Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240785/14/Fi/ER/Ga

Linz, 15.11.2011

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Johannes Fischer über die Berufung des X, vertreten durch X, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmanns des Bezirks Vöcklabruck vom
29. November 2011, GZ SanrB96-26-2009, wegen  einer Verwaltungsübertretung nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

 

 

I.       Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis          aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.     Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des          Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen         Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö.        Verwaltungssenat zu leisten.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: §§ 24, 45 Abs. 1 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 - AVG

Zu II.:§ 65 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns des Bezirks Vöcklabruck vom
29. November 2011, GZ SanrB96-26-2009, wurde über den Berufungswerber (in der Folge: Bw) gemäß § 90 Abs. 1 Z. 2 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz – LMSVG, BGBl. I Nr. 13/2006 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 5 Z. 3 leg. cit. eine Geldstrafe in Höhe von 100 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt, weil er als verantwortlicher Beauftragter für den Bereich Lebensmittelrecht bei der X in X, zu verantworten habe, dass im Kühllager dieses Betriebs am 3. März 2009 X gelagert und dadurch in Verkehr gebracht worden sei, deren Kollagenwert – wie eine Untersuchung der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (in der Folge: AGES), Institut für Lebensmitteluntersuchung Linz, Bürgerstraße 47, 4020 Linz ergeben habe – den im Österreichischen Lebensmittelbuch 4, Auflage, Kapitel B 14 Abschnitt G (Grenzwerte) festgesetzten Grenzwert von 18 (inklusive Toleranz: 19,8) überschritten habe, wobei durch den Zusatz von zu viel Bindegewebe (wertvermindernder Stoff) eine abweichende Beschaffenheit herbeigeführt worden sei. Die X sei daher nach § 5 Abs. 5 Z. 3 LMSVG als verfälscht zu beurteilen und unterliege somit dem Verbot des In-Verkehrbringens gemäß § 5 Abs. 1 Z. 2 LMSVG.

 

Die Übertretung sei anlässlich einer lebensmittelpolizeilichen Überprüfung am
3. März 2009 im Betrieb des Lebensmittelunternehmens X festgestellt worden.

 

Nach ausführlicher Darstellung des bisherigen Verfahrensganges – insbesondere der dazu vorliegenden AGES Gutachten sowie der darauf bezogenen Rechtfertigungen des Bw - und der einschlägigen Rechtsgrundlagen bejaht die belangte Behörde in ihrer Begründung das Vorliegen sowohl der objektiven als auch der subjektiven Tatseite, wobei sie sich ausschließlich auf die Gutachten der AGES stützt.  

 

1.2. Gegen diesen Bescheid, der dem Bw zu Handen seines rechtsfreundlichen Vertreters am 3. Dezember 2010 zugestellt wurde, richtet sich die rechtzeitig eingebrachte vorliegende Berufung vom 17. Dezember 2010.

 

Darin führt der Bw unter anderem aus, dass die belangte Behörde in ihrer Begründung zwar die Gutachten der AGES und die Stellungnahmen des Bw wörtlich wiedergegeben hätte, in der Beweiswürdigung aber nicht auf die Rechtfertigung des Bw eingegangen sei. Er habe sich bereits am 3. September 2009 mit der Berechnung des Grenzwerts unter Berücksichtigung der Toleranzen und Messunsicherheiten auseinandergesetzt und dargelegt, dass die Ausgangswerte zu ungenau seien, um darauf eine Berechnung aufzubauen.

Ein daraufhin eingeholtes Gutachten der AGES habe sich lediglich mit der Berechnungsmethode, nicht aber mit den Messunsicherheiten und Toleranzen auseinandergesetzt und die Rechtfertigungsangaben des Bw nicht entkräftet.

Eine weitere Stellungnahme der AGES, die im Straferkenntnis zitiert worden sei,  sei dem Bw nicht zur Kenntnis gebracht worden, wodurch das rechtliche Gehör verletzt worden sei. Auch diese Stellungnahme sei unvollständig und nicht geeignet, einen Schuldspruch darauf zu stützen.

 

Abschließend beantragt der Bw, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, das Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gegen ihn zur Einstellung zu bringen.

 

 

2. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2010 übermittelte die belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Oö. Verwaltungssenat.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde und Anforderung einer neuerlichen Berechnung durch die AGES unter Berücksichtigung sämtlicher Messunsicherheiten und Toleranzen.

 

Da sich daraus bereits der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt und bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 51e VStG auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung verzichtet werden.

 

2.2. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von den unter den Punkten 1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten entscheidungs­wesentlichen Sachverhalt aus.

