Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730240/5/BP/MZ/Jo

Linz, 09.11.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des Landes Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger, X, betreffend X, StA von Afghanistan, X, hinsichtlich des Bescheides des Polizeidirektors der Stadt Steyr vom 3. Jänner 2011, GZ: 1-1019460/FP/10, betreffend die Verhängung eines unbefristeten Rückkehrverbotes nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005, zu Recht erkannt:

 

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 12 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005,

BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2011/38

§ 66 Abs. 4 iVm § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Steyr vom 3. Jänner 2011, GZ: 1-1019460/FP/10, wurde über Herrn X auf Basis der §§ 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 gemäß § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein unbefristetes Rückkehrverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt. Gemäß § 64 FPG wurde die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen den Bescheid ausgeschlossen.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass Herr X am 22. Oktober 2002 einen Asylantrag gestellt und gegen die Ausweisung am 14. September 2010 Rechtsmittel erhoben habe. Das Asylverfahren sei noch nicht abgeschlossen.

 

Am 29. Mai 2010 sei Herr X in Untersuchungshaft genommen und am 1. September 2010 nach den §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 erster Fall, 83 Abs. 1, 107b Abs. 3 Z 2, 142 Abs. 1 erster Fall, 143 zweiter Fall, 127, 128 Abs. 1 Z4, 130 erster Fall, 229 Abs. 1, 241e Abs. 3, 135 Abs. 1 und § 107 Abs. 2 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten unbedingt rechtskräftig verurteilt worden. Im – nicht im den der Rechtsmittelbehörde vorgelegten Akt befindlichen – Urteil sei festgestellt worden, dass Herr X Frau X Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und ihr dann die Handtasche weggenommen habe.

 

Herr X habe im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens trotz diesbezüglicher Aufforderung keine Stellungnahme abgegeben.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass Herr X Fremder im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes und Asylwerber sei.

 

Gemäß § 62 Abs. 1 in der im Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 könne gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.

 

Es folgt die Zitierung der §§ 62 Abs. 2, 66, 63 Abs. 1 und 2 und 60 Abs. 3 FPG sowie des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

 

Im Anschluss führt die belangte Behörde aus, der festgestellte Sachverhalt rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt von Herrn X im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden könnte. Dass dargestellte Verhalten des Herrn X sei zwar in der demonstrativen Aufzählung des § 60 Abs. 2 FPG nicht enthalten, jedoch sei dieses der dort zum Ausdruck gebrachten Haltung gleichzuhalten. Die Erlassung eines Rückkehrverbots sei zum Schutze des wirtschaftlichen Wohles der Republik Österreich und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, sohin zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten.

 

Das Privat- und Familienleben von Herrn X sei obenstehend dargestellt, ein Rückkehrverbot würde zweifellos tief in dieses eingreifen. Herr X sei nach Österreich gekommen um Schutz zu suchen. Es wurde und werde ihm Unterkunft gewährt. Herr X habe jedoch die österreichische Rechtsordnung schon dreimal schwer verletzt, indem er immer wieder strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen begangen habe. Der Eingriff in das Privat- und Familienleben sei "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, sowie zum Schutz der Gesundheit (Art. 8 Abs. 2 EMRK), die Verhinderung des Aufenthaltes undokumentierter, mittelloser, illegal ins Bundesgebiet gelangter und straffällig gewordener Fremder" dringend geboten. Die Art und Weise der von Herrn X begangenen gerichtlichen Straftaten lasse ein Charakterbild erkennen, das zweifelsohne den Schluss rechtfertige, Herr X sei gegenüber den zum Schutz des Vermögens anderer Personen erlassenen Vorschriften bzw gegenüber der österreichischen Rechtsordnung überhaupt negativ eingestellt und bilde solcherart eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des gegenständlichen Rückkehrverbots und die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung desselben wögen unverhältnismäßig schwerer als die Auswirkungen auf die Lebenssituation von Herrn X, der keiner legalen Beschäftigung nachgehe, weder kranken- noch sozialversichert sei und auch in Österreich über keine familiären Bindungen verfüge. Aufgrund des gezeigten Fehlverhaltens von Herrn X sei das Rückkehrverbot auf unbestimmte Zeit auszusprechen, weil nicht vorhergesehen werden könne, wann der für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wegfallen werde

 

Hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung findet sich im angefochtenen Bescheid keinerlei Begründung.

 

1.2. Gegen diesen – Herrn X persönlich am Freitag den 7. Jänner 2011 zugestellten – Bescheid erhob das Land Oberösterreich als zur Gänze mit der Obsorge betrauter Jugendwohlfahrtsträger mit Schriftsatz vom 24. Jänner 2011 das Rechtsmittel der Berufung.

