Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420595/49/Gf/Mu VwSen-420597/37/Gf/Mu

Linz, 30.06.2011

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerden des x (im Folgenden: Erstbeschwerdeführer), und des y (im Folgenden: Zweitbeschwerdeführer), beide vertreten durch z, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe des Polizeidirektors der Stadt Linz am 1. Mai 2009 nach der am 19. Mai 2010 durchgeführten öffentlichen Verhandlung und teilweiser Aufhebung des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Mai 2011, B 941/10, unter Bindung an die in der letztgenannten Entscheidung zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung zu Recht:

 

Soweit es den Erstbeschwerdeführer und den (nunmehrigen) Zweitbeschwerdeführer betrifft, haben die Spruchpunkte I. bis IV. des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., wie folgt zu lauten:

 

"I. Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe des Polizeidirektors der Stadt Linz am 1. Mai 2009 gegen die Beschwerdeführer war jeweils rechtswidrig.

 

II. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK und in ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 13 EMRK verletzt wurden. 

 

III. Der Bund hat den Beschwerdeführern jeweils einen Kostenaufwand in Höhe von insgesamt 1.672,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 


IV. Die Beschwerdeführer haben dem Bund keinen Kostenaufwand zu ersetzen."

 

Rechtsgrundlage:

Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG; § 87 Abs. 2 VfGG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG; § 1 UVS-AufwandersatzVO.

Entscheidungsgründe:

 

1.1. In ihren jeweils am 12. Juni 2009 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebenen, auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG i.V.m. § 67a Z. 2 AVG gestützten Schriftsätzen brachten der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer vor, dass sie am 1. Mai 2009 in Linz an einer angemeldeten Kundgebung hätten teilnehmen wollen. Der Abmarsch des Demonstrationszuges sei jedoch dadurch verhindert worden, dass eine Gruppe von potentiellen Versammlungsteilnehmern – darunter auch die Beschwerdeführer – von Polizeibeamten umstellt und wegen eines angeblichen, tatsächlich jedoch nicht feststellbaren Verstoßes gegen das im Versammlungsgesetz normierte "Vermummungsverbot" zur individuellen Identitätsfeststellung aufgefordert worden sei. Diese Abschirmung habe insgesamt drei Stunden gedauert, wobei sich während dieses langen Zeitraumes die Stimmung wechselseitig zunehmend aufgeheizt habe; insbesondere die Beamten seien immer aggressiver geworden. Als die Polizisten begonnen hätten, den Kessel enger zu ziehen, hätten sich die Demonstranten gegenseitig bei ihren Armen eingehakt.

Völlig unvermittelt seien dann jedoch plötzlich fünf bis sieben Beamte in den Kessel hineingestürmt und hätten wie wild mit ihrem Schlagstock auf den Zweitbeschwerdeführer eingeprügelt, wobei auch der Erstbeschwerdeführer durch einen Stockschlag getroffen worden sei.

1.1.1. In der Folge sei der Erstbeschwerdeführer von mehreren Armen gepackt und weggezerrt worden. Trotz des Umstandes, dass er keinen (gemeint: aktiven) Widerstand geleistet habe, hätten die Polizisten mit äußerster Gewalt an seinen Extremitäten gezogen, sein Gesicht zu Boden gedrückt und seine Hand absichtlich verdreht. Obwohl er deshalb vor Schmerzen aufgeschrien habe, sei ihm von einem Beamten zusätzlich noch dessen Knie in seinen Nacken gedrückt worden. In der Folge seien ihm die Hände hinter seinem Rücken fixiert worden, wodurch sich Schmerzen und ein Taubheitsgefühl in den Fingern eingestellt hätten. Danach sei er brutal mit dem Gesicht gegen die Windschutzscheibe eines Polizeiwagens gedrückt worden. Sodann seien seine Taschen entleert und seine Daten aufgeschrieben und schließlich sei er zu einem Arrestantenwagen verbracht worden. Eine Ankündigung der Ausübung dieser Zwangsgewalt, insbesondere der beabsichtigten Festnahme sei ebenso wenig erfolgt wie die Intention des Schlagstockgebrauches.

1.1.2. Der Zweitbeschwerdeführer wies darauf hin, dass ein großwüchsiger Beamter insgesamt ca. 15 bis 20 Mal mit aller Kraft auf seinen Körper eingeschlagen habe. In der Folge sei er zu Boden gegangen und von Polizisten an seinen Haaren aus dem Kessel gezogen worden. Dort sei er dann von mehreren Beamten mit den Knien auf den Boden gedrückt worden, wobei ihm die Arme auf den Rücken gedreht und mittels Kabelbinder fixiert worden seien, was ihm in Verbindung mit dem von ihm getragenen schweren Rucksack und den zuvor erlittenen Verletzungen erhebliche körperliche Schmerzen verursacht habe. Schließlich sei er mit einem Arrestantenwagen ins Polizeianhaltezentrum Linz verbracht worden. Auch ihm sei im Voraus weder die Festnahme noch der Einsatz des Schlagstockes angedroht worden.

Weil ihrerseits keinerlei Gegenwehr vorgelegen habe, seien die Beschwerdeführer durch diese dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechenden Handlungen jeweils in ihren Rechten auf persönliche Freiheit, auf körperliche Unversehrtheit und in ihrem Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden, weshalb jeweils die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahmen beantragt wurde.

1.2. Die Bundespolizeidirektion Linz hat dem Oö. Verwaltungssenat die Bezug habenden Akten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, mit denen jeweils die kostenpflichtige Abweisung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerden beantragt wird.

Dies deshalb, weil sich bereits zu Beginn der Versammlung eine große Anzahl von Demonstranten vermummt habe. Zwecks Durchführung einer Identitätsfeststellung seien die Kundgebungsteilnehmer daher gruppenweise umstellt und sodann einzeln zur Ausweisleistung aufgefordert worden, wobei diese Anordnung von den Demonstranten in der Regel jeweils auch verstanden und befolgt worden sei.

1.2.1. Die Festnahme des Erstbeschwerdeführers sei auf Basis der Strafprozessordnung, nämlich wegen des Verdachtes des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 269 Strafgesetzbuch), durchgeführt worden. Dies deshalb, weil er versucht habe, die Festnahme des Zweitbeschwerdeführers sowie seine eigene Festnahme zu verhindern. In der Folge sei jedoch in Unkenntnis dieses Umstandes versehentlich nochmals eine Festnahme gemäß § 35 Abs. 3 VStG i.V.m. § 82 Sicherheitspolizeigesetz ausgesprochen worden. Da sich andere Maßnahmen – nämlich die verbale Aufforderung, den Nebenmann auszulassen bzw. loszulassen, und die Anwendung bloßer Körperkraft – bereits als erfolglos erwiesen hätten, sei in der Folge der Einsatz des am Unterarm angelegten Schlagstockes gegen die Schulter und den Oberarm des Beschwerdeführers als das unter diesen Umständen verhältnismäßig gelindeste Mittel angewendet worden. Dadurch habe der Rechtsmittelwerber schließlich isoliert und festgenommen werden können, wobei bei ihm auch ein schwarzes Dreieckstuch vorgefunden worden sei, das offensichtlich für eine geplante Vermummung (seiner oder einer anderen Person) hätte Verwendung finden sollen.

1.2.2. Auch die Festnahme des Zweitbeschwerdeführers habe sich auf die Strafprozessordnung gegründet, weil dieser der Anordnung, den Kessel zwecks Identitätsfeststellung zu verlassen, keine Folge geleistet bzw. er sich deren zwangsweiser Durchsetzung gewaltsam widersetzt habe, sodass der Verdacht des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 269 Strafgesetzbuch) vorgelegen sei.

