Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-750002/8/Wg/Wu

Linz, 16.09.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung der X, geb. X, vertreten durch X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 18. Juli 2011, GZ: Sich96-1061-2011, wegen Übertretungen nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

             I.      Der Berufung wird stattgegeben, Spruchpunkt I. des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren insoweit gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

 

          II.      Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG);

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

 


Entscheidungsgründe:

 

 

Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat der Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) mit Straferkenntnis vom 18. Juli 2011 folgende Verwaltungsübertretungen angelastet:

 

"1. Zum Tatzeitpunkt am 15.05.2011 um 12:10 Uhr wurden Sie am Tatort: Reisezug OIC862, von Linz nach Salzburg, von Beamten der PI Linz Hauptbahnhof AGM im Bundesgebiet angetroffen ohne den Kontrollierenden Beamten eine gültiges Reisedokument vorweisen zu können. Sie hielten sich daher als Staatsangehöriger der Russischen Förderation und damit als pass- und sichtvermerkspflichtiger Fremder zum Tatzeitpunkt am Tatort unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf.

 

2. Zum Tatzeitpunkt am 15.05.2011 um 12:10 Uhr wurden Sie am Tatort: Reisezug OIC862, von Linz nach Salzburg, von Beamten der PI Linz Hauptbahnhof AGM im Bundesgebiet angetroffen ohne den Kontrollierenden Beamten eine gültiges Reisedokuments vorweisen zu können. Sie führten daher als passpflichtiger Fremder keinen Reisepass mit sich respektive verwahrten diesen nicht in einer solchen Entfernung von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort, dass seine Einholung ohne unverhältnismäßige Verzögerung erfolgen konnte."

 

Für die in Spruchpunkt 1. genannte Verwaltungsübertretung wurde gemäß § 120 Abs 1a FPG eine Geldstrafe in der Höhe von 500 Euro, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Stunden festgesetzt. Für die in Spruchpunkt 2. genannte Verwaltungsübertretung wurde gemäß § 121 Abs 3 Z 2 FPG iVm § 21 Abs 1 VStG eine Ermahnung ausgesprochen. Die Bezirkshauptmannschaft schrieb Verfahrenskosten in der Höhe von 50 Euro vor.

 

Dagegen richtet sich die vorliegende Berufung vom 21. Juli 2011. Das Straferkenntnis wurde im vollen Umfang angefochten und Verfahrensmängel sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht. Die Bezirkshaupt-mannschaft Vöcklabruck sei örtlich unzuständig. Die Betroffene sei laut Amtsarzt der BH Innsbruck derzeit nicht abschiebbar. Sie habe im März 2011 einen Duldungsantrag gestellt und sei ex lege geduldet. Ein strafbares Verhalten liege daher nicht vor. Es wurde beantragt, der Berufung Folge zu geben, das Straferkenntnis ersatzlos zu beheben und das Verfahren einzustellen. Mit Schriftsatz vom 15. September 2011 zog die Bw die Berufung gegen Spruchteil 2 des angefochtenen Bescheides, mit welchem eine Ermahnung ausgesprochen wurde, zurück.

 

Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 28. Juli 2011 dem Verwaltungssenat den Akt zur Entscheidung vorgelegt. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt. Da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Spruchpunkt I des Straferkenntnisses aufzuheben ist, konnte eine Verhandlung gemäß § 51e Abs. 2 Z 1 VStG eine mündliche Verhandlung entfallen.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Die Bw wurde am 28. April 1982 geboren und ist russische Staatsangehörige. Sie reiste am 17. April 2008 über Tschechien illegal mit dem Pkw in das Bundesgebiet ein und stellte am 17. April 2008 einen Asylantrag. Dabei legte sie dem Bundesasylamt einen russischen Inlandspass und eine von einer polnischen Behörde ausgestellte Bestätigung über die Abnahme ihres (Auslands)reisepasses vor.

