Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720286/2/BMa/Th

Linz, 24.05.2011

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Berufung des X, derzeit Justizanstalt X, Staatsangehöriger der X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz vom 9. Dezember 2010, AZ: 1029663/FRB, betreffend die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

 

 

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid im Spruchteil 1 mit der Maßgabe bestätigt, dass das unbefristete Aufenthaltsverbot erst im Anschluss an die Entlassung aus der inländischen Strafhaft wirksam wird und die Rechtsgrundlage zu lauten hat: § 86 Abs.1 iVm §§ 60 ff Fremdenpolizeigesetz 2005 (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 17/2011).

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991, idF BGBl. I Nr. 111/2010 (im Folgenden: AVG)

 

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz vom

9. Dezember 2010, AZ: 1029663/FRB, wurde im Spruchteil 1 über den Berufungswerber X, geb. am X, X Staatsangehöriger (im Folgenden: Bw) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Republik Österreich erlassen und im Spruchteil 2 von einem amtswegigen Durchsetzungsaufschub Abstand genommen.

 

In der Begründung führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Bw halte sich seit 19.08.2003, also seit seinem 25. Lebensjahr, in Österreich auf. Den Großteil seines Lebens habe er in der X verbracht. Am 18.06.2003 sei ihm erstmals eine Niederlassungsbewilligung erteilt worden. Bezugsperson sei sein Vater X gewesen, dem bereits mit Wirkung vom 13. September 2002 die österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt worden sei. In weiterer Folge seien ihm wiederkehrend entsprechende Aufenthaltstitel, zuletzt gültig bis 23.12.2009, erteilt worden. Der Bw sei ab 18.06.2003 mehr als 4 Jahre ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Er könne daher auch Rechte aus dem Assoziationsabkommen mit der X geltend machen. Am 25. Jänner 2010 sei der Bw vom Landesgericht Linz wegen des Verbrechens des Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Seiner dagegen eingebrachten Berufung sei vom Oberlandesgericht Linz (AZ) am 16. August 2010 keine Folge gegeben worden. Hingegen sei der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben und das angefochtene Urteil in seinem Strafausspruch dahin abgeändert worden, dass die über den Bw verhängte Freiheitsstrafe auf 18 Jahre erhöht worden sei. Dieser Verurteilung liege zugrunde, dass der Bw am 6. Mai 2009 in Linz X durch Versetzen von 25 Messerstichen, wobei zumindest ein Stich das Herz traf, getötet habe. Nach Mitteilung, dass beabsichtigt sei, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Bw zu erlassen, habe er dazu keine Stellungnahme abgegeben.

 

Bereits ein Jahr vor seiner Festnahme habe der Bw ein außereheliches Verhältnis zu X unterhalten und er sei bei ihr ab 3. April 2009 bis zu seiner Festnahme tageweise auch polizeilich gemeldet gewesen. Anfang des Jahres 2009 habe er und seine Ehegattin beim Bezirksgericht Linz-Land einen Antrag auf einvernehmliche Scheidung gestellt, dieser Antrag sei wieder zurückgezogen worden und der Bw sei bis dato mit X verheiratet und habe mit ihr gemeinsam 2 Kinder.

Der Vater des Bw, der bereits seit mehr als 8 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, sowie 3 Geschwister des Bw würden ebenfalls in Österreich leben.

 

Die belangte Behörde zog den Schluss, dass das Aufenthaltsverbot auch im Sinne des Art. 8 Abs.2 EMRK – unter besonderer Berücksichtigung des § 66 Abs.2 und 3 FPG 2005 – erforderlich sei, um das hohe Schutzinteresse des Staates an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter zu wahren. Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes sei auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht genommen worden. In Anbetracht des vom Bw begangenen, besonders verwerflichen Verbrechens könne nicht abgesehen werden, wann die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, bei ihm wiederum wegfallen würden – das Aufenthaltsverbot sei daher unbefristet zu erlassen gewesen. Es werde in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, dass die erkennenden Gerichte die besonders grausame Tatausführung als straferschwerend gewertet hätten.

 

2. Gegen diesen Bescheid, der dem Bw am 13. Dezember 2010 zu eigenen Handen zugestellt worden war, erhob der Bw innerhalb offener Frist Berufung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bw lebe seit 18. Juni 2003 durchgehend in Österreich und sei bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt gewesen. Sein Vater sei österreichischer Staatsbürger, seine beiden Brüder, seine Schwester und seine beiden minderjährigen Kinder würden ebenfalls in Österreich leben. Er habe in Österreich einen Deutschkurs und einen Staplerkurs absolviert. Die Straftat habe er aus Eifersucht begangen und er bereue diese Tat. Wenn er in die Türkei zurückkehren müsse, würde er Probleme mit der Familie des Opfers bekommen, es wäre sogar sein Leben in Gefahr.

