Linz, 11.11.2011
E r k e n n t n i s
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn X, geb. X, c/o X, X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 10. Februar 2010, Zl. VerkR96-626-2009, zu Recht:
I. Der Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass unter Anwendung des § 21 Abs.1 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird.
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 111/2010 - AVG iVm § 21 Abs.1, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 und § 51i Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 111/2010 - VStG;
Zu II.: § 65 VStG.
Entscheidungsgründe:
1. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat mit dem o.a. Straferkenntnis über den Berufungswerber Geldstrafen in Höhe von 1.200 und 365 Euro und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen und 120 Stunden verhängt, weil er am 31.01.2009 um 13.45 Uhr in Linz, Hafferlstraße X,
1.) als Lenker des PKW, Opel Vectra mit dem Kennzeichen X, nach Aufforderung eines besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht sich geweigert habe, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl vermutet werden haben können, dass er zum angeführten Zeitpunkt am angeführten Ort das angeführte Fahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe;
2.) habe er das angeführte Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichen Verkehr gelenkt, obwohl er nicht im Besitze einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung gewesen sei.
Dadurch habe er gegen § 5 Abs.2 iVm § 99 Abs.1 StVO 1960 und § 1 Abs.3 iVm § 37 Abs.3 Z1 FSG verstoßen.
1.1. Die Behörde erster Instanz führte begründend Folgendes aus:
2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht erhobenen Berufung.
Vorweg ist betreffend die Zustellung des Straferkenntnisses festzustellen, dass lt. Bericht der Strafvollzugsanstalt Garsten vom 4.11.2011 von der Ausfolgung des angefochtenen Bescheides per 24.10.2011 auszugehen ist.
Am 25.10.2011 ersucht der Berufungswerber vorerst bloß um Ratenzahlung hinsichtlich der ausgesprochenen Strafe. Am 28.10.2011 erhob er, jedoch offenbar über Empfehlung des Sozialen Dienstes der Justizanstalt Garsten, Berufung gegen das Straferkenntnis. Darin bestreitet er ohne nähere Begründung die Aufforderung zur Atemluftuntersuchung und vermeint weiter, er habe das Auto nur weggestellt um der Kriminalpolizei die Vorbeifahrt zu ermöglichen.
3. Die Behörde erster Instanz hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates wurde damit begründet. Dieser ist, da keine 2.000 Euro übersteigenden Geldstrafen verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen (§ 51e Abs.1 VStG).
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt und Gewährung von Parteiengehör.
Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung konnte, in Verbindung mit der aus dem Akt sich klar darstellenden Beweislage und der Reaktion auf das gewährte Parteiengehör – er könne sich nicht mehr erinnern ob er den Alkotest verweigert habe, sei aber nur 10 m ohne Führerschein gefahren - insbesondere auch wegen des Zeitlaufes von fast schon drei Jahren seit dem Vorfall - verzichtet werden.
4. Faktenlage:
Am 31.1.2009 wurde von einer Zivilstreife im Rahmen einer Schwerpunktaktion der Kriminalpolizei der oben bezeichnete Pkw wahrgenommen. Der Berufungswerber befand sich in diesem von einem Mann namens X gelenkten Pkw als Beifahrer an Bord. Beim Haus Hafferlstraße X stellte dieser Lenker den Pkw ab und entfernte sich. Da die Polizei durch den abgestellten Pkw an der Weiterfahrt behindert wurde, rief der Polizist dem sich entfernende Lenker zu, dieser solle wegfahren.
Dieser wiederum signalisierte dem Beifahrer dies zu tun. Daraufhin stieg der Berufungswerber vom Beifahrersitz aus und fuhr laut Anzeige und vor den Augen der Polizeibeamten ca. 15 Meter um das Fahrzeug wieder abzustellen.
Da den Beamten von vorherigen Amtshandlungen bekannt war, dass es sich beim nunmehrigen Lenker um einen "drogenabhängigen Georgier ohne Führerschein" gehandelt haben soll, wurde dieser in der Folge zum Alkotest aufgefordert, wobei dieser vermeint haben soll, "er sei krank im Kopf und mache keinen Alkotest."
