Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730168/3/BP/Wu VwSen-730169/2/BP/Wu

Linz, 30.09.2011

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Mag. Dr. Bernhard Pree                                                                                      5A02, Tel. Kl. 15685

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung 1. der X sowie 2. der minderjährigen X, beide StA von Serbien und vertreten durch X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Wels-Land vom 23. Mai 2011, GZ.: Sich06-1233/1990+1, betreffend Ausweisungen der Berufungswerberinnen nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

I.       Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid   ersatzlos aufgehoben.

 

II.     Eine Rückkehrentscheidung ist jeweils auf Dauer unzulässig.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

I.       Жалба се усваја а оспорено решење укида без права на накнаду трошкова

 

II.     Одлука о повратку има трајно дејство

 

Законски основ :

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Wels-Land vom 23. Mai 2011, GZ.: Sich06-1233/1900+1, wurde gegen die Berufungswerberinnen (im Folgenden Bw) auf Basis der §§ 53 Abs. 1, 31 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG idgF., jeweils die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass die Erst-Bw gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter (beide Staatsangehörige von Serbien) seit 13. Oktober 2009 in X polizeilich gemeldet ist. Eingereist seien die Bw legal mit einem Reisevisum, welches von der österreichischen Botschaft in Belgrad ausgestellt worden sei, mit der Gültigkeit von 10. Oktober 2009 bis 7. November 2009. Einen Tag vor Ablauf der Reisevisa hätten die Bw beim Magistrat der Stadt Wels am 6. November 2009 Erstanträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG eingebracht. Zuständigkeitshalber seien diese Anträge an die belangte Behörde übermittelt worden.

 

Seit 8. November 2009 hielten sich die Bw – mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG – illegal im Bundesgebiet auf. Die Anträge gemäß § 44 Abs. 3 NAG verschafften den Bw kein Bleiberecht.

 

Nach Einholung einer Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 26. Juli 2010 sei bekannt worden, dass fremdenpolizeiliche Maßnahmen auch im Lichte des Art. 8 EMRK zulässig seien, was den Bw mit Verständigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme im NAG-Verfahren vom 5. August 2010 nachweislich mitgeteilt worden sei.

 

Mit Stellungnahme vom 21. September 2010 hätten die Bw durch ihre Rechtsvertretung im Wesentlichen angegeben, dass die Eltern der Erst-Bw am 16. September 2009 in Novisad einen Verkehrsunfall erlitten hätten, wobei die Mutter verstorben und der Vater nach einer Erstversorgung im dortigen Krankenhaus in das Klinikum Wels verlegt worden sei. Der Vater der Erst-Bw werde psychologisch betreut. Es seien ihm ein Leben alleinstehend in Österreich wie auch eine Rückkehr nach Serbien nicht zumutbar. Die Erst-Bw übernehme seit dem Tag der Einreise nach Österreich die Pflege des Vaters, da dieser bei seiner Verrichtung des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei.

 

Mit Verständigung über die Einleitung der Ausweisungsverfahren vom 23. Februar 2011 stellt die belangte Behörde zum Sachverhalt ua. weiters fest, dass die Erst-Bw am X in X Serbien geboren, serbische Staatsangehörige, volljährig und geschieden sei. Für die minderjährige Zweit-Bw sei sie sorgepflichtig. Diese sei am X in X Serbien geboren und ebenfalls serbische Staatsangehörige. In den vergangenen Jahren seien die Bw immer wieder für Kurzaufenthalte zu Besuchszwecken in Österreich gewesen.

 

Der Vater wohne auch nach dem Verkehrsunfall in X. Im Herkunftsland wohne der Bruder der Erst-Bw mit seiner Familie sowie der Vater der Zweit-Bw, was nicht unerhebliche Bindungen zum Heimatstaat darstellen würde. Die Bw hätten den Großteil ihres Lebens im Heimatland verbracht. Die Erst-Bw habe in Serbien die Schulausbildung absolviert und spreche die dortige Sprache. In Österreich gehe sie keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, verfüge allerdings über eine schriftliche Arbeitszusage. Die Erst-Bw habe keine Bestätigung der Deutschkenntnisse auf Niveau A 2 vorgelegt.

 

Beide Bw seien unbescholten.

