Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401135/3/BP/Wu

Linz, 21.11.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Beschwerde des X, StA von Marokko, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, wegen Anhaltung in Schubhaft seit 8. November 2011 durch den Polizeidirektor von Linz, zu Recht erkannt:

 

I.          Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II.      Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Verfahrenspartei: Polizeidirektor von Linz) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.


Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 8. November 2011, AZ.: 1072296/FRB, wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) auf Basis des § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG idgFiVm. § 57 AVG zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) die Schubhaft angeordnet und im PAZ Steyr vollzogen.

 

1.1.2. Hinsichtlich des Sachverhalts führt die belangte Behörde aus, dass der Bf, ein Staatsangehöriger von Marokko, am 8. November 2011 von Beamten der BPD Linz einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen worden sei, wobei sein unrechtmäßiger Aufenthalt in Österreich habe festgestellt werden können. Er sei weder im Besitz eines Reisedokuments noch eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels für Österreich, vielmehr bestehe gegen ihn eine seit 23. Februar 2011 rechtskräftige und durchsetzbare Ausweisung nach Marokko gemäß § 10 AsylG.

 

In weiterer Folge sei der Bf von den Polizeibeamten aufgrund seines offensichtlich nicht rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet nach den Bestimmungen des FPG festgenommen, der Behörde vorgeführt und in das PAZ Linz eingeliefert worden.

 

Der Bf verfüge in Österreich nicht über eine aufrechte polizeiliche Meldung, werde nicht durch die Grundversorgung unterstützt und gehe auch keiner legalen Beschäftigung nach. Letzterer Umstand sei auch vom Bf im Asylverfahren (Zl. 10 07.571) bestätigt worden, wie auch der Umstand, dass keine Verwandten im Bundesgebiet aufhältig seien.

 

1.1.3. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde ua. aus, dass aufgrund der oa. Gegebenheiten ein Sicherungsbedarf im konkreten Fall fraglos vorliege.

 

Das Sicherungserfordernis des § 76 FPG sei – nach konkreter Einzelfallprüfung – in den Umständen begründet, dass der Bf in Österreich über keinen Wohnsitz verfüge, illegal eingereist sei, eine soziale Verankerung in Österreich in keinster Art bestehe und es auch an einer beruflichen Integration im Bundesgebiet mangele. Entscheidungsrelevant sei überdies, dass der Bf nicht im Mindesten bereit sei, rechtskräftige Entscheidungen der Asylbehörden zu akzeptieren, was sich eindeutig daraus ersehen lasse, dass er – wie sich aus dem ZMR ergebe – kurz nach der abschließenden Entscheidung des Asylgerichtshofs untergetaucht sei und sich bis zum aktuellen Aufgriff vor den Behörden bzw. der Polizei verborgen gehalten habe.

 

Die Bejahung des Sicherungsbedarfes gründe sich nicht zuletzt darauf, dass seitens des LG Wien sowie des BG Baden gegen den Bf Aufenthaltsermittlungen wegen des Verdachts von Vergehen nach dem SMG und dem StGB geführt würden.

 

Es sei daher eindeutig davon auszugehen, dass sich der Bf – auf freiem Fuß belassen – hinsichtlich einer Abschiebung nach Marokko dem Zugriff der Behörden nicht freiwillig zur Verfügung gestellt haben würde. Ganz offensichtlich sei der Bf unwillig nach Marokko zurückzukehren. Daher sei auch die Anwendung gelinderer Mittel im vorliegenden Fall nicht in Betracht gekommen.

 

1.2.1. Gegen den Schubhaftbescheid sowie gegen die darauf basierende Anhaltung in Schubhaft erhob der Bf mit Schreiben vom 15. November 2011, Schubhaftbeschwerde an den Oö. Verwaltungssenat.