4.1. Zusammenfassend beurteilen lässt sich dieses Ergebnis dahingehend, dass offenbar die Beamten diese im Ergebnis von ihnen selbst herbeigeführte Fahrt, offenbar sehenden Auges duldeten und keine Veranlassung gesehen haben dürften diese allenfalls zu verhindern. Sohin kann der Schluss gezogen werden, dass dahinter wohl keinerlei Gefährdung für Dritte erblickt wurde. Motive über die unterbliebene Verhinderung dieser Fahrt können auf sich bewenden. Das beim Berufungswerber keine Fahrabsicht im eigentlichen Sinn vorlag und wohl betreffend eine allfällige Fahruntauglichkeit bzw. seine Führerscheinlosigkeit in der Bewegung des KFZ von nur wenigen Metern, kein subjektives Unrechtsbewusstsein vorlag, kann angesichts der unmittelbaren Anwesenheit der Polizei als erwiesen gelten. Offenbar tappte der Berufungswerber durch den Zuruf oder das Handzeichen "wegzufahren" im wahrstem Sinne des Wortes in diese Falle, welche für ihn nach nunmehr fast drei Jahren, mit Kosten von mehr als 1.500 Euro zu Buche schlagen soll.
Nun steht wohl zweifelsfrei fest, dass einerseits ein Fahrzeug – wenn nur zehn bis fünfzehn Meter und ohne typische Lenkabsicht im verkehrsüblichen Verständnis – dennoch gelenkt wurde. Ebenso ist auch glaubhaft, dass Bedenken betreffend eine mögliche Beeinträchtigung bestanden haben mögen und vor diesem Hintergrund – mit dem möglicher Weise präjudizierenden Wissen "um einen drogenabhängigen führerscheinlosen Georgier" – dieser dann zum Alkotest aufgefordert wurde, welchen er letztlich mit dem Hinweis "nur zehn Meter gefahren und wegen den Substitol im Kopf krank zu sein, keinen Test zu machen", verweigerte.
Vor diesem Hintergrund sind wohl die Tatbestände erfüllt, andererseits liegen die Anwendungsvoraussetzungen des § 21 Abs.1 VStG im Sinne des Geistes der diesbezüglich einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes vollumfänglich vor (VfGH 15. März, 2000, G 211/98-9 und G 108/99-7).
Darin befand das Höchstgericht im Ergebnis, dass in solchen absoluten Grenzfällen um der Einzelfallgerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen ein gewisser Ermessenspielraum der vollziehenden Behörde (damals auch dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oö.) eingeräumt bleiben müssten.
Vor diesem Hintergrund wurde der generelle Anwendungsausschluss des § 21 Abs.1 VStG für Alkofälle als verfassungswidrig aufgehoben.
5. Der § 5 Abs.2 StVO lautet:
"Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen,
die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt zu haben ....."
Die Verpflichtung dieser Personen sich der Untersuchung zu unterziehen, ist im § 99 Abs.1 lit.b StVO 1960 normiert.
Die Untersuchung ist grundsätzlich mittels Alkomat vorzunehmen.
5.1. Betreffend die Beurteilung und Bewertung eines derart von der Regel abweichenden Sachverhaltes führte der Verfassungsgerichtshof mit Blick auf die Einzelfallgerechtigkeit im Erkenntnis vom 15. März, 2000, G 211/98-9 und G 108/99-7 mit Hinweis auf VfSlg 14973/1997 in der Substanz folgendes aus:
"…… Ausgehend davon könne aber nach Auffassung der Bundesregierung (in der Gegenschrift) kein Zweifel bestehen, dass der Berufungswerber das hier allein maßgebende Tatbild des §99 Abs1 litb StVO 1960 - die Weigerung, trotz Vorliegens der in §5 Abs.2 StVO 1960 festgelegten Voraussetzungen die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen - nicht bloß fahrlässig, sondern sogar vorsätzlich erfüllt habe. Der Berufungswerber habe nämlich mit dem Wissen und in der Absicht gehandelt, durch die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft die Feststellung, ob er in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt und somit den Tatbestand des §99 Abs.1 lit.a StVO 1960 erfüllt habe, unmöglich zu machen. Selbst wenn man die Auffassung vertreten wollte, daß das Verschulden nicht nur dann geringfügig sein könne, wenn es sich um eine leichte Fahrlässigkeit handle, so könne das Verschulden einer Handlung, die mit dem stärksten Grad des Vorsatzes getätigt worden sei, wohl keinesfalls mehr als "geringfügig" angesehen werden.
……
Diese Auffassung gelangt hier auch seitens der
Behörde erster Instanz zum Ausdruck.
Im Tenor gelange in diesen Entscheidungen (des Höchstgerichtes) zum Ausdruck, daß geringe Schuld im Sinne des § 42 Abs.1 StGB ein erhebliches Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt verlange. Im Lichte dieser Spruchpraxis scheine das nicht von der Unmittelbarkeit der Beweiswürdigung getragene Vorbringen der Bundesregierung unzutreffend.