 

In einer Stellungnahme vom 11. März 2011 hätten die Bw ua. ausgeführt, dass für den Vater bzw. Großvater im Heimatland eine Betreuung - wie sie in Österreich möglich sei – nicht gegeben sei. Die Erst-Bw kümmere sich seit dem Tag der Einreise um ihn. Die Zweit-Bw besuche die erste Klasse der Volksschule in X. Der Vater bzw. Großvater sei dringend auf den emotionalen Beistand angewiesen, schwer pflegebedürftig und sein Zustand mit 70 %  Behinderung eingestuft. Durch die Verwurzelung sei es ihm nicht möglich ein gemeinsames Familienleben im Heimatland zu führen.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht stellt die belangte Behörde fest, dass die Bw nach Ablauf der Visa am 7. November 2009, somit seit 1,5 Jahren, rechtswidrig in Österreich aufhältig seien. Aufgrund dieses illegalen Aufenthalts hätten die Bw von vorne herein nicht davon ausgehen können, in Österreich weiterhin verbleiben zu können.

 

Aufgrund des kurzen Aufenthalts könne von einer entstandenen Integration noch nicht ausgegangen werden. Insbesondere wird angemerkt, dass die Erst-Bw zwar mehrere Arbeitszusagen vorgelegt, jedoch selbst mehrfach festgestellt habe, dass sie sich völlig der Pflege ihres Vaters gewidmet habe, was im Grunde eine berufliche Integration auch in naher Zukunft nicht zulasse.

 

Der Vater sei zwar pflegebedürftig, jedoch nach wie vor serbischer Staatsbürger, habe seine prägenden Jahre in Serbien verbracht, sei somit mit den dort vorherrschenden Lebensumständen vertraut und auch der serbischen Sprache mächtig, sodass es durchaus zumutbar wäre, sich, sofern er dies wolle, zur Pflege in sein Heimatland zu begeben, um das gemeinsame Privat- und Familienleben fortzusetzen. Nachdem sich auch der Bruder der Erst-Bw in Serbien aufhalte, könne dieser ebenfalls zur Pflege seines Vaters beitragen. Laut Länderdokumentation sei eine medizinische Versorgung in Serbien als gegeben anzusehen. Auch könne der Kontakt weiterhin aufrechterhalten werden, da serbische Staatsangehörige visumfrei in den Schengenraum innerhalb eines halben Jahres für maximal 90 Tage einreisen dürften.  

 

Außerordentliche Umstände, welche einen Ausweisungsschutz im Lichte des Art. 8 EMRK nach sich ziehen würden, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. 

 

Nach Abwägung der angeführten Umstände ergebe sich aus dem festgestellten Sachverhalt sohin, dass unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK die Ausweisung der Bw zulässig sei.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihre Rechtsvertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 9. Juni 2011.

 

Darin wird der in Rede stehende Bescheid zur Gänze angefochten und ua. ausgeführt, dass die belangte Behörde rechtswidriger Weise nicht von ihrem Ermessen – nämlich von den Ausweisungen abzusehen – Gebrauch gemacht habe. Die Bw hätten im Zuge ihres legalen Aufenthalts Niederlassungsanträge gestellt, aufgrund derer sie im nachträglichen illegalen Aufenthalt – nach der Judikatur des UVS (vgl. das Erkenntnis VwSen-231149/2/BP/Ga) – in einem allfälligen Strafverfahren entschuldigt seien. Der Vorwurf, die Bw hätten sich seit rund 1,5 Jahren illegal im Bundesgebiet aufgehalten und dadurch das öffentliche Interesse auf dem Gebiet des geordneten Fremdenwesens maßgeblich beeinträchtigt, sei nicht tragbar.

 

Aufgrund des 1,5-jährigen Aufenthalts hätten sich die Bw einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, wie aus den beiliegenden zahlreichen Empfehlungsschreiben hervorgehe.

 

Die Zweit-Bw besuche die 2. Klasse der Volksschule Thalheim und spreche sehr gut Deutsch. Sie habe sich gut an ihre Klasse angepasst und die Lehrer seien äußerst zufrieden mit ihr. Hingegen würde sie in Serbien in die erste Klasse zurückgestuft werden und müsste die kyrillische Schrift erlernen, welche sie nicht beherrsche. Wie aus den zahlreichen Empfehlungsschreiben hervorgehe, sei für den Großvater die Anwesenheit nach dem tragischen Verlust der Gattin äußerst wichtig, um mit seiner Situation umgehen zu können. Er brauche die Familie.

