Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-166000/9/Fra/Gr

Linz, 22.07.2011

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. X über die Berufung des Herrn X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 18. April 2011, VerkR96-15151-1-2010, betreffend Übertretung des § 4 Abs.5 StVO 1960, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 18. Juli 2011, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z.1 VStG; § 66 Abs.1 VStG

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 4 Abs.5 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.b leg.cit eine Geldstrafe von 100 Euro (EFS 50 Stunden) verhängt, weil er am 29. November 2010 in der Zeit von 16:25 Uhr und 16:30 (Unfallszeit) Uhr in X als Lenker des LKWs, Mercedes Sprinter, blau, Kennzeichen: X, mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden ist und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt hat.

 

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 Prozent der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land – als nunmehr belangte Behörde – legte das Rechtsmittel samt bezughabenden Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil eine 2000 Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51 c erster Satz VStG).

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 18. Juli 2011. Bei dieser Verhandlung wurde der Bw gehört, die Zeugin Frau X einvernommen. Der Amtssachverständige für Verkehrstechnik Herr Dipl.-HTL Ing. X erstattete ein Gutachten.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Der Bw bringt vor, keine Fahrzeugberührung wahrgenommen zu haben. Der Beamte der PI Marchtrenk habe auch keinen Schaden an seinem blauen Mercedes Sprinter wahrgenommen. Hätte es eine Fahrzeugberührung gegeben, dann müssten seiner Meinung nach am rot lackierten X Farbspuren zu erkennen gewesen sein. Dies sei aber nicht der Fall. Aus der Sicht der Augenzeugin müsse es sich angesichts des geringen Abstandes beider Fahrzeuge so dargestellt haben, dass es zu einer Berührung gekommen sein könnte, allerdings habe es diese Fahrzeugberührung nicht gegeben. Von einem Wackeln des berührten Fahrzeuges spreche sie auch nicht. Es könne sich bei dem behaupteten Schaden ohne weiteres um einen Vorschaden handeln, der im Licht der Verständigung der Augenzeugin als an der Unfallstelle entstandener Schaden gewertet wurde. Es könne auch sein, dass dieser Schaden ohne weiteres von einem anderen an dieser Stelle geparkten Fahrzeug verursacht wurde. Er ersuche um Verfahrenseinstellung, da er sich keiner Schuld bewusst ist und es nicht nachweisbar sei, dass der behauptete Schaden von ihm verursacht wurde.

 

Auch bei der Berufungsverhandlung blieb der Bw bei seiner Verantwortung und vertrat die Meinung, den Schaden nicht verursacht zu haben. Er glaube nach wie vor, dass sich die Zeugin hinsichtlich der Fahrzeugberührung geirrt habe.

 

Im Hinblick auf die eindeutige Aussage der Zeugin X vertritt jedoch der Oö. Verwaltungssenat die Auffassung, dass es bei dem gegenständlichen Ausparkmanöver tatsächlich zu einer Fahrzeugberührung gekommen ist. So sagte die Zeugin X bereits in ihrer Einvernahme am 15. Februar 2011 vor der belangten Behörde aus, dass sie aus ihrer Position, nämlich auf einem Parkplatz nahezu gegenüber dem Mercedes Sprinter eindeutig wahrnehmen habe können, dass es eine Fahrzeugberührung gegeben habe, wobei die vordere Stoßstange (fahrseitig) des Mercedes Sprinter die linke hintere Tür des kleinen roten PKWs berührte. Auch bei der Berufungsverhandlung sagte die Zeugin aus, dass sie beobachten habe können, wie der Lenker des Fahrzeuges: Kennzeichen X beim Ausparken an das daneben geparkte Fahrzeug mit dem Kennzeichen: X angefahren ist. Im Scheinwerferlicht des Mercedes habe sie das Ausparkmanöver beobachten können. Allerdings meinte die Zeugin, sie glaube nicht, dass der Lenker dieses Fahrzeuges diese Kollision auch bemerkt habe.

 

In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen, dass das Nichtbemerken eines verursachten Sachschadens den Bw noch nicht von der Erfüllung des ihm zur Last gelegten Tatbestandes in subjektiver Hinsicht entlastet. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handelt auch derjenige fahrlässig, dem bei gehöriger Aufmerksamkeit objektive Umstände (Anstoßgeräusch, ruckartiger Anstoß, Erschütterung etc.) zu Bewusstsein hätte kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit wenigstens einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte.

 

In Befolgung dieser Judikatur hat der Oö. Verwaltungssenat den Amtssachverständigen für Verkehrstechnik beauftragt, ein Gutachten zu der Frage zu erstatten, ob der Schadenseintritt für den Bw bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmbar war.