….
Dabei werde grundsätzlich nicht übersehen, daß bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung dem Gesetzgeber auch in der Gestaltung des Strafrechts rechtspolitisch ein durchaus breiter Gestaltungsspielraum eingeräumt sein möge, dieser jedoch im verfassungsrechtlich determinierten Sachlichkeitsgebot begrenzt sei. Die Überschreitung dieser Grenze könne hier insbesondere in einer auf Einzelfälle als unangemessen hart wirkenden, aber anzuwendenden Sanktionsnorm erblickt werden.
….
Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl aus Art91 Abs2 und 3 B-VG als auch wegen des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebots verfassungsrechtliche Grenzen des für die Ahndung von Übertretungen durch Verwaltungsbehörden vom Gesetzgeber anzuordnenden Strafrahmens festgestellt. In ständiger Judikatur (VfSlg. 12151/1989, bekräftigt mit VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990, 12546/1990, 12547/1990, 12920/1991 sowie vor allem VfSlg. 14361/1995 u.a.) hat er die Auffassung vertreten, daß ein vom Gesetzgeber als besonders sozialschädlich bewertetes und demgemäß mit schwerwiegender (Geld-)Strafe bedrohtes Verhalten verfassungsrechtlich der Strafgerichtsbarkeit vorbehalten ist. Gleichzeitig betrachtete der Gerichtshof eine das Strafausmaß betreffende gesetzliche Regelung als gleichheitswidrig, die ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion aufweist, weil derartige Strafdrohungen 'mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind' (VfSlg. 12151/1989)."
5.2. Die Behörde kann (und hat) demnach ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.
Wie auch dem Anlassfall für den Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu Grunde lag, ist auch hier die Tatschuld an der Verweigerung insofern von bloß geringem Umfang zu qualifizieren, als der Berufungswerber vor den Augen der Polizei und darüber hinaus in deren Interesse und Veranlassung das Fahrzeug wenige Meter bewegte und er selbst aus subjektiver Sicht in nachvollziehbarer Weise wohl von keiner substanziellen Lenkeigenschaft ausging. Aus der Sicht des Betroffenen ist es daher durchaus nachvollziehbar, dass er angesichts einer nicht vordergründig einleuchtenden Grundlage für einen Alkotest nicht geneigt gewesen sein mag diesen auch durchzuführen.
Es konnten mit der Verweigerung objektiv besehen in Wahrheit auch keine nachteiligen Folgen verbunden gewesen sein. Da die Atemluftuntersuchung nicht als Selbstzweck, sondern letztlich im Kontext mit einem "Lenken in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und was unter Lenken allgemein verstanden zu werden pflegt" in Beziehung zu setzen ist, fällt dieses Beziehungsgefüge im Falle des Nachweises des Bewegens eines Fahrzeuges im Ausmaß von einigen Metern in einem allenfalls durch Alkohol oder Suchtmittel – hier wohl wenn überhaupt durch Substitol - beeinträchtigten Zustand weg.
Das Absehen von einer Bestrafung scheint daher auch hier im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit geboten. In dem im Rahmen der Beweiswürdigung festgestellten geringen Verschuldens und der fehlenden nachteiligen Tatfolgen, besteht auf die Anwendung des § 21 VStG letztlich ein Rechtsanspruch der im Sinne der neu gestalteten Rechtslage nicht vorenthalten werden darf (VwGH 13.12.1990 90/09/0141 und VwGH 27.2.1992, 92/02/0033 mit Hinweis auf VfGH v. 15.3.2000, G 211/98-9).
Es war demnach spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220,00 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r
Beschlagwortung:
Bewegen eines KFZ im Auftrag der Polizei von nur 10 m. Absehen von Strafe.
VwSen-166455/4/Br/Th vom 11. November 2011
Erkenntnis
VStG §21 Abs1
StVO 1960 §99 Abs1 litb
Im Sinne der einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 15.772/2000) scheint ein Absehen von einer Bestrafung gem § 21 Abs 1 VStG auch bei Erfüllung des Verwaltungsstraftatbestandes des § 99 Abs 1 lit b StVO 1960(Verweigerung der Atemluftuntersuchung) dann – im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen – geboten, wenn etwa die Fahrt nur im Wegstellen eines Fahrzeuges – hier im Auftrag der Polizei – motiviert ist.
Beachte:
Vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben.
VwGH vom 11. September 2013, Zl.: 2012/02/0021-8