 

In der Berufung wird dem im angefochtenen Bescheid dargestellten Sachverhalt nicht entgegengetreten. Zusammengefasst bringt das Land Oberösterreich jedoch ergänzend vor, dass Herr X seit dem 11. September 2001 in Österreich befindlich sei und durch Erstreckung Asyl gewährt bekommen habe. Gegen den Aberkennungsbescheid vom 23. August 2010 sei eine Beschwerde beim Asylgerichtshof anhängig. Sowohl der Vater als auch die Stiefmutter von Herrn X würden in Österreich als anerkannte Asylberechtigte leben, die leibliche Mutter und die Großeltern wären verstorben. Herr X könne sich an die Zeit in Afghanistan kaum erinnern, habe keine Bindungen zu diesem Land bzw sei mit diesem auch kulturell nicht verwurzelt. Weiters spreche Herr X gut deutsch, sei in die erste Klasse Volksschule eingeschult worden und habe die Hauptschule ohne Abschluss abgebrochen. Herr X sei jugendlichen Alters und befinde sich in einer schwierigen Phase. Es könne jedoch nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass Herr X nach seiner Haftentlassung weitere Straftaten begehen werde.

 

Nicht korrekt sei, dass Herr X weder kranken- noch sozialversichert sei.

 

Abschließend erfolgen das Privat- und Familienleben von Herr X in Österreich betreffende Ausführungen.

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2011/38 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG 2005 in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen zuständig sind. Darüber hinaus stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2011/22/097, zusammengefasst fest, dass nach den maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinne der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen werde. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stelle sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen seien dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts – um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten seien. Daraus folge aber, dass für Entscheidungen über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig seien.

 

Gleiches hat im gegenständlichen Fall zu gelten, da sich das vom Land Oberösterreich bekämpfte Rückkehrverbot von der Wirkung her von einem Aufenthaltsverbot nicht unterscheidet, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt zuständigkeitshalber von der Sicherheitsdirektion des Landes Oberösterreich dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 wurde das Land Oberösterreich als Einschreiter im gegenständlichen Verfahren im Rahmen der Wahrung des Parteiengehörs aufgefordert, zur bis dahin vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich gebildeten Rechtsauffassung, dass das Anbringen aus näher genannten Gründen zurückzuweisen sei, binnen einer festgesetzten Frist Stellung zu nehmen.

 

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2011 kam der Jugendwohlfahrtsträger Land Oberösterreich "als gerichtlich mit der gesamten Obsorge – also auch mit der gesetzlichen Vertretung – für den minderjährigen X Betrauter" dieser Aufforderung nach. In rechtlicher Sicht führt das Land Oberösterreich aus, dass § 12 Abs. 2 FPG 2005 auch Rechte des gesetzlichen Vertreters vorsehe, allenfalls auch gegen den Willen des Minderjährigen Verfahrenshandlungen zu setzen und Rechtsmittel einzulegen. Daraus sei abzuleiten, dass Bescheide nach den in Abs. 1 angeführten Hauptstücken immer auch dem gesetzlichen Vertreter zuzustellen seien, damit dieser überhaupt in die Lage versetzt werde, diese Rechte zugunsten des Minderjährigen, der in der Praxis in diesen Angelegenheiten vielfach allein überfordert sei, ausüben zu können.

 

Der Stellungnahme ist weiters zu entnehmen, dass das Bezirksgericht Traun mit dem genanntem Schreiben beiliegendem Beschluss vom 9. April 2010 dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger die gesamte Obsorge für Herrn X übertragen habe, weshalb das Land Oberösterreich auch mit dessen gesetzlicher Vertretung betraut sei.

 

Eine formelle Zustellung des bekämpften Bescheides an das Land Oberösterreich als gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen sei im vorliegenden Fall ursprünglich nicht erfolgt. Nachdem die zuständige Sozialarbeiterin vom Minderjährigen von der Existenz des gegenständlichen Bescheides erfahren habe, sei umgehend telefonischer Kontakt mit der belangten Behörde aufgenommen und in Folge das Schriftstück auch dem Land Oberösterreich als gesetzlichem Vertreter zugestellt worden. Offenbar habe also auch die belangte Behörde, der bis dahin wohl nicht bekannt war, dass das Land Oberösterreich gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen sei, die Notwendigkeit der Bescheidzustellung auch an den gesetzlichen Vertreter anerkannt. Die Rechtsmittelfrist für das Land Oberösterreich könne daher frühestens nach Zustellung des Bescheides am 14. Jänner 2011 (eine Kopie des bekämpften Bescheides mit Eingangsstempel vom 14. Jänner 2011 liegt der Stellungnahme bei) zu laufen begonnen haben, weshalb das Rechtsmittel rechtzeitig eingebracht worden sei.

 

Weitere Ausführungen beziehen sich auf eine – im gegenständlichen Verfahren nicht weiter relevante – materiell-rechtliche Erledigung des Rechtsmittels.