 

Dazu führte der Amtssachverständige bei der Berufungsverhandlung u.a. aus, dass der Bw seinen Mercedes Sprinter im Rückwärtsgang ausparkte und wahrscheinlich mit dem linken vorderen Stoßstangeneck den neben ihm abgestellten PKW berührte. Im Zuge dieses Rückwartsausparkens kam es zu einer Berührung des linken vorderen Stoßstangenbereiches des Mercedes Sprinter mit dem Bereich der hinteren linken Tür des daneben abgestellten PKWs. Aufgrund der vorliegenden Schadenfotos ist festzustellen, das beim PKW im Bereich der hinteren linken Tür nur Abriebspuren erkennbar sind. Die angegebene Deformation ist augenscheinlich aus den vorliegenden Schadenfotos nicht erkennbar, wurde jedoch von der Zeugin angegeben. Es dürfte sich daher, wenn eine Deformation vorgelegen ist, um eine sehr geringe Ausformung handeln, die auf den Fotos der Polizei nicht dargestellt ist, weil unter einem für diese Darstellungsform ungünstigen Blickwinkel fotografiert wurde. Geht man davon aus, dass auch eine leichte Deformation stattgefunden hat, ist festzustellen, dass im Hinblick auf das Ausparkmanöver der Bw die Streifung weder als Anstoß noch als akustisches Geräusch wahrnehmen hätte müssen.

 

Die über Kleinkollisionsversuche bekannten Schwellwerte sind dabei nicht überschritten worden. Aufgrund der Ausparkkonstellation ergibt sich aber, dass der Bw unmittelbar beim Anstoßbereich sitzt. Weil der Anstoß mit dem linken vorderen Eck des Mercedes stattgefunden hat (Anstoßspuren sind beim Mercedes keine bekannt) hätte der Bw über einen Blick aus dem Fenster zum abgestellten Auto einen ungewöhnlich geringen Abstand erkennen müssen. Aufgrund des ungewöhnlich geringen Abstandes kann nicht zwangsweise auf eine Kollision oder auf eine Berührung geschlossen werden, es kann aber auch eine Berührung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, da die berührende Stelle, das Stoßstangeneck- vom Lenkerplatz aus nicht einsehbar ist. Die Möglichkeit, dass man das Fenster herunterlässt, weil es auf der Beifahrerseite ist und dann den Kopf hinausstreckt, um zu schauen, ob es zu einer Berührung gekommen ist, wäre grundsätzlich möglich. Unter so einer Voraussetzung wäre auch der Anstoß erkennbar gewesen, wenn man diese Kontrolle zum Zeitpunkt der Berührung macht. Aus technischer Sicht ist daher festzuhalten, dass der Bw vom Lenkerplatz aus im Zuge des Rückwärtsfahrens aus seiner Sicht zum links neben ihm abgestellten PKW einen ungewöhnlichen geringen Abstand erkennen hätte müssen, aus denen er die Möglichkeit einer Berührung nicht sicher hätte ausschließen können, da die Stoßpunkte oder die Berührungsteile vom Lenkerplatz aus nicht einsehbar sind. Ergänzend ist festzustellen, dass, wenn der Bw rückwärts fährt und er sich im Zuge des Rückwärtsfahrens über die Außenspiegel darauf konzentrierte, den Rückraum zu überwachen und just in dem Moment die Berührung stattfindet, als seine Blickrichtung eben nach hinten gerichtet war er keinen Hinweis darauf bekommen hat, dass er in einem bestimmten Augenblick an dem aus seiner Sicht links neben ihm parkenden Fahrzeug angestoßen ist, da das Anstoßgeräusch - das dabei entstehende Geräusch - unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze gelegen ist.

 

Unter Zugrundelegung dieses Gutachtens sowie unter Zugrundelegung der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insofern, als der Lenker des Fahrzeuges den Geschehnissen um sein Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden hat, ist festzuhalten, dass es im konkreten Fall aufgrund er Beengtheit sowie aufgrund der Möglichkeit, dass sich hinter dem ausparkenden Fahrzeug andere Fahrzeuge oder Personen nähern, vom Aspekt der Verkehrssicherheit besonders wichtig war, dass der Bw seine volle Aufmerksamkeit - auch nach rückwärts wendet. Es ist durchaus möglich, dass genau in diesem Moment – ein Sekundenbruchteil – die Berührung des neben ihm geparkten Fahrzeug stattgefunden haben konnte. Es kann daher nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass dem Bw visuell zu Bewusstsein hätte kommen müssen, dass es bei diesem Parkmanöver zu einer Beschädigung des neben ihm geparkten Fahrzeuges gekommen ist. Ein Verschulden ist somit nicht mit Sicherheit nachweisbar.

 

Aus den genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. Johann Fragner

 

 

 

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