Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-522838/9/Bi/Eg

Linz, 16.05.2011

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn X, vertreten durch Herrn Rechts­anwalt X, vom 22. April 2011 gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Linz-Land vom 4. April 2011, VerkR21-254-2011/LL, wegen der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen und die zur Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde vorzulegen, aufgrund des Ergebnisses der am 6. Mai 2011 durchge­führten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung,  zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird insofern teilweise Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid in seinem Spruchteil "sowie die zur Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde vorzulegen" behoben wird; im übrigen wird die Berufung abgewiesen.

 

Rechtsgrundlage:

§§ 66 Abs.4 und 67a AVG

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem oben angeführten Bescheid wurde der Berufungswerber (Bw) gemäß §§ 24 Abs.4 iVm 8 FSG aufgefordert, sich innerhalb von zwei Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides hinsichtlich seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken von führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 bzw Motorfahr­rädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen amts­ärzt­lich untersuchen zu lassen sowie die zur Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde vorzulegen.

Die Zustellung des Bescheides erfolgte am 11.4.2011.

 

2. Dagegen wendet sich die vom Bw fristgerecht eingebrachte Berufung, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Ver­wal­tungs­senat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde, der durch das nach der Geschäftsver­teilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 67a Abs.1 2.Satz AVG). Am 6. Mai 2011 wurde eine öffentliche mündliche Berufungs­verhandlung in Anwesenheit des Bw, seines Rechtsvertreters X, des Vertreters der Erstinstanz X und der Zeugen X (R) und Meldungsleger X (Ml), PI L, durchgeführt. Auf die mündliche Verkündung der Berufungsentscheidung wurde verzichtet.

 

3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, der nach der Begründung des angefoch­ten­en Bescheides angenommene Sachverhalt sei unrichtig und er habe daher auch gegen die mittlerweile ergangene Strafverfügung der BPD Linz wegen des Vorwurfs gemäß §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO fristgerecht Einspruch erhoben. 

Er schildert den Unfallshergang aus seiner Sicht sowie die Anhaltung  und macht seine damalige Beifahrerin, Frau R, als Zeugin geltend. Nach dem Unfall habe sich die Identität des Unfallgegners und dessen Ortsunkenntnis ergeben, dass dieser die linke Fahrspur über­queren musste, um noch in die Bindermichlausfahrt hineinzukommen, und daher auf sein Fahrzeug nicht geachtet habe. Diesen Lenker treffe daher das alleinige Verschulden am Unfall. Es sei jedenfalls unrichtig, dass er nach dem Unfall ohne anzuhalten weitergefahren sei, dass er den Mercedes nicht recht­zeitig wahrgenommen habe bzw nicht in der Lage gewesen sei, richtig zu reagieren. Auch der Vorwurf, die kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten wären nicht mehr ausreichend vorhanden, sei unrichtig und unzutreffend. Beantragt wird die Zeugeneinvernahme von Frau R im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung. Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2011 wurden die Beweis­anträge ergänzt durch den Antrag auf Beischaffung der ASFINAG-Aufzeichnungen der Verkehrsflüsse im Tunnel Bindermichl der A7, FR Nord, am 26.2.20112, ca 7.12 Uhr, sowie Auswertung durch einen SV.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der beide Parteien gehört und die oben genannten Zeugen unter Hinweis auf § 289 StGB einvernommen wurden.

 

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der am 21.8.1923 geborene Bw, der im Besitz einer Lenkberechtigung für die Klasse B, Führerschein der BH Linz-Land, ausgestellt am 28.4.1970, RA-1970, ist, lenkte am 26.2.2011 um etwa 7.12 Uhr den Pkw X, einen silberfarbenen Mazda 323, von Pasching bzw der Auffahrt Salzburger Straße kommend auf die A7, FR Nord, wobei er beabsichtigte, von der A7 bei der im Niedernharter Tunnel gelegenen Ausfahrt Wiener Straße abzufahren, um zur Messe in der Alten Dom zu gelangen. Seine Nachbarin, die Zeugin R, war Bei­fahrerin. Im Bindermichltunnel kam es zu einem Verkehrsunfall in Form einer seit­lichen Streifung des Pkw des Bw mit dem blauen Mercedes X, zuge­lassen auf C.W., Wien, bei dem beide Pkw beschädigt wurden, laut Verkehrsun­falls­anzeige der Pkw des Bw rechts vorne seitlich an der Stoßstange und der Pkw W links hinten seitlich an Stoßstange und Kotflügel.

