Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 19.12.2011

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufungen des 1. X, 2. der X X, 3. des X X, 4. des X X und 5. des X X; allesamt StA der Türkei, sämtliche vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Wels-Land vom 23. Mai 2010, AZ: Sich40-271-2000 sowie AZ: Sich40-435-2003, betreffend Ausweisungen der Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

I.       Den Berufungen wird stattgegeben und die angefochtenen   Bescheide ersatzlos aufgehoben.

 

II.     Eine Rückkehrentscheidung ist jeweils auf Dauer unzulässig.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Wels-Land vom 23. Mai 2010, AZ: Sich40-271-2000 sowie AZ: Sich40-435-2003, wurde gegen die Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 53 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, jeweils die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Erst-Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, am 17. Oktober 2000 illegal, unter Umgehung der Grenzkontrolle, schlepperunterstützt nach Österreich eingereist sei und am 18. Oktober 2000 einen Asylantrag gestellt habe, der am 31. Jänner 2001 erstinstanzlich und am 6. Juni 2001 rechtskräftig zweitinstanzlich abgewiesen wurde. Nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung habe der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde mit 19. März 2004 abgelehnt. Das Asylverfahren sei daher mit diesem Zeitpunkt rechtskräftig negativ beendet worden.

 

Darauffolgend stellte der Erst-Bw am 27. April 2004 beim Bundesasylamt Linz einen weiteren Asylantrag. Dieser sei erstinstanzlich mit 16. Juni 2004 und zweitinstanzlich mit 18. Dezember 2008 rechtskräftig negativ beschieden worden. Seit diesem Zeitpunkt sei der Erst-Bw illegal im Bundesgebiet aufhältig. Der Erst-Bw verfügte sohin vom 18. Oktober 2000 bis zum 19. Dezember 2008 über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz.

 

Am 7. Mai 2009 habe der Erst-Bw einen Erstantrag gem. § 44 Abs. 3 NAG gestellt, dieser verschaffe ihm aber kein Bleiberecht.

 

Bereits am 31. Jänner 2001, somit drei Monate nach der ersten Asylantragstellung, sei dem Erst-Bw sein unsicherer Aufenthalt bewusst gewesen. Ein abgesicherter Aufenthalt im Sinne einer Niederlassung sei daher beim Erst-Bw in keinem Zeitpunkt vorgelegen und die Integration lediglich auf Grund des weiteren gestellten Asylantrages möglich gewesen.

 

In Bezug auf das Familienleben des Erst-Bw stellt die belangte Behörde fest, dass die Ehegattin des Bw (Zweit-Bw) mit zwei Kindern am 4. Juli 2003 legal nach Österreich eingereist sei und darauffolgend einen Asylantrag gestellt habe, welcher ebenso negativ entschieden wurde. Gleiches gelte für das dritte – bereits in Österreich geborene – Kind.

 

Da gegenüber der gesamten Familie des Erst-Bw die Ausweisung verfügt werde, finde eine familiäre Trennung nicht statt.

 

Darüber hinaus würden neun Geschwister sowie der Vater des Erst-Bw im Heimatland leben. Es sei daher eine große Bindung zu diesem gegeben.

 

Der Erst-Bw sei als unbescholten anzusehen und für seine – sich ebenfalls in Österreich befindliche – Kernfamilie, bestehend aus Ehefrau und drei Kindern, sorgepflichtig.

 

Von Oktober 2001 bis August 2009 sei der Erst-Bw einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit mit mehreren Unterbrechungen nachgegangen und konnte den Lebensunterhalt sicherstellen. Derzeit gehe der Erst-Bw keiner Beschäftigung nach, sei jedoch selbstversichert.

Der Erst-Bw sei überdies im Alter von 33 Jahren nach Österreich eingereist und habe somit den Großteil seines bisherigen Lebensalters in der Heimat verbracht. Er habe im Heimatland seine Schulbildung genossen und spreche Türkisch wie Kurdisch. Er verdiente in der Türkei seinen Lebensunterhalt als Hilfs- bzw. Landarbeiter. Letzteres im elterlichen Betrieb.

 

Betreffend die Deutschkenntnisse des Erst-Bw sei festzustellen, dass die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 positiv abgeschlossen wurde.

 

Insgesamt konstatiert die belangte Behörde, dass eine Reintegration aber ohne ein besonderes Maß an Schwierigkeiten möglich sei, da einerseits die Sprache des Heimatlandes beherrscht werde und andererseits die Geschwister und der Vater im Heimatland leben würden.

