und daher als erwiesen anzusehen sei; allerdings sei die vereinbarte Entlohnung unter der Geringfügigkeitsgrenze gelegen. Daher hätte der mitbeteiligten Partei allenfalls eine Übertretung des § 33 Abs.  2 ASVG, also mangels Anmeldung zur Unfallversicherung, nicht jedoch eine Nichtanmeldung zur Krankenversicherung angelastet werden dürfen; bezüglich der unterlassenen Anmeldung zur Unfallversicherung sei jedoch während der Verjährungsfrist keine dementsprechende Verfolgungshandlung gesetzt worden.

1.2. Gegen diesen ihr am 21. März 2011 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 30. März 2011 – und damit rechtzeitig – bei der belangten Behörde eingegangene Berufung der Amtspartei.

Darin bringt diese vor, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. November 2010, Zl. 2009/08/0262, entschieden habe, dass es im Zusammenhang mit der Anlastung einer Übertretung des § 33 Abs. 1 ASVG zwar erforderlich sei, den Namen des Dienstnehmers und den Tatort sowie die Tatzeit präzise zu konkretisieren; im Übrigen reiche es jedoch hin, den Tatverdacht auf § 111 i.V.m. § 33 Abs. 1 ASVG zu stützen, weil jene Bestimmungen auch für geringfügig Beschäftigte gelte. Daher könne die Bestimmung des § 33 Abs. 2 ASVG jederzeit auch zusätzlich zu § 33 Abs. 1 ASVG herangezogen werden.

Daher wird – erschließbar – beantragt, den Einstellungsbescheid aufzuheben und über die mitbeteiligte Partei eine Strafe zu verhängen.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Schärding zu Zl. SV96-14-2010; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien – weil im Berufungsverfahren lediglich Rechtsfragen zu klären waren – darauf verzichtet haben, konnte im Übrigen gemäß § 51e VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.2. Nach § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – nicht durch eine Kammer, sondern durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. Über die vorliegende Beschwerde hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben die Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden.

Nach § 33 Abs. 2 ASVG besteht diese Verpflichtung in Bezug auf die in der Unfall- und Pensionsversicherung sowie für die nur in der Unfallversicherung nach § 7 Z. 3 lit. a ASVG Pflichtversicherten mit der Maßgabe, dass die Meldungen beim Träger der Krankenversicherung, der beim Bestehen einer Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz für sie sachlich und örtlich zuständig wäre, zu erstatten sind.

Gemäß § 35 Abs. 1 ASVG gilt als Dienstgeber i.S.d. des ASVG u.a. derjenige, für dessen Rechnung jener Betrieb geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgeltes verweist. Dies gilt entsprechend auch für die gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 ASVG pflichtversicherten, nicht als Dienstnehmer beschäftigten Personen.

 

Als Dienstnehmer i.S.d. ASVG ist nach § 4 Abs. 2 leg.cit. anzusehen, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

 

Gemäß § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG handelt u.a. derjenige ordnungswidrig, der als Dienstgeber entgegen den Vorschriften des ASVG Meldungen oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet. Eine solche Ordnungswidrigkeit ist nach § 111 Abs. 2 ASVG von der Bezirksverwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung zu bestrafen, und zwar mit Geldstrafe von 730 € bis zu 2.180 €, im Wiederholungsfall von 2.180 € bis zu 5.000 €, bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, sofern die Tat weder den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet noch nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist.

 

In diesem Zusammenhang ist gemäß § 539a Abs. 1 ASVG für die Beurteilung von Sachverhalten nach diesem Bundesgesetz in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes (zB Werkvertrag, Dienstvertrag) maßgebend.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall blieb das Faktum, dass der auf der Baustelle angetroffene Dienstnehmer vor Arbeitsbeginn nicht zur Sozialversicherung angemeldet worden war, allseits unbestritten.

 

Offen ist lediglich die Rechtsfrage, ob ein noch innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist erhobener Vorwurf der Nichtanmeldung zur Sozial- und Unfallversicherung danach auch auf den Vorwurf der Nichtanmeldung zur Krankenversicherung erstreckt werden kann.