 

Der Bw schilderte in der Berufungsverhandlung das Zustandekommen des Unfalls so, dass er auf der äußerst linken Fahrspur in den Tunnel eingefahren sei und den blauen Pkw W erst bemerkt habe, als dieser rechts neben ihm gewesen sei, wobei er den Eindruck gehabt habe, dieser wolle ihn rechts überholen bzw abdrängen, weil dieser ihn seitlich gestreift habe. Der Bw gab an, er habe nach der Kollision sofort gebremst und in der Unfallendstellung angehalten, wobei er gesehen habe, dass der Pkw W schätzungsweise ca 50 m weiter vorne bei der Ausfahrt Binder­michl stehengeblieben sei. Als er im Begriff gewesen sei, auszusteigen, sei der andere Lenker plötzlich weitergefahren, sodass auch er keine Veranlassung mehr gesehen habe, weiter stehenzubleiben und seine Fahrt fortgesetzt habe. Er sei bei der Wiener Straße abgefahren und über die Makartstraße in die Innenstadt, wo er später angehalten wurde. Er habe den Pkw W vor sich wegfahren gesehen und nicht bemerkt, dass ihm der Lenker nachgefahren wäre. Aus der Entfernung von ca 50 m habe er das Pkw-Kenn­zeichen nicht ablesen können.

Er habe in der Elisabethstraße bei der Kreuzung mit der Mozartstraße wegen Rotlichts der Ampel stehenblieben müssen, die rechts an der Elisabethstraße gelegene Baustelle beim Haus der Borromäerinnen passiert und kurz darauf habe er hinter sich zwei Blaulichtfahrzeuge in Einsatz bemerkt und diese auf sich bezogen, sodass er vor dem Übergang des Elisabethinen-Krankenhauses über die Elisa­beth­straße rechts stehengeblieben sei. Die Polizei­fahrzeuge seien ebenfalls stehengeblieben, eines vor ihm und eines hinter ihm und auch der blaue Pkw W sei dahinter stehengeblieben. Er und dessen Lenker seien ausgestiegen und er habe zu diesem gesagt, wie er ihn rechts überholen könne, worauf der Lenker sofort wieder in den Pkw eingestiegen sei.

Er habe dann mit dem Polizisten den Unfall erörtert, seine Papiere vorgewiesen, eine Niederschrift des Berichtes verlangt und diesen gefragt, ob er noch etwas melden müsse, worauf der Polizist geantwortet habe, das sei nun erledigt. Er habe später eine Bestätigung mit allen wesentlichen Daten bekommen – diese hat er in der Berufungsverhandlung vorgelegt. Der Bw betonte, bei diesem Gespräch sei nicht gestritten worden und er habe auf alle Fragen des Polizisten geantwortet; er könne sich nicht erklären, warum er auf diesen einen verwirrten Eindruck gemacht haben sollte. 

   