 

Betreffend die Zweit-Bw stellt die belangte Behörde fest, dass sie am 15. Juni 2003 in Begleitung ihrer minderjährigen Kinder legal mit gültigen Reisepass in das Bundesgebiet eingereist sei und am 4. Juli 2002 Asylanträge für sie und ihre – damals noch – beiden Kinder gestellt habe. Diese Anträge wurden schlussendlich gleichgehend mit dem des Erst-Bw am 18. Dezember 2008 vom Asylgerichtshof negativ beschieden.

 

Der jüngste Sohn wurde am X in X geboren. Der am 3. Jänner 2005 gestellte Asylantrag sei ebenfalls mit 18. Dezember 2008 negativ vom Asylgerichtshof entschieden worden.

 

Insofern halten sich die Zweit-, der Dritt-, Viert- und Fünft-Bw nunmehr ebenfalls illegal im österreichischen Bundesgebiet auf. Das zur legalen Einreise – unter Verwendung einer Verpflichtungserklärung des Herrn X – erreichte Visum habe mit 15. September 2009 seine Gültigkeit verloren. Am 7. Mai 2009 habe die Zweit-Bw für sich und ihre Kinder einen Erstantrag gem. § 44 Abs. 3 NAG gestellt. Dieser Antrag verschaffe jedoch kein Bleiberecht.

 

Nach Einholung der Stellungnahme der Sicherheitsdirektion, welche zu dem Ergebnis führte, dass fremdenpolizeiliche Maßnahmen zulässig seien, sei im Zuge des NAG-Verfahrens diese Stellungnahme am 12. Jänner 2010 der Zweit-Bw zur Kenntnis gebracht worden.

 

Darauffolgend sei in der Stellungnahme vom 11. Februar 2010 vorgebracht worden, dass aufgrund des langen Aufenthaltes der gesamten Familie, selbige in Österreich entsprechend gut integriert sei.

 

Die Zweit-Bw führe den Haushalt und sorge für die Kinder. Den Lebensunterhalt verdiene der Erst-Bw. Die Kinder würden die Schule bzw. den Kindergarten besuchen. Der Dritt-Bw sei überdies aktiv als Fußballer beim Verein X tätig.

 

Die Zweit-Bw reichte zudem am 11. März 2010 ein Sprachzertifikat Deutsch auf Niveau A2 ein.

 

Im Rahmen der Mitteilung, dass das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung eingeleitet wurde, gab die belangte Behörde der Zweit-, dem Dritt-, Viert- und Fünft-Bw am 31. März 2011 bekannt, dass davon auszugehen sei, dass die Zweit-Bw seit ihrem Aufenthalt in Österreich nie erwerbstätig war. Die Zweit-Bw beherrsche die türkische Sprache und habe im Heimatland eine Schulausbildung genossen. In Heimatland würden die Eltern sowie 8 Geschwister leben. Sie reiste mit 33 Jahren in das Bundesgebiet ein und habe somit den überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens in der Türkei verbracht.

 

Betreffend den Dritt-, Viert- und Fünft-Bw stellte die belangte Behörde fest, dass diese derzeit eine österreichische Ausbildung absolvieren.

 

Entsprechend der belangten Behörde konkretisierten die Bw in einer Stellungnahme vom 18. April 2011, dass der Dritt-Bw die HAK besuche, der Viert-Bw diese im September besuchen werde und der Fünft-Bw in den Kindergarten gehe. Überdies sei ersichtlich, dass die Zweit-Bw mit ihren Kindern seit über 7 Jahren im Bundesgebiet aufhältig sei, die gesamte Familie sehr gut deutsch spreche und den größten Teil ihres Lebens in Österreich verbracht habe. Eine Reintegration in der Türkei sei nur schwer möglich. Eine Unterstützung vom Vater der Zweit-Bw sei nicht zu erwarten, da dessen Pension sehr klein bemessen sei.

 

Darüber hinaus stellte die belangte Behörde fest, dass auch die Zweit-, sowie der Dritt-, Viert- und Fünft-Bw als strafrechtlich unbescholten anzusehen seien.

 

Der Dritt- und Viert-Bw seien in Österreich zwar schulisch integriert, hätten aber in der Türkei die Volksschule besucht und es könne daher damit gerechnet werden, dass sie die türkische Sprache leicht erlernen. Zudem sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass innerfamiliär Türkisch gesprochen werde.