 

2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter Punkt 1.1.1. dieses Erkenntnisses dargestellten und unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Zusätzlich ergibt sich aus den vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erhobenen Beweisen, dass durch Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom 9. April 2010 dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge für den minderjährigen Bescheidadressaten zur Gänze übertragen wurde. Der in diesem Verfahren bekämpfte Bescheid wurde vorerst lediglich Herrn X zugestellt. Eine Zustellung an den Jugendwohlfahrtsträger erfolgte am 14. Jänner 2011 durch die belangte Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 125 Abs. 16 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG , BGBl I 2005/100 in der Fassung BGBl I 2011/38, bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I 2011/38 erlassene Rückkehrverbote gemäß § 62 bis zum festgesetzten Zeitraum weiterhin gültig.

 

3.2. Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

 

Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Es gilt der Grundsatz, dass die Rechtsfähigkeit die Parteifähigkeit und die Handlungsfähigkeit die Prozessfähigkeit begründet. Ob eine Person rechts- und/oder handlungsfähig und damit gemäß § 9 AVG auch partei- und/oder prozessfähig ist, bestimmt sich primär nach den Verwaltungsvorschriften.

 

3.3. § 12 Abs. 1 und 2 FPG 2005 lauten:

 

"(1) Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind in Verfahren nach den Hauptstücken 2 bis 10 handlungsfähig. Sie können zu einer mündlichen Verhandlung einen gesetzlichen Vertreter und eine an der Sache nicht beteiligte Person ihres Vertrauens beiziehen.

 

(2) Der gesetzliche Vertreter eines Fremden nach Abs. 1 hat das Recht,

1. […]

2. innerhalb der einer Partei offen stehenden Frist Rechtsmittel einzulegen, Beschwerden einzubringen und Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen."

 

3.4. Der angefochtene Bescheid fußt auf den dem 8. Hauptstück des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der Fassung BGBl I 2009/122 angehörenden §§ 60 ff leg cit. Der Bescheid wurde dem am 26. November 1993 geborenen Herrn X der Aktenlage nach persönlich am 7. Jänner 2011 in der Justizanstalt X, nachweislich zugestellt. Herr X war damit im Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Bescheides – wie im Übrigen, soweit aus dem dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorliegenden Akt ersichtlich, während des gesamten fremdenpolizeilichen Verfahrens – älter als 16 Jahre.

 

3.4.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich sieht vor dem Hintergrund der genannten Bestimmung Herrn X aufgrund seines Alters im gesamten gegenständlichen Rückkehrverbotsverfahren als handlungsfähig an, da der Fremdenpolizeigesetzgeber durch die zitierte Bestimmung im Anwendungsbereich der genannten Hauptstücke eine bis dahin bestehende gesetzliche Vertretungsbefugnis mit Vollendung des 16. Lebensjahres untergehen hat lassen bzw diese im Anwendungsbereich des zweiten bis zehnten Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 nach Erreichung des 16. Lebensjahres auch nicht mehr gerichtlich übertragen werden kann.

 

3.4.2. Ob sich – wie das Land Oberösterreich im Schreiben vom 31. Oktober 2011 vermeint – aus § 12 Abs. 2 FPG 2005 eine verbleibende fremdenpolizeiliche Vertretungsbefugnis für den "zur Gänze" mit der Obsorge betrauten Jugendwohlfahrtsträger ableiten lässt, ist bislang in Lehre und Judikatur - soweit ersichtlich – ungeklärt. Eine Klärung kann im konkreten Fall jedoch auch unterbleiben, da das erhobene Rechtsmittel – wie im Anschluss darzulegen sein wird – jedenfalls als verspätet anzusehen ist.

 

3.4.3. Der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 normiert unmissverständlich das Recht des gesetzlichen Vertreters, "innerhalb der einer Partei offenstehenden Frist Rechtsmittel einzulegen".

 

Partei im gegenständlichen Verfahren ist einzig Herr X. Entgegen der Rechtsmeinung des Landes Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger vermag aus der in § 12 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 enthaltenen – wie weit auch immer gehenden – Befugnis zur Rechtsmittelerhebung nicht auch ein Recht auf Zustellung des Bescheides abgeleitet und damit einhergehend der Lauf der Berufungsfrist in Gang gesetzt werden. Dies wäre lediglich dann der Fall gewesen, wenn Herr X als Partei des fremdenpolizeilichen Verfahrens das Land Oberösterreich im Sinne des § 10 AVG als Vertreter für dieses Verfahren bevollmächtigt bzw zumindest als Zustellbevollmächtigter namhaft gemacht hätte. Die durch die belangte Behörde nach Kontaktaufnahme durch die zuständige Sozialarbeiterin vorgenommene formelle Zustellung des bekämpften Bescheides an das Land Oberösterreich als gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen ist vor dem Hintergrund dieser Ausführungen lediglich als faktische Amtshandlung, die keinerlei rechtliche Wirkungen nach sich zieht, zu qualifizieren.

