Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720260/19/Gf/Mu

Linz, 13.05.2011

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x, vertreten durch RA x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried i.I. vom 20. Oktober 2009, Zl. Sich/07/7824, wegen der Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

 

 

          Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 2 AVG.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Der am 9. Oktober 1989 in Y geborene türkische Beschwerdeführer ist – wie sich dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt entnehmen lässt – im Jahre 1992 gemeinsam mit seiner Mutter im Rahmen der Familienzusammenführung mit einem bis 20. Jänner 1993 befristeten Sichtvermerk ins Bundesgebiet eingereist und hat sich am 29. Juli 1992 am Wohnsitz seines Vaters polizeilich gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt hat sein Vater bereits 5 bis 6 Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet. Seit Juli 1992 ist der Rechtsmittelwerber rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen. In weiterer Folge absolvierte er die Pflichtschule in Österreich (4 Jahre Volksschule, 4 Jahre Hauptschule und 1 Jahr Polytechnischer Lehrgang). Im Anschluss hat er, ohne einen Beruf erlernt zu haben, bei mehreren Unternehmen als Hilfsarbeiter gearbeitet. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried i.I. vom 28. September 2006, Zl. Sich/07/7824, wurde das ihm am 26. November 1992 zuerkannte unbefristete Niederlassungsrecht auf ein bloß befristetes "Niederlassungsrecht - unbeschränkt" zurückgestuft, welches ihm letztlich durch die Bezirkshauptmannschaft Ried i.I. bis zum 1. Oktober 2008 gewährt wurde; zuletzt stellte er am 22. September 2008 einen Verlängerungsantrag.

 

1.2. Im gegenständlichen Fall geht bereits ausführlich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides hervor, dass der Rechtsmittelwerber wegen mehrerer
Übertretungen rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt wurde, und zwar insbesondere

 

*   mit Urteil des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 8. Jänner 2004, Zl. 1U53/03u, wegen des Vergehens des Ladendiebstahles zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen á 2,00 Euro, bedingt auf 3 Jahre (rechtskräftig seit 13. Jänner 2004);

 

*   mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 5. März 2004, Zl. 20Hv11/04g, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung und des Vergehens des Diebstahles zu einer bedingten Zusatzgeldstrafe von 40 Tagessätzen á 2,00 Euro samt Anordnung der Bewährungshilfe (rechtskräftig seit 9. März 2004);

 

*   mit Urteil des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 25. November 2004, Zl. 1U34/04f, wegen des Vergehens des Diebstahles sowie des Vergehens der Verleumdung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Wochen (rechtskräftig seit 30. November 2004);

 

*   mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 29. Dezember 2004, Zl. 20Hv70/04h, wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch und des Verbrechens der Verleumdung unter Bedachtnahme auf die Vorverurteilung vom 25. November 2004 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten (bedingt nachgesehen mit einer Probezeit von 3 Jahren - rechtskräftig seit 4. Jänner 2005);

 

*   mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 18. Oktober 2005, Zl. 30Hv21/05b, wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbs­mäßigen Diebstahls durch Einbruch zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 9 Monaten; anlässlich der dagegen eingebrachten Berufung wurde das Strafausmaß des unbedingten Teiles der Freiheitsstrafe mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 9. Jänner 2006, Zl. 10Bs389/05k, auf 3 Monate herabgesetzt (einen Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 6 Monaten wurde bedingt nachgesehen mit einer Probezeit von 3 Jahren - rechtkräftig seit 9. Jänner 2006);

 

*   mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 1. Februar 2008, Zl. 20Hv2/2008i, wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten, wobei die dem Beschwerdeführer zu Zlen 1U34/04f des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis, Zlen 20Hv70/04h und 30Hv21/05b des Landesgerichtes Ried im Innkreis gewährten bedingten Strafnachsichten widerrufen wurden; mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 7. April 2008, Zl. 10Bs86/08f, wurde von dem mittels Beschluss des vom Landesgericht Ried im Innkreis verkündeten Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf insgesamt 5 Jahre verlängert;

 

*   mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 23. Juni 2008, Zl. 20Hv16/08y, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung, wobei unter Rücksichtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 1. Februar 2008 von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde;

 

*   mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 7. Jänner 2009, Zl. 20Hv66/08a, wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch zu einer Freiheitsstrafe von 3½ Jahren; anlässlich der dagegen eingebrachten Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 21. April 2009, Zl. 8Bs84/09y, die verhängte Freiheitsstrafe auf 3 Jahre herabgesetzt und vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen.