 

1.2.2. Dem im angefochtenen Schubhaftbescheid dargestellten Sachverhalt wird nicht entgegengetreten, sondern lediglich ergänzend angeführt, dass der Bf am 21. August 2010 einen Asylantrag gestellt habe und diesbezüglich niederschriftlich einvernommen worden sei.

 

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 sei der Asylantrag jedoch erstinstanzlich abgelehnt worden. Dagegen habe er fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben, die jedoch mit Entscheidung des AGH vom 22. Februar 2011 abgewiesen worden sei. Dieses Erkenntnis sei am 23. Februar 2011 einerseits dem Rechtsberater, andererseits dem X zugestellt worden. Davon habe der Bf zwar keine Kenntnis erlangt, jedoch wird nicht angeführt, dass die angegebenen Zustellvorgänge mangels Vertretungsmacht unwirksam gewesen seien. Auch der Bf bzw. sein Vertreter gehen also von der Rechtskraft der Asylentscheidung mit 23. Februar 2011 aus.

 

Weiters wird in der Beschwerde angeführt, dass der nunmehrige Rechtsvertreter – in Unkenntnis des Erkenntnisses des AGH – vom BAA Außenstelle Traiskirchen (unter Vollmachtsbekanntgabe) am 13. September 2011 die Übermittlung des erstinstanzlichen Asylbescheides beantragt habe und mit Schreiben des BAA vom 14. September 2011 auf den Umstand des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens hingewiesen worden sei.

 

Der Bf sei bereits mit Bescheid der BH Baden vom 7. Oktober 2010 in Schubhaft genommen worden, wobei diese Maßnahme vom UVS im Land Niederösterreich für rechtswidrig erklärt worden sei. (Aus der Aktenlage ergibt sich, dass der UVS mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2010 den von der belangten Behörde herangezogenen Tatbestand des § 76 Abs. 2a FPG mangels nicht erfolgter Mitteilung nach § 29 Abs. 3 AsylG und somit wegen nicht Einleitung des Ausweisungsverfahrens für unzulässig erachtete.)

 

1.2.3. In rechtlicher Hinsicht wird angemerkt, dass im vorliegenden Fall kein Sicherungsbedarf gegeben sei, weshalb die belangte Behörde ein gelinderes Mittel hätte anordnen müssen.

 

Die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung sei im vorliegenden Fall von vorneherein unzulässig, zumal der Bf, der über keinerlei Personaldokument verfüge, bekanntermaßen von Marokko kein Heimreisezertifikat ausgestellt bekäme, was notorisch sei.

 

Weiters sei bereits eine Schubhaft für rechtswidrig erklärt worden. Bemerkenswert ist der Hinweis des Bf, dass ja bekannt geworden sei, dass er aktuell in Hungerstreik getreten sei. Es seien also während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eingetreten, aus denen erkennbar sei, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden könne. Die Praxis der betreffenden Staaten bei der Ausstellung eines Heimreisezertifikates müsse im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Marokkanische Staatsbürger, die nicht rückkehrwillig und nicht im Besitz von Personaldokumenten seien, könnten im Hinblick auf die höchstzulässige Schubhaftdauer gemäß § 80 FPG nicht in Schubhaft angehalten werden.

 

Der Bf weist darauf hin, dass er wahrheitsgemäße Angaben zu seiner Identität gemacht habe, diese jedoch nicht durch ein Dokument belegen könne. Nochmals wird auf die Rückkehrunwilligkeit des Bf hingewiesen und festgestellt, dass die belangte Behörde vor Verhängung der Schubhaft die Abschiebbarkeit des Bf hätte überprüfen müssen.

 

Abschließend stellt der Bf den Antrag, der Oö. Verwaltungssenat möge – nach Beweiserhebung und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung – die angefochtenen Verwaltungsakte: die Festnahme am 8. November 2011, den Schubhaftbescheid vom 8. November 2011 sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 8. November 2011 für rechtswidrig erklären und der belangten Behörde gemäß § 79a AVG den Kostenersatz auferlegen.