Die 1928 geborene Zeugin R, die im FSR nicht aufscheint, bestätigte inhaltlich die Fahrt­route und den Zweck der Fahrt, nämlich die Messe im Alten Dom um 7.30 Uhr, konnte aber zum Unfallhergang nur sagen, dass der Pkw W relativ rasch unterwegs gewesen sei und es "unheimlich gekracht" habe. Sie bestätigte auch, dass der Lenker in größerer Entfernung stehengeblieben sei und, als der Bw aussteigen wollte, plötzlich weitergefahren sei, ohne auszusteigen. Sie habe das Kennzeichen nicht gesehen und im Schreck auch nicht darauf geachtet. Sie konnte auch nicht sagen, ob der Bw beim Lenken eine Brille getragen hat oder normalerweise trägt. Sie bestätigte aber, sie fahre öfter mit ihm mit und habe ein sicheres Gefühl; auch finde er überall problemlos hin und bis zum Alten Dom bräuchten sie von Pasching nur 25 Minuten um diese Zeit. Bei der Anhaltung seien ihr die Einsatzfahrzeuge hinter ihnen aufgefallen, ein Gespräch zwischen dem Bw und den Polizisten habe sie nicht gehört, weil sie nicht ausgestiegen sei und mit ihr niemand gesprochen habe. Es sei richtig, dass der Bw beim Ein­steigen gefragt habe, ob er noch etwas machen solle, worauf der Beamte gesagt habe, das sei alles erledigt.

 

Der bei der PI Linz-Landhaus beschäftigte Ml bestätigte in der Berufungsver­handlung, er sei als Beifahrer eines Streifenfahrzeuges in der Dametzstraße unterwegs gewesen, als sie über Funk gehört hätten, dass ein Lenker nach einem Verkehrsunfall im Bindermichltunnel seinem Unfallgegner nachfahre und über Notruf die Polizei benachrichtigt habe, wo dieser nun sei. Sie seien daraufhin sofort über die Harrachstraße in Richtung Elisabethstraße gefahren, wo er bei der Kreuzung stehend gesehen habe, dass von rechts auf den beiden Fahrstreifen der Elisabethstraße je ein Pkw daherkomme; der Bw sei mit dem über Funk nach Marke, Type, Farbe und Kennzeichen beschriebenen Pkw auf den linken Fahr­streifen gefahren. Beide Pkw seien annähernd auf gleicher Höhe gewesen und der ihnen nähere Pkw sei nach dem Einschalten des Blaulichts sofort stehen geblieben, worauf sie bis zum 2. Fahrstreifen vorgefahren seien, dh den 1. Fahrstreifen verstellt hätten. Er habe beim geschlossenen Fenster Handzeichen gegeben, nämlich die abgewinkelte Hand ausgestreckt in Gesichtshöhe gehalten, und nicht verstanden, dass dieser nicht stehengeblie­ben sei. Der Bw sei ohnehin langsam gewesen, habe aber die Geschwindigkeit weiter verringert und sei ihnen etwas ausgewichen, aber rechts weitergefahren, worauf sie ihm mit Blaulicht und Folgetonhorn nachge­fahren seien. Das habe er auch kurz darauf auf sich bezogen und sei noch vor dem Übergang des Elisabethinen-Krankenhauses über die Elisabethstraße rechts stehen geblieben. Es sei richtig, dass der Bw ihm auf alle Fragen geantwortet habe; er habe zuerst den Bw zum Unfallshergang befragt und später erst den Unfallgegner, wobei die Angaben beider "ziemlich weit auseinander" gelegen seien. Er habe bei der Befragung des Bw den Eindruck gewonnen, dass dieser den Unfall in Form der Kollision an sich nicht so stark mitbekommen habe wie der Unfallgegner, wobei er einräumte, dass der – 1987 geborene – Unfallgegner wesentlich jünger war als der Bw. Er habe den im Bericht erwähnten Begriff "verwirrt" auf die Schil­derung des Unfallgeschehens durch den Bw bezogen und auf dessen Verhalten bei der Anhaltung, nämlich das Nichtanhalten trotz des mit einge­schaltetem Blaulicht in der Kreuzung stehenden Polizeifahrzeuges.

Der Bw hat in der Berufungsverhandlung dezidiert erklärt, er habe nie ein Blau­licht­fahrzeug im Einsatz auf der Elisabethstraße stehen gesehen, könne sich nur an die etwas behindernde Baustelle rechts nach der Harrachstraße erinnern – die Örtlichkeiten wurden anhand eines Stadtplanes nachvollzogen – und er habe erst aufgrund des Folgetonhornes hinter sich im Rückspiegel die Polizeifahrzeuge gesehen und sofort angehalten, weil er sie auf sich bezogen habe.

