Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-100968/7/Br/Hm

Linz, 26.01.1993

VwSen - 100968/7/Br/Hm Linz, am 26. Jänner 1993 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn F H, G , R, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. S und Dr. M, L, L, vom 1. Dezember 1992 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 12. November 1992, VerkR96/951/1992 wegen der Übertretungen nach § 16 Abs.1 lit.c und § 16 Abs.2 lit. b iVm § 99 Abs.3a der StVO 1960, zu Recht:

I. Der Berufung wird k e i n e F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird in beiden Punkten bestätigt.

II. Als Kosten für das Berufungsverfahren werden 400 S (20% der verhängten Strafe) auferlegt.

Rechtsgrundlage:

Zu I.: § 16 Abs.2 lit.b und § 16 Abs.1 lit.a StVO iVm § 99 Abs.3a der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl.Nr. 159/1960, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 423/1990 StVO; § 66 Abs.4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 866/1992 - AVG iVm § 19, § 24, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 867/1992 - VStG.

Zu II.: § 64 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit Straferkenntnis vom 12. November 1992, Zl.: VerkR96/951/1992 wider den Berufungswerber Geldstrafen von je 1.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit von je 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 7. Februar 1992 um 06.20 Uhr den PKW mit dem Kennzeichen , auf der B von O in Richtung L gelenkt und dabei zwischen Str.km 8,8 und 8,6 1) überholt habe, obwohl er nicht einwandfrei erkennen habe können, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer wieder in den Verkehr einordnen können werde, 2) habe er vor einer unübersichtlichen Kurve überholt.

Begründend führte die Erstbehörde u.a. aus, daß das Überholmanöver vom Meldungsleger von seinem Standort aus eindeutig beobachtet werden habe können. Der Anzeiger sei demzufolge bei Str.km 8,8 aus einer Fahrzeugkolonne ausgebrochen, hätte vier Fahrzeuge überholt und hätte sich bei Str.km 8,6 wieder in die Kolonne eingeordnet.

2. Gegen das Straferkenntnis wurde binnen offener Frist Berufung erhoben und hiezu sinngemäß ausgeführt:

Das Verfahren sei mangelhaft, weil die Behörde keine maßstabsgetreue Skizze beigeschafft und keinen Ortsaugenschein durchgeführt habe. Ferner wäre es notwendig gewesen ein kfz-technisches Gutachten darüber einzuholen, daß die Behauptung des Meldungslegers, daß das überholende Fahrzeug bei km 8,8 aus der Kolonne ausgebrochen sei, vier Autos überholt habe und bei km 8,6 sich wieder eingeordnet habe, bei einer Fahrgeschwindigkeit von 70 km/h nicht möglich sein könne. Eine unübersichtliche Kurve sei ein Straßenstück, bei dem der Gegenverkehr nicht wahrgenommen werden könne. Der Schutzzweck des § 16 Abs.2 lit.b StVO diene ausschließlich dem Gegenverkehr. Ein solcher habe aber gegenständlich nicht vorgelegen und es wäre über den Kurvenbereich hinaus möglich gewesen, den entgegenkommenden Verkehr wahrzunehmen. Dieser Vorwurf würde daher zu Unrecht erhoben.

3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch ein Einzelmitglied zu entscheiden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war gemäß § 51e Abs.1 VStG erforderlich.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung, Zl.: VerkR96/951/1992 und Erörterung des bisherigen Ganges des Verfahrens am Beginn der Verhandlung, sowie durch die Beweisaufnahme in der öffentlichen mündlichen Verhandlung und die Durchführung eines Ortsaugenscheines, die zeugenschaftliche Vernehmung des Anzeigelegers am Ort seiner Wahrnehmung als Zeugen und ebenfalls die Vernehmung des Berufungswerbers.

4.1. Das Beweisverfahren hat ergeben, daß am 7.

Februar 1992 um 06.20 Uhr auf der B ein starker Fahrzeugverkehr in Richtung L herrschte. Bei Straßenkilometer 8,8, etwa 100 Meter vor dem Standort des Meldungslegers, scherte der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug aus der Kolonne aus und überholte drei oder vier Fahrzeuge. Die überholten Fahrzeuge fuhren etwa mit 60 km/h. Während des Überholvorganges fuhr der Berufungswerber am Standort des Meldungslegers vorbei. Seine Fahrgeschwindigkeit hatte zu diesem Zeitpunkt 80 km/h betragen. Bei Str.km 8,6, also vom Standort des Meldungslegers etwa 100 Meter in Richtung L, vermochte sich der Berufungswerber wieder auf den rechten Fahrstreifen einzuordnen, wobei die vordersten der überholten Fahrzeuge ihre Fahrzeuge etwas abbremsen mußten.