 

Auch die Erst-Bw habe schon gute Deutschkenntnisse erworben und die Kurse der Stufe 1, 2 und 3 absolviert. Weiterhin gültig bleibe die Einstellungszusage des Altenheimes, in dem schon die verstorbene Mutter der Erst-Bw gearbeitet habe. Ebenso werde sie als eifrige Helferin im Diakoniewerk bezeichnet. Seit November 2010 stehe sie mit dem österreichischen Staatsbürger X, einem Angestellten der X und ehrenamtlicher Mitarbeiter des Migrations- und Integrationsvereines der Stadt Linz in einer Beziehung. Diese finde im angefochtenen Bescheid keine Erwähnung, was einen gravierenden Ermittlungsmangel darstelle.

 

Um trotz der Arbeitsaufnahme weiterhin Zeit für die Pflege ihres Vaters ausreichend zur Verfügung zu haben, sei die Arbeitsaufnahme in einem Altenheim, das sich im Wohnort des Vaters befinde, beabsichtigt.

 

Beide Bw seien in Österreich sozial hervorragend integriert und fänden hier den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen. Zu Serbien würden hingegen keine intensiven Kontakte bestehen. Insbesondere pflege der Vater der Zweit-Bw keinen Kontakt zu seiner Tochter; beim Bruder der Erst-Bw könnten die Bw aufgrund von Platzmangel nicht unterkommen. Nachdem die Erst-Bw über eine Einstellungszusage verfüge, sei die Gefahr der Belastung einer Gebietskörperschaft nicht gegeben. Dies sei auch bisher nicht der Fall gewesen, zumal die Bw durch den Vater bzw. Großvater unterhalten worden seien.

 

Dem Vater der Erst-Bw sei eine Rückkehr nach Serbien nicht zumutbar, da er in seiner Heimatstadt X ua. nicht die entsprechende medizinische Versorgung vorfinden würde.

 

Im Lichte des Art. 8 EMRK sei nicht nur das Privat- sondern auch das Familienleben von den Ausweisungen tangiert, zumal dort nicht nur die Interessen der Kleinfamilie (minderjährige Kinder und Eltern) geschützt werden, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufwiesen wie zB. den gemeinsamen Haushalt. 

 

Eine Interessensabwägung müsse daher eindeutig zugunsten der Bw ausfallen.

 

Abschließend werden die Anträge gestellt:

der Berufung Folge zu geben und den bekämpften Bescheid zur Gänze aufzuheben; in eventu

den bekämpften Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung und Verfahrensergänzung an die Erstbehörde zurückzuverweisen.

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

2.2.2. Mit Schreiben vom 5. September 2011 legten die Bw weitere Unterlagen vor: ein weiteres Empfehlungsschreiben sowie eine neuerliche Einstellungszusage der Firma X für die Erst-Bw.

 

2.2.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und ergänzend 2.2.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehenden Ausweisungen auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen wurden, weshalb diese Ausweisungen als Rückkehrentscheidungen im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen sind.

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind.

 

Entgegen der Ansicht der Bw wandelt ein gestellter Antrag auf eine humanitäre Niederlassungsbewilligung nicht den Charakter des unrechtmäßigen Aufenthalts in einen rechtmäßigen alleine durch die Tatsache, dass – wie der UVS in dem in der Berufung zitierten Erkenntnis festgestellt hat – der unrechtmäßige Aufenthalt einem Fremden in einem allfälligen Strafverfahren in Hinblick auf das Verschulden nicht vorgeworfen werden kann. Hier würden strafrechtliche Verantwortung (subjektive Tatseite) und tatbildmäßiges Handeln (objektive Tatseite) unzulässiger Weise vermengt.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisungen bzw. der Rückkehrentscheidungen auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

3.4.2. Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde festgestellt, dass lediglich das Privatleben der Bw, nicht aber das Familienleben, von einer Ausweisung betroffen wäre. Hier ist - der Berufung folgend – anzumerken, dass im vorliegenden Fall über den Begriff der Kernfamilie hinaus von einem Eingriff durch die allfälligen Rückkehrentscheidungen auch in das Familienleben der Bw auszugehen ist, da Erst- und Zweit-Bw mit dem Vater bzw. Großvater unter offensichtlich engstem Familienzusammenhalt auch in einem gemeinsamen Haushalt leben und lediglich die Bw von den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen wären.

