Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720289/4/BMa/Th

Linz, 27.05.2011

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Berufung des X, geb. am X, Staatsangehöriger von X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Steyr vom 3. Jänner 2011, Zl. 1-1013415/FP/10, wegen eines auf 10 Jahre befristeten Aufenthaltsverbots zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die Dauer der Befristung des Aufenthaltsverbots auf 5 Jahre herabgesetzt. Der Ausspruch, X habe unverzüglich auszureisen, wird aufgehoben und ihm wird der amtswegige Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt. Im Übrigen wird der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden: AVG), BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010

 

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem in der Präambel angeführten Bescheid wurde über den Berufungswerber, einen griechischen Staatsangehörigen, ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet Österreich verhängt.

 

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, der Berufungswerber sei mit Urteil des LG Steyr vom 2. Dezember 2010 des Landes – als Schöffengericht Steyr zu einer auf 3 Jahre bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten und zu einer Geldstrafe in Höhe von 240 Tagessätzen verurteilt worden. Daneben würden zahlreiche verwaltungsstrafrechtliche Verurteilungen aufscheinen. Das Aufenthaltsverbot greife in gravierender Form in das Privat- und Familienleben ein. Weil er aber das Verbrechen nach § 201 ff StGB, eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung in Form einer Vergewaltigung begangen habe, wiege sein Gesamtverhalten schwer. Dem Bw fehle jegliche Schuldeinsicht bezüglich des von ihm begangenen Verbrechens. Er habe im Zeitraum von 2006 bis 2010 mit steigender Tendenz eine Vielzahl von Verwaltungsübertretungen begangen. Aufgrund des gezeigten Fehlverhaltens sei das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit auszusprechen gewesen, weil aufgrund seines Verhaltens nicht vorhergesehen werden könne, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, weggefallen sein werde.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid, der dem Berufungswerber am 5. Jänner 2011 zugestellt wurde, erhob dieser in rechtsfreundlicher Vertretung rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

1.3. In der Berufung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Berufungswerber lebe bereits seit dem Jahr 2004 in Österreich und sei seit mehr als 10 Jahren in aufrechter Ehe verheiratet und Vater eines Kindes im Alter von 7 Jahren, welches die 2. Klasse der Volksschule in Steyr besuche. Der Bw sei sozial und beruflich integriert und in Organisationen, insbesondere auch bei der Feuerwehr, Löschzug 5 in Steyr, im Sinne des Gemeinwohls tätig und habe während der Zeit seines Aufenthalts im Inland ein einziges Mal gegen strafgesetzliche Bestimmungen verstoßen, sodass er zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden sei.

Die Begründung, dem Bw habe jegliche Schuldeinsicht gefehlt, sei evident aktenwidrig, weil der Bw sowohl vor der Polizei als auch anlässlich der Hauptverhandlung die ihm zur Last gelegten Tathandlungen zugestanden habe. Es sei durch die Stellungnahme des Vereins Neustart eindeutig und unmissverständlich ersichtlich, dass der Bw nicht nur Reue gezeigt, sondern auch eine vollinhaltliche Schuldeinsicht dadurch bekundet habe, dass er zugestehe, "einen einmaligen schweren Fehler begangen zu haben".

 

Es sei zu bemängeln, dass die belangte Behörde sich ausschließlich damit begnüge, auf die "besondere Verwerflichkeit" des Deliktstatbestandes nach § 201 StGB zu verweisen, jedoch in keiner Weise eine inhaltliche Wertung der eigentlichen Tathandlung in Bezug auf das Ausmaß des Schuldgehaltes des Berufungswerbers und unter Berücksichtigung der üblichen und vor allem denkbar möglichen Anwendung dieses Deliktstatbestandes vorgenommen werde. Der vorsitzende Richter habe anlässlich der Urteilsbegründung in der Hauptverhandlung vom 2.12.2010 darauf hingewiesen, dass das Verschulden des Bw am unteren Rand der angedrohten Gesetzesstelle anzusiedeln sei, weshalb eine auch nur teilweise unbedingte Freiheitsstrafe nicht ausgesprochen werden müsse. Der Bw stehe bereits im 52. Lebensjahr und habe sich also viele Jahrzehnte hindurch wohl verhalten, daraus sei eine qualifiziert günstige Zukunftsprognose zu erschließen. Auch subjektive Missverständnisse in der Auslegung der Situation durch den Bw seien bei seiner Tatbegehung vorgelegen, dies sei aus dem Gerichtsakt ersichtlich. Auch dies sei bei der Würdigung der Gesamtumstände zu berücksichtigen.

