Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-523038/2/Fra/Th

Linz, 20.01.2012

 

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn X, vertreten durch die X Rechtsanwalts KG, X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 6. Dezember 2011, VerkR96-1-2011, VerkR21-6-2011, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme eines Verfahrens, zu Recht erkannt:

 

 

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 67a Abs.1 AVG iVm § 69 Abs.2 AVG.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Herrn X wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 27. Jänner 2011, VerkR21-6-2011, die Lenkberechtigung für die Klassen A und B für die Dauer von 7 Monaten, gerechnet ab 20. Dezember 2010 bis einschließlich
20. Juli 2011, entzogen.

 

Weiters wurde über Herrn X mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 10. Februar 2011, VerkR96-1-2011, unter anderem wegen Übertretung des § 5 Abs.1 iVm § 99 Abs.1a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.200 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Tage) verhängt.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden legte diesen Bescheiden folgenden Sachverhalt zugrunde:

Herr X lenkte am 20. Dezember 2010 um 17.30 Uhr den PKW X auf der Westautobahn A1 im Gemeindegebiet von Sattledt auf Höhe Strkm. 195.000 in Fahrtrichtung Wien in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (laut Gutachten des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft lag zum Tatzeitpunkt ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,64 mg/l vor), verschuldete einen Verkehrsunfall mit Sachschaden und beging anschließend Fahrerflucht.

 

Beide Bescheide sind in Rechtskraft erwachsen.

 

1.2. Der nunmehrige Berufungswerber (Bw), vertreten durch die X Rechtsanwalts KG, X, stellte mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 einen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren: VerkR96-1-2011 und VerkR96-6-2011 mit der Begründung, dass gegen ihn wegen des gegenständlichen Vorfalles zu 42 BAZ 113/11y von der Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eingeleitet wurde und im Zuge dieses Verfahrens von der Gerichtsmedizin GmbH, X, Dr. X, ein Gutachten erstattet wurde, welches im Wesentlichen zum Schluss kommt, dass in dem für den Angeklagten günstigsten Fall von einer Blutalkoholkonzentration von 0,74 Promille auszugehen ist. Mit Benachrichtigung vom 29. September 2011 (ihm zugestellt am 3. Oktober 2011) wurde das gegenständliche Verfahren eingestellt. Am 4. Oktober 2011 habe er das Gutachten kopiert und sohin erstmals von diesem Kenntnis erlangt.

 

1.3. Der Bw vertritt die Auffassung, dass, hätte er dieses Gutachten in den Verwaltungsverfahren verwenden können, diese voraussichtlich zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Insbesondere wären die verhängten Strafen wesentlich niedriger gewesen, es wäre keine Nachschulung erforderlich gewesen und kein Führerscheinentzug erfolgt. Es seien daher neue Beweismittel (in Form des Gutachtens) hervorgekommen, die in den vorhergehenden Verfahren, VerkR96-1-2011 und VerkR21-6-2011, ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten und voraussichtlich im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Bescheide herbeigeführt hätten. Die 14 Tagefrist gemäß § 69 AVG sei ebenfalls gewahrt, da er erstmals am 4. Oktober 2011 von diesem Gutachten Kenntnis erlangte.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat mit Bescheid vom 18. Oktober 2011, VerkR96-1-2011, VerkR21-6-2011, diesen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als verspätet eingebracht zurückgewiesen. Sie ging davon aus, dass das oa. Sachverständigengutachten dem Bw offensichtlich bereits im Juni 2011 zur Kenntnis gelangt sei, weshalb der vom Bw am 17. Oktober 2011 eingebrachte Antrag im Sinne des § 69 Abs.1 AVG verfristet sei.

 

1.4. In seinem Rechtsmittel gegen diesen Bescheid brachte der Bw unter anderem vor, dass seinem Rechtsvertreter (X Rechtsanwalts KG) von Herrn X, dem Vertreter von Frau X, telefonisch mitgeteilt wurde, dass das gegenständliche Gutachten am 9. Juni 2011 hinterlegt wurde, jedoch nicht behoben und daher wieder an die Staatsanwaltschaft Wels retourniert wurde. Er habe zu diesem Zeitpunkt nachweislich keine Kenntnis von dem Gutachten erlangt. Die Benachrichtigung von der Einstellung des Strafverfahrens sei ihm am 3. Oktober 2011 zugestellt worden. Am 4. Oktober 2011 habe er das relevante Gutachten kopiert und somit erstmals von diesem Kenntnis erlangt. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher gemäß § 69 Abs.2 AVG binnen 2 Wochen und sohin folglich keineswegs verfristet gestellt worden. Im Berufungsverfahren teilte die Staatsanwaltschaft Wels mit Schreiben vom
23. November 2011, Zl: 42 BAZ/113/11y, dem Oö. Verwaltungssenat mit, dass das oa. Gutachten der Gerichtsmedizin vom 16. Mai 2011 am 6. Juni 2011 an den Bw abgeschickt wurde. Die Sendung wurde am 9. Juni 2011 hinterlegt und an die Staatsanwaltschaft Wels am 28. Juni 2011 als "nicht behoben" rückgemittelt. Die Verständigung über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Z2 StPO wurde am 28. September 2011 an den Bw elektronisch abgefertigt.