 

Damit stellte der Bw – konkludent – den Antrag auf Aufhebung des Spruchpunkt 1 des Aufenthaltsverbotsbescheids vom 9. Dezember 2010.

 

3. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2010, Zl. 1-1029663/FRB/10, legte die Bundespolizeidirektion Linz den Verwaltungsakt der belangten Behörde vor.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Linz zu Zl. 1-1029663/FRB/10. Daraus ergab sich in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen, dass die Feststellungen der belangten Behörde im Wesentlichen unstrittig sind. Diese werden daher auch diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 86 Abs.1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

 

4.2. Beim Bw handelt es sich um einen nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB) begünstigten türkischen Staatsangehörigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen (z.B. 2006/18/0278 v. 11.12.2007, 2007/03/0221 v. 26.03.2008) festgehalten, dass der Unabhängige Verwaltungssenat in Berufungsverfahren von begünstigten türkischen Staatsangehörigen gemäß § 9 FPG als zuständige Berufungsbehörde anzusehen ist.

 

§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung betreffend freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs.1 Z1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs.2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2002, 2000/18/0013).

 

Demgemäß sind auch die §§ 60 ff FPG als Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs.1 und 2 FPG orientiert.

 

Gemäß § 60 Abs.1 Z1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs.1 gilt gemäß § 60 Abs.2 Z1 leg.cit insbesondere, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Würde nach § 60 Abs.6 iVm § 66 Abs.1 FPG durch eine Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs.2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 60 Abs.6 iVm § 66 Abs.2 leg.cit darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familien schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1.     Die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen,

2.     die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

 

4.3.1. Da dem Bw die von Art. 6 ARB geschützte Rechtsposition zukommt, war auf § 86 FPG abzustellen und zunächst zu prüfen, ob das persönliche Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Die Erläuterungen zu § 86 FPG (22 GP, RV 952, 106)  verweisen auf die Art. 27
Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 Z. a der Richtlinie 2004/38/EG und die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.10.1977, Rs 30/77 - Fall Bouchereau).

 

Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen  rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des

§ 60 Abs. 2 FPG nur als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.

 

Wie sich aus den Feststellungen ergibt, wurde der Bw wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt.

 

Nach § 63 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zulässig.

 

4.3.2. Für den Oö. Verwaltungssenat steht zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

4.3.2.1. Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände  ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

Im konkreten Fall handelt es sich auch nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse, sondern tatsächlich um ein Grundinteresse der Gesellschaft. Das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB ist ein gegen Leib und Leben eines Menschen gerichtetes Kapitalverbrechen. Das Oberlandesgericht hat das Strafausmaß sogar noch auf 18 Jahre hinaufgesetzt und ist von einer schwerwiegenden persönlichen Schuld des Bw und von einem erheblichen sozialen Unwert ausgegangen.

 

In der Begründung des Geschworenengerichts Linz wurde zum Verhalten des Bw ausgeführt: "Der Angeklagte zeigte sich von Anfang an zum Tatsächlichen umfassend geständig und reumütig. Auch ist der Angeklagte bisher unbescholten. Dennoch steht diesen Milderungsgründen aufgrund der grausamen Tatausführung (vgl. dazu Leukauf/Steininger, StGB³ § 33 Rz 12; OGH 14 Os 16/89), bei welcher das Opfer keinerlei Gegenwehr setzen konnte, sondern trotz wiederholter Fluchtversuche solange verfolgt und malträtiert wurde, bis es starb, ein massiver Erschwerungsgrund gegenüber. Bei der Schuld des Angeklagten

(§ 32 StGB) ist zudem als aggravierend zu berücksichtigen, dass der Angeklagte selber es war, der den Kreislauf an Lug und Betrug in seiner Beziehung in Gang setzte, der schlussendlich zu den tragischen Ereignissen des 6.5.2009 führte."

 

Aus der Begründung des Oberlandesgerichts Linz ist weiters ersichtlich, dass der Bw den Mord in besonders grausamer Tatausführung begangen hat – dies wurde auch straferschwerend gewertet. Der höhere Handlungsunwert der Tat des Bw manifestiert sich durch insgesamt 25 Stichverletzungen (13 Stichwunden von hinten und 12 Stichwunden von vorne), die der Bw seinem Opfer zugefügt hat. Die Verletzungen wurden zumindest teilweise mit erheblicher Wucht geführt, dies gilt insbesondere für Verletzungen, welche knöcherne Strukturen betroffen haben. Hier ist in besonderer Weise der Herzstich zu beachten, der damit in Verbindung stehende Durchstich des knöchernen Rippenansatzes musste dem eindringenden Stichwerkzeug einen erheblichen Widerstand entgegengesetzt haben, wobei auch beim Herausziehen dieses Stichwerkzeuges durch die Klemmwirkung der Rippen, ein erheblicher Widerstand überwunden werden musste. Gemäß diesem Urteil hat der Bw die Tat auch sorgfältig geplant. Die kriminelle Energie des Bw richtet sich massiv gegen wesentliche Grundinteressen der Gesellschaft. Eine Steigerung dieses gezeigten Aggressionspotentials ist nur mehr sehr schwer möglich.