 

Vor dem Hintergrund des Vorlebens des Berufungswerbers könne nicht von einer gravierenden Gefährdung öffentlicher Interessen ausgegangen werden. Der Bw habe nicht wiederholt oder fortgesetzt strafbare Handlungen oder eine Tathandlung, die mit entsprechend hoher unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt wurde, begangen. Strafrechtliche Verurteilungen allein könnten nicht ohne weiters ein Aufenthaltsverbot begründen und seien auch vom Einzelfall losgelöste, lediglich abstrakte und allgemein gehaltene oder auf Generalprävention verweisende Begründungen unzulässig. Es könne auch aufgrund der mittlerweile verstrichenen Zeit nicht mehr von einer tatsächlichen, geschweige denn gegenwärtigen oder erheblichen Gefahr im Sinne des Gesetzes gesprochen werden, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon aus diesen Gründen rechtlich unzulässig sei.

Abschließend wurden die Anträge gestellt, den bekämpften Bescheid ersatzlos aufzuheben, in eventu den bekämpften Bescheid aufzuheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, in eventu die Herabsetzung des verhängten Aufenthaltsverbots und Gewährung eines Durchsetzungsaufschubs in der gesetzlich vorgesehenen Dauer.

 

1.4. Mit Schreiben vom 20. Jänner 2011 wurde die Berufung gemeinsam mit dem bezughabenden Akt dem Unabhängigen Verwaltungssenat zur Berufungsentscheidung vorgelegt.

 

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und in die Berufungsschrift.

 

2.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt. Im Übrigen liegt kein darauf gerichteter Parteienantrag vor (§ 67d AVG).

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder zuständig (§ 67a Abs.1 Z1 AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von folgendem rechtlich relevanten Sachverhalt aus:

 

Der Bw lebt seit 2004 in Österreich. Er ist seit 1999 verheiratet und lebt mit seiner Gattin und dem gemeinsamen 7-jährigen Kind in Österreich, das auch die Schule in Steyr besucht. Seit Oktober 2010 ist der Bw als Malerhelfer beschäftigt, er ist auch bei der freiwilligen Feuerwehr in Steyr aktiv. Seine bereits 90-jährigen Eltern sowie seine Schwester leben in Griechenland. Ein Bruder ist in Frankreich und ein weiterer Bruder in Israel aufhältig.

 

Mit Urteil des Landesgericht Steyr vom 2. Dezember 2010 wurde der Berufungswerber wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs.1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten und zu einer Geldstrafe in Höhe von 240 Tagessätzen verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

 

Aus der dieser Verurteilung zugrunde liegenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Steyr vom 13.09.2010 geht hervor, dass der Bw sich unter Vorgabe, er könne Massagen durchführen, den Zugang zur Wohnung seines Opfers erschlichen und die Gelegenheit genutzt hat, sexuelle Handlungen gegen den Willen seines Opfers durchzuführen. Die Übergriffe, die sowohl Anal-, als auch Vaginalverkehr beinhalteten, dauerten rund eine dreiviertel Stunde.

Zunächst hatte sich der Bw dieser Tat nicht schuldig bekannt und geleugnet, sein Opfer überhaupt zu kennen. Erst die Einholung eines DNA-Gutachtens und der Nachweis seiner DNA-Spuren auf dem Leintuch seines Opfers führten dazu, dass der Bw die Tat gestand. Er schwächte das Geständnis aber dahingehend ab, er habe das Verhalten seines Opfers als Wunsch nach sexuellem Verkehr gewertet.

Der Bw hat mehrere Vormerkungen gemäß StVO 1960 und KFG 1967.

 

Der Feststellung der belangten Behörde, der Bw sei zwar hin und wieder einer Beschäftigung nachgegangen, einem Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung zu Folge habe er den größten Teil seines Aufenthalts als Arbeitslosen und Sozialhilfe bezogen, erst seit September 2010 würde er wieder einer Beschäftigung nachgehen, ist der Bw nicht entgegengetreten. Diesbezüglich hat er nur einen Versicherungsdatenauszug beginnend mit dem Datum 01.09.2010 vorgelegt.

 

3.2. In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt:

 

3.2.1. Gemäß § 86 Abs.1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltes die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

 

§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung betreffend freizügigkeitsberechtigte EWG-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs.1 Z1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs.2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß ist auch § 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs.1 und Abs.2 FPG orientiert.

 

Gemäß § 60 Abs.1 Z1 des FPG kann gegen einen Fremden dann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als in diesem Sinne "bestimmte Tatsache" gilt nach § 60 Abs.2 Z1 FPG u.a., wenn der Fremde von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten oder zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bzw. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Ein Aufenthaltsverbot kann im Fall des § 60 Abs.2 Z1 FPG unbefristet, sonst für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden (§ 63 Abs.1 FPG).

 

Gemäß § 60 Abs.6 FPG iVm § 66 Abs.1 leg.cit. ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, durch das in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird,  nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs.2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, wobei in diesem Zusammenhang die in § 66 Abs.2 FPG normierten Kriterien gegeneinander abzuwägen sind.

