Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231097/5/WEI/Ba

Linz, 15.06.2011

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des X vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in X, gegen den Ermahnungsbescheid des Bezirkshauptmanns von Wels-Land vom 18. März 2010, Zl. Sich 96-5-1-2009/WIM, wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 81 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz – SPG (BGBl Nr. 566/1991 zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 133/2009) zu Recht erkannt:

 

 

I.             Der Berufung wird Folge gegeben, der angefochtene Ermahnungsbescheid aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

 

II.         Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 –VStG; §§ 64 ff VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gegen den Berufungswerber (im Folgenden nur Bw) folgende Ermahnung erlassen:

 

"E r m a h n u n g

 

"Sie haben am 05.10.2008 um 03:20 Uhr beim Hallenfest 'X' in X vor dem Bauhof X in alkoholisiertem Zustand durch Ihr besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört, indem Sie sich an einer zwischen Ihren Brüdern X und  X und X,  X, X und X im Gang befindlichen Rauferei und somit an einer tätlichen Auseinandersetzung aktiv beteiligten.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

§ 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. 566/1991 i.d.g.F.

 

Es wird jedoch von der Verhängung einer Strafe abgesehen und Ihnen diesmal eine

E r m a h n u n g erteilt.

 

Rechtsgrundlage:     § 21 des Verwaltungsstrafgesetzes, BGBl. 52/1991 i.d.g.F."

 

B e g r ü n d u n g :

Die Ihnen zur Last gelegte Verwaltungsübertretung ist aufgrund der Anzeige der Polizeiinspektion X vom 09.01.2009, GZ. B6/10935/2008 in Verbindung mit den durchgeführten Ermittlungen erwiesen.

Die Behörde kann jedoch ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden der Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

Da Ihr Verschulden im konkreten Falle eher noch als geringfügig bezeichnet werden kann und die Folgen der von Ihnen begangenen Verwaltungsübertretung ebenfalls eher noch unbedeutend waren, war es uns im Hinblick auf Ihre bisherige einschlägige Straffreiheit für diesmal ausnahmsweise noch möglich, von der Verhängung einer Strafe gegen Sie abzusehen. Im Falle einer neuerlichen Beteiligung an einer tätlichen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit und sei es nur 'um eine dritte Person zu retten' können Sie nicht mehr mit einer milden Beurteilung seitens der erkennenden Behörde rechnen.

 

Um Sie von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten, war ihnen diesmal unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit Ihres Verhaltens zumindest ausdrücklich eine Ermahnung zu erteilen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

..."

 

1.2. Gegen diesen Ermahnungsbescheid, der dem Bw zu Händen seines Rechtsvertreters am 23. März 2010 zugestellt wurde, richtet sich die Berufung vom 26. März 2010, die am 31. März 2010 bei der belangten Behörde rechtzeitig einlangte und mit der die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens angestrebt wird.

 

2.1. In der Begründung der Berufung wird die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften durch Nichtbeischaffung des Strafaktes 4 U 36/09m des Bezirksgerichts X und Unterlassung beantragter Zeugeneinvernahmen gerügt. Bei Durchführung der beantragten Beweise hätte die belangte Behörde zur Auffassung gelangen müssen, dass der Tatbestand des § 81 Abs 1 SPG nicht erfüllt wurde. Das Verhalten des Bw wäre durch Notwehr/Nothilfe gerechtfertigt gewesen. Die Täter X, X, X und X seien auf Grund des Raufhandels sowie der dem Bw zugefügten Verletzung im Gerichtsverfahren zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Dem Bw sei zusätzlich als unbeteiligtem Opfer ein Teilschmerzengeld zugesprochen worden. Das schuldlose Verhalten des Bw könne den Tatbestand des § 81 SPG nicht erfüllt haben.

 

Als unrichtige rechtliche Beurteilung wird gerügt, dass es dem angefochtenen Bescheid an Sachverhaltsfeststellungen betreffend ein rücksichtsloses und ungerechtfertigtes Verhalten des Bw ermangle. Damit leide der Bescheid jedenfalls an einem sekundären Feststellungsmangel.