 

Das erste Asylverfahren wurde mit Urteil des Asylgerichtshofes am 28. Juli 2008 gemäß § 5 AsylG rechtskräftig negativ abgeschlossen und eine Ausweisung ausgesprochen. Am 16. Dezember 2008 stellte die Bw neuerlich einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde zugelassen und der Bw eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt. Der Antrag wurde aber letztlich im Rechtsmittelverfahren vom Asylgerichtshof gemäß § 3 AsylG abgewiesen und ausgesprochen, dass der Bw keine subsidiäre Schutzberechtigung nach § 8 AsylG zukommt. Das Asylverfahren ist seit 15. März 2011 negativ abgeschlossen. Es wurde neuerlich eine Ausweisung rechtskräftig ausgesprochen.

 

Am 15. Mai 2011 wurde sie um ca 12.10 Uhr von Beamten der PI Linz Hauptbahnhof im Zug OIC 862 von Linz nach Salzburg kontrolliert.  Die nächste Haltestelle war der Bahnhof Vöcklabruck. Die PI Vöcklabruck hat die Bw in weiterer Folge wegen der im bekämpften Straferkenntnis angeführten Verwaltungsübertretungen angezeigt.

 

Über Ersuchen des Verwaltungssenates übermittelte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck am 31. August 2011 die gutachtliche Stellungnahme des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 21. Juni 2011. Aufgrund dieser Stellungnahme steht fest, dass die Bw am 20. Juni 2011 in Begleitung der Betreuerin des Flüchtlingsheimes X, X, zur amtsärztlichen Untersuchung kam. Sie berichtete, dass sie seit 3 Jahren und 2 Monaten in Österreich lebe. Sie leide an starken Rückenschmerzen und habe mehrere große Operationen hinter sich gebracht. Die letzte Operation sei 2010 an der Klinik erfolgt. Sie leide daher an starken Rückenschmerzen, die sich auch auf den psychischen Zustand auswirken würden. Sie leide an einer Depression. In Behandlung stehe sie beim Hausarzt, X, sowie in psychotherapeutischer Behandlung ca. 2-mal pro Monat – regelmäßig seit ca. 2 Jahren. Die psychotherapeutische Behandlung nehme sie bei X, Zentrum für interkulturelle Psychotherapie, Diakonie Flüchtlingsdienst, in Anspruch. Der Amtsarzt X erstellte dazu folgenden Untersuchungsbefund: "29-jährige Frau in deutlich reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand, 149,5 cm, 34,7 kg Körpergewicht, Gedankenductus kohärent, jedoch gelegentlich stockend, Sprachverständnis wohl auch etwas erschwert, Stimmung depressiv gefärbt".

 

Der Amtsarzt verwies auf den Arztbrief der Universitätsklinik für Orthopädie, FA X, vom 31.05.2011. Daraus zitiert er folgendes: "Diagnosen: Zustand nach zweizeitiger Skolioseoperation: ventrale Mobilisation und HALO-Anlage am 21.04.2010, dorsale Fusion Th1 – L3 am 05.05.2010, Anschlussdegeneration der lumbalen Krümmung;

Aufgrund der beginnenden Degeneration im Anschluss an die Spondylodese im lumbalen Bereich sind regelmäßige halbjährliche Kontrollen bei uns an der Universitätsklinik für Orthopädie in Innsbruck notwendig, um eine rechtzeitige Dekompensation der Krümmung festzustellen und im gegebenen Fall auch chirurgisch zu behandeln. (...) Eine Weiterbehandlung aufgrund des lädierten psychischen Zustandes und des kachektischen Ernährungszustandes der Patientin ist aus unserer Sicht auch notwendig und sollte weitergeführt werden."

 

Der Amtsarzt erstellte folgendes amtsärztliches Gutachten zur gesundheitlichen Eignung einer Abschiebung:

"Frau X leidet unter einer schwerwiegenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigung, die mit einer Abschiebung zum Untersuchungszeitpunkt nicht vereinbar sind. Das Abwarten einer Heilungsbewährung für einige Monate wird empfohlen."