Da die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im gegenständlichen Fall somit – wie sich sowohl aus den vorgelegten kriminalpolizeilichen Akten, aus der Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft (StA) Linz und auch daraus, dass das Landesgericht (LG) Linz entsprechende Strafverfahren durchgeführt habe, ergebe – ausschließlich auf der Grundlage der Strafprozessordnung eingeschritten seien, wäre für den Fall vermeintlicher, in diesem Zusammenhang erfolgter Rechtsverletzungen vielmehr gemäß § 106 Abs. 1 Strafprozessordnung ein Einspruch an das LG Linz zu erheben gewesen, weshalb sich die gegenständlichen, auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützten Maßnahmenbeschwerden als unzulässig erweisen würden.

1.3. Mit Schriftsatz vom 4. September 2009 haben die Beschwerdeführer mitgeteilt, dass gegen sie beim LG Linz jeweils Strafverfahren wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt anhängig seien, weshalb der Sache nach eine Aussetzung der Maßnahmenbeschwerdeverfahren bis zum Vorliegen der schriftlichen Entscheidungen des LG Linz angeregt werde.

1.4. Mit h. Beschluss vom 7. September 2009, Zl. VwSen-420595/11/Gf/Mu/Bu u.a., wurde daher das gegenständliche Verfahren bis zur Erlassung der entsprechenden erstinstanzlichen Entscheidungen des LG Linz ausgesetzt.

1.5. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2010 haben die Beschwerdeführer unter nachmaliger Vorlage der entsprechenden Verhandlungsprotokolle mitgeteilt, dass sie mittlerweile mit Urteilen des LG Linz vom 17. September 2009, GZ 23-Hv-91/09v, und vom 12. Juni 2009, GZ 27-HV-90/09a, vom Vorwurf des Widerstandes gegen die Staatsgewalt rechtskräftig freigesprochen worden seien, und einen Antrag auf Fortsetzung der ho. anhängigen Maßnahmenbeschwerdeverfahren gestellt.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat in der Folge Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Linz zu Zl. 0143, insbesondere in die darin enthaltenen, jeweils unter Wahrheitspflicht abgelegten Zeugenaussagen, und in die von den Beschwerdeführern abschriftlich vorgelegten, in den Verfahren vor dem LG Linz zu GZ 23-Hv-91/09-v und 27-HV-90/09-a, ebenfalls unter Wahrheitspflicht erstatteten Zeugenaussagen sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 19. Mai 2010, an der als Parteien die beiden Beschwerdeführer und deren Vertreter RA z einerseits sowie u und v als Vertreter der BPD Linz und der Zeuge w (Exekutivorgan bei der BPD Linz) teilgenommen haben.

2.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme, in deren Rahmen auch die von den Beschwerdeführern vorgelegten Videoaufzeichnungen ("1. Mai 2009 – x.wmv", "VTS_01_2.VOB" und "x_orf.avi"; siehe die Beilagen zu ONr. 1 des h. Aktes) eingesehen wurden, wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt (wobei die darüber aufgenommene Niederschrift [ONr. 39 des h. Aktes] gleichzeitig zum integrierenden Bestandteil der Begründung des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a.,  erklärt wurde):

2.1.1. Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer wollten am 1. Mai 2009 in Linz an einer von einer x-Organisation angemeldeten Versammlung teilnehmen. Sie fanden sich zu diesem Zweck jeweils gegen 11.00 Uhr am Blumauerplatz in Linz ein, von wo aus die Kundgebungsteilnehmer über die Landstraße in Richtung Hauptplatz ziehen wollten.

Der Abmarsch eines Teiles dieses Demonstrationszuges wurde jedoch dadurch unterbunden, dass eine Gruppe der Versammlungsteilnehmer – darunter auch die beiden Beschwerdeführer – von Exekutivorganen der BPD Linz umstellt und wegen des Verdachtes von Verstößen gegen das im Versammlungsgesetz verankerte sog. "Vermummungsverbot" zur individuellen Identitätsfeststellung aufgefordert wurde. Jenen Demonstranten, die dieser Aufforderung Folge leisteten, wurde nach Anfertigung eines Portraitfotos samt ihrem darunter auf einen Zettel geschriebenen Namen die weitere Teilnahme an der Versammlung gestattet. Die Erklärung und die Aufforderung, den Polizeikordon zu diesem Zweck einzeln zu verlassen, wurde mehrmals, und zwar sowohl von Polizeibeamten als auch vom Rechtsvertreter der Veranstalterin, per Megaphon an die ca. 50 umstellten Demonstranten gerichtet und von diesen – früher oder später, jedenfalls aber vor der Setzung der polizeilichen Zwangsakte gegen die beiden Beschwerdeführer – sowohl akustisch als auch intellektuell verstanden. Diese Aktion hat insgesamt etwa zwei Stunden gedauert, wobei sich während dieses Zeitraumes eine zunehmend aggressivere Stimmung derart ergeben hat, dass die Beamten auf das von ihnen subjektiv als Provokation gewertete Verhalten der Kundgebungsteilnehmer immer unwirscher reagiert haben.

Als sich in der Folge abzuzeichnen begann, dass der innerhalb des Kordons verbliebene Rest der Demonstranten allein durch Zureden nicht mehr dazu zu bewegen war, freiwillig die Identität bekannt zu geben, wurde zunächst damit begonnen, den Abschirmungsring enger zu ziehen. Die Kundgebungsteilnehmer hakten sich daraufhin gegenseitig bei ihren Armen ein. In der Folge begannen die Beamten, einzelne Demonstranten gewaltsam von den anderen zu trennen und diese solcherart isoliert außerhalb des Kordons zu verbringen.

2.1.2. Im Zuge dieser Isolierungsaktion wurde der Erstbeschwerdeführer – wie dieser glaubwürdig vorbringt: ohne vorangehende individuelle Ankündigung einer Festnahme bzw. eines Waffengebrauches – von mehreren Armen der Polizisten gepackt und unter Anwendung von Körperkraft von seinen beiden Nebenmännern getrennt. Dabei wurde er auch von solchen Stockschlägen, die entsprechend den Ausbildungsrichtlinien als gelindest mögliche Einsatzstocktechnik gelten – nämlich: Schläge mit dem am Unterarm angelegten Einsatzstock gegen die Arme des Widerstand Leistenden –, getroffen, die am rechten Oberarm ein Hämatom sowie eine ca. 2 cm lange Schürfwunde auf der Nase nach sich zogen. In der Folge ging er zu Boden, wobei er mit den Füßen voraus und dem Gesicht nach unten an den Händen und Füßen aus dem Kordon gezogen und solcherart gemäß § 35 VStG sowie wegen des Verdachtes des Widerstandes gegen die Staatsgewalt auch auf Basis der Strafprozessordnung als festgenommen erklärt wurde. Danach wurden ihm die Hände auf den Rücken gedreht und mit Kabelbindern fixiert, sodass sich Schmerzen und ein Taubheitsgefühl in den Fingern einstellten. Dann wurde er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe eines Polizeibusses gedrückt und schließlich, nachdem seine Identität festgestellt worden war, in die Arrestzelle eines anderen Polizeifahrzeuges gesetzt, wobei ihm ergänzend vorgehalten wurde, dass er ein nach dem Sicherheitspolizeigesetz strafbares aggressives Verhalten gesetzt habe. Schließlich wurde er zur Bundespolizeidirektion Linz verbracht.

