Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720299/2/Gf/Mu

Linz, 11.05.2011

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x, vertreten durch RA x, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 2. März 2011, Zl. 1068743/FRB, wegen der Verhängung eines auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

          Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 2 AVG.

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 2. März 2011, Zl. 1068743/FRB, wurde gegen den Rechtsmittelwerber, einen seit 2007 in Österreich lebenden deutschen Staatsangehörigen, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen; gleichzeitig wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv 136/10h, wegen des Verbrechens des teilweise versuchten und teilweise vollendeten Suchtgifthandels und anderer damit im Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, davon 16 Monate bedingt auf 3 Jahre, rechtskräftig verurteilt worden sei, weil er einerseits einen anderen zur Ein- und Ausfuhr von Suchtgift in einem das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Ausmaß bestimmt bzw. zu bestimmen versucht sowie andererseits Dritten vorschriftswidrig Suchtgift überlassen habe.

 

Dieses kriminelle Verhalten stelle eine tatsächliche und massive Gefahr für die Gesellschaft dar, die das private, vornehmlich durch familiäre Beziehungen zu seiner österreichischen Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Sohn sowie zu seinem sonstigen sozialen, v.a. beruflichen Umfeld geprägte Interesse des Rechtsmittelwerbers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet überwiegen würde.

 

1.2. Gegen diesen ihm am 3. März 2011 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 17. März 2011 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin wird vorgebracht, dass er EU-Bürger sei, sich seit langer Zeit in Österreich aufhalte und – wie sich aus den zahlreichen im erstbehördlichen Verfahren vorgelegten Nachweisen ergebe – hier auch bestens sozial integriert sei. Insbesondere lebe er in einer aufrechten Beziehung mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn; außerdem arbeite er seit Februar 2011 als Elektrotechniker, wobei er monatlich ca. 1.200 Euro verdiene; zudem würden sein Bruder und dessen Ehefrau ebenso in Österreich leben, wobei er sich hier bereits einen großen Freundeskreis aufgebaut habe.

 

Dem gegenüber sei er am 3. Dezember 2010 zum ersten Mal gerichtlich verurteilt worden, wobei ein Großteil der Strafe bedingt nachgesehen und auch der Strafvollzug selbst vorzeitig beendet worden sei, was jeweils eine günstige Zukunftsprognose voraussetze. Tatsächlich lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Rechtsmittelwerber weiterhin eine gegenwärtige Gefahr ausgehe, wie dies Art. 27 Abs. 2 der Unionsbürger-RL fordere.

 

Daher wird beantragt, den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid aufzuheben.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Linz zu Zl. 1068743/FRB; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben und fremdenpolizeiliche Angelegenheiten nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen (vgl. z.B. die Nachweise bei J. Meyer-Ladewig, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Baden-Baden 2003, RN 9 zu Art. 6), konnte im Übrigen gemäß § 67d Abs. 4 AVG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden FPG), entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen, die auf Grund des FPG ergangen sind, die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern; derartige Entscheidungen sind gemäß § 67a Abs. 1 AVG durch ein Einzelmitglied zu treffen.

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), ist u.a. auch gegen einen Unionsbürger die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dabei muss das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein eine derartige Maßnahme nicht ohne weiteres begründen können und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig sind.

 

Wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, so ist die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 6 i.V.m. § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. In diesem Zusammenhang sind gemäß § 66 Abs. 2 FPG insbesondere die Art und die Dauer des bisherigen Aufenthalts sowie die Frage, ob dieser rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall wurde von der belangten Behörde als einziger Umstand, der die Verhängung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigen soll, die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ins Treffen geführt.

 

Konkret wurde er damals mit Urteil des LG Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv 136/10h, für schuldig befunden, "von Ende April 2010 bis um den 07.08.2010" eine in Berlin aufhältige Person damit beauftragt zu haben, "insgesamt etwa 1.400 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% durch bislang unbekannte Kuriere von Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen, wobei die Tat hinsichtlich der Aus- und Einfuhr von 600 g Kokain beim Versuch geblieben ist", und "vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen bzw. zu überlassen versucht" zu haben, und zwar "in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (großen Menge), indem er in der Zeit von etwa Ende April 2010 bis zuletzt am 09.08.2010 insgesamt etwa 800 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% ..... verkaufte" sowie in der Zeit von etwa April/Mai 2010 bis um den 11.08.2010 "vorschriftswidrig Suchtgift in wiederholten Angriffen erworben und besessen" zu haben, wobei er letztere Straftat "ausschließlich zum persönlichen Gebrauch" begangen hat. Hierfür wurde der Rechtsmittelwerber zu einer "Freiheitsstrafe von 2 Jahren" verurteilt, wobei "im Hinblick auf die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis ..... ein Teil der Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen" war.