 

2.2. Die belangte Behörde hat ihren Verwaltungsstrafakt zur Berufungsentscheidung vorgelegt, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

 

3. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende Gang des Verfahrens und wesentliche S a c h v e r h a l t :

 

3.1. Mit dem Abschluss – Bericht vom 9. Jänner 2009, Zl. B6/10935/2008, der Polizeiinspektion X an die Staatsanwaltschaft X gemäß § 100 StPO wird über eine tätliche Auseinandersetzung von mehreren Personen beim Hallenfest "X" unmittelbar vor dem Veranstaltungsgelände berichtet, bei der X so verletzt wurde, dass er mit der Rettung ins Klinikum X zur Erstbehandlung gebracht wurde und dort bis 7. Oktober 2008 in stationärer Behandlung verbrachte. X und X wären laut eigenen Angaben nur leicht verletzt worden. Die Anzeige in der Bezirksleitzentrale X sei telefonisch um 03:28 Uhr durch X X erfolgt. Beim Eintreffen der Sektorstreife wurde X auf der Straße liegend vorgefunden und anschließend mit der Rettung ins Klinikum X eingeliefert.

Dem Polizeibericht ist weiter zu entnehmen, dass X und X, X und  X beim Eintreffen von Sicherheitsbeamten (nach 03:28 Uhr) zurückgehalten wurden und ihnen sogar Handfesseln angelegt worden waren, weil sie äußerst aufgebracht waren und laut Angaben des Sicherheitsdienstes immer wieder auf die Brüder X losgehen wollten. Erst nachdem sie sich in Anwesenheit der Polizei beruhigt hatten, wurden die Handfesseln wieder abgenommen. Bei diesen Personen konnten keine Verletzungen festgestellt werden.

 

Zum Vorfall geht aus den Angaben des einvernommenen X, der beim Fest "X" als Organ eines Sicherheitsdienstes tätig war, sinngemäß hervor, dass die Brüder X in der Nacht den Nachhauseweg antreten wollten und den Sicherheitsdienst bestehend aus 7 Organen einer Sicherungsfirma ersuchten, die andere Gruppe von 5 bis 6 Personen noch zurückzuhalten. Dies ist dann offenbar nicht gelungen, weil es bald darauf auf der Straße zu einer Auseinandersetzung kam. X eilte dorthin und sah, dass drei Personen auf einen der Brüder X, der schon am Rücken lag, einschlugen und eintraten. Er habe diese Personen vom Opfer getrennt und seinen Kollegen des Sicherheitsdienstes übergeben, die sie dann noch fixierten. An den Verletzungen des Opfers seien die der Polizei übergebenen Personen schuld gewesen.

 

3.2. Mit Strafverfügung vom 2. März 2009 hat die belangte Behörde die Tat wie im angefochtenen Straferkenntnis angelastet. Dagegen erhob der Bw durch seinen Rechtsvertreter den Einspruch vom 13. März 2009 mit dem die angelastete Tat bestritten und vorgebracht wurde, dass die Brüder X von den oben genannten Personen attackiert worden wären, als sie das Zeltfest bereits verlassen hatten. Insbesondere wäre X zu Boden gerissen worden und man hätte ihm naturgemäß Nothilfe zu leisten versucht. Das Strafverfahren gegen den Bw wegen § 91 StGB sei auch eingestellt worden.

 

3.3. Mit Benachrichtigung von der Beendigung des Strafverfahrens (StPOForm Nachr 8) wurde die belangte Behörde vom Bezirksgericht Gmunden zur Zahl 4 U 36/09m von den mit 7. April 2009 rechtskräftigen Verurteilungen wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 1. Fall StGB und von der Bestrafung der Herren X, X und X zu unbedingten Geldstrafen und von X zu einer bedingten Geldstrafe verständigt.

 

Die belangte Behörde wollte daraufhin die Vernehmung der verurteilten Personen im Rechtshilfeweg veranlassen. Die von der Bezirkshauptmannschaft Gmunden einvernommenen X (NS v 21.07.2009) und X (NS v 22.07.2009) gaben eine vom Polizeibericht deutlich abweichende Darstellung und meinten im Ergebnis, dass die X Brüder an der Rauferei bzw Schlägerei ebenso teilgenommen hätten. Die anderen erschienen nicht und verwiesen telefonisch auf ihre bisherigen Angaben (AV der BH Gmunden vom 3.11.2009). Der Zeuge X X verwies im Rechtshilfeweg vor der Bundespolizeidirektion Linz auf seine Angaben vor der PI X. Der als Zeuge am 2. Februar 2010 von der belangten Behörde einvernommene Meldungsleger RI X verwies auf die verfasste Anzeige vom 9. Jänner 2009, die von ihm auf Grund der Angaben des Security-Mitarbeiters X aufgenommen worden sei.