 

Zudem wurden gegen den Beschwerdeführer folgende verwaltungsbehördliche Bescheide bzw. Straferkenntnisse bzw. erlassen:

 

*   Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 8. Jänner 2004, Zl. Sich50-58-2003, wurde ihm der Besitz von Waffen und Munition mit sofortiger Wirkung verboten;

 

*   mit Straferkenntnis vom 9. Oktober 2008, Zl. Sich96-222-2008-Ha, wurde gegen ihn wegen einer Übertretung des § 82 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes eine Geldstrafe in Höhe von 80 Euro verhängt;

 

*   mit Straferkenntnis vom 9. Oktober 2008, Zl. Pol96-66-2008, wurde gegen ihn wegen zwei Übertretungen des § 3 Abs. 1 des Oö. Polizeistrafgesetzes eine Geldstrafe in Höhe von jeweils 40 Euro verhängt.

 

 

1.3. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 20. Oktober 2009, GZ Sich/07/7824, wurde daher gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass acht inländische gerichtliche Verurteilungen sowie drei Verwaltungsvorstrafen vorlägen. Im Zeitraum dieser Verurteilung sei der Rechtsmittelwerber am 11. Februar 2005 und 31. Juli 2006 von der Bezirkshauptmannschaft Ried über sein bisheriges Fehlverhalten belehrt und ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, dass weitere strafbare Handlungen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach sich ziehen würden. Zu seinen persönlichen Verhältnissen sei festgestellt worden, dass er ledig sei, keine Sorgepflichten habe und bis zu seiner Verhaftung an der Wohnsitzadresse seiner Eltern polizeilich gemeldet gewesen sei. Zudem sei er vom 2. September 2008 bis 12. September 2008 bei einem Unternehmen als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen, wobei sein Nettoverdienst ca. 1.200 Euro monatlich betragen habe. Weder in Österreich noch in der Türkei habe er ein Vermögen oder Schulden. Seine Eltern würden allerdings in der Türkei ein Ferienhaus besitzen. Darüber hinaus lebten sämtliche Verwandte in Österreich, in Deutschland oder in der Schweiz; nur seine Großmutter, die bereits über 70 Jahre alt sei, sei noch in der Türkei aufhältig. Außerdem sei er in Österreich als sozial voll integriert anzusehen, während er in der Türkei keine Bekannten habe. Das letzte Mal sei er vor ca. vier oder fünf Jahren in seiner Heimat gewesen. Zuvor habe er mit seinen Eltern alle zwei Jahre den Urlaub dort verbracht. Seit dem 9. September 2009 sei er in der Justizanstalt Gerasdorf in gerichtlicher Strafhaft. Im Rahmen seiner Einvernahmen und in weiteren Stellungnahmen habe er wiederholt angegeben, dass er mit den beabsichtigten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht einverstanden sei, weil er seit seinem dritten Lebensjahr mit seinen Eltern im Bundesgebiet lebe, gutes Deutsch spreche und auch sozial integriert sei. Letzteres sei ihm sogar in einem Bericht einer Diplomsozialarbeitern vom 14. Juli 2009 attestiert worden. Darüber hinaus habe er auf seine Rechte nach Art. 7 des 2. Unterabsatzes des Assoziationsratsbeschlusses (ARB 1/1980) verwiesen.