 

3.4.4. Zunächst ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall die Dauer des Aufenthalts der Bw im Bundesgebiet mit knapp 2 Jahren als verhältnismäßig kurz anzusehen ist. Weiters ist festzuhalten, dass dieser Aufenthalt weitgehend unrechtmäßig war, die Integration in einem unsicheren Aufenthaltsstatus erfolgte und den Behörden keinerlei Verfahrensverzögerung vorzuwerfen sein wird. Dennoch ist in diesem konkreten Fall ein besonderer Maßstab anzusetzen.

 

3.4.5. Wie sich aus der Aktenlage und insbesondere den zahlreichen Unterstützungserklärungen und Empfehlungsschreiben ergibt, sind die Bw – in Anbetracht des kurzen Aufenthalts in Österreich – äußerst gut integriert.

 

Dies gilt nicht nur für die Zweit-Bw, die mehr als die Hälfte ihrer Volksschulzeit hier verbrachte, gut Deutsch spricht und der allseits eine gelungene Integration bescheinigt wird, sondern auch für die Erst-Bw, die mit einem österreichischen Staatsangehörigen liiert ist und auch sonst gesellschaftlich integriert anmutet, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass sie über ihren Vater, der seit Jahren legal im Bundesgebiet aufhältig ist und durch seine, nach dem Verkehrsunfall und dem damit verbundenen Tod seiner Frau, besondere Situation, zahlreiche unterstützende Kontakte gefunden hat.

 

Beide Bw sprechen – gemessen am kurzen Aufenthalt – gut Deutsch und sind auch unbescholten.

 

Die berufliche Integration der Erst-Bw liegt im Moment zwar nicht vor, allerdings könnte sie laut Aktenlage gleich mehrere Arbeitsstellen antreten, sofern ihr Aufenthalt legalisiert wäre, wodurch auch die Selbsterhaltungsfähigkeit gewährleistet sein würde.

 

Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Rückführung der Bw nach Serbien ist anzuführen, dass die Kontakte dorthin eindeutig von denen im Bundesgebiet überwogen werden, wenn auch vor allem für die Erst-Bw fraglos grundsätzlich eine Reintegration in Serbien als zumutbar anzusehen wäre, ohne jedoch die Pflegesituation des Vaters zu berücksichtigen. Für die Zweit-Bw würde eine Rückkehrentscheidung massiver in ihr Privatleben eingreifen, zumal sie glaubwürdig darstellte, dass sie aufgrund der unterschiedlichen Schriftbilder (lateinische und kyrillische) zumindest ein Schuljahr verlieren würde. Die Kontakte zum Kindesvater sind als nicht bestehend anzusehen.

Unabhängig davon, ob eine medizinische Behandlung des Vaters bzw. Großvaters in Serbien möglich wäre oder nicht, ist anzuführen, dass es wohl nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot entspräche, die offensichtlich emotional und psychologisch erforderliche Betreuung durch die engen Familienangehörigen an die Reintegration eines zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich Berechtigten in seinen Herkunftsstaat zu knüpfen.

 

3.4.6. Eine Interessensabwägung führt nun zu dem Ergebnis, dass bei Betrachtung dieser besonderen Fallkonstellation die privaten bzw. familiären Interessen die öffentlichen überwiegen.

 

3.4.7. Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

3.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 28,60 Euro (Eingabegebühr) und 7,80 Euro (Beilagen), insgesamt 36,40 Euro angefallen.

 

 

Поука о правном леку

Против овог Решењa није дозвољено уложити уредан правни лек.

 

Напомена:

Против овог Решењa може да се уложи жалба у року од шест недеља од дана достављањa истог на Уставни или Управни суд. Жалбу мора - осим законом предвиђених изузетака – да уложи и потпише надлежни адвокат. На сваку жалбу плаћа се такса у вредности од 220 Евро.

 

 

 

 

Bernhard Pree

 

 

 

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