Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-730180/2/BP/Jo

Linz, 28.09.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA der Türkei, vertreten durch X, Rechtsanwältin in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 12. November 2010, AZ: 1048219/FRB, betreffend eine Ausweisung des  Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und der        angefochtene Bescheid bestätigt.

 

İtiraz asılsız olduğundan reddedilmesine ve itiraz edilen kararın onaylanmasına.

 

 

Rechtsgrundlage:

Hukuki dayanak:

 

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 12. November 2010,
AZ.: 1048219/FRB, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Basis der §§ 53 iVm. 31 Abs. 1, 31 Abs. 1a und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führte die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, am 19. Oktober 2001 illegal nach Österreich eingereist sei und noch am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe, der am 30. Juni 2010 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde sei vom VfGH mit Beschluss vom 27. September 2010 abgelehnt worden. Der Bw halte sich somit seit 30. Juni 2010 ohne jegliche fremden- bzw. asylrechtliche Bewilligung und folglich nicht rechtmäßig in Österreich auf.

 

Nachdem am 29. Juli 2010 der Bw von der beabsichtigten Ausweisung in Kenntnis gesetzt worden sei, habe er im diesbezüglichen Verfahren in einer Stellungnahme vom 13. August 2010 ua. geltend gemacht, in Österreich während des 10-jährigen Aufenthalts intensive familiäre und soziale Bindungen aufgebaut zu haben. Seine am X in X geborene Tochter wohne bei seiner damaligen Lebensgefährtin. Der Bw habe alle 14 Tage Besuchsrecht. Auch zu seiner Schwester und deren Familie, die bereits österreichische Staatsangehörige seien, habe er mehrmals die Woche Kontakt. Zudem verfüge er in Österreich über einen großen Freundeskreis und sehr viele soziale Kontakte, was durch die beigebrachten Empfehlungsschreiben dokumentiert werde.

 

In der Türkei hielten sich noch die Eltern und drei Geschwister des Bw auf. Dort sei er als Sänger und Schauspieler tätig gewesen. Diese künstlerische Tätigkeit führe er in Österreich fort.

 

Seinen alevitischen Glauben praktiziere er im "X" in X.

 

Aufgrund seiner Erkrankung (Posttraumatische Belastungsstörung) sei es dem Bw in den ersten Jahren nicht möglich gewesen in Österreich einer Beschäftigung nachzugehen; später habe er als Asylwerber keine Beschäftigungsbewilligung erhalten. Zur Zeit gehe es ihm besser, und er würde gerne arbeiten, um für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen zu können.

 

Der Bw sei unbescholten und spreche aufgrund des langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet sehr gut Deutsch, was auch durch die im Februar 2010 erfolgreich abgelegte Sprachprüfung (Niveau A 2) dokumentiert sei.

 

Hinsichtlich des Sachverhalts führt die belangte Behörde noch an, dass der Bw bislang in einer Flüchtlingsunterkunft wohne und auch nach dem Abschluss des Asylverfahrens von der Grundversorgung des Landes unterstützt werde. Er sei keinesfalls selbsterhaltungsfähig.

 

Der Bw sei bei seiner Einreise nach Österreich bereits 36 Jahre alt gewesen und habe somit den Großteil seines Lebens in der Türkei verbracht, wo er die Schule besucht, den Militärdienst geleistet, anschließend in der elterlichen Landwirtschaft, als Kochgehilfe und als Schauspieler am X in X gearbeitet habe. In der Türkei würden noch die Eltern und 4 Geschwister des Bw leben.

 

Der Bw leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Schlaflosigkeit, chronischem Nikotinkonsum, erhöhtem Cholesterin, Magenschmerzen, einem schädlichen Gebrauch von Alkohol und chronischem Sodbrennen. Er habe sich deshalb auch einige Male im Krankenhaus befunden, jedoch liege derzeit keine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Wie der Bw selbst in seiner Stellungnahme angebe, sei er derzeit fast beschwerdefrei.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass der illegal in Österreich aufhältige Bw keinesfalls als beruflich integriert anzusehen ist, zumal er weder selbsterhaltungsfähig ist, noch je in Österreich gearbeitet hat und von sozialer Unterstützung völlig abhängig ist. Auch von einer gefestigten sozialen Integration könne nicht gesprochen werden.

 

Zur familiären Situation führt die belangte Behörde aus, dass der Bw zum Einen getrennt von seiner ehemaligen Lebensgefährtin und der dieser Beziehung entstammenden Tochter lebe und zum Anderen auch nicht zum finanziellen Unterhalt der Tochter beitragen könne. Daneben sei darauf hinzuweisen, dass das Familien- bzw. Privatleben in einem äußerst unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden sei und der Bw nicht darauf habe vertrauen können, nach Abschluss des Asylverfahrens noch weiter in Österreich legal verbleiben zu können.

