Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730145/2/SR/Wu

Linz, 27.10.2011

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, algerischer Staatsangehöriger, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns von Perg vom 28. März 2011, GZ. Sich40-9822-210/KG, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

            I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

        II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

 Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Perg vom 28. März 2011, GZ. Sich40-9822-210/KG, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein algerischer Staatsangehöriger, am 31. Juli 1999 gemeinsam mit X (vom Bw als zweite Ehefrau bezeichnet) in Österreich eingereist sei und am 2. August 1999 unter dem Namen X, geboren am X, einen Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantag) gestellt habe. Während des Verfahrens sei dem Bw ein Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz zugekommen. Nach erstinstanzlicher negativer Entscheidung und erfolgter Berufung habe der Asylgerichtshof den Asylantrag am 30. November 2009 abgewiesen und die Abschiebung nach Algerien für zulässig erklärt. Ab diesen Zeitpunkt habe sich der Bw unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Am 31. Dezember 2009 habe der Bw der belangten Behörde seine tatsächliche Identität mitgeteilt, zuletzt unter dem Namen X einen Antrag nach dem NAG gestellt und humanitäre Gründe geltend gemacht.

Gemäß § 44b Abs. 2 NAG sei die Sicherheitsdirektion Oberösterreich um begründete Stellungnahme ersucht worden. Mit Schreiben vom 26. Juli 2010 sei diese dem Ersuchen nachgekommen und habe ausgeführt, dass gegen den Bw fremdenpolizeiliche Maßnahmen unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK zulässig seien.

Auf Grund dieser Stellungnahme habe die belangte Behörde das Ausweisungsverfahren eingeleitet und dem Rechtsvertreter des Bw die Äußerung der Sicherheitsdirektion zur Kenntnis gebracht. Der Bw habe fristgerecht eine Stellungnahme abgegeben, im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt, auf seine berufliche, familiäre und soziale Integration hingewiesen und eine Vielzahl an Unterstützungserklärungen vorgelegt.

Im Hinblick darauf, dass sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht geändert habe, würden die Feststellungen der Sicherheitsdirektion für die belangte Behörde verbindlich sein. Das lange Verschweigen der wahren Identität hätte eine tatsächliche Integration nicht stattfinden lassen. Falsche Angaben, um ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, könnten Grundlage für ein Aufenthaltsverbot bieten.

Zusammenfassend stellte die belangte Behöre fest, dass die Ausweisung zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und zulässig sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 20. April 2011 rechtzeitig Berufung.

 

Zum Sachverhalt führte der Rechtsvertreter aus, dass der Bw am 31. Juli 1999 mit seiner damaligen Lebensgefährtin X alias X, die zu diesem Zeitpunkt mit seiner Tochter X alias X schwanger gewesen sei, in Österreich eingereist und beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt habe, über den der Asylgerichtshof am 30. November 2009 rechtskräftig entschieden habe.

Seit März 2003 gehe der Bw einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach und verdiene monatlich durchschnittlich 1.140,05 Euro. Aus diesem Einkommen decke der Bw seinen eigenen Lebensbedarf und leiste Unterhaltszahlungen in der Höhe von 280 Euro monatlich. Darüber hinaus zahle er seiner Tochter ein wöchentliches Taschengeld zwischen 10 und 50 Euro. Von der kirchlich angetrauten Ehegattin X lebe er getrennt, habe aber noch immer ein sehr enges und freundschaftliches Verhältnis zu ihr und zu seiner Tochter. Jedes Wochenende würde gemeinsam verbracht. In Österreich verfüge er über einen sehr großen Freundeskreis und die Sprachkenntnisse seien so gut, dass er den Alltag und Behördengänge ohne Hilfestellung von außen erledigen könne. Gerichtlich und verwaltungsstrafrechtlich sei er unbescholten.

Nach rechtskräftiger Beendigung des Asylverfahrens habe er einen Antrag nach dem NAG eingebracht und berücksichtigungswürdige Gründe vorgebracht.