 

1.5. Der Oö. Verwaltungssenat gab mit Erkenntnis vom 1. Dezember 2011, VwSen-522997/4/Fra/Gr, der Berufung insofern Folge, als er den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 18. Oktober 2011, VerkR96-1-2011, VerkR21-6-2011, aufhob. Der Oö. Verwaltungssenat führte in diesem Bescheid begründend aus, dass gemäß § 69 Abs.2 AVG der Antrag auf Wiederaufnahme binnen 2 Wochen bei der Behörde einzubringen ist, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Im Verfahren hat der Bw im Sinne der oa. gesetzlichen Bestimmung glaubhaft gemacht, dass er von den verfahrensrelevanten Umständen (Gutachten der Gerichtsmedizin vom 16. Mai 2011) erst am 4. Oktober 2011 Kenntnis erlangt hat, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme als rechtzeitig eingebracht gilt. Da die belangte Behörde unzutreffend von einer verspäteten Einbringung des Wiederaufnahmeantrages ausgegangen ist, war der angefochtene Bescheid aufzuheben. Der Oö. Verwaltungssenat wies daraufhin, dass die Bezirkshauptmannschaft Gmunden in der Folge über den verfahrensgegenständlichen Wiederaufnahmeantrag inhaltlich abzusprechen hat.

 

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die Bezirkshauptmannschaft Gmunden nunmehr meritorisch entschieden und den Wiederaufnahmeantrag vom 17. Oktober 2011 abgewiesen. Die belangte Behörde verweist in diesem Bescheid auf die Bestimmung des § 69 Abs.1 Z2 AVG, wonach es sich um neue Tatsachen und Beweismittel handeln muss, die schon vor Erlassung des das wieder aufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides bestanden haben müssen, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden sind (nova reperta). Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens neu entstandene Tatsachen rechtfertigen dagegen nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das gegenständliche Verwaltungsverfahren sei am 10.02.2011 bzw. das Entziehungsverfahren am 11.02.2011 in Rechtskraft erwachsen. Das ärztliche Sachverständigengutachten der Gerichtsmedizin Salzburg sei mit 16.05.2011 datiert, somit nach rechtskräftigem Abschluss der Verfahren. Weiters verweist die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die Judikatur des VwGH v. 19.04.1994, 90/07/0124, wonach die Widerlegung eines Sachverständigengutachtens durch ein neues Gutachten keine neue Tatsache im Sinne des § 69 Abs.1 Z2 AVG darstellt.

 

3. Der Bw verweist in seinem Rechtsmittel gegen diesen Bescheid im Wesentlichen auf die Argumente, die er bereits in seinem Wiederaufnahmeantrag vorgebracht hat. Er vertritt die Auffassung, dass wesentliche Tatschen, welche im Zeitpunkt der Sachverhaltsverwirklichung bereits vorlagen, dem Sachverständigen Dr. X von der Gerichtsmedizin GmbH erst nach Erlassung des verwaltungsbehördlichen erstinstanzlichen Bescheides bei der Erstellung eines Gutachtens im Rahmen des gerichtlichen Strafverfahrens zur Kenntnis gelangt sind. So werde etwa festgestellt, dass er nicht wie ursprünglich angenommen vier Halbe Bier in Traun getrunken habe, sondern lediglich zwei Halbe Bier in Traun und zwei Halbe Bier am Parkplatz in Allhaming. Darüber hinaus werde im gerichtsmedizinischen Gutachten ein genauerer Zeitraum festgestellt, in welchem er seinen Nachtrunk verübte. Er habe nicht um 17.30 Uhr, sondern erst richtigerweise um 18.00 Uhr mit dem Trinken begonnen und trank den letzten Schluck um 20.00 Uhr anstatt um 20.30 Uhr. Ergänzend wurde er im gegenständlichen Gutachten auch erstmals zu seinem Essverhalten im relevanten Zeitraum befragt. Diese neu festgestellten Tatsachen seien deshalb von Relevanz, weil vor allem die sehr eingeschränkte Nahrungsaufnahme vor dem Konsumieren von Alkohol die Resorption von ebendiesem beeinflusst. So gehe der Gutachter aufgrund dieser neuen Tatsache davon aus, dass der gesamte Alkohol des Nachtrunkes ohne jegliches Resorptionsdefizit auch resorbiert wurde. Somit sei die aus dem Nachtrunk errechnete theoretische Blutalkoholkonzentration vom rückgerechneten Wert in Abzug zu bringen. Demnach verblieben zum Zeitpunkt des Unfalls 0,74 ‰, welche von einer vorangehenden Alkoholkonsumation stammen müssen. Nach Ansicht des Bw sei aus seinen Ausführungen ersichtlich, dass das Ergebnis des wesentlich günstigeren gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens nicht lediglich auf neue Schlussfolgerungen des Sachverständigen beruhe. Vielmehr seien ihm neue konkrete sachverständigen Tatsachenfeststellungen vorgelegen, auf welche er sein Gutachten gestützt habe. Somit stellen diese neuen Befundergebnisse, welche sich auf im Tatzeitpunkt bestehende Tatsachen beziehen, einen Wiederaufnahmegrund dar. Die neue Beweislage hätte also voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Bescheide herbeigeführt. Er stellte sohin den Antrag, die Berufungsbehörde möge den Bescheid dahingehend abändern, dass der Wiederaufnahme des Verfahrens stattgegeben werde.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