 

Nach Ansicht der Erstbehörde könne jedoch auf Grund des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung schwerer Eigentums- und Gewaltkriminalität gegenüber den Umständen, dass er bereits seit 1992 mit seinen Eltern im Bundesgebiet lebe, nur geringes Gewicht beigemessen werden, sodass sich insgesamt eine negative Zukunftsprognose ergebe. Auf Grund der Art und Schwere seiner Vergehen, die mit einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als 31/2 Jahren geahndet worden seien, sei von einem befristeten Aufenthaltsverbot Abstand zu nehmen gewesen, weil zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzbar sei, ob und wann die Gründe für die gegenständliche Maßnahme wegfallen würden.

 

1.4. Gegen diesen ihm am 22. Oktober 2009 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, vermutlich am 2. November 2009 – insgesamt besehen aber jedenfalls rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin bringt der Rechtsmittelwerber zunächst vor, dass im gegenständlichen Bescheid nicht ausdrücklich festgehalten worden sei, dass er sich von klein auf im Bundesgebiet aufgehalten habe, hier sowohl den Kindergarten als auch neun Jahre Pflichtschule absolviert habe und auch sehr gut der deutschen Sprache mächtig sei, weshalb eine starke Aufenthaltsverfestigung gegeben sei. Zudem befinde sich seine gesamte Kernfamilie in Österreich und auch seine nahen Familienangehörigen würden in Deutschland und in Frankreich leben. In der Türkei befinde sich hingegen nur mehr seine über 70 Jahre alte Großmutter väterlicherseits. Daher habe er weder in wirtschaftlicher noch in familiärer Hinsicht echte Anknüpfungspunkte an die Türkei. Das Ferienhaus seiner Eltern sei nur für Kurzurlaube geeignet, nicht aber, um ihm auch eine wirtschaftliche Existenz bieten zu können. Darüber hinaus hätte bei der rechtlichen Beurteilung berücksichtigt werden müssen, dass er keine türkische Schulsaubildung habe und daher auch nicht viel über sein Heimatland erfahren habe. Weiters wird vorgebracht, dass er nunmehr in der Haftanstalt seinen fehlenden Hauptschlussabschluss nachhole und er anschließend eine Berufsausbildung absolviere, weshalb er auch einen guten Resozialisierungserfolg erreichen könne. Zudem sei bei einer derart langen Freiheitsstrafe auch von einem adäquaten Erziehungserfolg auszugehen, weshalb bei richtiger Ermessensausübung und Interessensabwägung insbesondere im Hinblick auf die Aufenthaltsverfestigung die Voraussetzungen für die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes nicht gegeben seien.

 

1.5. Mit Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 25. November 2009, Zl. VwSen-720260, wurde diese Berufung abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass gemäß § 60 Abs. 1 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes gegen einen Fremden dann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Als in diesem Sinne "bestimmte Tatsache" gilt nach § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz u.a., wenn der Fremden von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monate oder zu einer teilbedingten nachgesehenen Freiheitsstrafe bzw. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist. Ein Aufenthaltsverbot kann im Fall des § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz unbefristet, sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden (§ 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz). Gemäß § 60 Abs. 6 Fremdenpolizeigesetz i.V.m. § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, durch das in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, wobei in diesem Zusammenhang die in § 66 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz normierten Kriterien gegeneinander abzuwägen sind. Nach der Spezialbestimmung des § 55 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz dürfen Fremde unbeschadet des § 61 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz nicht ausgewiesen werden, die von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen sind. Fremde sind jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind. Gemäß § 61 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu einer mehr als zweijährigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er hätte einen der in § 60 Abs. 2 Z. 12 bis 14 Fremdenpolizeigesetz bezeichneten Tatbestände verwirklicht. Nach § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind.