2.1.3. Dem Zweitbeschwerdeführer wurde im Zuge der Isolierungsaktion von einem Polizeibeamten mit einem Schlagstock mehrmals heftig gegen den linken Oberarm geschlagen; dadurch erlitt er Hämatome am linken Oberarm, im Bereich beider Augen und am Rücken. In der Folge ging er zu Boden und wurde von Polizisten – u.a. auch an seinen Haaren – aus dem Kordon gezogen. Dort wurde er von mehreren Beamten auf den Boden gedrückt, wobei ihm die Arme auf den Rücken gedreht und mittels Kabelbinder fixiert wurden, was ihm deshalb, weil dabei auch der von ihm getragene Rucksack miterfasst wurde, in Verbindung mit den zuvor erlittenen Verletzungen erhebliche körperliche Schmerzen verursachte. Schließlich wurde er fotografiert und seine Daten aufgenommen und dann zur Bundespolizeidirektion Linz verbracht, wobei ihm mitgeteilt wurde, dass er zuvor deshalb nach der Strafprozessordnung festgenommen worden sei, weil er mit Händen und Füßen nach den amtshandelnden Polizisten getreten habe.

2.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen wurden auf den Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Aktes (insbesondere auf die darin enthaltenen, unter Wahrheitspflicht abgelegten Zeugenaussagen), auf die von den Beschwerdeführern vorgelegten Beweismittel (Videoaufnahmen und unter Wahrheitspflicht erstattete Zeugenaussagen vor den staatsanwaltlichen Behörden bzw. in den o.a. Strafverfahren vor dem LG Linz) sowie auf die in den entscheidungsrelevanten Punkten jeweils übereinstimmenden, schlüssigen und glaubwürdigen Aussagen der in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat unter Wahrheitspflicht einvernommenen Beschwerdeführer und Zeugen gegründet.

3. Mit Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., wurde den Maßnahmenbeschwerden des Erst- und des (nunmehrigen) Zweitbeschwerdeführers jeweils "insoweit stattgegeben, als festgestellt wird, dass diese dadurch, dass sie daran gehindert wurden, an der Versammlung in der von ihnen beabsichtigten Weise teilzunehmen und ihnen stattdessen einerseits untersagt wurde, jene von einem Polizeikordon umstellte Demonstrantengruppe zu verlassen, ohne gleichzeitig eine Identitätsfeststellung durchführen zu lassen, und sie andererseits in der Folge durch Gewaltanwendung dazu veranlasst wurden, den Polizeikordon zwecks Identitätsfeststellung zwangsweise zu verlassen, jeweils in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurden" (Spruchpunkt I.); im Übrigen wurden diese Beschwerden "mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückgewiesen" (Spruchpunkt II.), sodass einerseits der Bund dazu verpflichtet wurde, den (nunmehrigen) Beschwerdeführern "jeweils einen Aufwand in Höhe von 1.672,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen" (Spruchpunkt III) und andererseits der  Erst- sowie der (nunmehrige) Zweitbeschwerdeführer dazu verpflichtet wurden, "dem Bund ..... jeweils einen Aufwand in Höhe von 887,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen" (Spruchpunkt IV).

3.1. Begründend wurde hierzu zunächst zur Zulässigkeit der Beschwerden ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall auch von der belangten Behörde gar nicht in Abrede gestellt worden sei, dass seitens ihrer Exekutivorgane u.a. auch gegen die Beschwerdeführer entsprechende Zwangsakte gesetzt worden seien.

Die Bundespolizeidirektion Linz habe jedoch eingewendet, dass sämtliche dieser Maßnahmen nicht in Ausübung verwaltungsbehördlicher Agenden gesetzt worden seien, sondern dass die Organe der öffentlichen Aufsicht insoweit ausschließlich Akte, die der Gerichtsbarkeit zuzurechnen wären, vorgenommen hätten; somit lägen aber keine Maßnahmen i.S.d. Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG vor, weshalb die gegenständlichen Beschwerden als unzulässig zurückzuweisen seien.

Damit sei die belangte Behörde teilweise im Recht gewesen:  

3.1.1. Denn gemäß § 170 Abs. 1 Z. 1 der Strafprozessordnung, BGBl.Nr. 631/1975 i.d.F. BGBl.Nr. I 142/2009 (im Folgenden: StPO), sei die Festnahme einer Person, die der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, u.a. dann zulässig, wenn sie auf frischer Tat betreten oder unmittelbar danach glaubwürdig der Tatbegehung beschuldigt wird.

Nach § 171 Abs. 1 StPO sei eine Festnahme prinzipiell auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen und sodann von der Kriminalpolizei faktisch durchzuführen; liegen jedoch die Voraussetzungen des § 170 Abs. 1 Z. 1 StPO vor, dann sei die Kriminalpolizei auch dazu berechtigt, den Beschuldigten von sich aus festzunehmen.

Gemäß § 18 Abs. 1 StPO bestehe die Kriminalpolizei in der Wahrnehmung von Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege (Art. 10 Abs. 1 Z. 6 B-VG), insbesondere in der Aufklärung und Verfolgung der gerichtlich strafbaren Taten; sie obliege den Sicherheitsbehörden, wobei jene Aufgaben und Befugnisse, die den Sicherheitsbehörden durch die StPO übertragen werden, auch den ihnen beigegebenen, zugeteilten oder unterstellten Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zustünden (§ 18 Abs. 2 StPO). Wenn daher in der StPO der Begriff "Kriminalpolizei" verwendet werde, würden damit nach § 18 Abs. 3 StPO jeweils sowohl die Sicherheitsbehörden und -dienststellen als auch deren Exekutivorgane, soweit diese i.S.d. § 18 Abs. 2 StPO Agenden der Kriminalpolizei ausüben, erfasst.

3.1.2. Gemäß § 35 Z. 1 VStG dürften Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Person, die bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betreten wird, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde dann festnehmen, wenn sie entweder dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und ihre Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist, oder dann, wenn ein begründeter Verdacht dahin, dass sie sich der Strafverfolgung zu entziehen versuchen wird, besteht, oder schließlich dann, wenn die betretene Person trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder diese zu wiederholen versucht.

3.1.3. Hinsichtlich einer aus eigener Macht erfolgenden Festnahme einer auf frischer Tat betretenen Person könnten sich die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sohin entweder auf § 170 Abs. 1 Z. 1 StPO oder auf § 35 VStG berufen, und zwar je nachdem, ob der beabsichtigten Festnahme eine gerichtlich oder eine verwaltungsbehördlich strafbare Handlung zu Grunde liegt, wobei sie im ersteren Fall als Organe der Gerichtsbarkeit einschreiten und (nur) im zweiteren Fall eine verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt i.S.d. Art. 129a Abs. 1 B-VG ausüben würden. 

3.1.4. Gegenständlich hätten die Polizeibeamten dem Erst- und dem Zweitbeschwerdeführer zunächst die Teilnahme an der Kundgebung – der Demonstrationszug hätte sich vom Blumauerplatz in nördlicher Richtung zum einige hundert Meter entfernten Hauptplatz bewegen sollen – dadurch verwehrt, dass jene aus ca. 50 Personen bestehende Gruppe der Versammlungsteilnehmer (unter denen sich auch der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer befanden) von einem aus zahlreichen Sicherheitswachebeamten bestehenden Kordon umstellt und dadurch am Weitergehen gehindert wurde. Begründet worden wäre diese Maßnahme – im Wege mehrmaliger Megaphondurchsagen für jedermann erkennbar – damit, dass einige Kundgebungsteilnehmer gegen das in § 9 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes, BGBl.Nr. 98/1953, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 127/2002 (im Folgenden: VersG), normierte sog. "Vermummungsverbot" verstoßen und damit eine Verwaltungsübertretung i.S.d. § 19 VersG begangen hätten.