 

 

2.1.1. Mit Schreiben vom 17. November 2011 übermittelte die belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Oö. Verwaltungssenat.

 

Dabei wies sie darauf hin, dass der Bf schon vor Ergebung der Schubhaftbeschwerde wegen Hungerstreiks am 14. November 2011 aus der Haft entlassen worden sei.

 

2.1.2. In einer umfassenden Gegenschrift führt die belangte Behörde ua. aus, dass der Bf – wie sich aus der Festnahmemeldung des LPK OÖ. - LKA vom 8. November 2011 ersehen lasse – um 13:55 Uhr dieses Tages nach den Bestimmungen des FPG festgenommen worden sei. Um 14:15 Uhr sei davon die Fremdenpolizei in Kenntnis gesetzt worden. Da dabei der Umstand der bereits erfolgten Festnahme nicht mitgeteilt worden sei, habe die Fremdenpolizei einen Festnahmeauftrag gemäß § 74 FPG erlassen. Die Festnahme sei wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts des Bf erfolgt. Die nachträgliche Erlassung eines Festnahmeauftrages könne die ursprüngliche Festnahme nicht beeinflussen.

 

Überdies sei noch um 17:00 Uhr desselben Tages die Verhängung der Schubhaft erfolgt. Die Anhaltung bis 17:00 Uhr sei jedenfalls verhältnismäßig.

 

Aus dem AIS lasse sich eindeutig ersehen, dass der Asylantrag des Bf mit Erkenntnis des AGH gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen und die Ausweisung verfügt worden sei, wobei die Zustellung an den Rechtsvertreter des Bf mit 23. Februar 2011 erfolgt sei. Das AIS weise als Rechtsvertreter X (MigrantInnenverein X) aus. Erst am 14. September 2011 sei die Vollmacht des nunmehrigen Rechtsvertreters eingelangt.

 

Ein Zusammenhang zwischen der aktuellen und der im Jahr 2010 verhängten Schubhaft könne nicht erkannt werden, zumal auch die damalige Schubhaft - wie sich aus der Begründung des Erkenntnisses vom 22. Oktober 2010 ergebe – wegen des fehlenden Schubhaftgrundes für rechtswidrig erklärt worden sei.

 

Dass für den Bf kein Heimreisezertifikat erlangt werden könnte, sei eine reine Vermutung seinerseits. Es sei darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde unmittelbar nach Verhängung der Maßnahme mit dem BMI Kontakt zur Erlangung eines Heimreisezertifikates aufgenommen habe.

 

Der erhöhte Sicherungsbedarf gründe darin, dass sich der Bf wenige Tage nach Zustellung des für ihn negativen AGH-Erkenntnisses von der Obdachlosenunterkunft in Wien abgemeldet habe und seither als U-Boot in Österreich lebe. Auch aktuell liege keine Wohnsitzmeldung vor. Nochmals weist die belangte Behörde auf die Aufenthaltsermittlung des LG Wien bzw. BG Baden hin. 

 

Abschließend werden die Abweisung der Beschwerde und ein entsprechender Kostenersatz beantragt.

 

2.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass der – völlig unbestrittene - Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte. Dem darauf gerichteten Berufungsantrag war nicht näher zu treten, da den entscheidungsrelevanten Sachverhaltsvorbringen des Bf durchaus zu folgen war und somit kein Grund für eine eventuelle Beweiswürdigung in widersprüchlichen Sachverhaltsfragen bestand. Diese Vorgangsweise entspricht auch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

 