 

In der Stellungnahme des Bw vom 9. Februar 2010 wird auf die Hauptverhandlung vom 2. April 2009 vor dem Bezirksgericht X gegen X, X sowie X und X Bezug genommen, bei der sich herausgestellt habe, dass diese vier Personen gegen den friedlichen Bw vorgegangen wären, der sich nur gewehrt hätte. Er sei ihm als Opfer auch ein Schmerzengeldbetrag in symbolischer Höhe zugesprochen worden.

 

Die belangte Behörde erließ in der Folge den angefochtenen Ermahnungsbescheid vom 18. März 2010 und verwies zum Sachverhalt pauschal auf die Anzeige der Polizeiinspektion X und die durchgeführten Ermittlungen.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Die Verwaltungsübertretung einer Störung der öffentlichen Ordnung nach dem § 81 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr. 566/1991 zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 133/2009, begeht und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro oder bei Vorliegen erschwerender Umstände mit einer Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen zu bestrafen,
 
wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört.
 
Bei dieser Verwaltungsübertretung handelt es sich um ein die Beweisregel des § 5 Abs 1 Satz 2 VStG ausschließendes Erfolgsdelikt, wobei für die Strafbarkeit nach § 5 Abs 1 VStG fahrlässiges Verhalten genügt (vgl Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz4 [2011], 771, Anm 1. zu § 81 SPG). Tatbildlich iSd § 81 Abs 1 SPG ist jedes menschliche Verhalten, das als "besonders rücksichtslos" qualifiziert werden kann und eine Störung der öffentlichen Ordnung herbeiführt. Dieser Störungsunwert ist als Erfolg in der Außenwelt erkennbar.
 
Mit öffentlicher Ordnung meint das Gesetz die äußere Ordnung an einem öffentlichen Ort. Es geht um die Herbeiführung eines Zustands, der den geordneten Verhältnissen an einem öffentlichen Ort widerspricht, wobei durch das tatbildliche Verhalten entweder der Ablauf des äußeren Zusammenlebens von Menschen oder ein bestehender Zustand von Dingen in wahrnehmbarer Weise gestört worden sein muss (dazu mwN und Bsp Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz4, 776, Anm 4.2. ff).
 

Rücksichtslos ist ein der öffentlichen Ordnung widersprechendes Verhalten, das gegen jene ungeschriebenen Regeln für das Verhalten in der Öffentlichkeit verstößt, deren Befolgung als unentbehrliche Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinanderleben angesehen wird. Die Frage der "besonderen" Rücksichtslosigkeit wird nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen sein, wobei grundrechtliche Positionen besondere Bedeutung haben. Wer andere bei Ausübung der Inanspruchnahme von grundrechtlichen Positionen stört, handelt in der Regel besonders rücksichtslos (vgl näher Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz4 ,781, Anm 4. ff). Zahlreiche Anschauungsbeispiele für rücksichtsloses und Ärgernis erregendes Verhalten aus der Rechtsprechung, die zum Teil noch zur alten Ordnungsstörung nach Art IX Abs 1 Z 1 EGVG ergangen ist, finden sich bei Hauer/Keplinger, aaO, 773 ff, Anm A.4.1.1. bis 4.1.3.).

 

4.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat zur vollständigen Klärung der Angelegenheit den Strafakt 4 U 36/09m des Bezirksgerichts X beigeschafft. Aus diesem ergibt sich zunächst, dass der für Gmunden zuständige Bezirksanwalt der Staatsanwaltschaft X mit Note vom 2. Februar 2009 mitteilte, keinen Grund zur weiteren Verfolgung des X, X und X wegen § 91 Abs 2 StGB gefunden zu haben (§ 190 Z 2 StPO). Der unter Einem vom Bezirksanwalt der Staatsanwaltschaft Wels eingebrachte Strafantrag vom 2. Februar 2009, Zl. 23 BAZ 44/09 h, lautet wie folgt:

 

"S t r a f a n t r a g

 

Die Staatsanwaltschaft Wels beantragt beim Bezirksgericht Gmunden die Bestrafung d.

