Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-166191/2/Br/Th

Linz, 18.08.2011

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Mj. X, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg, vom 30.06.2011, Zl. VerkR96-1839-2011, zu Recht:

 

 

     I.     Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

 

 II.     Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

Rechtsgrundlagen:

I.       § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010 - AVG iVm  § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010 - VStG.

II.      § 66 Abs.1 VStG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis hat die Bezirkshauptmannschaft Perg  über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 4 Abs.2 2. Satz iVm § 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von 36 Euro und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von zwölf  Stunden  verhängt, weil er  am 16.05.2011, 07:39 Uhr, in Perg, Wohnstraße VKB Reihenhäuser, Ortsgebiet Perg, Höhe Haus X, als Lenker des Kleinkraftrades (Mofa) mit dem Kennzeichen X, mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und  nicht sofort die nächste Sicherheitsdienststelle verständigt habe.

 

 

Überdies wurde der Berufungswerber gemäß § 64 VStG zu einem Kostenbeitrag zum erstinstanzlichen Verfahren in der Höhe von 3,60 Euro verpflichtet.

 

 

1.1. Die Behörde erster Instanz führte begründend folgendes aus:

„Die im Spruch angeführte Verwaltungsübertretung ist aufgrund der Anzeige als erwiesen anzusehen. Ein Notstand im Sinne des § 6 VStG lag sicher nicht vor. Daher wurde auch spruchgemäß entschieden.

 

Nach Maßgabe des § 19 VStG ist der Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat, zugrund zu legen.

 

Überdies sind die in Betracht kommenden Erschwerungs- und Minderungsgründe gegeneinander abzuwägen. Ein Minderungsgrund ist sicher Ihre bisherige Unbescholtenheit. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen.

Schließlich sind die Einkommens-, Vermögens- und Familieverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen.

Aufgrund Ihrer Angaben im Einspruch vom 09.06.2011 und deren Wertung gelangt die Behörde zur Auffassung, die Strafe so wie im Spruch angeführt festzusetzen.

 

 

2. In der dagegen fristgerecht durch den ausgewiesenen Rechtsvertretreter erhobenen Berufung führt der Berufungswerber folgendes:

"In der umseits bezeichneten Rechtssache ist das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 30.06.2011 am 05.07.2011 zugestellt worden. Innerhalb offener Frist erstattet der Einschreiter nachstehende

 

BERUFUNG.

 

Das Straferkenntnis wird zur Gänze angefochten. Als Berufungsgrund wird Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend gemacht.

 

Diese Rechtswidrigkeit wird begründet wie folgt:

 

 

Der Berufungswerber ist am 16.05.2011 um 7.39 Uhr vor der Schule mit seinem Kleinmotorrad verunglückt. Er wurde dabei, wie sich nach der ausführlichen Untersuchung herausstellte, mit Prellungen und Hautabschürfungen am rechten Knie und Sprunggelenk sowie Prellungen am rechten Ellbogen verletzt. Er suchte aufgrund des Unfalles selbst sofort den Hausarzt Dr. X auf, welcher eine Röntgenuntersuchung beim Facharzt anordnete, weil offensichtlich das Ausmaß der Verletzung für den erfahrenen Mediziner nicht feststellbar war. Nach Vorliegen der Röntgenaufnahmen stellte sich heraus, dass die Verletzungen „lediglich" in Prellungen und Hautabschürfungen bestanden haben.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Perg ist der Ansicht, dass die sofortige Verständigung der Polizei durch den Berufungswerber notwendig gewesen wäre.

 

Diese Ansicht ist unrichtig, weil in diesem Fall eine Interessensabwägung vorzunehmen ist. Der Einschreiter hatte durch die unfallskausalen Verletzungen durch den Sturz einen Schock erlitten. Für den Einschreiter war das Ausmaß der Verletzung nicht absehbar, weil das Ausmaß auch beim erstbehandelnden Arzt ohne Röntgenaufnahme nicht absehbar war. Dass sich im Nachhinein herausstellte, dass nur eine geringfügige Verletzung vorliegt, führt aber nicht dazu, dass der Notstand im Sinne des § 6 VStG nicht gegeben gewesen wäre. Eine derartige Verletzung ist äußerst schmerzhaft und waren - auch von ärztlicher Seite - Knochenbrüche zu befürchten. In einer derartigen Situation ist nicht zu verlangen, dass der Einschreiter den Umweg zur nächstgelegenen Sicherheitsdienststelle auf sich nimmt, sondern ist der rascheste Weg zum Arzt gerechtfertigt. Es ist auch ersichtlich, dass mit einer derartigen Verletzung Schmerzen und Übelkeit verbunden sind, welche der sofortigen ärztlichen Behandlung bedürfen. Es hat daher das Aufsuchen eines Arztes Vorrang und ergibt sich aus den Umständen und der Krankengeschichte, dass der Einschreiter im Hinblick auf die nicht sofortige Verständigung wegen Erkrankung entschuldigt war.