 

3.4.4. Die dargelegte Rechtsansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich wird untermauert durch die ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur insoweit wortgleichen Vorläuferbestimmung des § 12 FPG 2005, konkret zu § 95 des Fremdengesetzes 1997.

 

Im Erkenntnis vom 29. April 2008, 2005/21/0349, hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich festgehalten, dass § 95 Abs 1 FrG 1997 Fremden bereits ab Vollendung des 16. Lebensjahres Prozessfähigkeit einräumt. Ungeachtet dessen dürften gewisse Verfahrenshandlungen auch vom gesetzlichen Vertreter gesetzt werden. Im 3. Hauptstück des FrG 1997 werde der Aufenthalt von Fremden geregelt. Dessen zweiter Abschnitt (Anmerkung: nunmehr 8. Hauptstück erster Abschnitt) enthalte die Bestimmungen über die Aufenthaltsbeendigung, somit auch jene über das Aufenthaltsverbot. Demnach dürfe einem Fremden, der zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr vollendet habe, der Bescheid betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unmittelbar ohne Einschaltung des gesetzlichen Vertreters zugestellt werden und sei in solchen Fällen auch dann wirksam erlassen, wenn der Behörde ein gesetzlicher Vertreter des Fremden bekannt war (vgl auch VwGH 26.4.2002, 2001/02/0136).

 

Im Erkenntnis vom 20. Februar 2001, 2001/18/006, hatte der Verwaltungsgerichtshof einen Fall zu beurteilen, in welchem der Beschwerdeführer vorbrachte, dass er minderjährig sei und daher die Behörde erster Instanz ihren Bescheid nicht an ihn, sondern an seinen gesetzlichen Vertreter hätte zustellen müssen. Die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei daher noch nicht rechtwirksam erfolgt, weshalb die belangte Behörde den Bescheid der Behörde erster Instanz hätte beheben müssen. Dieser Auffassung trat der Gerichtshof nicht bei: "Da der am 3. Juni 1983 geborene Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides der Behörde erster Instanz am 21. September 2000 bereits 17 Jahre alt war, war er in diesem Zeitpunkt prozessfähig. Die Zustellung dieses Bescheides an ihn ist damit rechtswirksam erfolgt. Die […] Berufungsfrist endete daher am 5. Oktober 2000."

 

3.4.5 Vor dem Hintergrund der in Punkt 3.4.3. und 3.4.4. getroffenen Ausführungen hat die Berufungsfrist im gegenständlichen Fall daher mit Zustellung des Bescheides an Herrn X am 7. Jänner 2010 zu laufen begonnen.

 

Gemäß § 63 Abs. 5 AVG sind Berufungen von der Partei "binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheids." Diese Frist ist im Übrigen auch in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids der Behörde erster Instanz ausdrücklich genannt.

 

Die Berufung hätte daher – wenn möglicherweise auch vom Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger – spätestens am 21. Jänner 2011 eingebracht werden müssen und ist somit als verspätet anzusehen.

 

3.5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

Bernhard Pree


Beschlagwortung:

§ 12 Abs. 1 FPG, Vertetung von jugendlichen Fremden, Jugendwohlfahrt

 

 

 

VwSen-730240/5/BP/MZ/Jo vom 9. November 2011

 

Erkenntnis

 

FPG §12 Abs2 Z2

 

Der Wortlaut des § 12 Abs 2 Z 2 FPG normiert unmissverständlich das Recht des gesetzlichen Vertreters, "innerhalb der einer Partei offenstehenden Frist Rechtsmittel einzulegen".

 

Partei im gegenständlichen Verfahren ist einzig der Bescheidadressat. Entgegen der Rechtsmeinung des Jugendwohlfahrtsträgers vermag aus der in § 12 Abs 2 Z 2 FPG enthaltenen Befugnis zur Rechtsmittelerhebung nicht auch ein Recht auf Zustellung des Bescheides abgeleitet und damit einhergehend der Lauf der Berufungsfrist in Gang gesetzt werden. Dies wäre lediglich dann der Fall gewesen, wenn der Bescheidadressat als Partei des fremdenpolizeilichen Verfahrens den Jugendwohlfahrtsträger im Sinne des § 10 AVG als Vertreter für dieses Verfahren bevollmächtigt bzw zumindest als Zustellbevollmächtigter namhaft gemacht hätte. Die durch die belangte Behörde nach Kontaktaufnahme durch die zuständige Sozialarbeiterin vorgenommene formelle Zustellung des bekämpften Bescheides an den Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen ist vor dem Hintergrund dieser Ausführungen lediglich als faktische Amtshandlung, die keinerlei rechtliche Wirkungen nach sich zieht, zu qualifizieren.

 

 

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