 

Nachdem der Bw erst im Alter von 36 Jahren nach Österreich eingereist sei, habe er den überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht, wo sich noch seine Eltern und 4 Geschwister aufhalten würden und wo er völlig sozialisiert sei. Eine Reintegration scheine daher jedenfalls zumutbar.

 

Hinsichtlich der Erkrankungen des Bw werde festgehalten, dass er selbst angegeben habe, dass er derzeit nicht stark darunter leide, und dass diese Erkrankungen auch im Heimatland behandelbar seien. 

 

Zusammenfassend müsse daher festgestellt werden, dass die Ausweisung nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 66 Abs. 1 FPG zulässig scheine, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 66 Abs. 2 und 3 FPG zulässig sei.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seine Rechtsvertreterin rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 24. November 2010.

 

Eingangs werden die Anträge gestellt, die Berufungsbehörde möge

a) den ggst. Bescheid dahingehend abändern, dass das gegen den Bw     eingeleitete Ausweisungsverfahren eingestellt und die ausgesprochene    Ausweisung aufgehoben werde sowie

b) der ggst. Berufung aufschiebende Wirkung zuerkennen; in eventu

c) den ggst. Bescheid dahingehend abändern, dass der erstinstanzliche Bescheid       zur Gänze behoben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die        Erstbehörde zurückverwiesen werde.

 

In der Berufung wird dem im angefochtenen Bescheid dargestellten Sachverhalt nicht entgegengetreten, sondern vielmehr die für den hohen Grad an sozialer und persönlicher Integration sprechenden Elemente nochmals betont. Es wird dazu gerügt, dass sich die belangte Behörde zu wenig mit diesen Sachverhaltselementen auseinandergesetzt habe.

 

Aufgrund des 9 Jahre dauernden zweitinstanzlichen Asylverfahrens habe der Bw nicht davon ausgehen müssen, dass seinem Antrag kein Erfolg beschieden sein würde.

 

Der Bw verweist auf den Umstand, dass er mit einer Österreicherin ein Kind habe, um das er sich regelmäßig kümmere, wozu er auch von seiner in Österreich lebenden Schwester finanziell unterstützt werde.

 

Aufgrund seiner psychischen Erkrankung sei er nicht in der Lage gewesen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen, was sich aber durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels ändern würde. 

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

2.2.2. Zusätzlich wurde am 23. September 2011 ein aktueller Versicherungsdatenauszug angefordert, aus dem hervorgeht, dass der Bw mit Ausnahme des 8. Jänner 2008 zu keinem sonstigen Zeitpunkt seines Aufenthalts einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist.

 

2.2.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.2. und 2.2.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehende Ausweisung auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen wurde, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen ist.

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist. Daran ändert auch nichts, dass der Bw einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt hat.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen. 

 

3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt    entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren         Aufenthaltstatus   bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG  gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Zunächst ist der belangten Behörde folgend festzustellen, dass im Fall des Bw - mangels Vorliegens eines Familienlebens im engeren Sinn im Bundesgebiet - lediglich das Privatleben hinsichtlich der Interessensabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG zu erörtern ist, zumal der Bw nicht im selben Haushalt wie seine im Jahr X in Österreich geborene Tochter lebt und mit der Mutter des Kindes auch nicht verheiratet ist, die im Übrigen derzeit in X wohnhaft ist. Dabei ist aber jedenfalls neben den (laut Aktenlage glaubhaft gemachten) intensiven "familiären" Beziehungen des Bw zur Familie seiner Schwester in Österreich vor allem aber die Beziehung zu seiner Tochter, da hier ein 14-tägiges Besuchsrecht besteht, besonders zu würdigen.

 

3.4.2. Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Im vorliegenden Fall ist aber auch insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen:

 

Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG vergleichbare § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch E 22. Dezember 2009, 2009/21/0348).

 

Ein z.B.  rund 10 Jahre und 9 Monate dauernder Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) verleihen den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

3.4.4. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw schon seit 10 Jahren im Bundesgebiet (dies durch den asylrechtlichen Aufenthaltstitel  auch weitgehend legal), wo er jedoch während des gesamten Zeitraums keine Elemente einer beruflichen Integration, einer vorliegenden sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit oder gar der Selbsterhaltungsfähigkeit vorweisen kann. Er wird bis dato durch die Grundversorgung des Landes finanziell unterstützt, nimmt eine Flüchtlingsunterkunft in Anspruch und erhält auch staatlich gewährten Sozialversicherungsschutz. Verglichen mit der oa. Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, fehlt es also dem Bw in vollem Umfang an jeglicher beruflicher Integration, die aber neben weiteren Elementen der sozialen Integration einen wesentlichen Beurteilungsmaßstab bildet.