Den Berufungen gegen die Ausweisungsbescheide gegen seine Frau und die gemeinsame Tochter habe die Sicherheitsdirektion Oberösterreich mit Bescheiden vom 19. Mai 2010 Folge gegeben und die Ausweisungen auf Dauer für unzulässig erklärt. In weiterer Folge seien beiden Niederlassungsbewilligungen nach § 43 Abs. 2 NAG ausgestellt worden.

Trotz vorgelegter Urkunden und Darstellung der beruflichen und sozialen Integration sei der Ausweisungsbescheid erlassen worden.

In rechtlicher Hinsicht brachte der Bw vor, dass bei ihm bereits eine Aufenthaltsverfestigung eingetreten sei, da er seit mehr als 11 Jahren in Österreich lebe, seit mehr als 8 Jahren einer bewilligten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehe, über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis verfüge, zu seinem einzigen Kind jedes Wochenende persönlichen Kontakt habe, Kindesunterhalt an seine Ehegattin, die daueraufenthaltsberechtigt sei, zahle, ausreichend die deutsche Sprache beherrsche und zu den Verwandten in Algerien auf Grund des langen Aufenthaltes in Österreich keinen engeren Kontakt mehr habe.

Die Schlussfolgerungen der belangten Behörde hinsichtlich des unsicheren Aufenthaltes seien unzutreffend. Richtig sei, dass er bei der Asylantragsstellung eine falsche Identität angegeben habe. Leider sei er dem Rat von falschen Personen gefolgt, die ihm glaubhaft versicht hätten, bei Angabe des richtigen Namens ohne Prüfung des Fluchtvorbringens nach Algerien zurückgeschickt zu werden. Die Fluchtgründe seien richtig und sowohl seine Ehefrau als auch er seien davon ausgegangen, in Österreich Asyl zu erhalten. Dies sei auch der Grund für die Berufungserhebung gewesen. Verschleppungsabsicht könne ihm nicht vorgehalten werden. Während des gesamten Asylverfahrens habe er keinerlei Handlungen gesetzt, die den Fortlauf des Verfahrens verzögert hätten. Das lange dauernde Asylverfahren sei ihm nicht anzulasten (siehe VfGH vom 7. Oktober 2010, B 950/10ua). Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde sei von einem Vertrauensschutz des Betroffenen auszugehen, da bei einer langen Verfahrensdauer ein Vertrauen des Asylwerbers dahingehend begründet werde, dass ein positiver Abschluss zu erwarten sei und der Integration in sozialer und beruflicher Hinsicht hätte das volle Gewicht beigemessen werden müssen.

Bedingt durch fehlende Ermittlungen seien die familiären Beziehungen nicht entsprechend gewürdigt worden. Unabhängig von einer gemeinsamen Wohnung können Faktoren gegeben sein, die auf konstante und enge Beziehungen hinweisen.

Nach islamischen Recht sei es zulässig, gleichzeitig mit vier Frauen verheiratet zu sein. Auf Grund der mehr als 11-jährigen Abwesenheit von Algerien bestehe die Ehe zur ersten, in Algerien lebenden Ehefrau nur mehr auf dem Papier. Dagegen liege trotz der Trennung von der zweiten Ehefrau eine enge Nahebeziehung vor.

Da der Bw mit seiner zweiten Ehefrau nicht standesamtlich verheiratet sei, könne – abgesehen von humanitären Überlegungen – ein Aufenthaltstitel für Österreich nicht erwirkt werden. Mangels besonderer Qualifikationen bestehe für den Bw nur die Möglichkeit zur Erlangung eines Aufenthaltstitels auf Grund der Familienangehörigeneigenschaft zu seiner Tochter. Eine derartige Niederlassungsbewilligung sei quotenpflichtig und würde ihm im schlimmsten Fall erst nach drei Jahren erteilt werden.

Ein Familienleben – wie die belangte Behörde vermeint – könne keinesfalls mittels Telefon und E-Mail geführt werden.

Eine Ausweisung würde dem nach den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention geschütztem Kindeswohl widersprechen.