In der Folge sei daher seitens der Exekutivorgane angeordnet worden, dass sich sämtliche innerhalb des Kordons befindenden Demonstranten – da gerichtlich strafbare Handlungen bis dahin offenkundig nicht vorgelegen hätten – gemäß § 35 Z. 1 VStG (bzw. auch gemäß § 35 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl.Nr. 566/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 133/2009, im Folgenden: SPG) einer Identitätsfeststellung zu unterziehen hätten. Jenen Personen, die sich dazu bereit erklärt hätten, sei gestattet worden, die Abschirmung einzeln zu verlassen und nach erfolgter Identitätsfeststellung die Demonstration in Richtung Hauptplatz fortzusetzen. Dem gegenüber seien jene Kundgebungsteilnehmer, die sich geweigert hätten, an der angeordneten Identitätsfeststellung mitzuwirken, sukzessive jeweils einzeln und von mehreren Beamten gewaltsam außerhalb des Kordons verbracht und bei den in der Nähe abgestellten Polizeibussen einer Personenkontrolle unterzogen worden. Dagegen hätten sich jedoch die Demonstranten – darunter auch die beiden Beschwerdeführer – dadurch zu widersetzen begonnen, dass sie sich gegenseitig bei ihren Ellenbogen eingehakt hätten.

Um diese relativ stabile Verbindung zwischen den Versammlungsteilnehmern trennen zu können, habe schließlich die Körperkraft der einschreitenden Beamten allein nicht mehr ausgereicht, sodass diese auch ihre Schlagstöcke einzusetzen gehabt hätten. Nur im Wege von Stockschlägen gegen die Oberarme der Demonstranten sei es ihnen schließlich gelungen, u.a. auch den gegenseitigen Festhaltegriff zwischen dem Erst- und dem Zweitbeschwerdeführer zu lösen.  

3.1.5. Sei bis zu diesem Zeitpunkt noch ein verwaltungsbehördliches Handeln der Exekutivorgane vorlegen, so habe sich dies jedoch geändert, als der von den Demonstranten – darunter auch vom Erst- und vom Zweitbeschwerdeführer – anfänglich bloß passive Widerstand in jene aktiven Widerstandshandlungen umgeschlagen habe, die den jeweils beim LG Linz durchgeführten Strafverfahren (zu GZ 23-Hv-91/09v und 27-HV-90/09a) zu Grunde gelegen seien bzw. genauer: die einschreitenden Beamten zumindest vertretbar davon ausgehen hätten dürfen, dass der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer derartige, (wenigstens) als (versuchter) Widerstand gegen die Staatsgewalt i.S.d. § 269 des Strafgesetzbuches, BGBl.Nr. 60/1974, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 142/2009 (im Folgenden: StGB), zu wertende Handlungen gesetzt hätten (Erstbeschwerdeführer: Losreißen eines anderen, bereits festgenommenen Kundgebungsteilnehmers und Einschlagen auf sowie Hintreten mit Armen und Beinen gegen Exekutivorgane; Zweitbeschwerdeführer: Hinderung der Identitätsfeststellung durch unkontrolliertes Um-Sich-Schlagen mit Händen und Füßen).

Wenngleich im gegenständlichen Fall wegen der generellen Unübersichtlichkeit und gleichzeitigen Raschheit der Ereignisse nicht völlig exakt festzustellen gewesen sei, in welchen Phasen des Kausalverlaufes diese vermeintlichen Widerstandshandlungen jeweils genau gesetzt worden seien, so sei dennoch zumindest allseits unbestritten geblieben, dass diese zum einen nach dem Losstürmen der Polizisten auf den Erst- und den Zweitbeschwerdeführer, zum anderen aber jeweils gesetzt worden sein mussten, noch bevor die Beschwerdeführer von den Beamten zu Boden gebracht worden waren, wobei zwischen diesen Beginn- und Endigungszeitpunkten in allen drei Fällen jeweils eine nur wenige Sekunden dauernde Zeitphase gelegen habe. Ob daher auch die Stockschläge gegen die beiden Beschwerdeführer – zumindest zum Teil – noch vor oder sämtliche bereits nach diesen vermeintlichen aktiven Widerstandshandlungen gesetzt wurden, habe daher mangels eines entsprechenden eindeutigen Nachweises ebenfalls nicht völlig eindeutig geklärt werden können, sodass im Zweifel zugunsten der belangten Behörde insoweit davon auszugehen gewesen sei, dass diese erst danach erfolgten (andernfalls wären sie nämlich als in Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangen – und nicht als kriminalpolizeiliche Akte – anzusehen gewesen, was die zum Eingriff in die Versammlungsfreiheit konstatierte Unverhältnismäßigkeit [vgl. dazu näher unten, 3.2.] der behördlichen Vorgangsweise insgesamt noch verstärkt hätte). 

Die nachfolgenden polizeilichen Maßnahmen gegen die Rechtsmittelwerber – wie insbesondere das Schlagen mit den Einsatzstöcken, das Schleifen am Boden, das Zerren an den Haaren, das Fixieren der Arme am Rücken und das Tragen an den Extremitäten – seien somit aber solche gewesen, die nicht mehr in Ausübung verwaltungsbehördlicher, sondern vielmehr in Vollziehung gerichtlicher Zwangsgewalt erfolgt wären.

Insoweit sehe aber § 106 Abs. 1 StPO i.d.F. der seit dem 1. Jänner 2008 in Kraft stehenden StPO-Novelle BGBl.Nr. I 19/2004 einen eigenständigen Rechtsbehelf (nämlich: Einspruch an das Gericht) vor, der somit der (schon von ihrer Konzeption her bloß subsidiären) Beschwerdebefugnis des Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG derogiere.

3.1.6. Diese bei der derzeit gegebenen Rechtslage erforderliche Trennung zwischen verwaltungsbehördlicher und gerichtlicher Zurechenbarkeit des scheinbar einheitlichen behördlichen Handelns in jenen Fällen, in denen sachverhaltsbezogen die Annahme eines deliktischen Verhaltens in Bezug auf § 269 StGB zumindest vertretbar erscheint – was nicht auf Grund der subjektiven Sichtweise der einschreitenden Behörden und Organe, sondern anhand objektiver Kriterien zu beurteilen sei –, erweise sich zudem auch aus rechtspolitischer Sicht deshalb als zweckmäßig, weil es solcherart auch im Bereich der Gerichtsbarkeit verbleibe (und damit eine entsprechende Bindung der Gerichtsbarkeit durch die Verwaltung ausgeschlossen sei), zu beurteilen, ob in einem konkreten Fall etwa aktiver oder bloß passiver (vgl. z.B. OGH vom 24. Oktober 1985, 13 Os 145/45 [Stemmen gegen Treppenstufen und Festhalten an Heizkörpern] und vom 22. Jänner 1987, 12 Os 183/86 [Entgegensetzen des Körpergewichts und Zu-Boden-Legen]) Widerstand geleistet worden sei; ob der spezifische Rechtfertigungsgrund des § 269 Abs. 4 StGB (Straflosigkeit, wenn der Beamte zur Amtshandlung ihrer Art nach nicht berechtigt ist oder diese strafgesetzliche Vorschriften verstößt) sowie eine damit im Zusammenhang stehende irrtümliche Annahme von dessen Vorliegen (vgl. dazu näher z.B. OGH vom 20. Februar 1986, 12 Os 179/85, sowie M. Danek, in: F. Höpfel - E. Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Wien [Loseblattausgabe], RN 83 ff zu § 269 StGB; O. Leukauf - H. Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Aufl., Eisenstadt 1992, RN 22 ff zu § 269 StGB) gegeben gewesen sei; ob zumindest eine Strafbarkeit in Form des Versuchs vorgelegen sei oder nicht, etc. (wenngleich sich das LG Linz in den hier gegenständlichen Fällen mit diesen Fragen konkret nicht auseinandergesetzt habe).