 

Der Bw bringt nichts vor, dass zur Begründung einer positiven Zukunftsprognose herangezogen werden könnte. Sein Vorbringen, er habe die Straftat aus Eifersucht begangen und bereue diese Tat, ist nicht geeignet, eine positive Zukunftsprognose zu begründen, ist doch nicht auszuschließen, dass der Bw – sollte er seine Lebensgemeinschaft fortsetzen oder eine andere eingehen – wiederum Straftaten aus Eifersucht begehen wird.

 

Das Persönlichkeitsbild des Bw lässt keinesfalls den Schluss zu, dass er als geläutert anzusehen ist. Vielmehr gilt seine Sorge nunmehr seiner eigenen Sicherheit, wenn er anführt, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei große Probleme mit der Familie seines Opfers bekommen würde und sogar sein Leben in Gefahr sei.

 

Aufgrund der dargelegten Umstände, der Art und Schwere der vorliegenden Straftat und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Bw pflichtet der Oö. Verwaltungssenat der Auffassung der belangten Behörde bei, dass der weitere Aufenthalt des Bw in Österreich die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 60 Abs.1 Z1 FPG gefährden würde und dass sein bisheriges Fehlverhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die das besondere Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung von Straftaten gegen Leib und Leben berührt. Dabei war das Tatbestandsmerkmal "gegenwärtig" in sinnvoller Weise auf den Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft (Gerichtshaft) zu beziehen und zu fragen, ob das prognostizierte Verhalten des Fremden für diesen Fall eine Gefahr iSd § 86 Abs.1 FPG darstellen würde.

 

4.3.2.2. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, ferner eine Maßnahme darstellt, die einem oder mehreren der in Art. 8 Abs. 2 EMRK formulierten Ziele (die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, der Schutz der Gesundheit und der Moral und der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dient und hierfür in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.

 

Unstrittig liegt im vorliegenden Fall ein Eingriff vor. Der Eingriff verletzt den Schutzanspruch aus Art 8 Abs. 1 EMRK jedenfalls dann, wenn er zur Verfolgung der genannten Ziele in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig ist, d.h. wenn er nicht durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere nicht verhältnismäßig zum verfolgten legitimen Ziel ist.

 

Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht ist nicht bereits dann notwendig, wenn die innerstaatliche Norm ihn gebieten oder erlauben und er einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK formulierten Ziel dient. Entscheidend ist, ob er auch verhältnismäßig zum verfolgten Eingriffsziel ist. Davon ist nur auszugehen, wenn Gewicht und Bedeutung des Eingriffziels Gewicht und Bedeutung des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Schutzanspruchs überwiegt. Bei der Abwägung sind laut EGMR (Benhebba, Urteil vom 10.7.2003, Bsw.Nr. 53441/99; Üner, Urteil vom 5.7.2005, Bsw.Nr. 46410/99) jedenfalls folgende Aspekte zu berücksichtigen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen:

-        Dauer des Aufenthaltes

-        Beherrschung der Sprache des Aufenthaltsstaates in Wort und Schrift

-        Wohnverhältnisse

-        wirtschaftliche Integration

-        soziale Kontakte und Bindungen, Alter der Kinder

-        Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft

-        Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes

-        Bindungen an den Staat der eigenen Staatsangehörigkeit

-        Straftaten

-        Natur und Schwere der Straftaten

-        Dauer des Zeitraums zwischen Begehung der Straftat und der aufenthaltsbeendenden Maßnahme und das Verhalten des Fremden während dieser Zeit

-        Dauer des Aufenthaltes im Aufenthaltsstaat

-        Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen (Ehegatte, Kinder)

-        Schwierigkeiten, welche für den Ehepartner und/oder Kinder im Herkunftsstaat des Fremden zu erwarten sind

 

Ein wesentliches Element für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des zu erlassenden Aufenthaltsverbotes ist die Schwere des vom Bw begangenen heimtückischen Verbrechens.

Der EGMR hat sich in zahlreichen Urteilen (X, Urteil vom 2.8.2001, Bsw.Nr. 54273/00; X, Urteil vom 30.11.1999, Bsw.Nr. 34374/97) mit der Verhältnismäßigkeit derartiger Eingriffe auseinandergesetzt. Unzweifelhaft greift das Aufenthaltsverbot intensiv in das Privatleben des Bw ein.