 

In diesem Zusammenhang bringt die Amtspartei zutreffend vor, dass der VwGH mit Erkenntnis vom 24. November 2010, Zl. 2009/08/0262, ausgesprochen hat, dass deshalb, weil § 33 Abs. 2 ASVG explizit anordnet, dass § 33 Abs. 1 ASVG auch für geringfügig Beschäftigte gilt und sich die beiden Tatbilder insoweit nicht unterscheiden, der Vorwurf der Übertretung des § 33 Abs. 1 ASVG unter einem auch den Vorwurf einer Übertretung des § 33 Abs. 2 ASVG in sich trägt, sodass die letztgenannte Bestimmung jederzeit – also auch noch nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist – zusätzlich zu § 33 Abs. 1 ASVG als Grundlage einer Bestrafung herangezogen werden kann.

 

Dazu kommt schließlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Judikatur jüngst – zusammengefasst – dahin modifiziert hat, dass eine unter dem Aspekt des Art. 4 des 7.ZPMRK unzulässige Doppelbestrafung primär dann vorliegt, wenn es sich in beiden Fällen um "identische oder substantiell gleiche Fakten" handelt, während eine unterschiedliche rechtliche Qualifikation dem gegenüber nunmehr in den Hintergrund tritt, d.h.: insbesondere dann keine Doppelbestrafung darstellt, wenn und soweit es sich auch um divergierende Sachverhalte im Sinne des Urteils vom 10. Februar 2009, 14939/03, RN 84 (Handlungseinheit aus konkreten faktischen Umständen, die denselben Beschuldigten betreffen und sowohl zeitlich als auch örtlich untrennbar verbunden sind), handelt.

 

3.3. Davon ausgehend war sohin eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens lediglich aus dem Grund, weil innerhalb der Verjährungsfrist keine den Aspekt der bloßen Geringfügigkeit der Beschäftigung konkretisierende Verfolgungshandlung vorlag, nicht zulässig.

3.4. Der vorliegenden Berufung war daher gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.


Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

 

 

VwSen-252779/2/Gf/Mu vom 7. April 2011

Erkenntnis

 

ASVG §33 Abs1, Abs2;

7. ZPEMRK Art4

 

Rechtssatz 1

Bezüglich der Rechtsfrage, ob ein noch innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist erhobener Vorwurf der Nichtanmeldung zur Sozial- und Unfallversicherung  nach Fristende auch auf den Vorwurf der Nichtanmeldung zur Krankenversicherung erstreckt werden kann, hat der VwGH mit Erkenntnis vom 24. November 2010, 2009/08/0263, ausgesprochen, dass deshalb, weil § 33 Abs2 ASVG explizit anordnet, dass § 33 Abs1 ASVG auch für geringfügig Beschäftigte gilt und sich die beiden Tatbilder insoweit nicht unterscheiden, der Vorwurf der Übertretung des § 33 Abs1 ASVG unter einem auch den Vorwurf einer Übertretung des § 33 Abs2 ASVG in sich trägt, sodass die letztgenannte Bestimmung jederzeit – also auch noch nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist – zusätzlich zu § 33 Abs1 ASVG als Grundlage einer Bestrafung herangezogen werden kann.

 

Rechtssatz 2

Dazu kommt, dass der EGMR seine Judikatur jüngst – zusammengefasst – dahin modifiziert hat, dass eine unter dem Aspekt des Art 4 des 7.ZPMRK unzulässige Doppelbestrafung primär dann vorliegt, wenn es sich in beiden Fällen um "identische oder substantiell gleiche Fakten" handelt, während eine unterschiedliche rechtliche Qualifikation dem gegenüber nunmehr in den Hintergrund tritt, dh: insbesondere dann keine Doppelbestrafung darstellt, wenn und soweit es sich auch um divergierende Sachverhalte iSd Urteils vom 10. Februar 2009, appl 14939/03, RN 84 (Handlungseinheit aus konkreten faktischen Umständen, die denselben Beschuldigten betreffen und sowohl zeitlich als auch örtlich untrennbar verbunden sind), handelt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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