Dass die Annahme eines deliktischen Verhaltens der Beschwerdeführer im Hinblick auf § 269 StGB vorliegend jedenfalls nicht unvertretbar gewesen sei, ergebe sich aber schon daraus, dass die StA Linz jeweils Anklage erhoben und das LG Linz in der Folge auch entsprechende Strafverfahren durchgeführt habe und die Rechtsmittelwerber schließlich jeweils bloß im Zweifel bzw. mangels Schuldbeweis freigesprochen worden seien (Erstbeschwerdeführer: "Freispruch im Zweifel gemäß § 259/3 StPO" – vgl. das Protokoll der Hauptverhandlung des LG Linz zu GZ 23-Hv-91/09v vom 17. September 2009, S. 11; Zweitbeschwerdeführer: "Kein Beweis möglich, dass y eine Widerstandshandlung setzte, die über den zulässigen passiven Widerstand hinausgeht; keine erwiesene Unschuld, im Zweifel zugunsten des Angeklagten" – vgl. das Protokoll der Hauptverhandlung des LG Linz zu GZ 27-Hv-90/09a vom 12. Juni 2009, S. 15), sodass im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Anklagebehörde hier leichtfertig oder gar willkürlich entsprechende Strafanträge gestellt hätte.

3.1.7. Wie der Oö. Verwaltungssenat bereits mehrfach ausgesprochen habe (vgl. z.B. VwSen-420573 vom 11. Februar 2009, VwSen-420575 vom 4. März 2009 und VwSen-420575 u. 420576 vom 17. Juli 2009), bestünden aus h. Sicht grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 106 Abs. 1 StPO, sodass auch der gegenständliche Fall keine Veranlassung zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages gemäß Art. 129a Abs. 3 B-VG bilde.

3.1.8. Aus all dem folge daher, dass die vorliegenden Beschwerden gemäß § 67c Abs. 3 AVG insoweit mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen seien, als sich diese auf Zwangsmaßnahmen bezögen, die die einschreitenden Sicherheitsorgane erst zu einem Zeitpunkt gesetzt hätten, nachdem diese vertretbar davon hätten ausgehen können, dass die Beschwerdeführer jeweils ein Vergehen gemäß § 269 StGB – zumindest in Form des Versuchs oder der irrtümlichen Annahme des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes – begangen hätten.

3.2. In der Sache selbst wurde sodann darauf hingewiesen, dass nach Art. 11 Abs. 1 EMRK alle Menschen u.a. das Recht hätten, sich friedlich zu versammeln. Dieses Recht dürfe gemäß Art. 11 Abs. 2 EMRK keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Nach Art. 12 StGG hätten die österreichischen Staatsbürger u.a. das Recht, sich zu versammeln, wobei die Ausübung dieses Rechts durch besondere Gesetze geregelt wird.

Anders als jene des Art. 11 EMRK, die ein allgemeines Menschenrecht darstellt, normiere die ein Staatsbürgerrecht konstituierende Verfassungsbestimmung des Art. 12 StGG nicht bloß einen Eingriffs-, sondern einen Ausgestaltungsvorbehalt zugunsten des einfachen Gesetzgebers. Aus dieser besonderen rechtssystematischen Konstruktion folge, dass jenes in Ausführung zu Art. 12 StGG ergangene einfache Gesetz mit der Verfassungsgewährleistung eine inhaltliche Einheit derart bilde, dass – aus der Sicht des Rechtsschutzes betrachtet – jede Verletzung des Versammlungsgesetzes zugleich auch einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach sich ziehe, der in letzter Konsequenz ausschließlich gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof, nicht aber auch nach Art. 130 Abs. 1 lit. a bzw. Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG beim Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht werden könne (vgl. die bei W. Berka, Die Grundrechte –  Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, Wien 1999, RN 638 ff, und L.K. Adamovich - B.-C. Funk - G. Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 3, Wien 2003, RN 42.155, angeführte Judikatur des VfGH; s.a. schon VwSen-420142 v. 1. Oktober 1997, m.w.N.).

Da sowohl der Erst- als auch der Zweitbeschwerdeführer im gegenständlichen Fall österreichische Staatsbürger seien, seien deren Rechtsmittel sohin im Folgenden jeweils unter den spezifischen Gewährleistungen des Art. 12 StGG – und nicht bloß unter dem Aspekt der allgemeinen Garantien des Art. 11 EMRK – zu prüfen.

Dass die Rechtsmittelwerber ihre Verletzung in diesem Grundrecht in ihren Beschwerdeschriftsätzen nicht ausdrücklich, sondern bloß implizit gerügt hätten, schade angesichts des Umstandes, dass § 67c Abs. 2 AVG – anders als § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG – nicht auf die konkrete Bezeichnung von Beschwerdepunkten abstelle, sodass für die Unabhängigen Verwaltungssenate aus § 67c Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 AVG eine umfassende Verpflichtung zur Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes folge, nicht (vgl. J. Hengstschläger - D. Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Bd. 3, Wien 2007, RN 20 ff zu § 67c AVG, m.w.N).

3.2.1. Gemäß § 9 Abs. 1 VersG dürften an einer Versammlung keine Personen teilnehmen, die ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllen oder verbergen, um ihre Wiedererkennung im Zusammenhang mit der Versammlung zu verhindern, oder die Gegenstände mit sich führen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.

Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot stellten (von der hier nicht maßgeblichen Qualifikation des § 19a VersG [Vermummung samt Bewaffnung] abgesehen) eine Verwaltungsübertretung dar, die nach § 19 VersG mit einer Geldstrafe bis zu 720 Euro oder mit Arrest bis zu sechs Wochen zu bestrafen ist.

Von der Festnahme einer Person wegen Verharrens im strafbaren Verhalten oder wegen Wiederholungsabsicht (§ 35 Z. 3 VStG) im Hinblick auf eine Übertretung des § 9 Abs. 1 VersG sei jedoch dann abzusehen, wenn der gesetzmäßige Zustand auch durch die Anwendung eines gelinderen Mittels, insbesondere durch Wegweisung vom Versammlungsort oder durch Sicherstellung der zur Wiederholung der Straftat benötigten Gegenstände i.S.d. § 81 Abs. 3 SPG hergestellt werden kann (§ 9 Abs. 2 VersG). Darüber hinaus könne gemäß § 9 Abs. 3 VersG von der Durchsetzung der in § 9 Abs. 1 VersG normierten Verbote abgesehen werden, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit nicht zu besorgen ist.

3.2.2. Im vorliegenden Fall habe der Vertreter der belangten Behörde im Zuge der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat ausgeführt, dass das Einschreiten der Beamten ursprünglich deshalb erfolgte, "weil eine Vermummung festgestellt worden ist und auf Grund der Gesamtumstände eine Gefahr in Bezug auf eine andere Demonstration einer sog. 'rechten' Organisation zu befürchten war. Deshalb wurde auch diese eine Gruppe von 'linken' Demonstranten, in der sich der Erst- und der Drittbeschwerdeführer befanden, abgesondert" (vgl. das h. Verhandlungsprotokoll [ONr. 40 des h. Aktes], S. 5).

Möge davon ausgehend die Vorgangsweise der Sicherheitsbehörde anfänglich, d.h. gegen 11.00 Uhr, als die beiden Beschwerdeführer jeweils am Versammlungsort eingetroffen waren, unter dem Aspekt des § 9 Abs. 1 VersG besehen grundsätzlich noch deshalb rechtmäßig gewesen sein, weil objektiv betrachtet tatsächlich die vom Behördenvertreter beschriebene Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit gegeben gewesen sei – und somit die in § 9 Abs. 3 VersG festgelegten Voraussetzungen für ein Absehen von der Durchsetzung der in § 9 Abs. 1 VersG normierten Verbote nicht vorgelegen seien –, so gelte dies aber jedenfalls nicht mehr hinsichtlich ihres späteren konkreten Einschreitens gegen den Erst- und den Zweitbeschwerdeführer.