In Fahrtrichtung des Berufungswerbers verläuft die B bis ca. 100 Meter vor dem Standort des Meldungslegers nahezu geradlinig. Dann beschreibt dieser Straßenzug eine Rechtskurve (siehe auch die Fotos auf Seite 1a im Akt der Erstbehörde). Etwa 250 Meter in Richtung L verläuft die Straße in einer stärkeren Kurve nach links. Von der Stelle des eingeleiteten Überholmanövers kann die Fahrbahn etwa 100 Meter weit eingesehen werden, wobei auf Grund der durchgehenden Leitplanken und des sich aus dem Lenkersitz eines PKW ergebenden Blickwinkels, der Blick auf die linke Fahrbahn im flachen, nach rechts verlaufenden Kurvenbereich verdeckt wird.

Der Berufungswerber konnte daher bei Beginn des Überholmanövers sicher nicht (einwandfrei) erkennen, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer wieder in den Verkehr einordnen können werde. Auf Grund des Verlaufes und der Beschaffenheit der Straße an dieser Örtlichkeit, ist die beschriebene Rechtskurve als eine "unübersichtliche" anzusehen. Es muß in diesem Zusammenhang auch darauf Bedacht genommen werden, daß auf diesem Straßenzug auch mit einem sich mit hoher Geschwindigkeit annähernden Gegenverkehr zu rechnen ist. Bei einer, sich unter solcher durchaus realistischer Annahme ergebenden Annäherungsgeschwindigkeit von 50 m/sek. verdeutlicht sich die Frage der Unübersichtlichkeit der Kurve und der abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von selbst.

4.2. Dieses Beweisergebnis stützt sich auf das Ergebnis des durchgeführten Ortsaugenscheines und den schlüssigen, den Denkgesetzen entsprechenden zeugenschaftlichen Angaben des Meldungslegers. Aber auch der Berufungswerber selbst räumt ein, daß er drei Fahrzeuge, wobei das vorderste Fahrzeug ein größeres Fahrzeug gewesen sein soll, überholt hatte. Auch der Beginn des Überholvorganges ist mit den Angaben des Zeugen ungefähr ident. Während der Berufungswerber vermeint, er habe 130 Meter vor dem Standort des Gendarmeriebeamten (des Meldungslegers) den Überholvorgang eingeleitet, gibt der Meldungsleger an, daß er den Beginn des Ausscherens des Angezeigtenfahrzeuges bei der etwa 100 Meter in Richtung O aufgestellten blauen Tafel wahrgenommen hätte. Diese Angabe ist deshalb glaubwürdig, weil ein in der Verkehrsüberwachung tätiges Organ, Wahrnehmungen im Straßenverkehr durch Festlegen von Markierungspunkten darzulegen pflegt. Für einen überholenden Fahrzeuglenker ist diesbezüglich eine seitliche Orientierung nur schwer möglich. Ebenso ist davon auszugehen, daß vom Straßenaufsichtsorgan die Fahrgeschwindigkeit im Zuge der Vorbeifahrt des überholenden Fahrzeuges richtig geschätzt zu werden vermochte. Für die Frage der Beurteilung der Rechtswidrigkeit des zur Last liegenden Verhaltens ist jedoch die Fahrgeschwindigkeit (80 km/h oder 90 km/h) nur von geringer Bedeutung. Nachvollziehbar ist auch, daß für das Überholen von mindestens drei, mit ca. 60 km/h fahrenden Fahrzeugen, eine Wegstrecke von etwa 200 Metern benötigt wird und nicht bloß 130 Meter - würde den Angaben des Berufungswerbers gefolgt. Dieser widerspricht sich diesbezüglich mit seinem Vorbringen vom Schriftsatz vom 23. April 1992, wenn er dort vermeint, daß es auf 200 Meter nicht möglich wäre, vier Fahrzeuge zu überholen.