 

Nach § 60 Abs.6 FPG iVm § 66 Abs.2 leg.cit. darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

 

Gemäß § 66 Abs.2 leg.cit. sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

 

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindung zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei - und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Nach § 56 Abs.1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG" oder "Daueraufenthalt – Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

3.2.2. Zunächst ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 86 Abs.1 (1. bis 4. Satz) FPG vorliegen. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Bw die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des

§ 60 Abs.2 FPG nur als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.

 

Hinsichtlich der nach FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Wie nachfolgend dargelegt, legt das FPG, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. So setzt § 60 Abs.1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs.2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Relation zu § 56 Abs.1 FPG (schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein geringeres Maß der Gefährlichkeitsprognose voraus. Hingegen verlangt § 86 Abs.1 FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) im Verhältnis zu § 56 Abs.1 FPG ein höheres Maß der Gefährlichkeit, die sich zudem nach dem 5. Satz des § 86 Abs.1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert.

 

Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Diese Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung sein, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahe legt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtsstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

Wie oben dargelegt, wurde über den Berufungswerber eine bedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt.

 

Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, wonach die Verhängung des Aufenthaltsverbotes unzulässig gemäß § 61 FPG wäre. Weil der Bw zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt wurde, wäre nach § 63 Abs.1 FPG die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zulässig.

Für den Oö. Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, sind doch Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen in keiner Weise in Einklang zu bringen mit der Wertehaltung der österreichischen Rechtsordnung. Es handelt sich daher nicht bloß um ein sonstiges öffentliches Interesse, sondern tatsächlich um ein Grundinteresse der Gesellschaft, das darin gelegen ist, die Gleichstellung von Mann und Frau zu betonen und zu verhindern, dass aufgrund körperlicher Gewalt Frauen physisch und psychisch verletzt und gedemütigt werden.

 

Im Sinne der wiedergegebenen Judikatur ist nicht primär maßgeblich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern, dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Im konkreten Fall ist daher zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

Dies ist in Anbetracht des oben wiedergegebenen Geschehensablaufes zu verneinen. Hervorzuheben ist das Verhalten des Bw im Laufe der Ermittlungen, die im Zuge des strafgerichtlichen Verfahrens gegen ihn geführt wurden.

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer immer wieder Verstöße gegen die StVO und das KFG in Österreich begangen hat, erst ca. 5 Monate, nachdem er die diesem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Straftat begangen hatte, wieder dauerhaft einer Beschäftigung nachgegangen ist, davor immer wieder von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe gelebt hat, und sein Verhalten während der Ermittlungen zur Straftat und schließlich die Ausführung der Tat selbst, rechtfertigen die Annahme, dass ein weiterer Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Die im Grunde des § 60 Abs.2 Z1 FPG getroffene Beurteilung der belangten Behörde ist daher nicht zu beanstanden.

 

Aufgrund der dargelegten Umstände, der Art und Schwere der vorliegenden Straftaten und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Bw würden die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet.

Nach Art. 8 Abs.2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, ferner eine Maßnahme darstellt, die einem oder mehreren der in Art. 8 Abs.2 EMRK formulierten Ziele (der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, dem wirtschaftlichen Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen, dem Schutz der Gesundheit und der Moral und dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dient und hiefür in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.

 

Der Eingriff verletzt den Schutzanspruch aus Art. 8 Abs.1 EMRK jedenfalls dann, wenn er zur Verfolgung der genannten Ziele in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig ist, das heißt, wenn er nicht durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere nicht verhältnismäßig zum verfolgten legitimen Ziel ist.

 

Ein wesentliches Element für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des zu erlassenden Aufenthaltsverbotes ist die Schwere der vom Bw begangen Vergehen und Verbrechen.

 

Der Bw ist in Österreich nach der Aktenlage sowohl beruflich als auch familiär integriert. Darüber hinaus ist er in einem gemeinnützigen Verein tätig.

 

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist dabei zu beachten, dass der Bw seine nunmehrige Beschäftigung erst seit Oktober 2010 ausübt und davor überwiegend von Arbeitslosen- und Sozialhilfeunterstützung gelebt hat. Aufgrund der geringen Dauer der nunmehrigen Beschäftigung von 7 Monaten ist die berufliche Integration erst seit ein paar Monaten gegeben.

 

Obwohl der Bw verheiratet war, hat er ein Sexualverbrechen gegenüber einer anderen Frau ausgeführt. Damit aber musste er in Kauf nehmen, dass ihm sein Familienleben durch Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eingegriffen wird. 