 

Im Rahmen einer Gesamtschau habe die Integration der Bw in Österreich vor allem angesichts der Tatsache, dass sämtliche sozialen bzw. schulischen Bindungen in einer Zeit entstanden seien, in der die Bw nicht mit einem dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet rechnen konnten, noch kein solches Ausmaß erreicht, dass eine Ausweisung im Sinn des Art. 8 EMRK unzulässig sei. Zu erwähnen sei überdies, dass die Integration lediglich auf Grund des weiteren gestellten Asylantrages des Erst-Bw möglich war und erst hierdurch eine Integration erreicht wurde. Ein Organisationsverschulden des Staates Österreich läge auch nicht vor, sondern habe der Erst-Bw das Asylverfahren taktisch geführt, um so Integrationsjahre zu sammeln.

 

Abschließend sei daher festzuhalten, dass keine außergewöhnlichen Umstände hervorgekommen seien, die einen Ausweisungsschutz im Lichte des Art. 8 EMRK nach sich ziehen würden und die Ausweisung stelle daher das gelindeste Mittel dar, um den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen.

 

Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihren Rechtsvertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 8. Juni 2011.

 

Darin stellten die Bw die Anträge, die Berufungsbehörde möge die angefochtenen Bescheide der BH-Wels Land vom 16. Mai 2011, AZ: Sich40-271-2000, AZ: Sich40-435-2003, zugestellt am 25. Mai 2011, dahingehend abändern, dass festgestellt werde, dass eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig sei.

 

In Eventu wird der Antrag gestellt, die angefochtenen Bescheide sollen aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die Erstbehörde verwiesen werden.

 

Überdies wird der Antrag gestellt, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und auch durchzuführen.

 

Begründend verweisen die Bw auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen und die vorgetragenen Argumente. Bei deren richtigen Würdigung hätte ausgesprochen werden müssen, dass die Ausweisung der Bw im Lichte des Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig sei.

 

Im wesentlichen wird ausgeführt, dass der Erst-Bw sich bereits seit mehr als 10 Jahren und auch seine Frau sowie die Kinder seit mehr als 7 Jahren in Österreich aufhältig sind. Die Integration sei bestens erfolgt und der Erst-Bw habe bis zum Abschluss seiner Beschäftigungsbewilligung den Lebensunterhalt sichergestellt. Nach Erhalt einer entsprechenden Niederlassungsbewilligung habe der Erst-Bw wieder die Möglichkeit einer Beschäftigung nachzugehen.

 

Gegen das Vorhalten der belangten Behörde, dass die Integration während unsicheren Aufenthaltes erlangt bzw. erst durch die Zweit-Antragstellung des Erst-Bw ermöglicht wurde, bringen die Bw vor, dass die Zweit-, der Dritt-, Viert- und Fünft-Bw lediglich einen Asylantrag eingebracht haben und sie auf die lange Verfahrensdauer keinerlei Einfluss nehmen konnten. Überdies habe der Erst-Bw nur einen Erstreckungsantrag nach dem einzigen Antrag seiner Frau und seiner Kinder gestellt.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass die minderjährigen Bw den Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht haben und schulisch wie gesellschaftlich gut integriert sind. Die Kinder besuchen die HAK bzw. den Kindergarten. Der Dritt-Bw spielt überdies aktiv Fußball in einem Verein. Auch mit zu berücksichtigen sei, dass in der Türkei keinerlei soziales Netzwerk zur Unterstützung vorhanden sei.

 

Mit Schreiben vom 7. September 2011 teilte der rechtfreundliche Vertreter mit, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung aufrecht gehalten werde, die Bestellung eines Dolmetschers aber nicht notwendig sei.

 

Schlussendlich erfolgte noch eine Übermittlung des aktuellen Jahres- und Abschlusszeugnisses bzw. einer Schulbesuchsbestätigung der HAK betreffend die Dritt- und Viert-Bw. Auch wurde eine Einstellungsbestätigung betreffend den Erst-Bw und eine KSV1870-Privatinformation für den Erst-Bw und für die Zweit-Bw persönlich beigebracht. Zusätzlich wurde ein aktueller Mietvertrag und die Bestätigung der Haushaltsgemeinschaft vorgelegt.

 

Sämtliche Unterlagen wurden zum Akt genommen.