 

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 24 Abs.4 FSG ist, wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ein von einem Amtsarzt erstell­tes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkbe­rechtigung einzuschränken oder zu entziehen. ... Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahr­prüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

 

Nach ständiger Judikatur des VwGH ist ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs.4 FSG nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Fall einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) bei der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung umfasst werden, nicht mehr besitzt, und ein aktuelles amtsärztliches Gutachten ohne eine (neuerliche) Untersuchung des Betreffenden oder ohne neue Befunde nicht erstellt werden kann. Dabei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungs­voraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung de Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Derartige Bedenken sind in einem Aufforderungsbescheid nachvollziehbar darzulegen (vgl VwGH 22.6.2010, 2010/11/0067; 16.4.2009, 2009/11/0020, 22.6.2010, 2010/11/0076; 17.10.2006, 2003/11/0302; 13.8.2003, 2002/11/0103; 30.9.2002, 2002/11/0120; uva)

Nach § 24 Abs. 4 FSG 1997 idF der 5. Führerscheingesetznovelle ist die Behörde bei Bedenken, ob die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung noch gegeben ist, nur ermächtigt, eine bescheidmäßige Aufforderung zu erlassen, der Betreff­ende möge sich ärztlich untersuchen lassen oder die zur Erstattung des amts­ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde (diese wären im Aufforderungs­bescheid im Einzelnen anzuführen) zu erbringen. Nur ein derartiger Bescheid wäre eine taugliche Grundlage für eine sogenannte "Formalentziehung" nach § 24 Abs. 4 letzter Satz FSG 1997 (vgl VwGH 22.6.2010, 2010/11/0076).

 

Der Bw ist 1923 geboren, dh fast 88 Jahre alt. Er ist sicher routiniert, ortskundig und in der Lage, viele plötzlich auftretende Änderungen von Verkehrs­situationen durch entsprechend vorausschauende und vorsichtige Fahr­weise auszugleichen, wobei zur Zeit der ggst Fahrt – Samstag, kurz nach 7.00 Uhr Früh – auch noch nicht so starkes Verkehrsaufkommen wie untertags herrschte und auf seiner Fahrtstrecke Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 80 km/h (A7) und 50 km/h oder darunter im Stadtgebiet Linz bestehen. Seine Schilderung vom Zustande­kommen des Verkehrsunfalls samt der Vermutung, der ortsunkundige Unfallgegner habe ihn übersehen, weil er noch die Ausfahrt erreichen habe wollen, ist weder unlogisch noch unglaubwürdig – die Zeugin konnte dazu nichts sagen – wobei dem Bw in seiner Argumentation auch insofern zuzu­stimmen ist, dass allein in der abweichenden Unfallversion eines Unfall­gegners keine "Verwirrtheit" zu erblicken ist, weil natur­gemäß beide Unfallbeteiligte versuchen, ihre Interessen angemessen zu verfolgen. Der Ml hat die in seinem Bericht angeführte "Verwirrtheit" nach seinen Aussagen in der Verhandlung zum Teil auf die Unfallschilderungen des Bw bezogen, die mit denen des Unfallgegners offenbar nicht übereingestimmt haben. Allerdings ist auch zu bemerken, dass es nicht Sache des Unabhängigen Verwaltungssenates ist, das Zustandekommen des Verkehrsunfalls zwischen dem Pkw W und dem des Bw im Bindermichltunnel oder gar ein Verschulden daran zu klären, weshalb auch von der Beischaffung der beantragten Aufzeichnungen der ASFINAG abgesehen wurde. Für die Klärung der Frage, ob hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Bw zum Lenken von Kraftfahrzeugen begründete Bedenken bestehen, die eine Aufforderung, sich amts­ärztlich untersuchen zu lassen, rechtfertigen, ist nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates eher das Verhalten des Bw nach dem Verkehrsunfall ausschlaggebend, weil das Zustandekommen der durch Schadensfotos in der Verhandlung dokumentierten Streifkollision auch Ursachen haben kann, die mit seiner gesundheitlichen Eignung nichts zu tun haben.