 

Darüberhinaus hat der Einschreiter dafür gesorgt, dass Dritte die Verständigung vornehmen.

 

 

Aus all diesen Gründen werden gestellt die

 

ANTRÄGE

 

der gegenständlichen Berufung stattzugeben und das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg, VerkR96-1839-2011, vom 30.06.2011 ersatzlos zu beheben. "

 

 

3. Mit der Aktenvorlage wurde die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates begründet. Dieser ist, da weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen (§ 51c VStG).

 

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verfahrensakt. Daraus ergibt sich die unstrittige entscheidungswesentliche Faktenlage. Eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung konnte daher unterbleiben (§ 51e Abs.1 Z1 VStG).

 

 

4. Unbestritten ist, dass der Berufungswerber als Lenker eines Moped mit einem Pkw-Lenker – vermutlich auf Grund einer verspäteten Wahrnehmung des Gegenverkehrs – am 16.5.2011 um 07:39 Uhr, in Perg, Heustraße auf Höhe Nr. X, mit dem von X gelenkten Pkw kollidierte. Dabei erlitt der Berufungswerber Prellungen und Hautabschürfungen. Er suchte in weiterer Folge einen Arzt auf von welchem er in der Folge in häusliche Pflege entlassen wurde. Eine Verständigung der Polizei über den Unfall seinerseits unterblieb.

Die Polizei erhielt von diesem Vorfall erst über Mitteilung des Zweitbeteiligten um 09:55 Uhr Kenntnis.

 

 

5. Gemäß § 4 Abs.2 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, wenn bei dem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind, sofort die nächste Polizeidienststelle zu verständigen (vgl. Pürstl/Sommereder, Kommentar zur StVO, 11. Auflage, S 79 ff, mit Verweis auf VwGH 20.4.188, 87/02/0118 uwN).

Sohin steht auch mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang, das Verhalten von Personen, die nicht unmittelbar vom Verkehrsunfall betroffen sind, die aber den oder die unmittelbar Betroffenen zu einem Verhalten veranlasst haben, das zu einem Verkehrsunfall geführt hat, mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang. Auch dann, wenn ein Verkehrsteilnehmer nicht richtig oder nicht rechtzeitig reagiert hat, ist der Kausalzusammenhang zwischen der primären Unfallsursache und dem eingetretenen Erfolg gegeben (VwGH 22.03.2000, 99/03/0469).

 

 

5.1. Zur Schuldfrage:

Laut älterer Judikatur ist ein von einem Verkehrsunfall Betroffener bezüglich seinen eigenen Verletzungen nicht verpflichtet, die gemäß § 4 Abs 2 leg cit. angeordnete Verständigung der nächsten Polizei- oder [damals] Gendarmeriedienststelle vorzunehmen (vgl. Pürstl – Sommereder, StVO-Kommentar, 11. Auflage, S 80, E 125 mit Hinweis auf VwGH 18.5.1965, 1041/64 und dort auf VwGH vom 16.5.1962, Zl. 0035/62, VwSlg. 5801 A/1962).

An dieser Rechtsauffassung ist auch in diesem Fall festzuhalten.

 

Wäre in diesem Fall angesichts der rechtlich zu schützenden Interessenslage   des hier Zweitbeteiligten dennoch von einer Verpflichtungen iSd § 4 Abs.5 StVO ausgehen - was hier jedoch nicht zur Last liegt - ist nach § 6 VStG eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich in seiner Rechtsprechung die Kollision von Pflichten und Rechten dahingehend definiert, als "jemand sich oder einem anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann [oder zu retten können glaubt], dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht" (vgl. hiezu die bei Hauer-Leukauf a.a.O. unter 1a zu § 6 VStG zitierten Entscheidungen, VwGH 11.10.1991, 91/18/0079, insb. zur Frage Geschwindigkeitsüberschreitung, Beweiswürdigung und Notstand VwGH 10.9.1999, 90/03/0123, VwGH 19.11.1964, 6496/A).

Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls wiederholt ausgesprochen hat, gehört es zum Wesen des Notstandes und demgemäß in abgeschwächter Form auch im Fall einer notstandsähnlichen Situation, dass die Gefahr in zumutbarer Weise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl. VwGH vom 5. März 1985, Zl. 84/04/0191).

Das sich der Berufungswerber primär um die Versorgung seiner Verletzung kümmerte und sich zum Arzt begab wäre ihm in diesem Zusammenhang nicht wirklich vorzuwerfen. Wenn schließlich nach zwei Stunden die Polizei ohnedies vom Unfall erfahren hat vermag darin keine nachhaltige Schädigung gesetzlich geschützter Interessen seitens des Berufungswerbers erblickt werden.

Von einem Strafausspruch war daher auch vor diesem Hintergrund abzusehen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. B l e i e r

 

 

 

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