 

Sonach ergab sich unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft der 11. April 2011 als Ende des gerichtlichen Strafvollzuges; tatsächlich wurde der Beschwerdeführer jedoch bereits vorzeitig, nämlich am 21. Jänner 2011, unter Festsetzung einer Probezeit von 3 Jahren aus der Strafhaft entlassen.

 

Nach § 46 Abs. 1 des Strafgesetzbuches, BGBl.Nr. 60/1974, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 111/2010 (im Folgenden: StGB), ist einem Verurteilten, der die Hälfte des nicht bedingt nachgesehenen Teiles einer Freiheitsstrafe verbüßt hat, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB (Erteilung von Weisungen und/oder Anordnung von Bewährungshilfe) anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird. Da diese – keine Ermessens-, sondern eine Rechtsentscheidung normierende – Bestimmung schon von ihrer Textierung her eine Günstigkeitsprognose voraussetzt, ist das LG Wels somit offensichtlich davon ausgegangen, dass gegenwärtig keine aktuelle Gefahr dahin besteht, dass der Beschwerdeführer demnächst neuerlich eine – sich insbesondere auf sein früheres Fehlverhalten gründende – Straftat begehen könnte.

 

Damit liegt aber grundsätzlich auch keine gegenwärtige Gefahr iSd § 86 Abs. 1 FPG vor, es sei denn, dass sich aus den konkreten Umständen des Falles spezifische Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben.

 

Davon ausgehend kann aber allein die hier in Rede stehende strafgerichtliche Verurteilung des Rechtsmittelwerbers prinzipiell noch keinen stichhaltigen Grund für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn bilden.

 

3.3. Im Übrigen ergeben sich im gegenständlichen Fall weder aus dem angefochtenen Bescheid noch sonst auf Grund des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens spezifische Anhaltspunkte dafür, warum bzw. dass der Beschwerdeführer – als EU-Bürger – nicht bloß eine potentiell-abstrakte, sondern vielmehr eine vergleichsweise wesentlich gravierendere, nämlich konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG bildet. Vielmehr bezieht sich die Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich auf generalpräventive Aspekte (Suchtgiftprävention von Jugendlichen und Gefahr für die Volksgesundheit), die im Zusammenhang mit der vorerwähnten strafgerichtlichen Verurteilung stehen; allein daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass bzw. warum der Fremde eine aktuell noch immer bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen soll.

 

Abgesehen davon, dass somit die speziell-tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Unionsbürger hier nicht in einer nachweisbaren Form vorliegen, ist die belangte Behörde auf die in § 66 Abs. 2 FPG festgelegten und nach § 60 Abs. 6 FPG auch im Aufenthaltsverbotsverfahren maßgeblichen Umstände, die im Zuge einer Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen einerseits und den privaten Interessen des Fremden andererseits zwingend zu gewichten sind, auch insofern nicht eingegangen, als der Grad der Integration des Fremden (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 4 FPG) nicht in einer über eine bloß verbale Erwähnung hinausgehenden, auch objektiv erkennbaren Weise materiell berücksichtigt bzw. gewürdigt wurde (vgl. dazu jüngst VwGH v. 14. April 2011, Zl. 2010/21/0232).

 

3.4. Der gegenständlichen Berufung war daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

VwSen-720299/2/Gf/Mu vom 11. Mai 2011

Erkenntnis

 

FPG 2005 §86 Abs1;

FPG 2005 §66 Abs1;

FPG 2005 §60 Abs6;

StGB §46 Abs1

 

Rechtssatz 1

 

Eine bedingte (vorzeitige) Entlassung aus der Strafhaft setzt eine Günstigkeitsprognose dahin voraus, dass gegenwärtig keine aktuelle Gefahr dahin besteht, dass der Verurteilte demnächst neuerlich eine – sich insbesondere auf sein früheres Fehlverhalten gründende – Straftat begehen könnte. Somit liegt offensichtlich auch keine gegenwärtige Gefahr iSd § 86 Abs1 FPG 2005 vor, soweit sich nicht aus den konkreten Umständen des Falles spezifische Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben.

 

 

Rechtssatz 2

 

Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EU-Bürger erweist sich als unzulässig, wenn dieses lediglich mit generalpräventiven Argumenten im Zusammenhang mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung begründet werden kann, weil sich allein daraus nicht ableiten lässt, dass bzw warum der Fremde eine noch immer gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Beachte:

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

VwGH vom 19.03.2013, Zl.: 2011/21/0152-9 

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