In Entsprechung des Berufungsbegehrens nahm das zuständige Mitglied des Oö. Verwaltungssenates am 21. November 2011 mit der Botschaft Marokkos in Österreich Kontakt auf (X Tel. X). Von dortiger Seite wurde mitgeteilt, dass nach Übermittlung der Fingerabdrücke und eines vom BMI auszufüllenden Formblattes Recherchen in Marokko betreffend die Feststellung der Identiät geführt würden und – positiven Falls – umgehend ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde; dies unabhängig davon, ob der marokkanische Staatsbürger rückkehrwillig sei oder nicht. Hinsichtlich der diesbezüglichen Verfahrensdauer erstreckt sich diese je nach Fall zwischen einem Monat und mehreren, wobei hier keine absolute Begrenzung angegeben werden könne.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem – im Übrigen vom Bf nicht widersprochenen - unter den Punkten 1.1.2., 1.2.2. und 2.1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus. Es darf lediglich ergänzend angeführt werden, dass der Bf laut ZMR-Ausdruck vom 18. November 2011 nach der Schubhaftentlassung als polizeilich nicht gemeldet aufscheint.

 

Wie sich eindeutig aus Punkt 2.2. dieses Erkenntnisses ergibt, ist die Erlangung eines Heimreisezertifikates für Marokko grundsätzlich durchaus innerhalb von wenigen Monaten realistisch.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

3.1.1.  Gemäß § 83 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. Nr. 38/2011, ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs. 1 Z. 2 oder 3 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren

Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs. 1 Z. 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.  

 

Gemäß § 82 Abs. 1 des FPG hat der Fremde das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1.    wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.    wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde, oder

3.    wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG hat der Unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

3.1.2. Es ist unbestritten, dass der Bf aufgrund des in Rede stehenden Bescheides der belangten Behörde von 8. November 2011 bis 14. November 2011 in Schubhaft angehalten wurde (wobei die Beschwerde am 15. November erhoben wurde), weshalb der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung berufen ist.

 

Nachdem sich der Bf zur Zeit der Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates nicht mehr in Schubhaft befindet, war gemäß § 83 Abs. 4 FPG eine Prüfung der Anhaltung gemäß den Beschwerdepunkten vorzunehmen.

 

In der Beschwerde wendet sich der Bf allerdings gegen die Festnahme, den Schubhaftbescheid und die Anhaltung, wenn auch nicht inhaltlich zur Festnahme Ausführungen vorliegen, weshalb insgesamt gesehen eine umfassende Prüfung zu erfolgen hatte.

 

3.2. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Die Schubhaft ist nach § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Der Bescheid hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Fremden verständlichen Sprache zu enthalten oder einer Sprache, bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht. Eine unrichtige Übersetzung begründet lediglich das Recht, unter den Voraussetzungen des § 71 AVG wiedereingesetzt zu werden.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z. 1.

 

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung,

1.       in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2.       sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden           oder

3.       eine angemessene finanzielle Sicherheit bei der Behörde zu hinterlegen.

 

3.3.1. Hinsichtlich der Festnahme des Bf am 8. November finden sich keinerlei Hinweise, dass diese nicht zurecht erfolgt wäre. Der unrechtmäßig aufhältige Bf, gegen den auch  gerichtliche Ermittlungen laufen, wurde von Polizeibeamten aufgegriffen, festgenommen und der Fremdenpolizei vorgeführt, die nur knapp 3 Stunden nach erfolgter Festnahme die Schubhaft verhängte. Sowohl zeitlich als auch inhaltlich ergeben sich keine Kritikpunkte und wurden im Übrigen auch in der Beschwerde nicht releviert.

 

3.3.2. Aufgrund der abweisenden Entscheidung des Asylgerichtshofes (rechtskräftig seit 23. Februar 2011) ist der Bf seit diesem Zeitpunkt nicht mehr als Asylwerber, sondern wiederum als "bloß" Fremder im Sinne des § 76 Abs. 1 FPG anzusehen, weshalb diese Bestimmung grundsätzlich von der belangten Behörde zurecht angewendet wurde.