Darüber hinaus steht für den Oö. Verwaltungssenat aufgrund der neuerlichen Berechnung der AGES vom 31. Oktober 2011 fest, dass unter Berücksichtigung aller Messunsicherheiten und Toleranzen bei der gegenständlichen Berechnung des Kollagenwerts – entgegen früherer Annahmen – genau der tolerierte Grenzwert von 19,8 (Grenzwert 18 + 10% Toleranz) gemäß dem Österreichischen Lebensmittelbuch 4, Auflage, Kapitel B 14 Abschnitt G erreicht wird.

 

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

3.1. Da im angefochtenen Straferkenntnis im Einzelnen keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 51c VStG).

 

3.2.  Gemäß § 5 Abs. 1 Z. 2 des Lebensmittel- und Verbraucherschutzgesetzes - LMSVG, BGBl. I Nr. 13/2006 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung BGBl. I Nr. 95/2010, ist es verboten, Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die verfälscht oder wertgemindert sind, ohne dass dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist.

Gemäß § 5 Abs 5 Z. 3 leg. cit. sind Lebensmittel verfälscht, wenn ihnen wertbestimmende Bestandteile, deren Gehalt vorausgesetzt wird, nicht oder nicht ausreichend hinzugefügt oder ganz oder teilweise entzogen wurden, oder sie durch Zusatz oder Nichtentzug wertvermindernder Stoffe verschlechtert wurden, oder ihnen durch Zusätze oder Manipulationen der Anschein einer besseren Beschaffenheit verliehen oder ihre Minderwertigkeit überdeckt wurde, oder wenn sie nach einer unzulässigen Verfahrensart hergestellt wurden.

 

Gemäß § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG ist, wer Lebensmittel in Verkehr bringt, die wertgemindert oder verfälscht sind, wenn dieser Umstand nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20.000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 40.000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu 6 Wochen zu bestrafen.

 

3.3. Zur Beurteilung der Frage, ob im vorliegenden Fall ein verfälschtes Lebensmittel in Verkehr gebracht worden ist, stützte sich die belangte Behörde auf Berechnungen der AGES, denen das Österreichische Lebensmittelbuch zugrunde gelegt wurde. 

 

Gemäß § 76 LMSVG obliegt die Herausgabe des Österreichischen Lebensmittelbuches (Codex Alimentarius Austriacus, im Folgenden: ÖLMB) dem Bundesminister Gesundheit. Es dient der Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Herstellen und Inverkehrbringen von Waren.

 

Nach dem Österreichischen Lebensmittelbuch, 4, Auflage, Kapitel B 14 Abschnitt G. 1. (Grenzwerte) ist für Fleischerzeugnisse der Grenzwert für Kollagen mit 18 festgesetzt.  In Kapitel G. 2. 2. wird für Fleischwürste die Toleranz für Kollagen mit 10% des Grenzwerts festgesetzt, somit ergibt sich ein maßgeblicher Wert von 19,8 (Grenzwert inklusive Toleranz).  

 

Nach Blass et al., Lebensmittelrecht³, RZ 3 f zu § 76 LMSVG, sowie der Judikatur (OGH 9.4.1991 ÖBl 1991, 232; OGH 13.5.1997 ÖBl 1998, 17) ist das ÖLMB seiner Rechtsnatur nach ein "objektiviertes Sachverständigengutachten". Als (objektiviertes) Sachverständigengutachten kann das ÖLMB zwar keine zwingenden Anordnungen treffen, doch ist derjenige, der sich an die Regeln des ÖLMB hält, solcherart "qualifiziert" sachverständig abgesichert, dass sein Vorgehen oder Verhalten im Lebensmittelverkehr (beispielsweise die Sicherheit der Lebensmittel betreffend, die Rezeptur, die Art des Inverkehrbringens und die Wahl der Sachbezeichnung uva) den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

 

3.4. In der im Zuge des Ermittlungsverfahrens angeforderten neuerlichen Berechnung des Kollagenwerts unter Berücksichtigung der angegebenen Messunsicherheiten und der Toleranzen gemäß Kapitel G. 2. 2. des ÖLMB, kam die AGES zum Ergebnis, dass "im günstigsten Fall für den Hersteller bei Abzügen aller Messunsicherheiten und Toleranzen ... genau der tolerierte Grenzwert von 19,8 erreicht" wäre.

 

3.5. Im hier zu beurteilenden Fall mangelt es folglich bereits am Vorliegen der objektiven Tatseite. Es war somit der Berufung stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.  

 

 

4. Bei diesem Ergebnis war dem Bw gemäß § 65 VStG kein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat aufzuerlegen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Johannes Fischer

 

 

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