 

Der Bw hat sein Verhalten so geschildert, dass er von der Salzburger Straße kommend auf der äußerst linken Fahrspur in den Tunnel einfuhr und nach der Kollision in "Unfallsendlage" im Tunnel stehenblieb, die Fahrzeugtür öffnete und aussteigen wollte, wobei er den Pkw des Unfallgegners schätzungsweise 50 m vor sich stehen sah. Als er diesen dann vor sich in Richtung Bindermichl/Mulden­straße von der A7 abfahren sah, habe auch er die Fahrt fortgesetzt, aber so, wie ursprüng­lich beabsichtigt, nämlich weiter in Richtung Norden bis zur Ausfahrt Wiener Straße. Dass er aus der Entfernung nicht in der Lage war, das Kenn­zei­chen abzulesen, ist verständlich; dass er, wenn sich der Pkw W vor ihm befunden hat, wie sowohl er als auch die Zeugin R betont haben, diesem nicht nachfuhr, um ev. die Daten auszutauschen, ist hingegen nicht nachvollziehbar. Zum einen hätte er aus seiner Position im Tunnel ohne Schwierigkeiten ebenfalls bei der Ausfahrt Bindermichl ausfahren können und zum anderen musste ihm klar sein, dass jedes Gespräch zwischen den Unfallbeteiligten in einem mehrspurigen Autobahntunnel, wenn auch im Bereich einer 80 km/h-Beschränkung, massiv gefährlich werden kann, weshalb vermutlich auch der Unfallgegner die Autobahn verlassen hat. Der Bw hat einen derartigen Beweggrund hingegen überhaupt nicht überlegt, sondern nur den Schluss gezogen, der Unfallgegner fahre davon, und seine Fahrt fortgesetzt. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass ihm der Unfallgegner sogar zu verstehen gegeben hat, dass es besser wäre, die Autobahn zu verlassen, und der Bw das nicht mitbekommen hat. Schon die vom Bw in der Berufungs­verhandlung geschilderte Überlegung, dass er im Tunnel "in  Unfallend­lage" stehenblieb, obwohl er den Unfallgegner in einer Entfernung von ca 50 m vor sich sah, und zu Fuß zu diesem gehen und auch noch den Schaden an seinem Pkw besichtigen wollte, lässt darauf schließen, dass dem Bw die Gefährlich­keit diese Situation nicht ausreichend bewusst war. Er hat auch nichts davon erwähnt, ob er die Warn­blink­anlage eingeschaltet hat, um sein – in Fahrtrichtung Nord als erstes für den von hinten ankommenden Verkehr behindernd abgestelltes – Fahrzeug entsprech­end abzusichern. Er hat die Fahrt so wie geplant fortgesetzt, andererseits aber die beiden mit eingeschaltetem Folgetonhorn hinter ihm fahrenden Einsatzfahrzeuge in der Elisabethstraße sofort auf sich und den Unfall bezogen.

 

Zum vom Ml geschilderten Verhalten des Bw beim Anhalteversuch an der Kreuzung Elisabethstraße/Harrachstraße ist bemerkenswert, dass der Bw an einem mitten in der Kreuzung stehenden als solches erkennbaren Polizeifahrzeug mit Blaulicht vorbeifuhr, obwohl er sogar langsamer wurde und etwas aus­weichen musste, wie der Ml anhand einer Zeichnung in der Berufungsver­handlung darlegte. Noch bemerkenswerter ist aber, dass der Bw sogar in der selben Verhandlung betonte, ihm sei überhaupt kein Blaulichtfahrzeug aufge­fallen, ihm sei nur die damalige nach der Kreuzung rechts in seiner Fahrt­richtung befind­liche Baustelle bewusst.  

