Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231167/7/Fi/Fl/Ga

Linz, 11.04.2011

 

 

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Mag. Dr. Johannes Fischer über die Berufung des X, vertreten durch X, Rechtsanwalt, X, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion der Landeshauptstadt Linz vom 21. Oktober 2010, GZ S-25.645/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

I.                  Der Berufung wird stattgeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II.              Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs. 1 Z 2 und § 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG;

zu II: § 66 Abs. 1 VStG.


Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion der Landeshauptstadt Linz (im Folgenden: belangte Behörde) vom 21. Oktober 2010, GZ S-25.645/10-2, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage) wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 iVm § 31 Abs. 1 Z 2-4 und 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG 2005) verhängt.

Dem Bw wird vorgeworfen, wie am 15. März 2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt worden sei, Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG 2005 zu sein, und sich seit 17. September 2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufzuhalten. Dies deshalb, weil er weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sei, kein vom Vertragsstaat ausgestellter Aufenthaltstitel gegeben sei, bzw. dem Bw eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukomme. Ebenfalls habe er keine Beschäftigungsbewil­ligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbe­schäftigungsgesetz inne.

Begründend führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Tat durch die eigene dienstliche Wahrnehmung eines Beamten der Polizeiinspektion Münzkirchen und der hierüber vorgelegten Anzeige vom 18. März 2010 sowie aufgrund des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei erwiesen sei.

Mit Bescheid vom 16. September 2009 sei vom fremdenpolizeilichen Referat der belangten Behörde die Ausweisung des Bw angeordnet worden. Durch die Erhebung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts gegen diesen Ausweisungsbescheid erwerbe der Bw keinen Aufenthaltstitel. Ebenso hätten allfällige Bedenken bezogen auf Art. 8 EMRK bereits im Ausweisungsverfahren Berücksichtigung gefunden und seien nicht Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens. Eine für die Behörde erkennbare Notstandssituation im Sinne des § 6 VStG liege daher nicht vor. Im Rahmen der Strafbemessung werde darauf hingewiesen, dass der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit dem Bw nicht zu Gute komme.

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Bw am 27. Oktober 2010 zugestellt wurde, richtet sich die am 4. November 2010 zur Post gegebene – und damit rechtzeitige – Berufung vom selben Tag, die dem Unabhängigen Verwaltungssenat von der belangten Behörde mit Schreiben vom 12. November 2010 unter Anschluss des vollständigen Verwaltungsaktes zur Entscheidung vorgelegt wurde.

Begründend führt der Bw im Wesentlichen aus, dass der von ihm gegen den Ausweisungsbescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, sodass der Bw nicht verpflichtet gewesen sei, aus Österreich auszureisen. Der Bw habe sich sowohl im Ausweisungsverfahren als auch in diesem Verwaltungsstrafverfahren stets darauf berufen, dass ihm aufgrund Art. 8 EMRK die Ausreise aus Österreich nicht möglich und zumutbar sei und habe sich der Bw diesbezüglich auf eine Notstandssituation im Sinne des § 6 VStG berufen. Erhebungen zu diesem Vorbringen seien von der belangten Behörde gänzlich unterlassen worden, insbesondere habe diese weder das beantragte Sachverständigengutachten betreffend den Gesundheitszustand der Kinder des Bw und deren Mutter noch die die Ausweisung des Bw betreffenden Akten eingeholt. Insofern liege daher ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

Ferner leide der Bescheid der belangten Behörde an inhaltlicher Rechtswidrigkeit, zumal mangels eines rechtskräftigen Ausweisungsbescheides die belangte Behörde das Vorliegen einer Notstandssituation selbständig prüfen oder das Verfahren unterbrechen hätte müssen. Dem betreffenden Bescheid könne jedoch keine Begründung, weshalb keine Notstandssituation gegeben sei, entnommen werden. Darüber hinaus sei wegen desselben Sachverhaltes ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Bw eingeleitet worden, was jedenfalls dem Doppelbestrafungsverbot widerspreche.