Unter Bezugnahme auf Art. 8 EMRK stelle das Verwenden einer falschen Identität keine schwer wiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Dieses Verhalten (Unterlassen der Richtigstellung der Identität während des Asylverfahrens aus Angst) könne allenfalls als Verfehlung gewertet werden und stehe seinem Wohlverhalten und einer verwaltungsstrafrechtlichen und gerichtlichen Unbescholtenheit gegenüber. Auch bezüglich der Eheschließung mit X könnten ihm keine falschen Angaben vorgeworfen werden. Seine zweite Ehe habe er nicht vor dem Standesamt sondern vor der muslimischen Glaubensgemeinschaft geschlossen und dieser Bund könne als Ehe angesehen werden.

Nach umfassenden Ausführungen zum NAG kam der Rechtsvertreter zum Ergebnis, dass dem Bw kein Vorwurf gemacht werden könne, das NAG-Verfahren im Inland abzuwarten. Selbst die Verletzung fremdenrechtlicher Vorschriften zur Zeit der Einreise lasse eine Ausweisung nicht mehr als dringend notwendig erscheinen.

Die angesprochene Stellungnahme der Sicherheitsdirektion stelle weder eine Weisung dar noch käme dieser Bindungswirkung im fremdenpolizeilichen Verfahren zu.

Im Ergebnis hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig ist.

Bedingt durch unterlassene Ermittlungstätigkeit habe die belangte Behörde auch Verfahrensvorschriften verletzt und sei nur deshalb davon ausgegangen, dass die familiäre Beziehung nicht so eng sei, wie vom Bw dargestellt. Eigene Ermittlungen hätten aufgezeigt, dass sehr wohl eine sehr enge Beziehung zwischen dem Bw, seiner Tochter und der zweiten Ehegattin vorliege und die Ausweisung einen massiven Eingriff in das Familienleben des Bw darstellen würde.

 

Abschließend stellt der Bw den Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und eine Ausweisung als auf Dauer unzulässig auszusprechen.

 

Der Berufung legte der Rechtsvertreter Lohnabrechnungen, Bankauszüge, ein Schreiben seiner zweiten Ehegattin, ein Familienfoto und einen handgeschriebenen Brief der Tochter des Bw bei.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011, in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten großteils unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2. Die bekämpfte Ausweisung wurde auf Basis des § 53 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, anzusehen und zu beurteilen ist.

 

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.2. Der belangten Behörde folgend weist der Bw bedingt durch die lange Aufenthaltsdauer in Österreich eine nicht unerhebliche Integration auf und es ist im Wesentlichen eine Interessensabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Familien- und Privatlebens des Bw vorzunehmen, wobei insbesondere auf seine soziale Integration, das Asylverfahren, die lange Aufenthaltsdauer und die intensive berufliche Beschäftigung Bedacht zu nehmen sein wird.

 

Im Hinblick auf den über 12 Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ 2009/21/0348, einer sozialen Integration, die in einem Zeitraum entstand ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, nur im Zuge der Gesamtbetrachtung ein geringes Gewicht beigemessen.

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, indem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage, jedoch eines über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich in privater Hinsicht sehr gut integriert habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung – auch bei einem Eingriff nur in sein Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.3. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw schon mehr als 12 Jahre im Bundesgebiet, verfügte für den überwiegenden Teil über eine Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber, kann notwendige Deutschkenntnisse nachweisen, ging seit März 2003 auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung nach den Bestimmungen des AuslBG einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, das erwirtschaftete Einkommen sichert seinen Lebensunterhalt, leistet monatliche Unterhaltszahlungen von 280 Euro und Taschengeld an seine Tochter, verfügt über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis (siehe die zahlreichen Unterstützungserklärungen für seinen Weiterverbleib im Bundesgebiet) und ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

Nach dem mehr als zwölfjährigen Aufenthalt kann dem Bw ein hohes Maß an Integration zugemessen werden. Dafür sprechen auch die vom Bw glaubhaft vorgebrachten Nachweise. Neben der beruflichen Integration ist er auch als sozial integriert anzusehen. Demgegenüber hat der Bw kaum nennenswerte Kontakte zum Herkunftsstaat.

 

Die belangte Behörde ist darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt und der Bw mehrmals gegen einschlägige Bestimmungen des Fremdenrechts verstoßen hat. Trotz Verletzung der Einreisebestimmungen und der Verwendung einer falschen Identität wurde seitens der Fremdenpolizeibehörden gegen den Bw kein Strafverfahren eingeleitet. In diesem Zusammenhang ist den Ausführungen des Bw zu folgen, wonach einer Verletzung von Einreisevorschriften im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer (12 Jahre) keine wesentliche Bedeutung mehr zukommen kann.