 

Aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates besteht der Eindruck, dass der Bw zwar routinemäßige Abläufe im Straßenverkehr einordnen und auch mit ihnen umgehen kann – zB dass bei der die Fahrbahn geringfügig einengenden Baustelle in der Elisabethstraße vorsichtiges Verhalten angebracht ist – dass er aber nicht in der Lage ist, mit im Straßenverkehr üblicherweise ständig vor­kommenden plötzlich eintretenden oder auch unvorhergesehenen Situationen umzugehen, wobei nach den Ergebnissen des durchgeführten Beweisverfahrens nicht auszuschließen ist, dass er diese gar nicht oder nur zum Teil wahrnimmt – zB weil ein Geschehnis zu schnell auf ihn herein­bricht oder zu kurz anhält, um ihm konkret in seiner ganzen Tragweite aufzufallen – oder wenn er eine geän­derte Situation wahrgenommen hat, es einige Zeit dauert, bis er sie einge­ordnet hat und, wenn möglich, darauf reagiert. Dabei stellt sich, wie beim vom Bw offensichtlich gar nicht wahrgenommenen Blaulichtfahrzeug aufgefallen ist, die Frage der Wahrnehmung des Bw bei mehrfacher Belastung der Konzentration wie hier durch zwei Ereignisse, von denen ihm zwar die Baustelle latent bewusst war, was ihn aber offenbar an der Wahrnehmung des zweiten Ereignisses, des unvor­her­gesehenen Polizeifahrzeuges, gänzlich hinderte. Diese offensichtliche Wahr­nehmungsver­lang­samung bzw Nichtwahrnehmung ist sicher mit dem Lebensalter erklärbar, stellt jedoch für die Teilnahme am Straßenverkehr als Lenker eines Kraftfahr­zeuges eine massive Gefährdung sowohl des Bw selbst und ev Mitfahrer als auch aller übrigen Verkehrsteilnehmer, insbesondere auch von Fußgängern oder ungeschützten Fahrzeuglenkern (Radfahrern uä), dar.

 

Der Bw hat selbst angegeben, er brauche nur eine Lesebrille und trage beim Auto­fahren keine Brille; die in der Verhandlung hervorgekommene Nichtwahr­nehmung bzw verlangsamte Wahrnehmung kann aber auch mit nicht ausreich­endem Sehen zu tun haben, womit nicht das Nichtablesenkönnen des Pkw-Kennzeichens im Tunnel auf etwa 50 m Entfernung gemeint ist, sondern das Sehen bei suboptimalen Lichtverhält­nissen, wie sie im Tunnel bei der Abfolge von witterungsbedingtem Tageslicht und künstlicher Beleuchtung naturgemäß bestehen. Der Führerschein des Bw wurde 1970 ausgestellt, sodass sich in der Zwischenzeit dahingehend erwartungsgemäß Änderungen (zB Linsentrübung, Makuladege­ne­ra­tion oä) ergeben haben.

 

Insgesamt bestehen beim Unabhängigen Verwaltungssenat aus all diesen nach dem persönlichen Eindruck des Bw wie aus den absolut glaubhaften Schilder­ungen des Ml in der Berufungsverhandlung resultierenden Überlegungen erheb­liche Bedenken, ob beim Bw die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen noch in für die Teilnahme als Lenker eines Kraftfahrzeugen der Klasse B aus­reichendem Maß vorhanden sind, weshalb die Berufung gegen die Aufforderung, sich binnen zwei Monaten nach Rechtskraft der Anordnung – dh nach Zustellung dieses Erkenntnisses – amts­ärztlich im Hinblick auf seine gesundheitliche Eignung sowohl zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B als auch von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahr­zeugen untersuchen zu lassen, abzuweisen war.

Der Ausspruch der Erstinstanz, die dem Bw gleichzeitig die Beibringung dafür "erforder­licher" Befunde aufträgt, war jedoch mangels Bestimmtheit aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­ge­richtshof erhoben werden; diese ist - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Mag. Bissenberger

 

Beschlagwortung:

Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen Verlängerung,

88. Lebensjahr – bst., aber Aufhebung des Spruchteils, "erforderliche" Befunde vorzulegen mangels Bestimmtheit.

 

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