Der Bw verweist zudem darauf, dass sein Aufenthalt in Österreich schon deshalb nicht unrechtmäßig sei, weil dieser auf die bundesgesetzliche Bestimmung des Art. 8 EMRK und damit auf § 31 Abs. 1 Z 7 FPG 2005 gestützt werden könne.

Abschließend erklärt der Bw, dass selbst wenn davon auszugehen wäre, dass sich der Bw unrechtmäßig in Österreich aufhalte, kein Schuldausschließungsgrund im Sinne des § 5 VStG und auch kein Notstand im Sinne des § 6 VStG vorliege, die Bestrafung dennoch unrechtmäßig sei, zumal der Bw im Sinne des § 46a Abs. 1 FPG 2005 in Österreich zu dulden sei.

Der Bw stelle daher die Anträge, der Unabhängige Verwaltungssenat möge das angefochtene Straferkenntnis aufheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen; in eventu das angefochtene Straferkenntnis aufheben und die Rechtssache zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens zurückverweisen.

1.3. Eine Erhebung des Unabhängigen Verwaltungssenates bei der zuständigen Niederlassungsbehörde hat ergeben, dass der Bw am 21. Dezember 2010 einen Antrag gemäß § 44 Abs. 3 NAG gestellt hat. Dieses Verfahren wurde, zumal dem die Ausweisung verfügenden Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, ausgesetzt.

1.4. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 wurde der Bw aufgefordert, seine familiären Verhältnissen näher darzulegen und diese durch entsprechende Nachweise zu belegen. Darüber hinaus wurde der Bw ersucht, nähere Angaben zur behaupteten Doppelverfolgung bzw. Doppelbestrafung zu machen. Diesem Ersuchen hat der Bw mit Schriftsatz vom 3. Jänner 2011 entsprochen.

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Erstbehörde (einschließlich der Schriftsätze der Parteien) sowie durch Ermittlung bei der zuständigen Niederlassungsbehörde. Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit der Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 51e Abs. 2 Z 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden: VStG) von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Aus den angeführten Beweismitteln ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat folgender Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde liegt:

Der Bw, ein nigerianischer Staatsbürger, reiste im Mai 2003 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 10. Juli 2003 abgewiesen wurde. Der Asylgerichtshof hat der vom Bw dagegen erhobenen Berufung (Beschwerde) mit Erkenntnis vom 25. Juni 2009 keine Folge gegeben.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. September 2009 wurde die Ausweisung des Bw verfügt. Der gegen den die Ausweisung bestätigenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Land Oberösterreich erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 7. Juli 2010, AW 2010/21/0141, aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde vom 21. Oktober 2010, GZ S-25.645/10-2, wurde dem Bw angelastet, sich seit 17. September 2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufzuhalten. Der Bw hält sich ohne eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechts nach dem NAG noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene im Bundesgebiet von Österreich auf. Der Bw ist nicht im Besitz eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels, sein Asylantrag wurde negativ beendet, und er ist nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz.

Am 21. Dezember 2010 stellte der Bw bei der zuständigen Niederlassungsbehörde einen Antrag gemäß § 44 Abs. 3 NAG. Dieses Verfahren wurde, zumal dem die Ausweisung verfügenden Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, ausgesetzt.

Der Bw führt seit dem Jahr 2006 eine Beziehung mit einer in Österreich lebenden nigerianischen Staatsangehörigen, die mit dem HIV-Virus infiziert ist. Aus dieser Beziehung sind zwei gemeinsame Kinder hervorgegangen. Der Bw hat mehrere Deutschkurse besucht, lebt in einer Mietwohnung in Linz und verfügt über eine Krankenversicherung.

3. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 51c VStG hat der Unabhängige Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden.