 

                               1.)               X X

                                                            geb. am X

 

2.)                                X X

                     geb. am X

 

3.)                X X

                     geb. am X

 

4.)                X X

                     geb. am X

 

 

 

Tathandlung:

X, X, X und X wird vorgeworfen,, sie haben am 5.10.2008 gegen 3.20 Uhr in X (X, vor dem Bauhof X) an einem Angriff mehrerer, nämlich einem tätlichen Vorgehen ihrerseits gegenüber X, X und X durch körperliche Attacken tätlich teilgenommen, wobei der Angriff eine Körperverletzung der Genannten, nämlich bei X eine Gehirnerschütterung, eine Bauchprellung und eine Prellung am rechten Unterschenkel, bei X eine Wunde am linken Ellenbogen, Kopfschmerzen und eine Nasenverletzung und bei X Kopfschmerzen und Schmerzen am rechten Auge, verursacht hat

 

Vergehen:

Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 2 1. Fall StGB

 

Beweismittel:

Erhebungen durch die Polizeiinspektion X

Zeugen:

1)     X X, X, X;

2)     X X, ebendort;

3)     X X, ebendort;

4)     X X, X, X

 

 

Staatsanwaltschaft X

Der Bezirksanwalt

Geschäftsabteilung 23

am 2. Februar 2009

(X X)"

 

Dem Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung betreffend die Hauptverhandlung vom 2. April 2009 vor dem Bezirksgericht X ist zu entnehmen, dass die oben genannten Personen der Tat der Tat wie nach dem im Strafantrag angelasteten Sachverhalt und damit des Vergehens des Raufhandels nach dem § 91 Abs 2 1. Fall StGB für schuldig befunden und zu Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden. Außerdem wurde gemäß § 389 StPO ausgesprochen, dass die Verurteilten zur ungeteilten Hand Teilschmerzengeldbeträge an die Privatbeteiligten, und zwar in Höhe von 100 Euro an X und von je 50 Euro an X und X zu bezahlen haben.

 

Die Schuldsprüche sind mangels angemeldeter Rechtsmittel mit 7. April 2009 in Rechtkraft erwachsen.

 

4.3. Beim Delikt des Raufhandels sind verschiedene Tatbilder zu unterscheiden:

 

Nach § 91 Abs 1 StGB ist unter der objektiven Bedingung, dass eine schwere Körperverletzung oder der Tod eines anderen verursacht wurde, schon wegen der Teilnahme (nach abgestuften Strafsätzen) strafbar,

 

wer an einer Schlägerei tätlich teilnimmt.

 

Gemäß § 91 Abs 2 StGB ist unter der objektiven Bedingung, dass eine Körperverletzung, schwere Körperverletzung oder der Tod eines anderen verursacht worden ist, schon wegen der Teilnahme (nach abgestuften Strafsätzen) strafbar,

 

wer an einem Angriff mehrerer tätlich teilnimmt.

 

Nach § 91 Abs 3 StGB ist nicht zu bestrafen, wem aus der Teilnahme kein Vorwurf gemacht werden kann.

 

Schlägerei ist eine Auseinandersetzung zwischen mindestens drei Personen mit gegenseitigen feindseligen Tätlichkeiten und körperlichen Aggressionshandlungen.

 

Ein Angriff mehrerer ist eine feindselige unmittelbar gegen den Körper eines anderen gerichtete Einwirkung, die von wenigstens zwei Angreifern unternommen wird, weshalb nach hM insgesamt drei Personen genügen. Jene Person, der der Angriff mehrerer gilt, kann schon nach dem allgemeinem Sprachgebrauch nicht Teilnehmer am Angriff sein. Von der Schlägerei unterscheidet sich der Angriff mehrerer nicht durch die Zahl der Personen, sondern durch seine Einseitigkeit.

 

Tätliche Teilnahme setzt ein tätliches Vorgehen am Tatort gegen einen anderen in feindseliger Weise mit einer unmittelbar einwirkenden Aktivität voraus. Wer nur als Opfer, Streitschlichter oder Samariter in Erscheinung tritt, nimmt nicht tätlich teil (vgl Jerabek in Wiener Kommentar zum StGB2 [29. Lfg 2010] Rz 7 zu § 91; Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB3 [1992] Rz 6 zu § 91).

 

Zur Abgrenzungsproblematik der Tatbestandsvarianten nach § 91 Abs 1 und 2 StGB hat der Bundesminister im Einführungserlass zum StRÄG 1996 den Standpunkt vertreten, dass ein Angriff mehrerer nach der kriminalpolitischen Zielsetzung auch dann vorliege, wenn sich das zunächst passive Opfer in weiterer Folge zur Wehr setzt. In dieser Hinsicht bedarf es aber weiterer Differenzierungen. Ein rein defensives Verhalten ist schon keine tätliche Teilnahme. Einer offensiven, zur Abwehr eines Angriffs notwendige Verteidigungshandlung fehle der für die tätliche Teilnahme essenzielle feindselige Charakter. Im Falle der Notwehrüberschreitung werde aber aus einem zunächst einseitigen Angriff mehrerer eine durch gegenseitige Attacken gekennzeichnete Schlägerei (näher mit Nachw Jerabek in Wiener Kommentar2 Rz 3 ff, 6 und 16 zu § 91).