 

Im gegenständlichen Fall lägen – auch vom Beschwerdeführer unbestritten – mehrere rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von insgesamt 3½ Jahren und damit eine bestimmte Tatsache i.S.d. § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz vor, die die Fremdenpolizeibehörde nach § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz grundsätzlich dazu ermächtigen, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot zu ver­hängen. Angesichts des gerichtlich festgestellten gravierenden Fehlverhaltens bedeute ein weiterer Aufenthalt des Rechtsmittelwerbers im Bundesgebiet daher auch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit i.S.d. § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung schwerer Eigentums- und Gewaltkriminalität berührt. Zudem sei der seit dem Ende des Fehlverhaltens (13. September 2008) verstrichene Zeitraum jedenfalls noch viel zu kurz, um die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr der Begehung gleichartiger Delikte bereits als weggefallen oder auch nur entscheidend gemindert ansehen zu können. Denn der Rechtsmittelwerber befinde sich seither und auch gegenwärtig noch in Strafhaft, sodass derzeit keinerlei Erfahrungen über seinen tatsächlichen zwischenmenschlichen Umgang in normaler Gesellschaft und Umgebung bestünden; sohin sei eine dementsprechende Günstigkeitsprognose derzeit überhaupt unmöglich.

 

Selbst wenn durch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes tatsächlich i.S.d. § 60 Abs. 6 i.V.m. § 66 Fremdenpolizeigesetz insofern in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen würde, als er vorbringt, dass er seit 1992 mit seinen Eltern im Bundesgebiet lebe und in der Justizanstalt seine fehlende Berufsausbildung nachholen und daher nach seiner Haftentlassung am Arbeitsmarkt Fuß fassen könne, sei unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes aus den genannten spezialpräventiven Gründen, aber auch aus generalpräventiven Gründen, nämlich zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Wege der Hintanhaltung von schwerer Eigentums- und Gewaltkriminalität, unverzichtbar.

 

Davon abgesehen bleibe es dem Rechtsmittelwerber ohnehin unbenommen, nach § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz jederzeit dann einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes zu stellen, wenn (er der Meinung sei, dass) die Gründe, die zu dessen Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

 

1.6. Mit Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2010/21/0232, hat der Verwaltungsgerichtshof das h. Erkenntnis vom 25. November 2009 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Rechtsmittelwerber unstrittig die Voraussetzungen nach Art. 7 des ARB 1/80 erfülle. Außerdem lege § 86 Abs. 1 fünfter Satz Fremdenpolizeigesetz bezüglich der für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderlichen negativen Zukunftsprognose einen gegenüber § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz Fremdenpolizeigesetz deutlich strengeren Maßstab an, insbesondere auch dahin, dass es in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das zugrunde liegende Tatverhalten ankomme; in diesem Sinne sei auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Aus unionsrechtlichen Gesichtspunkten erfordere dies eine argumentative Auseinandersetzung zumindest mit den Eckpunkten des strafrechtsrelevanten Verhaltens, aus dem die maßgebliche Gefährdung abgeleitet wird; ein bloß formelhafter Verweis auf das gerichtlich festgestellte Fehlverhalten und/oder auf das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung schwerer Eigentums- und Gewaltkriminalität reiche hingegen nicht hin.

 

1.7. An diese Rechtsansicht ist der Oö. Verwaltungssenat (zumindest im gegenständlichen Fall) gemäß § 63 Abs. 1 VwGG gebunden, und zwar selbst dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof im vorangeführten Erkenntnis zum einen unzutreffend davon ausgegangen ist, dass er § 86 Abs. 1 FPG "in der ..... Fassung nach dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009" anzuwenden hatte (S. 4) – denn das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl.Nr. I 122/2009, ist gemäß § 126 Abs. 7 FPG erst am 1. Jänner 2010 und damit nach der Erlassung des h. Erkenntnisses vom 25. November 2009, Zl. VwSen-720260/2/Gf/Mu, in Kraft getreten – und zum anderen auf EuGH-Judikatur verwiesen hat (nämlich auf dessen Urteil vom 23. November 2010, C-145/09; vgl. S. 5), die ebenfalls erst nach der Fällung des h. Erkenntnisses ergangen ist und daher schon aus diesem Grund nicht berücksichtigt werden konnte, sodass im Ergebnis keine bloß nachprüfende Kontrolle anhand der im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblichen Rechtslage (vgl. dazu schon K. Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof, Graz 1955, 216 ff) stattgefunden hat.