Gemäß § 69 Abs.1 Z2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

 

Die Auffassung der Behörde, ein Gutachten, das nach Rechtskraft des Bescheides erstattet worden ist, könne auf keinen Fall einen Wiederaufnahmegrund darstellen, erweist sich als nicht zutreffend. Ein Gutachten besteht nämlich aus einer sachverständigen Tatsachenfeststellung – Befundaufnahme – und aus sachverständigen Schlussfolgerungen – dem Gutachten im engeren Sinn. Sollte ein Sachverständiger Tatsachen, die zwar bereits früher bestanden, erst später feststellen, oder sollten solche Tatsachen einem Sachverständigen erst später zur Kenntnis kommen, so könnten solche neuen Befundergebnisse, die sich auf seinerzeit bestandenen Tatsachen beziehen müssen, durchaus einen Wiederaufnahmegrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen nach § 69 Abs.1 Z2 AVG – insbesondere der Mangel eines Verschuldens – gegeben sind. Anders steht es mit den vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen. Weder ein Irrtum des Sachverständigen, noch neue Schlussfolgerungen stellen einen Wiederaufnahmegrund dar. Ein Wiederaufnahmegrund ist auch nicht gegeben, wenn ein in einem früheren Verfahren nicht vernommener Sachverständiger aufgrund unveränderter Sachverhaltsgrundlage nunmehr zu anderen Schlüssen kommen sollte, als der im Verfahren vernommene Sachverständige (vgl. ständige Rechtssprechung des VwGH, u.a. 25.10.1994, 93/08/0123). Der Bw irrte jedoch insoferne, als er die Auffassung vertritt, dass dem Sachverständigen Dr. X von der Gerichtsmedizin wesentliche Tatsachen, welche im Zeitpunkt der Sachverhaltsverwirklichung bereits vorlagen, erst nach Erlass des verwaltungsbehördlichen erstinstanzlichen Bescheides zur Kenntnis gelangt sind. Nach Auffassung des Oö. Verwaltungssenates lagen dem gerichtsmedizinischen Sachverständigen keineswegs konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen (Trink- und Essverhalten bzw. Nachtrunk des Bw) vor, sondern sind diese "Tatsachen" wiederum Annahmen bzw. Schlussfolgerungen eines möglicherweise vorgelegenen Sachverhaltes. So stellt der Dr. X in seinem Gutachten vom 16. Mai 2011 auf Seite 15, vorletzter Absatz, ausdrücklich folgendes fest:

"Letztlich obliegt es jedoch grundsätzlich der richterlichen Beweiswürdigung, ob man den Behauptungen eines Nachtrunks Glauben schenkt oder nicht."

 

Dass sohin dem Gutachter nicht – wie der Bw meint – konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen vorgelegen sind, auf welche er sein Gutachten stützen musste, indiziert auch die Feststellung auf Seite 15, Punkt X. letzter Satz: "Wenn man nun die heutigen Angaben als richtig voraussetzt, ... können diese Angaben als rechnerisch nachvollziehbar gelten."

 

Entgegen der Auffassung des Bw liegen sohin keine Tatsachen (Beweismittel) vor, die schon vor Erlassung der die wieder aufzunehmenden Verfahren abschließenden Bescheide bestanden haben, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden sind (nova reperta).

 

Der Berufung konnte daher keine Folge gegeben werden und es war spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren von 14,30 Euro angefallen.

 

 

Dr. Johann Fragner

 

VwSen-523038/2/Fra/Th vom 20. Jänner 2012

 

Erkenntnis

 

Rechtssatz

 

AVG §69 Abs1 Z2

 

Ein Gutachten, das nach Rechtskraft des Bescheides erstattet wird, kann dann einen Wiederaufnahmegrund iSd § 69 Abs 1 Z 2 AVG darstellen, wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die bereits früher bestanden haben, später feststellt oder diesem erst später zur Kenntnis kommen.

Neue Schlussfolgerungen eines Sachverständigen stellen jedoch keinen Wiederaufnahmegrund dar.

 

 

 

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