3.2.2.1. Bis zu diesem Zeitpunkt – um ca. 13.00 Uhr – seien nämlich bereits zwei Stunden vergangen gewesen, wobei diese Gruppe von ca. 50 Demonstranten während dieses gesamten Zeitraumes durchgehend von Sicherheitsorganen umstellt gewesen sei. Eine Vermummung eines Kundgebungsteilnehmers i.S.d. § 9 Abs. 1 VersG, insbesondere eine solche des Erst- und des Zweitbeschwerdeführers habe jedoch zu keinem Zeitpunkt zweifelsfrei festgestellt werden können. Dies werde auch seitens der belangten Behörde gar nicht vorgebracht; auf der von ihr angefertigten Videodokumentation (vgl. die Datei "VTS_01_2.VOB", Blg. "DVD 2" zu ONr. 1 des h. Aktes – sog. "Polizeivideo"), die einen Großteil dieser Zeitspanne durchgängig festhalte, seien zudem lediglich vereinzelt Personen zu erkennen, die sich die Kapuze ihres Sweaters auf den Kopf gesetzt, nicht jedoch über ihr Gesicht gezogen oder die eine unauffällige (i.S.v. normale) Sonnenbrille getragen hätten – denn phasenweise habe an diesem Tag tatsächlich Sonnenschein geherrscht – oder auch beides. Angesichts des Umstandes, dass die Versammlungsfreiheit ein für eine funktionierende Demokratie höchst essentielles Recht verkörpere (vgl. z.B. VfGH vom 12. März 1988, B 970/87 = VfSlg 11651/1988 m.w.N. in Bezug auf die eigene sowie auf die Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG; s.a. VwSen-420142 vom 1. Oktober 1997), seien sohin einfachgesetzliche Einschränkungen dieses Grundrechts schon von vornherein sehr restriktiv auszulegen.

3.2.2.2. Mit Blick auf den gegenständlichen Fall bedeute dies zunächst, dass bereits das Vorliegen einer Vermummung und damit einer Verwaltungsübertretung i.S.d. § 19 i.V.m. § 9 Abs. 1 VersG nur dann angenommen hätte werden können, wenn auf Grund des konkreten Sachverhalts kein vernünftiger Zweifel mehr daran hätte bestehen können, dass der Kundgebungsteilnehmer entweder seine Gesichtszüge tatsächlich verhüllt oder verborgen habe und zudem seine Intention (arg. "um ..... zu" in § 9 Abs. 1 VersG) darauf gerichtet gewesen sei, auf diese Weise seine Wiedererkennung im Zusammenhang mit der Versammlung zu verhindern, oder dass er Gegenstände mit sich geführt habe, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt gewesen seien, die Feststellung der Identität zu verhindern.

Beides treffe jedoch auf das bloße Tragen eines Kapuzensweaters und einer Sonnenbrille nicht zu, denn hierbei handle es sich um normale Kleidungsstücke, wie sie – insbesondere an sonnigen Frühlingsbeginntagen – der derzeitigen Mode entsprechend generell von vielen jungen Leuten getragen würden. Nur im Extremfall hätten diese beiden Gegenstände, allenfalls in additiver Kombination, auch dazu benützt werden können, um die Gesichtszüge zu verhüllen bzw. zu verbergen, z.B., wenn das sich in der Kapuze befindende Band derart eng zugezogen werde, dass letztlich nur mehr die Augen und die Nase frei bleiben würden.

Für das Vorliegen derart außergewöhnlicher Umstände hätten sich jedoch hinsichtlich des hier gegenständlichen Sachverhalts keinerlei Anhaltspunkte ergeben; insbesondere habe auch die belangte Behörde dies nicht einmal ansatzweise behauptet. Davon ausgehend habe daher angesichts der hohen Sensibilität des hier in Rede stehenden Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht vom Vorliegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung i.S.d. § 19 i.V.m. § 9 Abs. 1 VersG ausgegangen werden können.

3.2.2.3. Doch selbst wenn ein solcher Verdacht gerechtfertigt gewesen wäre, hätten sich die darauf gegründeten polizeilichen Maßnahmen einerseits jedenfalls nur gegen die jeweiligen individuellen Täter, nicht jedoch gegen das gesamte Kollektiv der umstellten Demonstranten als solches richten dürfen; zudem wäre dabei in jedem konkreten Einzelfall – wie dies aus § 9 Abs. 2 und 3 VersG unmissverständlich hervorgehe – jeweils noch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten gewesen.

3.2.2.3.1. In diesem Zusammenhang sei zunächst zu bedenken, dass für die weitaus überwiegende Mehrzahl jener Demonstranten, die ursprünglich bloß friedlich an der Versammlung hätten teilnehmen wollen und zudem keine offensichtlich rechtswidrigen Handlungen begangen hätten, schon das bloße Errichten eines Polizeikordons zweifelsfrei geeignet gewesen sei, allein diesen Vorgang als solchen als eine Bedrohungssituation zu empfinden. Dies sei in der Folge noch dadurch gesteigert worden, dass einige Kundgebungsteilnehmer gewaltsam ergriffen, außerhalb des Kordons verbracht und dort einer Identitätsfeststellung unterzogen worden seien. Damit habe die Behörde aber jedenfalls die ihr im Zuge einer Versammlung zukommende primäre Funktion, nämlich deren Durchführung zu schützen, d.h. deren reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, verlassen und diese gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt, d.h. die Demonstranten gewissermaßen kollektiv als Rechtsbrecher stigmatisiert; zugleich sei durch diesen massiven Einschüchterungseffekt in rechtswidriger Weise die Möglichkeit einer künftig unbefangenen Inanspruchnahme dieses elementaren demokratischen Kommunikationsgrundrechts für diese Personengruppe – und damit auch für den Erst- und den Zweitbeschwerdeführer – nachhaltig beeinträchtigt worden (vgl. dazu auch BVerfG vom 17. Februar 2009, 1 BvR 2492/08, insbes. RN 123).

3.2.2.3.2. Um ein Aufeinandertreffen zwischen sog. "linken" einerseits und den sog. "rechten" Demonstrationszügen auf der anderen Seite zu verhindern, hätte es zudem offenbar auch hingereicht, dass sich die Exekutivorgane jeweils lediglich zwischen diesen beiden Gruppen aufhalten und diese dadurch separieren. Das vollständige Umstellen und Absondern einer größeren, insgesamt ca. 50 Personen umfassenden Demonstrantengruppe für eine Dauer von ca. zwei Stunden lediglich zu dem Zweck, um eine Identitätsfeststellung von wenigen, sich in dieser Gruppe befindenden Personen, denen zudem bloß die vermeintliche Begehung einer Verwaltungsübertretung – andere Gründe seien auch von der belangten Behörde nicht vorgebracht worden – angelastet worden sei, durchführen zu können, stelle hingegen kein verhältnismäßiges Mittel dar (vgl. in diesem Sinne bereits VwSen-420142 vom 1. Oktober 1997).