 

Die Rechtsnatur der Straflosigkeit nach § 91 Abs 3 StGB ist strittig. Ein sinnvoller Anwendungsbereich ergibt sich für Situationen, in denen bei Schlichtungs- oder Hilfeleistungsversuchen oder bei vergleichbaren Fällen geringen Störwerts der "Helfer" oder "Friedensstifter" situationsbedingt selbst in feindseliger Weise tätlich geworden ist. Als Maßstab der Vorwerfbarkeit kann auf den durchschnittlich rechtstreuen Menschen und dessen zu erwartendes Verhalten abgestellt werden (vgl mwN Jerabek, aaO Rz 14 f zu § 91).

 

4.4. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat ein auf § 21 Abs 1 VStG gestützter Bescheid einen Schuldspruch zu enthalten. Deshalb ist die Anführung des strafbaren Tatbestands und der übertretenen Verwaltungsnorm erforderlich (vgl dazu Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004], E 2 und E 3b zu § 21 VStG). Da ein Bescheid nach § 21 Abs 1 VStG einen Schuldspruch ohne Strafausspruch enthält und damit als eine Vormerkung im Verwaltungsstrafverfahren zu gelten hat, kann auch nicht zweifelhaft sein, dass der Schuldspruch den verwaltungsstrafrechtlichen Anforderungen des § 44a Z 1 und Z 2 VStG zu entsprechen hat.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sprucherfordernissen nach § 44a Z 1 VStG ist die Tat so weit zu konkretisieren, dass eine eindeutige Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen ermöglicht wird und die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (stRsp seit verst. Senaten VwSlg 11.466 A/1984 und VwSlg 11.894 A/1985). Dabei sind die Anforderungen an Tatort- und Tatzeitumschreibung von Delikt zu Delikt und je nach den Begleitumständen verschieden und an Rechtsschutzüberlegungen zu messen (vgl u.a. im Anschluss an verst. Senat VwSlg 11.894 A/1985; VwGH 29.9.1993, 93/02/0046; VwGH 31.1.1995, 95/05/0008; VwGH 9.9.1998, 97/04/0031). Im Spruch sind alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale anzuführen, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens notwendig sind. Eine Umschreibung bloß in der Begründung reicht im Verwaltungsstrafrecht nicht aus (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Rechtsmittelbehörde nach § 66 Abs 4 AVG (iVm § 24 VStG) nicht die Befugnis, dem Beschuldigten eine andere Tat als die Erstbehörde anzulasten und damit die Tat auszuwechseln (vgl allgemein VwGH 25.3.1994, 93/02/0228; VwGH 19.5.1993, 92/09/0360; VwGH 28.2.1997, 95/02/0601). Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist durch den Abspruchsgegenstand des angefochtenen Bescheides beschränkt (vgl VwGH 23.11.1993, 93/04/0169). Eine Abänderungsermächtigung besteht nur im Rahmen der Sache iSd § 66 Abs 4 AVG (vgl etwa VwGH 25.9.1992, 92/09/0178; VwGH 8.2.1995, 94/03/0072; VwGH 3.9.1996, 96/04/0080). Dabei ist Sache des Berufungsverfahrens die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs im Bescheid der Unterbehörde bildet (vgl u.a. VwGH 24.3.1994, 92/18/0356; VwGH 23.10.1995, 94/04/0080; VwGH 29.10.1996, 96/07/0103; VwGH 19.3.1997, 93/11/0107). Ein Austausch wesentlicher Tatbestandsmerkmale führt zur Anlastung einer anderen Tat und ist daher unzulässig (vgl VwGH 20.11.1997, 97/06/0170).

 

4.5. Nach Ansicht des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenats genügt der Schuldspruch der belangten Behörde einerseits nicht den Anforderungen des § 44a Z 1 VStG und andererseits widerspricht er auch dem rechtskräftigen Strafurteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 2. April 2009 und der Subsidiaritätsklausel des § 85 SPG.