 

Wenn der Bw nun vorbringt, dass ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht möglich gewesen sei, eine Arbeit aufzunehmen, ist zum Einen zu entgegnen, dass die vorgebrachten Erkrankungen (vor allem die psychischer Natur) zwar als vorliegend anerkannt werden, diese aufgrund der – der Aktenlage nach - nicht als lebensbedrohend eingestuften Schwere den Bw wohl nicht während des gesamten 10-jährigen Aufenthalts andauernd von einer Teilnahme am österreichischen Arbeitsmarkt gänzlich abhalten konnten; zum Anderen ist festzuhalten, dass der Bw selbst in seiner Stellungnahme im August 2010 noch angab, aufgrund des verbesserten Gesundheitszustandes um eine Arbeitsaufnahme bemüht zu sein, er bis dato laut Versicherungsauszug dieses Bemühen offensichtlich nicht konkret genug verfolgte, was aber im vorliegenden Fall jedenfalls erforderlich gewesen wäre, um zumindest entsprechende Anhaltspunkte einer beginnenden beruflichen Integration zu bieten. Die implizite Feststellung des Bw in der Berufung erst durch die Erlangung eines Aufenthaltstitels entsprechend zur Arbeitsaufnahme motiviert zu sein, ist nicht dazu angetan, die vorangestellten Überlegungen zu entkräften.

 

Aufgrund des 10-jährigen Aufenthalts in Österreich ergibt sich zwangsläufig ein gewisses Maß an sozialer Integration, das dem Bw keinesfalls abgesprochen werden soll, das jedoch durchwegs in einem zumindest aufenthaltsrechtlich unsicheren Status entstanden ist. Hinsichtlich der in X (BRD) lebenden Tochter, ist zwar anzumerken, dass deren Interesse an einer aufrechten Beziehung zum Vater nicht als gering einzustufen ist, dies vor allem auch in Hinblick auf § 61 Abs. 3 FPG, zumal sie ja österreichische Staatsangehörige ist, allerdings ist dieses Interesse dadurch geschmälert, dass keine Lebens- und Wohngemeinschaft besteht, sondern lediglich ein alle 14 Tage Platz greifendes Besuchsrecht. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Türkei geographisch gesehen unvergleichlich ungünstiger für Besuche an der deutsch – österreichischen Grenze gelegen ist, als das Bundesgebiet. Die Aufrechterhaltung des Kontakts könnte aber hier zumindest ein wenig durch das Ausnutzen moderner Kommunikationsnetze- und medien kompensiert werden.     

 

Außer Frage steht, dass der Bw sprachlich integriert (Deutschprüfung Niveau A 2) und unbescholten ist.

 

Hier ist allerdings bei einer Abwägung festzustellen, dass der Bw 36 Jahre in seinem Herkunftsstaat gelebt, dort die Schulausbildung absolviert und als Landwirt, Hilfskoch und Schauspieler gearbeitet hat, die Sprache beherrscht und sich auch grundsätzlich noch z.B. seine Eltern und vier Geschwister in der Türkei befinden, weshalb eine Reintegration nicht undenkbar und bei einer Gesamtbeurteilung wohl auch jedenfalls zumutbar ist. Zudem muss hier auf die offensichtliche Flexibilität des Bw in seinem Heimatland hingewiesen werden, die ihn zur Arbeitsaufnahme dort an verschiedene Orte (zuletzt X) geführt hat. Diese Flexibilität ermöglicht es dem Bw eine reale Chance für eine gelungene Reintegration.

 

Hinsichtlich  der Behandlungsmöglichkeiten der verschiedenen Erkrankungen des Bw in der Türkei ist anzumerken, dass gerade am letzten Arbeitsort des Bw in X jedenfalls jegliche medizinische Versorgung verfügbar und auch dem Bw grundsätzlich zugängig ist. Darüber hinaus kann – den Ausführungen des Bw folgend – davon ausgegangen werden, dass die vordringlich zu berücksichtigende psychische Erkrankung stark gebessert ist. Auf Sodbrennen und chronischen Nikotinkonsum muss hier nicht näher eingegangen werden. Die vorgebrachten Erkrankungen sind also nicht geeignet die Zulässigkeit und Zumutbarkeit der Rückkehr des Bw in sein Heimatland zu verneinen.

 

Der Bw kann aber ins Treffen führen, dass die Länge des Asylverfahrens wohl nicht durch sein Verhalten alleine hervorgerufen wurde, sondern den staatlichen Einrichtungen zuzumessen sein wird.

 

3.4.5. Bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände ist festzustellen, dass die für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK die persönlichen Interessen des Bw an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Hier ist besonders nochmals auf die gänzlich fehlende berufliche Integration und Selbsterhaltungsfähigkeit sowie auf die eindeutige Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat hinzuweisen.

 

3.5. Es war daher die Berufung als unbegründet abzuweisen und der angefochtene Bescheid zu bestätigen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi

İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.

 

Talimat

(Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.)  

 

Bernhard Pree

 

 

Beachte:

 

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

 

VwGH vom 28. August 2012, Zl.: 2011/21/0216-9

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum