Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730379/2/SR/Wu

Linz, 08.09.2011

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der x, geboren am x, bosnische Staatsangehörige, vertreten durch x, Rechtsanwalt in x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 2. Februar 2007, GZ Sich40-23265-2004, betreffend eine Ausweisung der Berufungswerberin nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 2. Februar 2007, GZ Sich40-23265-2004, wurde gegen die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 54 Abs. 1, 66 Abs. 1 und 86 Abs. 2 und 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

Begründend führte die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass die Bw, eine bosnische Staatsangehörige, am 18. Jänner 2003 mit einem von der österreichischen Botschaft in Sarajewo ausgestellten, bis zum 18. April 2003 gültigen, Aufenthaltstitel nach Österreich eingereist und am 7. März 2003 bei der BPD Wels einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" eingebracht habe. Unter der Annahme, dass die Ehe eine "Scheinehe" darstelle, sei der Antrag mit Bescheid vom 23. Juli 2003 abgewiesen worden und in der Folge in Rechtskraft erwachsen.

 

Nach einem nicht rechtmäßigen Aufenthalt von einem Jahr sei die Bw am 23. November 2004 in Schubhaft genommen und in der Folge aus Österreich ausgewiesen worden. Den Aussagen des Ehegatten der Bw folgend habe die belangte Behörde der Bw am 24. Februar 2005 eine bis zum 23. Februar 2006 gültige Erstniederlassungsbewilligung für den beantragten Aufenthaltszweck (begünstigter Drittstaatsangehöriger) erteilt und die Bw aus der Schubhaft entlassen. Im Zuge behördlicher Erhebungen sei festgestellt worden, dass der Ehegatte der Bw am 6. Februar 2006 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei. Auf Grund des Verhaltens der Bw stehe für die belangte Behörde fest, dass die Bw die Ehe mit einem Österreicher nur eingegangen sei, um einen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erhalten und sich dadurch eine Aufenthaltsberechtigung zu beschaffen. Ihr Aufenthalt stelle daher eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar.

 

2.1. Gegen diesen Bescheid erhob die Bw durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 13. Februar 2007 rechtzeitig Berufung.

 

Einleitend wurde unrichtige und unvollständige Sachverhaltsfeststellung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.

Im Wesentlichen bekämpfte die Bw die Feststellung der belangten Behörde, dass sie eine "Scheinehe" eingegangen sei. Weiters wurde vorgebracht, dass der Ehemann bei der niederschriftlichen Befragung vor der Behörde ausgesagt habe, dass er die Bw liebe und mit ihr ein gemeinsames Leben führen möchte. Die Bw habe er geheiratet, weil sie ihm gefallen habe. Seit ihrem Aufenthalt in Österreich habe er immer mit ihr zusammen gelebt und nie an Trennung gedacht.

Rund eineinhalb Jahre später sei der Ehemann aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Dies könne der Bw nicht zugerechnet werden. Vielmehr habe der Ehemann seine aus dem Eheverhältnis treffende Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen verletzt und sei offensichtlich eine neue Beziehung eingegangen. Die unheilbare Zerrüttung der Ehe habe er verursacht und verschuldet. Zwischenzeitig sei auch das Scheidungsverfahren eingeleitet worden und die Streitverhandlung finde vor dem BG Vöcklabruck am 14. Februar 2007 statt. Es sei damit zu rechnen, dass die Ehe aus dem alleinigen oder zumindest überwiegenden Verschulden des Ehegatten geschieden werde. Damit würden die Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 Z. 2 NAG vorliegen, wonach bei der Scheidung der Ehe wegen überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten der Familienangehörige die Voraussetzungen für den Aufenthaltszweck seiner Niederlassungsbewilligung nicht verliere.

 

2.2. Im schriftlichen Beweisantrag vom 5. April 2007 brachte der Rechtsvertreter der Bw vor, dass die Bw dem Scheidungsbegehren entgegen getreten sei und für den Fall der Scheidung die Feststellung begehrt habe, dass der Ehegatte selbst das überwiegende Verschulden für die Zerrüttung trage. In weiterer Folge hätten sich die Streitparteien wiederum versöhnt, seien in eine Wohnung zusammengezogen und der Ehegatte habe die eingereichte Scheidungsklage zurückgezogen. Auf Grund der Klagszurückziehung habe das BG Vöcklabruck mit Beschluss vom 29. März 2007, 5 C 36/06w-18 (2V), das Verfahren für beendet erklärt. Die Ehegatten seien nach wie vor verheiratet, würden zusammenwohnen und die Voraussetzungen für den Aufenthalt der Bw würden vorliegen.

 

In der Urkundenvorlage vom 12. April 2007 legte der Rechtsvertreter einen Auszug aus dem ZMR vor und wies erneut darauf hin, dass der Ehemann der Bw für die ursprünglich eingetretene Zerrüttung der Ehe das alleinige Verschulden getragen habe.