3.2. Gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG 2005, BGBl. I 100 in der nunmehr im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 9. März 2011, G 53/10 u.a. im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat anzuwendenden Fassung (Aufhebung der Wortfolge "von 1 000 Euro"; die aufgehobene Bestimmung hat der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich für nicht mehr anwendbar erklärt), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG 2005 halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

§ 2 Abs. 4 Z 1 FPG 2005 definiert Fremde als Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen.

3.3.1. Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten, dass der Bw nicht österreichischer Staatsangehöriger und somit Fremder im Sinne des FPG 2005 ist.

Bis zur rechtskräftigen negativen Abweisung seines Asylantrags am 25. Juni 2009 war der Bw auf Grund des Asylgesetzes zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Der Aufenthalt des Bw seit dem 26. Juni 2009 lässt sich jedoch auf keine Bestimmung des § 31 Abs. 1 FPG 2005 stützen. Weder begründet ein nach § 44 Abs. 3 NAG gestellter Antrag auf Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung gemäß § 44b Abs. 3 NAG ein Aufenthalts- oder Bleiberecht, noch könnte ein auf Art. 8 EMRK gestützter Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für sich allein genommen zu einem rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des § 31 Abs. 1 FPG 2005 führen (VwGH 27.1.2007, 2007/21/0115). Damit hat der Bw objektiv tatbestandsmäßig gehandelt, woran auch der noch nicht durchsetzbare Ausweisungsbescheid nichts ändert.

3.3.2. Das FPG 2005 enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Diesbezüglich bringt der Bw insbesondere vor, dass der Beschwerde gegen den Ausweisungsbescheid vom Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, sodass der Bw nicht verpflichtet gewesen sei, aus Österreich auszureisen. Dies bekräftigt der Bw vor allem damit, dass eine Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK zu seinen Gunsten ausfallen müsse: Der Bw habe mit einer in Österreich lebenden nigerianischen Staatsangehörigen ein gemeinsames Privat- und Familienleben begründet, aus dem zwei Kinder hervorgegangen seien, die infolge einer HIV-Infektion der Lebensgefährtin essentiell auf die Anwesenheit des Bw angewiesen seien. Insofern sei eine Bestrafung wegen unrechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet ausgeschlossen. Vielmehr hätte die belangte Behörde entweder das Vorliegen einer Notstandssituation des § 6 VStG selbständig beurteilen oder das Verwaltungsstrafverfahren bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung unterbrechen müssen.

3.3.3. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG 2005 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMKR insbesondere zu berücksichtigen:

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

Wird die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 66 FPG 2005 rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt, so hat die Behörde gemäß § 44a NAG von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 NAG zu erteilen.

Gemäß § 44b Abs. 3 letzter Satz NAG gelten jedoch Verfahren gemäß § 43 Abs. 2 und § 44 Abs. 3 NAG über die Fälle des § 25 Abs. 2 NAG hinaus als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

3.3.4. Die den Bw betreffende Ausweisungsentscheidung war angesichts der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Juli 2010, AW 2010/21/0141, im Zeitpunkt der Fällung des Straferkenntnisses nicht durchsetzbar. Im weiteren Verfahren wird zu prüfen sein, ob die Ausweisung einen zulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Bw darstellt. Dabei darf nach der neuesten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der Umstand, dass das schützenswerte Privat- und Familienleben des Bw während eines schwebenden Asylverfahrens begründet wurde, gegebenenfalls nicht zu Ungunsten des Bw gewertet werden.

In dem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, B 950/10, hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass im Zusammenhang mit der Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK bei einer in hohem Maße stattgefundenen Integration (z.B. längerer Aufenthalt in Österreich und gute Deutschkenntnisse der Familie) eine "integrationsmindernde" Wertung des Umstandes, dass der Aufenthalt nur aufgrund eines letztlich unberechtigten Asylantrages rechtmäßig war, nicht generell zulässig sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Integration der Beschwerdeführer während ihrer jeweils einzigen Asylverfahren erfolgte, die sieben Jahre lang ohne rechtskräftige Entscheidung dauerten. Der Staat müsse Voraussetzungen schaffen, dass bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung nicht sieben Jahre verstreichen, wenn keine außergewöhnlich komplexen Rechtsfragen vorliegen und den Fremden die lange Dauer des Asylverfahrens nicht angelastet werden kann. Zudem habe der Umstand, dass die ersten negativen Entscheidungen behoben wurden, für die Beschwerdeführer die Erwartung erweckt, dass nicht zwangsläufig mit einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens zu rechnen ist.