Denn zum einen sei die (anfänglich allenfalls noch vorhanden gewesene) Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr gegeben gewesen – Derartiges sei auch von der belangten Behörde gar nicht eingewendet worden –, sodass schon gemäß § 9 Abs. 3 VersG von der Durchsetzung der Verbote nach § 9 Abs. 1 VersG abzusehen gewesen wäre. Weiters hätte die Behörde selbst dann, wenn ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot des § 9 Abs. 1 VersG tatsächlich vorgelegen hätte, jedenfalls vom Eingriffsmittel der Festnahme deshalb Abstand nehmen müssen, weil der gesetzesgemäße Zustand hier vor bzw. anstelle der Errichtung eines Kordons, der von den Kundgebungsteilnehmern als bedrohlich empfunden werden musste, offensichtlich auch durch die in § 9 Abs. 2 VersG i.V.m. § 81 Abs. 3 SPG vorgesehenen, weniger einschneidenden Maßnahmen – nämlich: Wegweisung (bloß) der vermummten Demonstranten und/oder Sicherstellung der hierfür verwendeten Gegenstände – herzustellen gewesen wäre.

Und schließlich sei in gleicher Weise offensichtlich gewesen, dass ein Großteil der umstellten Demonstranten – darunter jedenfalls auch der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer – in keiner Weise gegen § 9 Abs. 1 VersG verstoßen habe, sodass in Bezug auf diese überhaupt keine Rechtsgrundlage für ein polizeiliches Einschreiten bestanden habe, sie also weder umstellt noch hätten festgenommen und erst recht nicht von der weiteren Teilnahme an der Versammlung hätten abgehalten werden dürfen.

3.2.3. Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer seien daher dadurch, dass sie daran gehindert worden seien, an der Versammlung in der von ihnen beabsichtigten Weise teilzunehmen und ihnen stattdessen einerseits untersagt worden sei, jene von einem Polizeikordon umstellte Demonstrantengruppe zu verlassen, ohne gleichzeitig zu einer Identitätsfeststellung einzuwilligen, und sie andererseits in der Folge durch Gewaltanwendung dazu gezwungen worden seien, den Polizeikordon zwecks Identitätsfeststellung zu verlassen, jeweils in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

3.3. Insoweit sei daher den gegenständlichen Beschwerden gemäß § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben gewesen; im Übrigen seien diese hingegen – wie oben unter 3.1. dargelegt – mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

3.4. Bei diesem Verfahrensergebnis sei der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde dazu zu verpflichten gewesen, beiden Rechtsmittelwerbern insoweit, als deren Beschwerde stattzugeben gewesen sei und diese sohin als obsiegende Partei anzusehen seien, gemäß § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG jeweils einen Aufwand in Höhe von insgesamt 1.672,80 Euro (Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro; Verhandlungsaufwand: 922,00 Euro; Eingabengebühr: 13,20 Euro) zu ersetzen.

Soweit deren Beschwerde hingegen zurückzuweisen gewesen sei, seien hingegen beide Beschwerdeführer jeweils dazu zu verpflichten gewesen, dem insoweit als obsiegende Partei anzusehenden Bund gemäß § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG jeweils einen Aufwand in Höhe von insgesamt 887,20 Euro (Aktenvorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro; Verhandlungsaufwand: 461,00 Euro) zu ersetzen.

4. In der Folge haben die Rechtsmittelwerber gegen "den zurückweisenden Teil" dieses Erkenntnis eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben.

 

5. Mit Erkenntnis vom 2. Mai 2011, B 941/10, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass "die Beschwerdeführer ..... hinsichtlich des Spruchpunktes II des angefochtenen Bescheides wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt" worden sind und daher das h. Erkenntnis vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., "hinsichtlich des Spruchpunktes II aufgehoben".

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der VfGH mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, G 259/09 u.a., die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs. 1 StPO als verfassungswidrig aufgehoben hat. Weil auch der gegenständliche Fall zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung des VfGH im Verfahren zu G 259/09 bereits anhängig war, ist er sohin einem Anlassfall i.S.d. Art. 140 Abs. 7 B-VG gleichzuhalten, weshalb die Aufhebung des Gesetzes auch auf diesen zurückwirkt. Davon ausgehend kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass diese Anwendung des nachmalig aufgehobenen Gesetzes für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war, weshalb daher (auch) das h. Erkenntnis vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., in seinem Spruchpunkt II aufzuheben war.

 

6. Im fortgesetzten Verfahren war somit unter Bindung an diese Rechtsansicht (vgl. § 87 Abs. 2 VfGG) zu prüfen, ob die Anwendung des aufgehobenen Gesetzes für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer tatsächlich nachteilig war.

 

6.1. Dies trifft hier im Ergebnis aus folgenden Gründen zu:

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der UVS im Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde einerseits ohne Bindung an die vom Rechtsmittelwerber gerügten Beschwerdepunkte – und somit nach jeder Richtung hin – zu untersuchen, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig war (vgl. z.B. VwSlg 14729 A/1997 [verst. Sen.] sowie die umfangreichen Judikatur- und Literaturnachweise bei J. Hengstschläger – D. Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Bd. 3, Wien 2007, RN 20 f zu § 67c, m.w.N.); ergibt sich in diesem Zusammenhang eine Rechtswidrigkeit, so hat sich der UVS andererseits auf den (bloßen) Ausspruch der Rechtswidrigkeit als solcher zu beschränken; insbesondere kommt es ihm dagegen nicht zu, im Zuge seiner Entscheidung darüber hinaus auch noch weitere bzw. sämtliche Rechtswidrigkeiten aufzuzeigen bzw. umgekehrt festzustellen, welche der behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen (vgl. J. Hengstschläger – D. Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Bd. 3, Wien 2007, RN 29 zu § 67c, m.w.N.).

 

6.1.1. Davon ausgehend ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass der Oö. Verwaltungssenat hier – dem Kausalverlauf des beschwerdegegenständlichen Sachverhaltes entsprechend – zunächst (bzw. bereits) festgestellt hat, dass die Beschwerdeführer dadurch in ihren subjektiven Rechten verletzt wurden, dass sie daran gehindert wurden, an der Versammlung in der von ihnen beabsichtigten Weise teilzunehmen (vgl. Spruchpunkt I des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a.), sodass eine zusätzliche, darüber hinaus gehende Feststellung von Rechtsverletzungen – wie z.B. eine rechtswidrige Festnahme – nach dem eben Ausgeführten nicht mehr in Betracht kommt.

 

Vor diesem Hintergrund erweist sich aber auch die mit Spruchpunkt II des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., vorgenommene (teilweise) Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerden der Rechtsmittelwerber als von Anfang an entbehrlich und damit als unzulässig, sodass mit der expliziten Aufhebung dieses Spruchpunktes durch das Erkenntnis vom 2. Mai 2011, B 941/10, unter einem der in diesem zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht i.S.d. § 87 Abs. 2 VfGG grundsätzlich bereits in vollem Umfang entsprochen ist.

 

6.1.2. Allerdings beschränkte sich die mit Spruchpunkt II des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., vorgenommene (teilweise) Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerden der Rechtsmittelwerber materiell besehen nicht bloß auf diese Feststellung, sondern sie hatte darüber hinaus auch noch Folgen für die nach § 79a AVG getroffene Kostenentscheidung, nämlich dahin, als die insoweit als unterlegen angesehenen Beschwerdeführer dann durch Spruchpunkt IV der vorangeführten h. Entscheidung jeweils dazu verpflichtet wurden, dem Bund einen Aufwand in Höhe von 887,20 Euro zu ersetzen.

 

Auf Grund dieses untrennbaren Konnexes war daher im Sinne einer notwendigen Konsequenz der Aufhebung des Spruchpunktes II des h. Erkenntnisses vom 21. Mai 2010, Zlen. VwSen-420595/40/Gf/Mu u.a., sohin auch Spruchpunkt IV dieser Entscheidung in der Weise zu korrigieren, als nunmehr die Aufwandersatzpflicht der – in vollem Umfang als obsiegend anzusehenden – Beschwerdeführer zu entfallen hat.