 

2.3. Über Ersuchen der belangten Behörde (Erhebungen wegen des Verdachtes der "Scheinehe") nahm die PI x ihre Ermittlungstätigkeit auf. Im Bericht vom 26. August 2007 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass die Bw mit ihrem Ehegatten "mit Sicherheit in der gemeinsamen Wohnung" lebe und persönliche Gegenstände und Kleidungsstücke beider Personen vorgefunden worden seien. Der Ehegatte habe bekannt gegeben, dass die Ehe mit der Bw funktioniere, es lediglich fallweise zu kleinen, bedeutungslosen Streitigkeiten komme und er die gemeinsame Wohnung nach einer Zeit der Trennung wieder bezogen habe. Laut Vermieterauskunft würden die Ehegatten seit Mai 2007 ständig gemeinsam die Wohnung bewohnen.

 

2.4. Mit Bescheid vom 21. September 2007, Zl. St. 60/07, gab der Sicherheitsdirektor für Oberösterreich der Berufung keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid.

 

2.5. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte mit Beschluss vom 11. Oktober 2007, AW 2007/18/0481-3, der Beschwerde gegen den Bescheid des Sicherheitsdirektors von Oberösterreich vom 21. September 2007, Zl. St. 60/07, die aufschiebende Wirkung zu.

 

Mit Erkenntnis vom 16. Juni 2011, Zl. 2007/18/0753-6, hob der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf.

 

In den Erwägungen stellte der Verwaltungsgerichtshof auf das Ermittlungsergebnis (siehe Punkt 2.3.; Führen eines gemeinsamen Familienlebens seit Mai 2007 nach zwischenzeitlichen Eheschwierigkeiten) der belangten Behörde ab und kam zum Ergebnis, dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die Annahme der belangten Behörde zutreffe, wonach eine Aufenthaltsehe vorliege.

 

3. Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011, in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich am 1. August 2011 dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

3.1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Die am 2. September 2011 vorgenommene ZMR-Anfrage ergab, dass die Bw und ihr Ehegatte seit 22. Mai 2007 in x, wohnhaft sind.

 

Über Ersuchen teilte die belangte Behörde am 8. September 2011 mit, dass sich seit den Ermittlungen durch die PI x und dem Bericht vom 26. August 2007 keine Hinweise ergeben hätten, die auf eine "Scheinehe" der Bw hindeuten würden.

 

3.1.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1., 2.1 bis 2.5. und 3.1.1. dieses Erkenntnisses dargestellten, völlig unstrittigen Sachverhalt aus.

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1. Gemäß § 125 Abs. 15 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 54 als Ausweisungen gemäß § 62 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

Die bekämpfte Ausweisung wurde auf Basis des § 54 iVm § 86 Abs. 2 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassen, weshalb diese grundsätzlich als Ausweisung im Sinne des § 62 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen wäre.

 

Nach § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 war die Bw als Familienangehörige eines nicht gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten Österreichers zu betrachten und waren auf sie gemäß § 87 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige (§§ 85 Abs. 2 und 86) anzuwenden.

 

4.2. Mangels entsprechender Übergangsbestimmungen sind die einschlägigen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 heranzuziehen und der Entscheidung zu Grunde zu legen.

 

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG ist die Bw Familienangehörige eines nicht unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten Österreichers und daher sind auf sie gemäß § 65b FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3 FPG anzuwenden.

 

Im ersten Rechtsgang hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Juni 2011, Zl. 2007/18/0753, ausgesprochen, dass es dahingestellt bleiben kann, ob die gegenständliche Ausweisung auf § 54 Abs. 1 FPG oder § 86 Abs. 2 FPG zu stützen war, weil jenes Verhalten, vom dem die belangte Behörde ausgegangen ist, nämlich das Eingehen einer Aufenthaltsehe, grundsätzlich die Annahme einer solchen Gefährdung, die durch den in § 86 Abs. FPG enthaltenen Verweis auf § 55 Abs. 1 NAG gefordert wird, rechtfertige. Im Fall des Vorliegens einer Aufenthaltsehe wäre auch davon auszugehen, dass ein Versagungsgrund im Sinn des § 54 Abs. 1 FPG gegeben ist (Hinweis in der Begründung auf das Erkenntnis vom 24. November 2009, Zl. 2007/21/0011).

 

Auf der Grundlage der geltenden Rechtslage kommt man zu einem vergleichbaren Ergebnis. Läge eine Aufenthaltsehe vor, wäre ein Versagungsgrund im Sinne des § 62 Abs. 1 Z. 2 FPG gegeben (§ 11 Abs. 1 Z. 4 NAG [Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Aufenthaltsehe vorliegt]).

 

Von einer Aufenthaltsehe kann auf Grund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse (Bericht der PI x vom 26. August 2007, ZMR-Anfrage vom 2. September 2011 und Mitteilung der belangten Behörde vom 8. September 2011) nicht einmal ansatzweise ausgegangen werden.

 

4.3. Da die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung nicht vorliegen, war der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

5. Im Hinblick darauf, dass die Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von insgesamt 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Mag. Stierschneider

 

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