 

Allerdings wendet der Bf ein, dass er von dieser Entscheidung bis September 2011 keine Kenntnis hatte. Diese Einwendung würde nur dann zum Ziel führen, wenn die Zustellung des in Rede stehenden Erkenntnisses des Asylgerichtshofes nicht rechtswirksam geworden wäre. Aus dem Akt ergibt sich – und wird auch vom Bf nicht in Abrede gestellt -, dass er im Asylverfahren durch einen Rechtsanwalt bzw. einen MigrantInnenverein vertreten war. Dementsprechend erfolgte auch die Zustellung mit voller Rechtswirksamkeit. Es ist also zu erkennen, dass der negative Asylbescheid am 23. Februar 2011 in Rechtskraft erwuchs und der Bf als Fremder anzusehen ist. Allfällige Kommunikationsprobleme zwischen dem Bf und seinen vormaligen Rechtsvertretern sind jedenfalls nicht geeignet die Rechtskraft der ordnungsgemäß zugestellten Entscheidung zu hemmen.

 

3.3.3.1. Aus der "Kann-Bestimmung" des § 76 Abs. 1 FPG wird deutlich, dass es sich bei der Verhängung der Schubhaft um eine Ermessensentscheidung handelt. Es müssen daher im konkreten Fall Umstände in der Person des Bf gelegen sein, die erwarten ließen, dass er sich dem Verfahren gemäß § 76 Abs. 2 FPG entziehen würde. Dabei sind diese Umstände nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nicht isoliert voneinander, sondern in Zusammenschau und unter Erstellung einer Einzelfallprüfung zu betrachten.

3.3.3.2. Der Bf, der im Bundesgebiet weder beruflich noch sozial integriert ist und auch über keine Verwandten in Österreich verfügt, bewies in der Vergangenheit in verschiedener Hinsicht, dass er nicht gewillt ist, sich an den fremdenrechtlichen Normen zu orientieren.

 

Ein aktueller ZMR-Auszug dokumentiert, dass der Bf (mit Ausnahme der Zeiten, die er in Schubhaft angehalten wurde) lediglich von 4. November 2010 bis 2. März 2011 polizeilich gemeldet war und ansonsten über keinen gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet verfügte. Auch, wenn dies nicht unbedingt von Entscheidungsrelevanz ist, kann neutral angemerkt werden, dass es einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der letztinstanzlichen Asylentscheidung (22. Februar 2011) und der Abmeldung des Wohnsitzes am 2. März 2011 gibt, der den Schluss zulassen könnte, dass der Bf – entgegen seiner Ausführungen – doch von der Asylentscheidung Kenntnis hatte. Abgesehen davon ist aber von Bedeutung, dass der Bf seit 2. März 2011 ohne jegliche polizeiliche Meldung dem Zugriff der Behörden entzogen war und hier als "U-Boot" untergetaucht seinen Lebensunterhalt auf welche Weise auch immer verdiente. Besonders ist hier auch auf den Umstand hinzuweisen, dass gegen den Bf gleich von zwei Gerichten Aufenthaltsermittlungen angestrengt wurden, was ohne spekulativ zu werden, auch seinen Grund im Untertauchen des Bf gefunden haben mag.

 

Entscheidend ist somit, dass der Bf in der jüngsten Vergangenheit – und dies über einen doch beträchtlichen Zeitraum – sich dem Zugriff der österreichischen Behörden entzogen hat. Besonders darf auch auf den aktuellen ZMR-Auszug verwiesen werden, wonach der Bf, nachdem er sich durch Hungerstreik aus der Schubhaft freigepresst hatte, wiederum untertauchte und somit selbst den hohen Sicherungsbedarf seine  Person betreffend rechtfertigt.

 

Nicht zuletzt gibt er noch in der Beschwerde an rückkehrunwillig zu sein, was ebenfalls nicht geeignet ist, ein kooperatives Verhalten seinerseits bezüglich der Durchführung der Abschiebung zu bejahen.