 

6.2. Angesichts dessen, dass die Beschwerdeführer ihren Rechtsbehelf im vorliegenden Fall bereits am 16. Juni 2009 eingebracht haben, darüber jedoch – ungeachtet des Umstandes, dass § 73 Abs. 1 AVG hierfür bloß eine Höchsterledigungsfrist von 6 Monaten vorsieht – de facto (mit dem gegenständlichen Erkenntnis) erst nach knapp 2 Jahren entschieden wird, obwohl im Zuge der im Rahmen dieses Maßnahmenbeschwerdeverfahrens unter einem vorgenommenen   Prüfung des § 106 Abs. 1 StPO im Grunde (wie der substantielle Teil der Begründung der Entscheidung des VfGH vom 16. Dezember 2010, G 259/09 u.a., zeigt [vgl. die Punkte 2.5.1. bis 2.5.4.]) weder eine komplexe Sach- oder Rechtsfrage, sondern lediglich eine formell-organisatorische Problemstellung zu klären war, war i.S. der neueren, nunmehr ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. z.B. EGMR v. 28. Jänner 2011, 20087/06, RN 34, und vom 20. Mai 2010, 28571/06, RN 26 ff und 39 ff; s.a. VfGH vom 9. März 2011, B 1085/10, m.w.N.) ungeachtet der zuvor unter 6.1. dargestellten national-rechtlichen Beschränkungen darüber hinaus jedenfalls auch festzustellen, dass die Rechtsmittelwerber im Ergebnis auch in ihrem Recht auf ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK und auf einen wirksamen Rechtsbehelf i.S.d. Art. 13 EMRK verletzt wurden.

 

7. Aus allen diesen Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

 

VwSen-420595/49/Gf/Mu vom 30. Juni 2011
VwSen-420597/37/Gf/Mu vom 30. Juni 2011

Rechtssatz 1
B-VG Art129a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs2 u Abs3;
EMRK Art11;
EMRK Art6;
EMRK Art13;
StGG Art12


Dass die Bf die Verletzung in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in ihren Beschwerdeschriftsätzen nicht ausdrücklich, sondern bloß implizit gerügt haben, schadet angesichts des Umstandes, dass § 67c Abs2 AVG – anders als § 28 Abs1 Z4 VwGG – nicht auf die konkrete Bezeichnung von Beschwerdepunkten abstellt, sodass für die UVS aus § 67c Abs2 iVm Abs3 AVG eine umfassende Verpflichtung zur Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt, nicht. Ergibt sich in diesem Zusammenhang eine Rechtswidrigkeit, so hat sich der UVS andererseits auf den (bloßen) Ausspruch der Rechtswidrigkeit als solcher zu beschränken; insbesondere kommt es ihm dagegen nicht zu, im Zuge seiner Entscheidung darüber hinaus auch noch weitere bzw sämtliche Rechtswidrigkeiten aufzuzeigen bzw umgekehrt festzustellen, welche der behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen (vgl Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz III Wien 2007 Rz 20 ff zu § 67c AVG mwN).
Ungeachtet dieser Einschränkungen hat aber nach der diesbezüglich neuesten Judikatur des EGMR und des VfGH jedenfalls (auch) eine Feststellung der Verletzung des Bf in seinem Recht auf ein faires Verfahren iSd Art6 Abs1 EMRK und auf einen wirksamen Rechtsbehelf iSd Art13 EMRK zu erfolgen, wenn über seine Beschwerde – für die §73 Abs1 AVG eine Höchsterledigungsfrist von 6 Monaten vorsieht – tatsächlich erst nach 2 Jahren entschieden wird, obwohl im Gesetzesprüfungsverfahren (wie das Erk des VfGH vom 16.12.2010, G 259/09 ua, zeigt) weder eine komplexe Sach- oder Rechtsfrage, sondern lediglich eine formell-organisatorische Problemstellung zu klären war (vgl VwSen-420573 vom 27. Mai 2011).

Rechtssatz 2
VersG §9
Es liegt eine Verletzung im Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor, wenn die belangte Behörde – indem sie § 9 Abs1 VersG nicht restriktiv, sondern rechtsirrig extensiv auslegte – von einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot ausging und die Bf mittels eines Polizeikordons umstellt und dadurch an der Versammlungsteilnahme gehindert hat, weil die Versammlungsfreiheit ein für eine funktionierende Demokratie höchst essentielles Recht verkörpert. Selbst dann, wenn ein solcher Verdacht gerechtfertigt gewesen wäre, hätten sich die darauf gegründeten polizeilichen Maßnahmen einerseits jedenfalls nur gegen die jeweiligen individuellen Täter, nicht jedoch gegen das gesamte Kollektiv der umstellten Demonstranten als solches richten dürfen. Zudem wäre dabei in jedem konkreten Einzelfall – wie dies aus § 9 Abs2 und 3 VersG unmissverständlich hervorgeht – jeweils noch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten gewesen.
Für die weitaus überwiegende Mehrzahl jener Demonstranten, die ursprünglich bloß friedlich an der Versammlung teilnehmen wollten und zudem keine offensichtlich rechtswidrigen Handlungen begangen hatten, war schon das bloße Errichten eines Polizeikordons zweifelsfrei geeignet, allein diesen Vorgang als solchen als eine Bedrohungssituation zu empfinden. Dies wurde in der Folge noch dadurch gesteigert, dass einige Kundgebungsteilnehmer gewaltsam ergriffen, außerhalb des Kordons verbracht und dort einer Identitätsfeststellung unterzogen wurden. Damit hat die Behörde aber jedenfalls die ihr im Zuge einer Versammlung zukommende primäre Funktion, nämlich deren Durchführung zu schützen, dh deren reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, verlassen und diese gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt, dh die Demonstranten gewissermaßen kollektiv als Rechtsbrecher stigmatisiert. Zugleich wurde durch diesen massiven Einschüchterungseffekt in rechtswidriger Weise die Möglichkeit einer künftig unbefangenen Inanspruchnahme dieses elementaren demokratischen Kommunikationsgrundrechts für diese Personengruppe nachhaltig beeinträchtigt (vgl BVerfG vom 17. Februar 2009, 1 BvR 2492/08, insbes RN 123).
Um ein Aufeinandertreffen zwischen sog "linken" einerseits und den sog "rechten" Demonstrationszügen auf der anderen Seite zu verhindern, hätte es zudem offenbar hingereicht, dass sich die Exekutivorgane jeweils lediglich zwischen diesen beiden Gruppen aufhalten und diese dadurch separieren. Das vollständige Umstellen und Absondern einer größeren, insgesamt ca 50 Personen umfassenden Demonstrantengruppe für eine Dauer von ca zwei Stunden lediglich zu dem Zweck, um eine Identitätsfeststellung von wenigen, sich in dieser Gruppe befindenden Personen, denen zudem bloß die vermeintliche Begehung einer Verwaltungsübertretung angelastet wurde, durchführen zu können, stellt hingegen kein verhältnismäßiges Mittel dar (vgl bereits VwSen-420142 vom 1. Oktober 1997).

Rechtssatz 3
VfGG §87 Abs2;
AVG §79a
Wird die UVS-Entscheidung vom VfGH deshalb aufgehoben, weil sie in einem Gesetzesprüfungsverfahren einen "Quasi"-Anlassfall bildete, dann ist im fortgesetzten Verfahren zur Erlassung eines Ersatzbescheides gem § 87 Abs2 VfGG zu prüfen, ob die Anwendung des aufgehobenen Gesetzes die Bf tatsächlich in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt hat. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn sich die Zurückweisung ihrer Beschwerde ex post als rechtswidrig erweist und die Bf deshalb zu Unrecht zum Kostenersatz verpflichtet wurden.

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