 

 

Auch wenn der Bw die falschen Identitätsangaben bereits zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung im Jahr 1999 gemacht hat, hielt er daran bis nach Beendigung des Asylverfahrens fest. Wie er selbst ausgeführt hat, wollte er mit dieser Vorgangsweise eine unverzügliche Außerlandesbringung verhindern. Auf den ersten Blick liege der Schluss nahe, dass der Bw durch die falschen Angaben zu seiner Person das Asylverfahren über Jahre verschleppen und damit den Aufenthalt sicherstellen konnte. Weder dem Asylverfahren noch den Ausführungen der belangten Behörde lässt sich entnehmen, dass die falschen Identitätsangaben ausschlaggebend waren für die überlange Verfahrensdauer. Glaubhaft ist, dass der Bw mit Fortschreiten des Asylverfahrens Bedenken hegte, seine wahre Identität bekannt zu geben, da er im Fall dieser Bekanntgabe fürchten musste, umfassend seine Glaubwürdigkeit im Asylverfahren zu verlieren. Durch die Beibehaltung der falschen Identität ist dem Bw zwar ein entsprechender Vorwurf zu machen, diesem kommt aber nicht ein so übermäßiges Gewicht zu, wie die belangte Behörde vermeint. Aus dem vorliegenden Sachverhalt kann nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass der Bw mit seiner Vorgangsweise die Erschleichung eines Aufenthaltstitels von vorne herein beabsichtigt hatte. Im Gegensatz zur belangten Behörde hat die Sicherheitsdirektion in ihrer Stellungnahme vom 26. Juli 2010 die falschen Identitätsangaben zwar angesprochen, ihr aber nicht einmal ansatzweise jene Bedeutung beigemessen wie die belangte Behörde. Trotz der falschen Identitätsangabe ist die Sicherheitsdirektion von einer beruflichen Integration ausgegangen und hat diese nur unter dem Gesichtspunkt der Unsicherheit des Aufenthaltes, bedingt durch das laufende Asylverfahren, relativiert. In diesem Zusammenhang ist auch bedeutsam, dass die Sicherheitsdirektion die Ausweisungen der zweiten Ehefrau des Bw und seiner Tochter auf Dauer für unzulässig erklärt hat, obwohl zumindest die Ehefrau des Bw bei der Asylantragsstellung falsche Personenangaben gemacht hatte. Beide verfügen mittlerweile über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG.

 

Entgegen der belangten Behörde ist der nachvollziehbaren Argumentation des Bw zu folgen und von einer umfassenden Integration des Bw in Österreich auszugehen. Zutreffend durfte im vorliegenden Fall nicht ausschließlich auf das Fehlen einer gemeinsamen Wohnung abgestellt werden um einen Eingriff in das Familienleben des Bw beurteilen zu können. Der Bw zeigte in seinem Vorbringen nachvollziehbar auf, dass trotz getrennter Wohnsitze eine konstante und enge persönliche Beziehung zu seiner Tochter besteht. Zu Recht hat der Bw auf die einschlägige Judikatur des EGMR hingewiesen (EGMR vom 1. Juni 2004, 45582/99 Nr. 39, Slg.04-IV-Lebbing gegen Niederlande) wonach beispielsweise die Anwesenheit bei der Geburt, unregelmäßige Besuche, Babysitten, Sorge für die Gesundheit ausreichende Indizien für eine innige Beziehung darstellen können, da daraus ein erkennbares Interesse und ein Verantwortungsbewusstsein für das Kind abgeleitet werden kann.

 

Der jüngsten Judikatur des VwGH folgend ist im vorliegenden Fall bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden familiären, privaten und sozialen Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK deutlich überwiegen. Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss.

 

Die dargelegten Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Bw an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig ist.

 

4.4.4. Im Ergebnis ist eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Familien- und Privatleben des Bw auf Dauer unzulässig.

 

4.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Da der Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß      § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von insgesamt 49,40 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.

 

Mag. Stierschneider

 

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