 

 

2.  Davon ausgehend hat der Oö. Verwaltungssenat über die vorliegende Berufung erwogen:

 

 

2.1. Gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, in der nunmehr maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), ist auch gegen einen Unionsbürger – diesem sind türkische Staatsangehörige, die (wie im gegenständlichen Fall der Beschwerdeführer) unter Art. 7 des ARB 1/80 fallen, nach dem vorangeführten Erkenntnis des VwGH vom 14. April 2011, Zl. 2010/21/0232, S. 4 und 5, offenbar gleichzustellen – die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dabei muss das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein eine derartige Maßnahme nicht ohne weiteres begründen können und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig sind.

 

Wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, so ist die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 6 i.V.m. § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. In diesem Zusammenhang sind gemäß § 66 Abs. 2 FPG insbesondere die Art und die Dauer des bisherigen Aufenthalts sowie die Frage, ob dieser rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen.

 

2.2. Im gegenständlichen Fall wurden von der belangten Behörde als einzige Umstände, die die Verhängung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigen sollen, die zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ins Treffen geführt (s.o., 1.2.), wobei davon ausgegangen wurde, dass diese im Zuge einer entsprechenden Abwägung sein privates Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.

 

Nach den vom VwGH zuvor dargelegten Gründen (s.o., 1.6.) vermögen diese allein jedoch keine gegenwärtige Gefahr iSd § 86 Abs. 1 FPG zu begründen, es sei denn, dass sich aus den konkreten Umständen des Falles spezifische Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben.

 

Hier resultieren jedoch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch sonst auf Grund des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens spezifische Anhaltspunkte dafür, warum bzw. dass der Beschwerdeführer – als einem EU-Bürger gleichgestellter türkischer Staatsangehöriger – nicht bloß eine potentiell-abstrakte, sondern vielmehr eine vergleichsweise wesentlich gravierendere, nämlich konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG bildet. Vielmehr bezieht sich die Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich auf generalpräventive Aspekte, die im Zusammenhang mit der vorerwähnten strafgerichtlichen Verurteilung stehen; allein daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass bzw. warum der Fremde eine aktuell noch immer bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen soll.

 

2.3. Der gegenständlichen Berufung war daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

Hingewiesen wird jedoch darauf, dass dadurch die spätere Erlassung eines – zeitlich befristeten oder unbefristeten – Aufenthaltsverbotes nicht ausgeschlossen ist, wenn bzw. sobald der Beschwerdeführer aus der Sicht der Fremdenpolizeibehörde eine entsprechend belegbare konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG bildet.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr.  G r o f

 

 

VwSen-720260/19/Gf/Mu vom 13. Mai 2011

Erkenntnis

 

VwGG § 63 Abs 1

 

Rechtssatz

Grundsätzlich wie VwSen-720299/2/Gf/Mu vom 11. Mai 2011; darüber hinaus:

 

An eine vom VwGH in einem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsansicht ist der Oö Verwaltungssenat (zumindest im Anlassfall) gemäß § 63 Abs1 VwGG gebunden, und zwar selbst dann, wenn der VwGH darin zum einen unzutreffend davon ausgegangen ist, dass er § 86 Abs1 FPG "in der ... Fassung nach dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009" anzuwenden hatte (S 4) – denn das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl I 122/2009, ist gemäß § 126 Abs7 FPG am 1. Jänner 2010 und damit erst nach der Erlassung des h Erkenntnisses vom 25. November 2009, Zl VwSen-720260/2/Gf/Mu, in Kraft getreten – und zum anderen auf EuGH-Judikatur verwiesen hat (nämlich auf das Urteil vom 23. November 2010, C-145/09; vgl S 5), die ebenfalls erst nach der Fällung des h Erkenntnisses ergangen ist und daher schon aus diesem Grund nicht berücksichtigt werden konnte, sodass im Ergebnis keine bloß nachprüfende Kontrolle anhand der im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblichen Rechtslage (vgl dazu schon Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof 1955, 216ff) stattgefunden hat.

 

 

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