Wenn nun nach dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur der Aufenthalt während eines einzigen, unverschuldet lange dauernden Asylverfahrens, in dem nicht besonders schwierige Rechtsfragen auftraten, als nicht mehr nur unsicherer Aufenthaltsstatus, sondern als stark "integrationsbegründender" Zustand zu werten ist, scheint es denkbar, dass auch bei der den Bw betreffenden Ausweisungsentscheidung die Interessensabwägung zu Gunsten einer dauernden Unzulässigkeit der Ausweisung ausfallen könnte. Das Vorliegen eines tatsächlichen Familienlebens im engeren Sinn über den gesamten Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet ist dabei nicht allein entscheidend, zumal Art. 8 EMRK auch die sonstigen im Inland geknüpften Beziehungen im Sinne eines "Privatlebens" schützt. Jedenfalls sind die vom Bw dargelegten und im Ausweisungsverfahren näher zu überprüfenden Umstände mögliche Gründe dafür, dass die Ausweisung des Bw auf Dauer für unzulässig erklärt wird und damit gemäß § 44a NAG auch ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs. 2 bzw. § 44 Abs. 3 NAG erteilt werden könnte.

3.3.5. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, 2009/21/0293, ausgeführt, dass Anträge nach den § 43 Abs. 2, § 44 Abs. 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten sei, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen. Der Antragsteller dürfe daher während dieses Verfahrens grundsätzlich nicht abgeschoben werden.

Dem Bw kann somit ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz und über die durch Antrag eingeleiteten Verfahren hinausgehender Inhalt zu kommt. Denn wenn nach einer Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig wäre, so müsste ihm von Amts wegen (§ 44a NAG) ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 NAG erteilt werden. Dies ist allerdings nach § 44b Abs. 3 letzter Satz NAG nur möglich, solange sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält. Für den Bw liegt somit eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit die Verleihung eines Aufenthaltsrechtes infolge einer für den Bw positiven Ausweisungsentscheidung überhaupt möglich ist. Ohne der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vorzugreifen, erscheint die Beschwerde des Bw, der aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, gegen die Ausweisungsentscheidung nicht von vorneherein aussichtslos. Der Eingriff in sein Privat- und Familienleben durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen könnte angesichts der von ihm nicht verschuldeten langen Dauer des einzigen Asylverfahrens von Mai 2003 bis Ende Juni 2009 im Lichte der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichthofs als unverhältnismäßig gewertet werden.

Da der Bw im vorliegenden Fall vertretbar davon ausgehen konnte, nach Abschluss seines Asylverfahrens die rechtskräftige Entscheidung über seine Ausweisung – sowie die Entscheidung über seinen Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG – im Inland abwarten zu dürfen, kann ihm der im angefochtenen Straferkenntnis zum Ausdruck kommende Schuldvorwurf nicht gemacht werden. Würde er seiner Ausreisepflicht nachkommen, wären nämlich auf Grund der Gesetzeslage des NAG seine – für den Strafzeitraum nicht auszuschließenden – Chancen auf einen Aufenthaltstitel – sei es nun aufgrund seines Antrages gemäß § 44 Abs. 3 NAG oder von Amts wegen im Sinne des § 44a NAG – zunichte gemacht. Ein Verfahren nach dem NAG wäre einzustellen bzw. von Amts wegen gar nicht einzuleiten. In dieser konkreten Zwangslage kann dem Bw die angelastete Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden.

3.4. Der Berufung war daher stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen, weil entschuldigende Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit des Bw ausschließen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Johannes Fischer

 

 

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