 

4.5.1. Die belangte Behörde hat im Schuldspruch lediglich angelastet, der Bw hätte sich an einer im Gang befindlichen Rauferei zwischen angeführten Personen und somit an einer tätlichen Auseinandersetzung "aktiv" beteiligt. Damit bleibt entgegne dem Konkretisierungsgebot des § 44a Z 1 VStG völlig offen, in welcher Art und Weise er sich beteiligt habe. Die Klärung dieser wesentlichen Tatfrage wäre aber entscheidend für die Subsumtion unter das Tatbild des § 81 Abs 1 SPG der ungerechtfertigten Störung der öffentlichen Ordnung durch besonders rücksichtsloses Verhalten gewesen. Allein die gewählte ungenaue Wortwahl "aktiv beteiligten" ist mehrdeutig und damit nicht klar und aussagekräftig genug, um den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit des Tatvorwurfes zu genügen. Die Berufung hat mit Recht gerügt, dass der angefochtene Bescheid unter Feststellungsmängeln leidet und kein konkretes Verhalten anlastet, das einwandfrei unter den gesetzlichen Tatbestand subsumiert werden kann.

 

4.5.2. Zudem erscheint vor allem problematisch, dass mit der gewählten Spruchfassung auch eine tätliche Teilnahme an einem Raufhandel iSd § 91 Abs 1 StGB gemeint sein kann. Gemäß der Subsidiaritätsklausel des § 85 SPG liegt aber keine Verwaltungsübertretung vor, wenn eine Tat nach den §§ 81 bis 84 SPG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Die Verwaltungsübertretung muss dabei nicht die gleiche Angriffsrichtung wie das Gerichtsdelikt haben. Entscheidend ist vielmehr, ob das den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung bildende Verhalten auch ein wesentliches Sachverhaltselement des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung bilden könnte (vgl VwGH 11.05.1998, Zl. 98/10/0040). Genau das ist bei der gegenständlichen Formulierung des Spruches der Fall, weshalb ein solches Delikt in die Zuständigkeit der Gerichte fällt.

 

4.5.3. Schließlich hat die belangte Behörde auch die aus Anlass des gegenständlichen Vorfalles vom 5. Oktober 2008 gegen 03:20 Uhr ergangene rechtskräftige Entscheidung des Strafgerichts inhaltlich ignoriert und der Sache nach einen dem gerichtlichen Schuldspruch widersprechenden Sachverhalt angelastet. Nach dem oben im Punkt 4.2. dargestellten Schuldspruch wurden X, X sowie X und X für ihr tätliches Vorgehen durch körperliche Attacken gegen die Brüder X und damit für die tätliche Teilnahme an einem Angriff mehrerer verurteilt, bei dem alle drei Brüder Verletzungen erlitten und damit als Opfer anzusehen waren. Das Gericht ging offenbar davon aus, dass sich die Brüder entweder nur defensiv oder zumindest im Rahmen der notwendigen Verteidigung verhielten, weshalb aus dem "Angriff mehrerer" keine "Schlägerei" werden konnte (näher zur Abgrenzungsproblematik unter 4.2). Im Widerspruch dazu spricht die belangte Behörde pauschal von einer "Rauferei" und meint damit wahrscheinlich eine "Schlägerei" iSd § 91 Abs 1 StGB durch gegenseitige feindselige Attacken. Einen solchen Sachverhalt hat das Strafgericht gerade nicht angenommen und ist ein solcher Sachverhalt auch mit dem ergangenen Schuldspruch nach § 91 Abs 2 StGB nicht vereinbar.

 

Die belangte Strafbehörde hat daher im Ergebnis einen Vorfall, der nach den Tatbildern des Raufhandels gemäß § 91 Abs 1 und Abs 2 StGB strafgerichtlich zu entscheiden war, in tatsächlicher Hinsicht anders als das zuständige Strafgericht beurteilt. Eine solche Zuständigkeit nach einem gerichtlichen Schuldspruch kam der belangten Behörde aber nicht zu und widersprach auch der Subsidiaritätsklausel des § 85 SPG, die das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung bei gerichtlicher Verurteilung aus dem gleichen Anlass ausschließt.

 

5. Im Ergebnis war der Berufung Folge zu geben, der angefochtene Ermahnungsbescheid aufzuheben und das Strafverfahren mangels einer strafbaren Verwaltungsübertretung nach § 81 Abs 1 SPG gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.

 

Bei diesem Ergebnis hat der Bw weder einen Beitrag zu den Kosten des erstbehördlichen Strafverfahrens noch im Berufungsverfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. W e i ß

 

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