 

3.3.3.3. Der belangten Behörde folgend ist im vorliegenden Fall – in Zusammenschau all der eben beschriebenen Sachverhaltselemente - von einem besonders hohen sowie akuten Sicherungsbedarf auszugehen und zu attestieren, dass sich der Bf – auf freiem Fuß belassen – fraglos dem Zugriff der Behörde weiterhin entzogen haben würde.

 

Im Übrigen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass aufgrund des erneuten Untertauchens des Bf nach Entlassung aus der Schubhaft die obigen Ausführungen als durchaus gerechtfertigt erscheinen.

 

3.3.4. Damit scheidet auch grundsätzlich die Anwendung gelinderer Mittel über den Bf gemäß § 77 FPG konsequenter Weise aus. Eine allfällige tägliche Meldepflicht würde das Ziel der Schubhaft nicht haben gewährleisten können, zumal der Bf schon in der Vergangenheit konstant bewies, dass er nicht bereit ist, sich dem Zugriff der Behörden zur Verfügung zu halten und ja auch über keinen gemeldeten Wohnsitz verfügt, der als Ausgangspunkt für die allfällige Meldepflicht dienen könnte.

 

3.3.5. Die Verhängung der Schubhaft ist demnach zweifellos auch verhältnismäßig, denn dem Recht des Bf auf Schutz der persönlichen Freiheit steht das dieses im vorliegenden Fall fraglos überwiegende Interesse des Staates an einem geordneten Fremdenwesen und damit am Schutz und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegenüber. Um diese Ziele zu gewährleisten, war der Eingriff in das Recht des Bf auf den Schutz der persönlichen Freiheit notwendig.

 

Der Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK kann im vorliegenden Fall ebenfalls nicht schlagend in Anwendung gebracht werden.

 

3.4. Gemäß § 80 Abs. 1 FPG ist die Behörde verpflichtet darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf solange aufrecht erhalten werden,  bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

 

Gemäß § 80 Abs. 2 FPG darf die Schubhaftdauer grundsätzlich

1.  zwei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen      Minderjährigen verhängt wird;

2.  vier Monate  nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden,      der das 18. Lebensjahr vollendet hat, verhängt wird und kein Fall der Abs. 3      und 4 vorliegt.

 

3.5. Nun erübrigen sich betreffend Schubhaftdauer nähere Erörterungen, zumal der Bf bereits nach 6 Tagen wieder entlassen wurde. Diese Feststellung erfährt auch keine Änderung dadurch, dass über ihn im Jahr 2010 bereits einmal für 14 Tage die Schubhaft verhängt worden war. Die hier einschlägige Höchstdauer von 4 Monaten ist also bei weitem nicht erreicht.

 

3.6.1. Fraglich und näher zu beleuchten ist jedoch der Umstand, ob und ab wann das Ziel der Schubhaft noch erreichbar war.

 

3.6.2. Eingangs ist hiebei darauf hinzuweisen, dass der Zugang des Bf zu dieser Frage geeignet ist erhebliche Bedenken anzumelden. Er gibt ua. an, dass die Behörde - in Kenntnis des von ihm ergriffenen Hungerstreiks – ohnehin die Schubhaft nicht hätte verhängen dürfen. Eine derartige Einstellung würde aber

implizieren, dass, je obstruktiver das Verhalten eines Fremden ist, desto berechtigter auch der Erfolg bei der Verhinderung einer gesetzlich vorgesehenen Maßnahme sein müsste. Dies aber stellt fraglos einen groben Widerspruch zur Prämisse eines rechtstaatlichen Verfahrens dar und würde in letzter Konsequenz zur reinen Willkür führen, die einen gesetzmäßigen Vollzug im Keim ersticken ließe.