 

Der Verwaltungssenat hat dazu erwogen:

 

Die Bw hat die Berufung gegen Spruchpunkt II des Straferkenntnisses zurückgezogen. Die Ermahnung ist damit in Rechtskraft erwachsen. Gegenstand des Berufungsverfahren ist ausschließlich die in Spruchpunkt I des Straferkenntnisses angelastete Verwaltungsübertretung.

 

Die BH Vöcklabruck hat die Mindeststrafe des § 120 Abs 1a FPG idF BGBl I Nr 38/2011 herangezogen, die erst am 1. Juli 2011 in Kraft getreten ist. § 120 Abs 1a FPG idF BGBl  I Nr. 38/2011, sieht einen Strafrahmen von 500 bis 2500 Euro vor. Gemäß § 1 Abs 2 VStG richtet sich die Strafe aber nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn dass das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre.

Die zum Tatzeitpunkt geltenden relevanten gesetzlichen Bestimmungen des FPG lauten wie folgt:

 

Wer als Fremder

1. nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder

2. sich nicht rechtsmäßig im Bundesgebiet aufhält,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist gemäß § 120 Abs 1 FPG BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 17/2011, mit Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.

 

Gemäß  § 1 Abs 2 VStG war daher eine Mindeststrafe unzulässig. Der Strafrahmen ist nach oben aber mit 2500 Euro (§ 120 Abs 1a FPG idF BGBl I Nr. 38/2011) begrenzt.

 

Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 2 liegt gemäß § 120 Abs 5 leg cit nicht vor,

1. wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§ 50) ist;

2. solange der Fremde geduldet ist (§ 46a),

3. im Fall des Aufenthalts eines begünstigten Drittstaatsangehörigen ohne Visum oder

4. solange dem Fremden die persönliche Freiheit entzogen ist.

 

Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 leg cit unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist gemäß § 46a Abs 1 leg cit geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§ 50 und 51 oder

2. §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist oder

3. aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich scheint, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt.

 

Die örtliche Zuständigkeit zur Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren richtet sich gemäß § 6 Abs. 7 iVm § 6 Abs. 9 und § 120 Abs 1 leg cit nach der nächstgelegenen Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmens möglich ist. Laut dem vorliegenden Bericht der PI Vöcklabruck vom 15. Mai 2011 handelte es sich bei der nächsten Haltestellte um den Bahnhof Vöcklabruck. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck war daher örtlich zuständige
Strafbehörde.

 

Das Gutachten des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck bezieht sich grundsätzlich auf den Untersuchungszeitpunkt am 20. Juni 2011. Die gesundheitlichen Probleme bestanden offenkundig aber schon zum Tatzeitpunkt am 15. Mai 2011. Dass der AGH in seiner Entscheidung vom 8. März 2011 noch zu einem anderen Ergebnis kam, ändert daran nichts. Es ist davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand seither verschlechtert hat. Die schwerwiegende körperliche und psychische Beeinträchtigung der Bw war am 15. Mai 2011 mit einer Abschiebung nicht vereinbar. Eine Abschiebung war folglich aufgrund des Gesundheitszustandes im Tatzeitpunkt gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig bzw aus tatsächlichen von der Bw nicht zu vertretenden Gründen iSd § 46a Abs 1 Z 3 FPG unmöglich.

 

Diese Schlussfolgerung bezieht sich nur auf den Tatzeitpunkt am 15. Mai 2011. Es wird im ggst. Berufungsverfahren keine Aussage dazu getroffen, ob die Voraussetzungen des § 46a FPG nach wie vor vorliegen.

 

Der Aufenthalt der Bw war am 15. Mai 2011 gemäß § 46a Abs. 1 FPG geduldet. Die Strafbarkeit ist daher bezüglich der in Spruchpunkt 1. des Straferkenntnis angelasteten Verwaltungsübertretung gemäß § 120 Abs. 5 Z 2 FPG aufgehoben.

 

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

 

 

 

 

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