 

Seiner sozialen Integration der Tätigkeit bei der freiwilligen Feuerwehr in Steyr steht auch gegenüber, dass der Bw erst seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhältig ist und zuvor, das heißt bis zu seinem 46. Lebensjahr überwiegend in Griechenland, aber auch in Holland, gelebt hat. Außerdem leben seine betagten Eltern ebenso wie seine Schwester noch in Griechenland, sodass er als griechischer Staatsbürger noch sehr starke familiäre Beziehungen in Griechenland hat.

 

Gemäß der Stellungnahme der Bewährungshilfe "Neustart" ist der Bw bemüht, Wege zu finden, um seine Tat wieder in Ordnung bringen zu können. Weiters wird angegeben, dass die Familie des Bw sehr gut integriert ist und seine Familie auf seine persönliche und wirtschaftliche Unterstützung angewiesen ist. Der Bw würde sich nunmehr mit den Anforderungen und den Werten der österreichischen Gesellschaft auseinandersetzen und alles dafür tun, um so eine Handlung nicht mehr zu setzen. Die Prognose für eine deliktfreie Zukunft sei vielversprechend.

In dieser Stellungnahme wird aber nicht dargelegt, welche Wege der Bw nun konkret zu finden gedenkt, um seine Tat wieder in Ordnung zu bringen, geht doch das Verbrechen der Vergewaltigung – wie die belangte Behörde zutreffend ausführt – häufig mit einer besonderen psychischen Belastung des Opfers einher. Die Familie des Bw kann auch eine wirtschaftliche Unterstützung von ihm vom Ausland erhalten. Die angegebene Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Werten der österreichischen Gesellschaft ist durchaus positiv zu bewerten.

 

Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist auch die Dauer der Befristung der verhängten Maßnahme rechtlich zu würdigen. Wie bereits dargelegt, könnte im vorliegenden Fall das Aufenthaltsverbot unbefristet verhängt werden. Aus zu berücksichtigenden gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen ist eine Beschränkung der Grundfreiheiten von Unionsbürgern oder Begünstigten aus Assoziationsabkommen möglichst maß- und zurückhaltend vorzunehmen. In diesem Sinn erachtet das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenats das von der belangten Behörde ausgesprochene auf 10 Jahre befristete Aufenthaltsverbot als zu hoch bemessen; es ist davon auszugehen, insbesondere im Hinblick auf die familiäre Situation und die Schulpflicht seines Sohnes, dass mit einer Befristung auf 5 Jahre das Auslangen gefunden werden kann. Diese Frist müsste aller Voraussicht nach ausreichen, um den Bw zu läutern und die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentlichen Interessen zu beseitigen. Soweit sich der Bw während dieser Zeit in seinem Heimatland bewährt und ein rechtschaffenes Leben führt, soll er auch die Aussicht haben, nach Ablauf dieser Frist wieder nach Österreich zurückkehren zu dürfen.

 

Die belangte Behörde hat angeordnet, dass nach Durchsetzbarkeit des von ihr erlassenen Bescheids, der Bw unverzüglich auszureisen habe. Damit hat sie ohne nähere Begründung die sofortige Durchsetzbarkeit angeordnet. § 86 Abs.3 FPG sieht für EWR-Bürger einen amtswegigen Durchsetzungsaufschub von 1 Monat vor, es sei denn, die sofortige Ausreise des Fremden wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass die ausnahmsweise Nichtgewährung des einem Fremden nach § 86 Abs.3 FPG zustehenden Durchsetzungsaufschubs einer besonderen, über die schon für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Erwägungen hinausgehenden Begründung bedarf (vgl. VwGH 21.11.2006, Zl. 2006/21/0171 mwH), verlangt doch die Versagung des Durchsetzungsaufschubes die nachvollziehbare Prognose, bereits der Aufenthalt des Fremden für ein (weiteres) Monat nach Durchsetzbarkeit gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

 

Die belangte Behörde legt in keiner Weise dar, weshalb der Bw schon während des ersten Monats, nachdem ihm der Aufenthaltsverbotsbescheid zugestellt wurde, wieder einschlägig rückfällig werden sollte. Es sind keine Gründe dafür, dass eine Versagung des Durchsetzungsaufschubes zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich wäre, erkennbar.

 

Mit der Rechtswidrigerklärung des Ausspruchs der unverzüglichen Ausreise nach Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotsbescheides aus dem Bundesgebiet sind materiellrechtlich die Voraussetzungen für die unverzügliche Ausreise weggefallen.

 

5. Im Ergebnis war daher der Berufung teilweise Folge zu geben, der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes abzuändern und diese mit 5 Jahren festzusetzen. Weiters war der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gegen das Aufenthaltsverbot für rechtswidrig zu erklären.

 

Es wird darauf hingewiesen, dass nach § 65 Abs.1 FPG ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben ist, sobald die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Für dieses Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 52,80 Euro angefallen, ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Mag. Bergmayr-Mann

 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt;

VwGH vom 19.04.2012, Zl. 2011/21/0171-6

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