 

Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Einem diesbezüglichen Berufungsantrag war daher nicht zu folgen.

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem oben angeführten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

Im vorliegenden Fall wurde die in Rede stehende Ausweisung auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige   Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt      entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltstatus           bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein  aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte) zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde festgestellt, dass lediglich das Privatleben der Bw von einer Ausweisung betroffen wäre, zumal ja sämtliche Mitglieder der Kernfamilie von der Maßnahme gleichermaßen betroffen seien, wodurch das Familienleben an sich nicht tangiert sein könne. Insofern ist ihr zu folgen; allerdings mit dem Bemerken, dass die jeweiligen Eingriffe in das Privatleben des/der einzelnen Bw auch unmittelbar die anderen Familienmitglieder zu beeinträchtigen geeignet sind.

 

Hinsichtlich der Dauer und der Natur des Aufenthalts können der Erst-Bw (ca. 10 Jahre) sowie die Zweit-, der Dritt-, Viert und Fünft-Bw (ca. 7 Jahre) auf eine relativ lange Dauer verweisen, wobei der größte Teil davon – wegen der aufrechten Asylverfahren – legal waren.

 

Für den Fünft-Bw erstreckt sich der Aufenthalt sogar über die gesamte Lebensdauer.

 

Hinsichtlich des allfälligen unsicheren Aufenthalts der Bw ist insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG vergleichbare § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch VwGH vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348).

 

Betreffend der Bewertung des Privatlebens ergibt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht verleihen, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Erst-Bw schon seit mehr als 10 Jahren im Bundesgebiet, wo er nicht nur beinahe durchgängig einer Beschäftigung nachging, ein Einkommen bezog und sozialversichert war, sondern auch seinen Wohnsitz gemeldet hat. Überdies ist der Erst-Bw nunmehr privat versichert. Seine Deutschkenntnisse sind – wie auch die seiner Gattin und seiner Kinder – ausreichend dokumentiert. Die oa. Judikatur des VwGH ist hier also einschlägig. Verstärkend kommt hinzu, dass der Erst-Bw Zusagen betreffend seine Einstellung für die Zukunft aufweisen kann und insofern von einer zukünftig gegebenen Selbsterhaltungsfähigkeit der Bw auszugehen ist.

 

Angesichts von 3 zu betreuenden Kindern kann es der Zweit-Bw auch nicht als negativ angerechnet werden, dass sie ihre berufliche Integration nicht vorangetrieben hat.

 

Auf die berufliche Integration der Kinder braucht – wegen deren Alters – nicht näher eingegangen werden.

 

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass hier vor allem die soziale Integration einen hohen Stellenwert genießt. Zwei Söhne besuchen in Österreich die Handelsakademie und ein Sohn besucht den Kindergarten. Auch außerhalb der Bildungseinrichtung weist der Dritt-Bw integrationsstiftende Elemente auf, da er aktiv in einem Fußballverein spielt. Insgesamt ist also im vorliegenden Fall von einem hohen Maß an sozialer Integration zu sprechen und von einer Verfestigung durchaus auszugehen

 

Auch, wenn der belangten Behörde durchaus zu folgen ist, dass eine Reintegration von Erst-Bw und Zweit-Bw im Herkunftsland durchaus zumutbar erschiene, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass dies im Fall der Kinder schon schwieriger sein dürfte. Vor allem hinsichtlich des jüngstgeborenen Sohnes, zumal dieser in Österreich geboren ist und keinerlei Bezug zur Heimat aufweist.

 

Ebenso mit zu berücksichtigen ist, dass alle Bw als strafrechtlich unbescholten zu gelten haben.

 

Gemäß der oben angeführten Judikatur des VwGH ist in diesem Fall nicht mehr die Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG näher zu erörtern und bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss, auch wenn ein weiterer Asylantrag durch den Erst-Bw gestellt wurde, da die darauffolgende Verfahrensdauer ohne Zuwirken des Erst-Bw sowohl hinsichtlich seines Verfahrens, als auch der Verfahrens der Zweit-, des Dritt-, Viert- und Fünft-Bw, entstanden ist.

 

Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

Es war daher der Berufung stattzugeben, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

Da die Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig sind, und dies sogar von ihrem rechtsfreundlichen Vertreter bestätigt wurde, konnte eine Übersetzung gem. § 59 FPG unterbleiben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 110,50 Euro (Eingabegebühr samt Gebühr für die Beilagen) angefallen.

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

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