5. Rechtlich war sohin für den unabhängigen Verwaltungssenat wie folgt zu erwägen:

5.1. Gemäß § 16 Abs.2 lit.b StVO ist bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z.B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen;....... das Überholen verboten. Ebenso verboten ist dies gemäß § 16 Abs.1 lit.c StVO, wenn ein Fahrzeuglenker nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern...... Nicht nur wenn schlechte Witterungs- oder ungünstige Beleuchtungsverhältnisse die Sicht behindern, liegt ungenügende Sicht iSd § 16 Abs.2 lit.b vor, sondern auch, wenn andere Verkehrsteilnehmer die Sicht so beeinträchtigen, daß der Fahrzeuglenker, der überholen will, den Verlauf nicht völlig überblicken und damit Hindernisse und Gefahren nicht rechtzeitig erkennen kann - (zB. OGH 2.12.1966, ZVR 1967/206 u.v.m.).

Bei unübersichtlichen Straßenstellen besteht nach § 16 Abs.2 lit.b ein Überholverbot (VwGH 27.2.1979, ZVR 1980/57).

Zur Beurteilung der "Unübersichtlichkeit einer Straßenstelle" ist auch die Fahrgeschwindigkeit von Bedeutung (VwGH 15.5.1981, 02/3161/80, ZfV 1982/1353).

Eine konkrete Behinderung oder Gefährdung ist nach dem Tatbild des § 16 Abs.1 lit.c nicht erforderlich. Die Zulässigkeit des Überholens ist nicht vom Endpunkt des Überholmanövers, sondern von dessen Beginn aus zu beurteilen (VwGH 20.11.1967, ZVR 1969/11). Ferner setzt die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind, das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des Überholenden und des (der) zu überholenden Fahrzeuge(s). Ebenso sind vor dem Überholmanöver Umstände zu beurteilen, welche einem Wiedereinordnen in den Verkehr entgegenstehen könnten (VwGH 12.3.1986, 85/03/0152).

5.1.1. Eine Kumulation (Verhängung zweier Strafen für eine Tathandlung) hat dann zu erfolgen, wenn zwei verschiedene Tatbilder vorliegen, welche einander nicht ausschließen, indem jedes für sich alleine und beide auch gleichzeitig begangen werden können (VwGH 28.10.1983, 83/02/0233). Die Schutzfunktion hinsichtlich des § 16 Abs.1 lit.a StVO besteht nicht nur darin, einen gefahrlosen Gegenverkehr zu ermöglichen, sondern auch daran, alle Schäden zu verhindern, die beim Überholen und Wiedereinordnen entstehen können ("E 55" OGH 23.11.1977, 8 Ob 160/77, ZVR 1979/120).

5.2. Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

5.2.1. Konkret ist zur Strafzumessung auszuführen, daß die von der Erstbehörde verhängte Strafe gering bemessen wurde. Der Erstbehörde ist in ihrer Begründung durchaus zu folgen, daß derartigen Übertretungen, mit Strenge entgegenzutreten ist. Ist es doch gerade diese Art von mangelnder Disziplin im Straßenverkehr, welche - wohl unbestreitbar - zu den schwersten Verkehrsunfällen mit schwersten Verletzungsfolgen führt. Es ist daher, sowohl aus Sicht der Spezialprävention (den Berufungswerber künftighin von weiteren derartigen Übertretungen abzuhalten) aber auch aus Gründen der Generalprävention (den Unrechtsgehalt derartiger Übertretungen generell zu pönalisieren) die Verhängung von "spürbaren Strafen" angezeigt. Die verhängten Strafsätze sind daher, bei bis zu 10.000 S reichenden Strafrahmen, bei gut durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und der Sorgepflicht für zwei Kinder, durchaus angemessen. Sowohl der erhebliche objektive Unrechtsgehalt als auch der Grad der subjektiven Schuld - die mit dem Überholen herbeigeführte abstrakte Gefährdung wurde offenkundig geradezu in Kauf genommen - rechtfertigen auch beim Milderungsgrund der bisherigen, relativen Unbescholtenheit (keine einschlägige Vormerkung), eine geringere Strafe nicht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

6. Der Ausspruch über die Kostenentscheidung gründet in der unter II. bezogenen Gesetzesstelle.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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