 

Der Bw ist im Alter von ca. 25 Jahren nach Österreich eingereist und im Bundesgebiet ca. 8 Jahre aufhältig. Der Bw ist beruflich und wirtschaftlich integriert, hat 2 minderjährige Kinder und ist mit einer in Österreich lebenden Frau verheiratet, auch wenn er mit dieser keine Lebensgemeinschaft mehr aufrecht erhalten hat. Seine beiden Brüder und seine Schwester leben ebenso wie sein Vater in Österreich.

Gegen den Aufenthalt des Bw und für die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots wirkt sich seine gewalttätige und heimtückische Handlungsweise und sein mangelndes Rechtsempfinden im Hinblick auf seine Eifersuchtstat und seine daraus resultierende Gewaltbereitschaft erkennen lassendes Persönlichkeitsbild aus.

 

Trotz der schwer wiegenden Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie stellen sich die nachteiligen Folgen von der Abstandnahme einer Erlassung als wesentlich nachteiliger dar. Der Bw ist nunmehr 33 Jahre alt und selbsterhaltungsfähig. Zur Aufrechterhaltung der familiären Beziehungen ist es zumutbar, dass seine ebenfalls erwachsenen Geschwister und seine Eltern sowie die bis zu seiner Haftentlassung ebenfalls volljährigen Kinder ihn in seinem Heimatland besuchen. Von seiner Frau war der Bw ohnehin getrennt.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die für seinen Verbleib in Österreich sprechende persönlichen Interessen jedenfalls das durch sein gravierendes Fehlverhalten nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse iSd Art 8 Abs 2 EMRK nicht überwiegt.

 

Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots für die öffentliche Ordnung und Sicherheit wiegen wesentlich schwerer als die Auswirkungen auf die persönliche Lebenssituation des Bw. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes war zur Erreichung von im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

 

4.4. Bei Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist nach § 63 Abs. 2 FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit dem Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

 

Der erkennende Verwaltungssenat kann dem FPG keine ausdrückliche Bestimmung entnehmen, die die Durchsetzbarkeit eines Aufenthaltsverbotes davon abhängig macht, dass der Betroffene aus der inländischen Strafhaft entlassen wird.

 

Bereits im Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenat vom 2. März 2007, VwSen-720070/3/WEI/Ps, wurde hiezu wie folgt ausgeführt:

"Im § 1 Abs. 2 vorletzter Satz FPG wird lediglich ein Vorrang des Asylverfahrens geregelt, wonach die Durchsetzung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Asylwerber erst zulässig ist, wenn auch die asylrechtliche Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 durchgesetzt werden kann. Im Übrigen bestimmt § 67 Abs. 2 FPG ungeachtet einer Untersuchungs- oder Strafhaft des Fremden für den Fall des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung, dass damit der Ausspruch durchsetzbar und der Fremde unverzüglich auszureisen hätte. Solange die Fremdenpolizeibehörden bei der Durchsetzung untätig bleiben und der Gerichtshaft faktisch Vorrang einräumen, entstehen freilich in der Praxis keine Konflikte.

 

Zur Vermeidung eines zumindest theoretischen Bindungskonflikts sollte aber nach der Auffassung des erkennenden Verwaltungssenats bei einem Aufenthaltsverbot grundsätzlich schon im Spruch der Beginn seiner Gültigkeit in der Weise zum Ausdruck gebracht werden, dass es erst im Anschluss an die Entlassung aus der Gerichtshaft rechtswirksam wird."

 

Aus den genannten Gründen war eine entsprechende Modifikation des Spruches vorzunehmen. Für diese Vorgangsweise lässt sich sinngemäß wohl auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei der Beurteilung des Wohlverhaltens im Strafvollzug verbrachte Zeiten ohnehin außer Betracht zu bleiben haben (vgl. z.B. VwGH 24.7.2002, Zl. 99/18/0260), ins Treffen führen.

 

Was die unbestimmte Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betrifft, teilt der unabhängige Verwaltungssenat die Ansicht der belangten Behörde. Von einer Befristung war angesichts der Art und Schwere des begangenen heimtückischen Verbrechens und des insgesamt negativen Persönlichkeitsbildes beim Bw, dessen künftige Entwicklung und Resozialisierung äußerst unsicher und unbestimmbar erscheint, Abstand zu nehmen.

 

5. Im Ergebnis war das angefochtene Aufenthaltsverbot mit der Klarstellung des Beginnes seiner Rechtswirksamkeit ab Entlassung aus der inländischen Gerichtshaft zu bestätigen.

 

Davon abgesehen bleibt es dem Rechtsmittelwerber ohnehin unbenommen, nach § 65 Abs.1 FPG jederzeit wieder einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes zu stellen, wenn (er der Meinung ist, dass) die Gründe, die zu dessen Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
2.
Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen.

 

Mag. Bergmayr-Mann

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde zurückgewiesen.

VfGH vom 10. Oktober 2012, Zl.: B 782/11-8

 

 

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