 

3.6.3. Wenn der Bf weiters argumentiert, die aktuelle In-Schubhaftnahme wäre hinsichtlich ihrer Zielerreichung nicht zulässig, da eine frühere Schubhaft aufgehoben worden sei, so irrt er. In dem von ihm angesprochenen Erkenntnis des UVS im Land  Niederösterreich vom 22. Oktober 2010 wurde die Schubhaft – keinesfalls wegen mangelnder Zielerreichung, die nicht einmal erwähnt wird – sondern ausschließlich wegen des Nichtvorliegens des ursprünglich herangezogenen Schubhafttatbestandes (§ 76 Abs. 2a) für rechtswidrig erklärt. Es ist aus diesem Umstand also nichts für die Beurteilung der Zielerreichung der aktuellen Schubhaft gewonnen.

 

3.6.4. Insbesondere führt der Bf auch aus, dass es notorisch bekannt sei, dass von Seiten Marokkos für rückkehrunwillige, nicht im Besitz von Personaldokumenten befindliche Angehörige dieses Staates kein Heimreisezertifikat ausgestellt werde, weshalb das Ziel der Schubhaft von vorneherein nicht erreichbar gewesen sei.

 

Wiederum ist hier auf die offensichtlich zugrundeliegende Einstellung des Bf hinzuweisen, der vermeint, schon ex-ante einen "Anspruch" auf Nicht-Durchführung von gesetzlich vorgesehenen fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu haben, indem er die Parameter hiefür teils selbst bestimmt. Gedacht ist dabei an die von ihm vorausgesetzte Rückkehrunwilligkeit, die ihm seiner Meinung nach zur Verhinderung von Maßnahmen verhelfen soll.

 

Abgesehen davon ist es aber keinesfalls notorisch bekannt, dass die Rückführung von marokkanischen Staatsangehörigen (wenn auch ohne Personaldokument und rückkehrunwillig) nicht in einer angemessenen Zeit von 4 Monaten bewerkstelligt werden könnte, zumal auch die belangte Behörde gleichzeitig mit der In-Schubhaftnahme Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates unverzüglich ergriff.

 

Dass im Grunde auch der Bf nicht von der von ihm aufgestellten These der Unmöglichkeit seiner Abschiebung nach Marokko ausgeht, beweist alleine schon die Tatsache, dass er es für erforderlich erachtete, seine Gesundheit zu gefährden, indem er in Hungerstreik trat, was auch zu seiner Haftunfähigkeit führte. Würde er selbst daran geglaubt haben, dass in der doch langen Zeit von

knapp 4 Monaten für ihn kein Heimreisezertifikat erwirkt werden könnte, hätte er diese drastische Eigengefährdung wohl nicht ergriffen, sondern hätte den frustrierten Verfahrensverlauf ruhig abwarten können.

 

Letztendlich ist auf das am Tag der Erlassung dieses Erkenntnisses geführte Telefonat mit der marokkanischen Botschaft (X) hinzuweisen, aus dem sich klar ergab, dass im Regelfall die Erlangung eines Heimreisezertifikates innerhalb von wenigen Monaten möglich ist, auch wenn die Identität des Betroffenen nicht durch Personaldokumente nachgewiesen werden kann.

 

3.6.5. Aus all dem folgt aber, dass die belangte Behörde, der keinerlei unnötige Zeitverzögerung vorzuwerfen ist, durchaus mit einer zeitgerechten Erlangung des Heimreisezertifikates für den Bf rechnen durfte.

 

So ist im Ergebnis festzuhalten, dass das Ziel der Schubhaft – die Abschiebung des Bf nach Marokko - nicht in unverhältnismäßiger oder nicht abschätzbarer zeitlicher Ferne erreichbar gewesen wäre.

 

3.7. Die in Rede stehende Schubhaftbeschwerde vom 15. November 2011 war daher als unbegründet abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde eingeschritten ist, nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z 3 AVG iVm § 1 Z 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung (BGBl. II Nr. 456/2008) ein Aufwandersatz in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro, Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) zuzusprechen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 14,30 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Bernhard Pree

 

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